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PRESSEKONFERENZ/1393: Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten Sellering und Bouffier, 09.02.2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Donnerstag, 9. Februar 2017
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsident Sellering und Ministerpräsident Bouffier im Bundeskanzleramt

Thema: Gespräch der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer zum Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten heute eine Besprechung der Bundesregierung mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer zum Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik, mit dem Schwerpunkt Rückkehrpolitik. Wir hatten uns bereits im Dezember, bei unserer letzten Beratung, für den heutigen Tag verabredet.

Zur Einordnung will ich noch einmal sagen, dass es hier um die Frage geht: Was geschieht mit denjenigen, die nach einem Entscheidungsprozess durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und in vielen Fällen auch durch anschließende Gerichtsverfahren rechtskräftig dazu verpflichtet sind, unser Land wieder zu verlassen? Wir glauben, dass es notwendig ist, dass wir das dann auch durchführen, weil wir uns die Fähigkeit erhalten wollen und müssen, denjenigen, die humanitären Schutz verdienen und die ihn auch rechtlich zuerkannt bekommen haben, weiterhin zu helfen. Ich glaube, so wie unser Rechtsstaat großzügige Möglichkeiten der humanitären Hilfe bietet, ist es dann auch die berechtigte Erwartung der Menschen in Deutschland, dass da, wo diese Schutzbedürftigkeit in Rechtsverfahren nicht festgestellt wurde, die Ausreise notwendig ist. Wir haben bei der Rückführung im letzten Jahr bereits höhere Zahlen gehabt als in den vergangenen Jahren, und wir wissen, dass dies ein komplexes Verfahren ist, das der engen Zusammenarbeit von Ländern, teilweise auch kommunalen Verantwortlichen und des Bundes bedarf. Genau um diese Zusammenarbeit und die Verbesserung der Möglichkeiten dieser Zusammenarbeit ging es uns heute in unserer Diskussion.

Wir haben uns darauf verständigt, dass es zeitnah den Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht geben wird. Das hat verschiedene Facetten, so zum Beispiel die Erweiterung der Abschiebehaft für Ausreisepflichtige, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht. Ich glaube, nach den Vorfällen am Breitscheidplatz wissen wir, wie dringend notwendig das ist. Es geht um die Erleichterung der Überwachung von Ausländern bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses, es geht um räumliche Beschränkungen des Aufenthalts für Geduldete - wenn Ausreisepflichtige ihre Rückführung durch vorsätzlich falsche Angaben, durch Täuschung über die Identität oder die Staatsangehörigkeit aktiv verhindern oder verzögern, dann sollen eben auch restriktive Maßnahmen ergriffen werden können - und es geht um die Verlängerung der zulässigen Höchstdauer des Ausreisegewahrsams zum Beispiel auf zehn Tage. Wir haben hierüber eine umfassende und, ich glaube, auch sehr ehrliche Diskussion geführt - nicht im Geist der gegenseitigen Schuldzuweisung, sondern im Geist der Kooperation - und werden jetzt diese Maßnahmen umsetzen.

Es geht dann in vielen Fällen darum, dass die erforderlichen Ausreisepapiere nicht vorliegen. Diesbezüglich haben wir auch noch einmal über eine verbesserte Zusammenarbeit des Bundes mit den Bundesländern gesprochen. Der Bund muss hier ja mit den Drittstaaten, in die zurückgeführt werden soll, entsprechende Verfahren vereinbaren und die Papiere beschaffen. Wir haben solche Papierbeschaffungsmaßnahmen mit den Staaten des westlichen Balkans organisiert, aber bei anderen Ländern, die auch eine sehr geringe Anerkennungsquote haben, sind wir noch nicht so weit.

Wir arbeiten daran, dass Rückführungen möglichst aus den Erstaufnahmeeinrichtungen erfolgen können; denn wir wissen: Wenn Menschen erst einmal durch ehrenamtliche Helfer in Kommunen integriert werden, dann ist die Rückführung sehr viel schwerer und schwieriger. Wir haben auch sehr viel darüber gesprochen, ob der Bund hilfreich sein kann, indem er auch seinerseits in bestimmten Zentren Ausreisegewahrsam anbietet. Darüber wird im Weiteren mit den Ländern noch ausführlich gesprochen werden.

Alles in allem beruhen die Maßnahmen, die heute verabredet wurden, auch auf einer gemeinsamen Studie, die McKinsey für die Länder und den Bund durchgeführt hat und in der man versucht hat, Schwachpunkte zu identifizieren. Wir alle wissen, dass vor uns noch sehr viel Arbeit liegt, aber wir nehmen diese Herausforderung an, und zwar in dem Geiste, dass wir denen, die Schutz brauchen, helfen wollen, und den anderen auch sagen müssen, dass sie unser Land wieder verlassen müssen.

Wir setzen im Übrigen sehr stark auf freiwillige Ausreisen, wissen allerdings, dass freiwillige Ausreisen dann nicht erfolgen, wenn Menschen wissen, dass es nie eine verpflichtende Rückführung in ihr Heimatland gibt. Die freiwilligen Ausreisen sind auch immer kombiniert mit Angeboten für eine Rückkehr und eine Starthilfe. Hier gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ich noch einmal ganz herzlich dafür danken möchte, dass sie mit uns so gut zusammenarbeiten.

MP Sellering: Es ist ja schon zum wiederholten Male, dass wir hier zum Thema Flüchtlinge zusammenkommen. Bisher ging es in erster Linie um Integration und darum, wie wir diejenigen schützen können, die wirklich Schutz vor Verfolgung brauchen. Heute war das größere Thema, dass wir über diejenigen sprechen, die eben keinen Schutz in Deutschland brauchen, die aber in großer Zahl zu uns kommen und wieder zurückkehren müssen, und wie wir das durchsetzen. Da ist völlig klar geworden, dass wir eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern brauchen. Es gibt in diesem Bereich einige Aufgaben, die die Länder regeln müssen, es gibt einige Aufgaben, bei denen wir die Hilfe des Bundes in Anspruch nehmen müssen, und wir müssen uns gemeinsam auf die eine oder andere Rechtsänderung verständigen, die dringend notwendig ist, damit wir zum Beispiel an die nötigen Informationen kommen.

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass diejenigen, die hier nicht bleiben können, unser Land möglichst schnell wieder verlassen. Deshalb geht es darum - und damit bin ich sehr zufrieden -, dass wir jetzt deutlich mehr Entscheider im BAMF haben, die dann schnell entscheiden, dass jemand keinen Schutz bekommt. Es ist auch wichtig, dass wir uns darauf verständigt haben, dass wir aus den Erstaufnahmeeinrichtungen abschieben und dass das möglichst schnell geht. Das Wichtigste ist, dass diejenigen Menschen, die keinen Schutzanspruch haben - die meisten wissen das ja, wenn sie hierher kommen -, dann auch wissen, dass wir es ernst damit meinen, dass sie zurückkehren müssen. Das wird die Zahl der freiwilligen Rückkehrer deutlich erhöhen.

Ein anderer ganz wichtiger Punkt ist, dass wir das Instrumentarium gegenüber denen schärfen, die hier Fehlverhalten zeigen, die versuchen, unter Verschleierung ihrer Identität Asylrecht zu erschleichen, die Sozialbetrug begehen. Dabei geht es vor allem auch darum, dass wir ganz deutlich die Kommunikationssysteme verbessern und dass jede Behörde, die hier beteiligt ist, jederzeit Zugriff auf alle Informationen hat, damit wir nicht aneinander vorbei arbeiten. Ich glaube, das ist insgesamt sehr wichtig.

Ich finde gut, dass wir in diesen schwierigen Diskussionsprozessen sehr offen miteinander reden - aber am Ende eben auch ganz deutlich daraufhin orientiert, dass wir diese schwierige Aufgabe nur gemeinsam lösen können. Uns allen ist klar, dass die Akzeptanz für Flüchtlinge, die in ihrer Heimat Schlimmstes erlebt haben und unseren Schutz brauchen, nur dann in der Bevölkerung gehalten wird, wenn wir gegenüber denen, die diesen Schutz eben nicht brauchen, eine klare Linie fahren und uns sozusagen nicht ausnutzen lassen und nicht sagen: Denjenigen, die hier vorsätzlich Pässe verlieren, kommen wir nicht bei. Deshalb haben wir verabredet, welche einzelnen Maßnahmen wir dazu ergreifen wollen. Das wird jetzt der Bund in Gesetzesform gießen, und dann werden wir das im Einzelnen beraten. Aber die Einigkeit war da, dass wir diese Regelung brauchen.

MP Bouffier: Ich kann das auch für die B-Seite unterstreichen: Wir hatten eine gute und auch eine sehr freimütige Diskussion und Erörterung. Im Kern geht es darum, das Recht durchzusetzen und Missbrauch zu verhindern. Dem dient eine ganze Reihe von Maßnahmen.

Ich will noch einmal auf eine Maßnahme hinweisen, die uns besonders wichtig erscheint: Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist nicht nur für den Asylantrag zuständig, sondern auch für die Feststellung "Wer ist das eigentlich, der da vor uns ist?", also für die Identitätsfeststellung. Bislang war es und ist es nicht möglich, zum Beispiel die Daten aus einem Handy auszulesen, um festzustellen: Stimmt das, was der da sagt, oder nicht? Das soll mit dieser neuen Regelung möglich sein, indem es eine gesetzliche Grundlage dafür gibt. Wir halten das alle für zwingend geboten. Wir haben darüber hinaus auch vereinbart, dass der Bund prüft, inwieweit es aus verfassungsrechtlichen Gründen möglich sein kann, dass wir das, was wir dann auf dem Handy finden, auch für weitere wichtige Entscheidungen nutzen können, wenn es dafür von Bedeutung ist, und ob man das dann auch entsprechend auslesen kann. Da gibt es die juristische Diskussion über den geschützten Kernbereich der privaten Dinge; das ist zu berücksichtigen. Aber für die Frage, ob jemand einen Asylantrag berechtigterweise stellt oder nicht, ist es schon spannend zu sehen, ob er Verbindungsdaten mit ISIS hat oder ob auf dem Handy Bilder sind, auf denen er sich mit denen brüstet, während er gleichzeitig angeblich verfolgt ist - das kann sein, das muss nicht sein. Diese Debatte beziehungsweise dieser Prüfauftrag geht also weiter, aber was wir vereinbart haben, ist, dass das für die Identitätsfeststellung auf jeden Fall möglich ist. Ich nehme das als Beispiel, um zu zeigen, dass wir auch tatsächlich vorankommen und auch vorankommen müssen.

Zweite Bemerkung: Ich glaube, es war sehr klar, dass wir, Bund und Länder, diese große Herausforderung nur zusammen bewältigen können, und zwar in einem sehr intensiven Zusammenwirken. Ich will für uns sagen: Wir alle sind sehr engagiert, wenn das freiwillig geht, und wir tun da auch was; aber die Freiwilligkeit hängt auch an der Entschlossenheit, das Recht durchzusetzen. Zu dieser Durchsetzung haben wir uns sehr konkret und sehr intensiv mit dem Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr beschäftigt - abgekürzt nennt sich das ZUR, und das ist in Potsdam. Es geht darum, dass wir besser, intensiver und nach Möglichkeit auch schneller bündeln. Dabei geht es um die Beschaffung von Ersatzpapieren und vieles andere mehr; die Dinge sind bekannt, das ist ein mühsamer Prozess. Wir glauben, dass wir hier auch mit entsprechender Ausstattung personeller Art noch besser werden können. Die Länder haben sich verpflichtet, dort auch eigenes Personal zur Verfügung zu stellen, denn das liegt im allseitigen Interesse. Das ist ein Beleg dafür: Es geht nur zusammen.

Letzte Bemerkung: Wir hatten eine sehr offene Debatte, denn das Ganze kann natürlich nur dann gelingen, wenn es ein gemeinsames Grundverständnis gibt. Wenn dieses Grundverständnis nicht da ist, dann gerät man sehr schnell in Opportunitäten, je nach Farbengestaltung. Wir haben - ich glaube, so weit kann man gehen - schon gemeinsam festgestellt: Es nützt vergleichsweise wenig, sich wechselseitig Vorwürfe zu machen. Wir müssen vielmehr in der Sache vorankommen, damit wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger erhalten. Es bleibt eine große Aufgabe, und die bleibt auch schwierig, aber wir kommen voran.

Frage: Ich hätte eigentlich eine Frage an die beiden Ländervertreter, zum einen an Herrn Sellering. Sie haben ja betont, dass die Durchsetzung der Abschiebung so wichtig ist. Sind die A-Länder da denn wirklich gemeinsamer Auffassung, weil es doch ziemlich große Unterschiede zwischen verschiedenen, auch rot-grün regierten Ländern gegeben hat?

Herr Bouffier oder eigentlich Sie beide, jetzt ist ja so eine Klausel hineingekommen, dass sich die Länder noch einmal die Zustimmung gegenüber dem vorbehalten, was dann als Gesetzestext vorliegt. Entwertet das nicht eigentlich wieder das, was Sie jetzt als politisches Signal erreichen wollen? Erwecken die Länder nicht wieder den Eindruck, dass das jetzt zwar eine politische Vereinbarung war, aber dass die Länder am Ende alles, was heute vereinbart wurde, wieder kippen können?

MP Sellering: Das wäre ein Missverständnis. Es ist ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass wir sagen "Wir einigen uns darauf, dass der Bund ein Gesetz mit folgenden Eckpunkten macht" - dann kommen die 16 Punkte -, und dass man dann sagt "Aber es wird natürlich darauf ankommen, wie das im Einzelnen ausgestaltet ist". Dann wird man gemeinschaftlich darüber reden müssen. Dass die Länder da sagen "Ich habe jetzt nicht sozusagen das Gesetz gekauft", ist, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit.

Was die A-Länder angeht, in denen natürlich der eine oder andere in einer Regierung mit den Grünen ist, wird es noch Diskussionen innerhalb der jeweiligen Regierungen geben. Aber die Grundlinie, die in diesem Papier enthalten ist, wird von der A-Seite vollständig mitgetragen.

MP Bouffier: Ich glaube, das ist schon verständlich. Die Ministerpräsidentenkonferenz umfasst ja auch Kollegen, die jetzt nicht der CDU/CSU oder der SPD angehören. Das ist zum einen Thüringen, zum anderen Baden-Württemberg. Wir sind ein Gremium - wir haben ja nun oft versucht, miteinander politische Grundentscheidungen zu treffen -, das Grundentscheidungen trifft. Wir sind kein Gesetzgebungsorgan, sondern das, was wir hier machen, ist eine politische Vereinbarung, die nachher den Weg für das Gesetzgebungsverfahren weisen soll. Das ist nicht eine Carte blanche für den Bundesrat.

Aber umgekehrt gilt natürlich auch, sonst könnte man sich das Ganze hier sparen: Wir haben schon die Verpflichtung, das dann auch ins Gesetzblatt zu bringen. Das ist unterschiedlich; Sie sprachen das schon an. Der Fairness halber will ich einmal sagen: Das gilt auch nicht für alle A-Länder, aber für einige gilt es. Ich kann nur hoffen, dass wir auch nach der heutigen Diskussion handlungsfähig bleiben und dass wir das, was wir jetzt hier vereinbart haben, auch beschließen werden.

Frage: Ich habe eine Frage an die Bundeskanzlerin zu den Bundesausreisezentren. Darüber seien noch weitere Gespräche nötig, haben Sie gesagt. Was spricht dagegen, das jetzt schon im Grundsatz zu beschließen? Sind Sie selbst für solche Zentren? Wird dabei auch der Vorschlag des Bundesinnenministers aufgegriffen werden, die Kompetenzen der Bundespolizei zu stärken?

Wenn Sie erlauben, noch eine Fragen an Herrn Bouffier: Soll das Auslesen der Handydaten Ihrer Ansicht nach generell oder aufgrund bestimmter Verdachtsmomente erfolgen?

BK'in Merkel: Zu der Frage nach dem Bundesausreisezentrum: Darüber haben wir auch relativ lange gesprochen. Das kann natürlich nur in engster Absprache mit den Ländern gemacht werden. Der Bundesinnenminister glaubt, dass es zum Beispiel bei der Rückführung, wenn es um Charterflugzeuge und Ähnliches geht, Vorteile haben könnte, wenn wenige Tage, bevor die Ausreise erfolgt, Menschen, die rückgeführt werden müssen, bereits an einer zentralen Stelle zusammengeführt werden und dass dies dann zum Beispiel auch von bestimmten Amtsärzten beobachtet und überwacht wird oder Atteste erteilt werden, wenn notwendig, und man damit mehr Sicherheit in Bezug darauf bekommt, am Tag der Rückführung dann auch wirklich das Flugzeug voll zu bekommen.

Diese Bundesausreisezentren können mit Sicherheit nicht alle Ausreisepflichtigen auf einmal aufnehmen; das ist ja klar. Deshalb muss hier ein Modus Vivendi gefunden werden, wie man das vernünftig macht. Die Zuständigkeiten in den Ländern sind sehr unterschiedlich. Manche haben zentrale Ausreiseplätze, an denen es Ausreisegewahrsam bereits gibt. Andere haben eher dezentrale Dinge. Hier haben wir sowieso vereinbart, dass wir das etwas mehr zentralisieren werden, auch in den Ländern. Dann wird darüber zu diskutieren sein.

Hinsichtlich der Erweiterung der Kompetenzen der Bundespolizei wird es eine Arbeitsgruppe geben. Ich muss schauen, unter welchem Punkt das steht. Jedenfalls ist festgelegt worden, dass man in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe darüber sprechen wird, wie man die Zuständigkeiten im Rahmen der Rückführungen und auch der europäischen Regelungen vielleicht noch einmal verändern wird. Das ist eine lang- bis mittelfristige Aufgabe. Das werden wir nicht in den nächsten drei oder vier Monaten schaffen. Darüber kann es jetzt eine Diskussion geben, und dann wird man nach der Bundestagwahl weiter daran arbeiten müssen.

MP Sellering: Ich würde gerne einen Satz zu den Ausreisezentren sagen: Wenn man so einen neuen Begriff einführt, dann besteht in der schwierigen Situation, die wir bewältigen müssen, die Gefahr, dass der Eindruck entsteht, dass wir jetzt eine Patentlösung gefunden haben und jetzt alles ganz einfach ist. Gerade unsere Diskussion hat gezeigt: So ist es nicht. Das wäre vielleicht der Fall, wenn wir sozusagen sagen könnten: Diese schwierige Aufgabe macht jetzt der Bund. So ist es nicht, und so ist es nicht gemeint, sondern es ist das Angebot des Bundes, zu sagen: In bestimmten Fällen wird man überlegen müssen, wie das Angebot in Bezug darauf aussieht, bestimmte Fälle der Länder zu übernehmen und dann zentral zu versuchen, die Ausreise vorzubereiten und die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Aber das wird man sich im Einzelnen noch ganz genau anschauen müssen. Es wird nicht darum gehen, dass wir sozusagen die Kompetenzen abgeben können. Viele Länder wären froh darüber, aber das ist nicht gemeint. Deshalb müssen wir aufpassen, dass in der Diskussion nicht der Eindruck entsteht: Schöner neuer Begriff, jetzt haben wir alles erledigt!

MP Bouffier: Zu den beiden Fragen: Ausreisezentren sind aus unserer Sicht, der sich der Union, wünschenswert, aber die Sache ist schlicht noch nicht beschlussreif. Das betrifft insbesondere auch den Bund selbst. Denn die Frage, wie weit man denn gehen will, ist eigentlich nicht ein Streit zwischen den Beteiligten, sondern es geht auch um die Frage: Was bedeutet das denn konkret? Das ist eine riesige Aufgabe, und da scheint mir die Meinungsbildung auch innerhalb des Bundes noch nicht abgeschlossen zu sein. Aber wir sind durchaus dafür. Der Kollege hat es ja gesagt: Aus Sicht der Länder kann man sich eigentlich nur wünschen, dass der Bund ganz viel davon übernimmt. Aber am Ende muss es auch funktionieren, und insofern sind wir noch nicht beschlussfähig.

Zu der zweiten Sache, was "Auslesen aus den Handys" bedeutet: Das muss immer dann sein, wenn Zweifel bestehen. Es geht um die Identitätsfeststellung. Was machen wir bislang? Wenn die Identität zweifelsfrei ist, dann braucht man sich nicht weiter darum zu kümmern. Wenn die Identität zweifelhaft ist, werden zurzeit zum Beispiel Sprachgutachten eingeholt, um durch Fachleute und Gutachter festzustellen: Kann das denn stimmen, was der uns dort erzählt, und ist die Sprache auch tatsächlich von da oder ist sie anders? - Um diese Zweifel zu beseitigen, ist es sinnvoll, eine Erkenntnisquelle, die man hat, auch zu nutzen, und sich nicht selbst sozusagen von Gesetzes wegen blind zu machen; das kann ja nicht richtig sein.

BK'in Merkel: Das, was wir heute für das BAMF beschlossen haben, gibt es schon rechtlich geregelt für die Ausländerbehörden. Für die Ausländerbehörden ist also bereits im Gesetz verankert, dass man zur Identitätsfeststellung Handys auslesen kann. Beim BAMF war das noch nicht möglich, und es leuchtet, glaube ich, ein, dass man diese Möglichkeit auch für das BAMF schaffen will. Es wird noch Weitergehendes geprüft, aber nur geprüft; das haben wir noch nicht beschlossen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, bedeutet das jetzige Paket de facto das Ende der deutschen Willkommenskultur? Der Vorwurf steht ja im Raum.

Eine zweite Frage, wenn Sie erlauben: Sie haben heute Nachmittag den Präsidenten der EZB, Mario Draghi, im Bundeskanzleramt getroffen. Wie empfanden Sie das Gespräch? Wurden dabei auch die Themen "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten", "Protektionismus", "Eurozone" und "deutsche Exportüberschüsse" besprochen?

BK'in Merkel: Ich pflege nicht aus solchen Gesprächen zu berichten. Interessant ist es immer, mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank zu sprechen.

Ich will nur, um ein Missverständnis zu beseitigen, etwas zu dem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten sagen: Meiner Auffassung nach ist bereits die Tatsache, dass nicht alle Mitglieder der Europäischen Union im Euroraum sind, ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Die einen haben eine gemeinsame Währung, die andere haben sie nicht. Aber mir geht es nicht darum, jetzt innerhalb der Eurozone wieder unterschiedliche Geschwindigkeiten zu haben, sondern die Eurozone muss als Ganzes zusammenbleiben, und das, was dort beschlossen wird, muss natürlich von allen Euro-Mitgliedstaaten gemeinsam getragen werden, zum Beispiel der ESM oder andere Dinge; da darf es gar keinen Widerspruch geben.

Außerdem muss alles, was in der Europäischen Union auch an verstärkter Zusammenarbeit oder an besonderen Integrationsschritten gemacht wird, offen für alle Mitgliedstaaten sein. Es können nicht drei beschließen, dass sie einmal etwas machen, und die anderen dürfen nicht mitmachen, sondern jedem muss das Angebot gemacht werden. Aber wenn jemand sagt "Ich möchte diesen Integrationsschritt nicht mitgehen" - wie zum Beispiel Dänemark bei der gemeinsamen Innen- und Justizpolitik -, dann muss das möglich sein. Dafür gibt es ja auch das Thema der verstärkten Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten.

Der Gegenstand, über den wir heute debattiert haben, ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass wir weiterhin ein Land sein können, in dem Menschen, die Schutz suchen, willkommen geheißen werden. Das bedeutet aber auch, dass dies auf der Grundlage des Rechtsstaats erfolgen muss, wie alles, was in Deutschland geschieht, auf der Grundlage des Rechtsstaats erfolgen muss. Das heißt, wir sind für die offen, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren ein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen. Wer das nicht bekommt, der kann gerichtlich noch einmal eine Überprüfung beantragen. Wer auch nach dieser gerichtlichen Überprüfung immer noch die Aussage vom Rechtsstaat bekommt, dass das Aufenthaltsrecht hier nicht gegeben ist, der muss unser Land wieder verlassen. Das ist ein ganz normaler Prozess, und der eröffnet uns überhaupt nur die Möglichkeit, Menschen in Not willkommen zu heißen.

Donnerstag, 9. Februar 2017

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsident Sellering und
Ministerpräsident Bouffier im Bundeskanzleramt, am 9. Februar 2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/02/2017-02-10-pk-merkel-regierungschefs.html;jsessionid=D47E9FBB9040C67036C6516DF6AE8C82.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2017

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