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PRESSEKONFERENZ/1388: Kanzlerin Merkel und der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim, 02.02.2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Ankara - Donnerstag, 2. Februar 2017
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


MP Yildirim: Sehr geehrte Vertreter der Presse, wir haben heute einen werten Gast bei uns, Frau Bundeskanzlerin Merkel, und ich darf sie und ihre werte Delegation herzlich begrüßen und in unserem Land willkommen heißen.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind sehr wichtig, und diese Wichtigkeit zeichnet sich auch im Rahmen dieses Besuchs ab. In der Region, aber auch global gesehen, gibt es gemeinsame Bedrohungslagen, aber auch gemeinsame Chancen, die sich ergeben. Wenn wir dies berücksichtigen, dann ist die Beziehung zu Deutschland, einem Freund der Türkei, eine Beziehung, in der es auch im Rahmen der Flüchtlingsproblematik, im Zusammenhang mit den Sicherheitsfragen bis hin zur Lösung von regionalen Fragen eine große Palette an Punkten gibt, die wir gemeinsam bearbeiten können.

Wir haben in diesem Rahmen und im Zusammenhang mit unseren bilateralen Beziehungen verschiedene Dimensionen unserer Themen behandelt, allen voran auch die wirtschaftlichen Beziehungen, die bilateralen Beziehungen und die Frage, wie wir diese bilateralen Beziehungen weiter ausbauen können. Die Gelegenheit hat sich dahingehend geboten, aber natürlich auch aufgrund der Beziehungen zur Europäischen Union. Die Wiederbelebung dieser Beziehung und die Aktualisierung der Zollunion sind weitere Themen gewesen.

Im März 2016 gab es ja ein Abkommen. In den nächsten Monaten wird dies erneuert werden. Insofern ist eine weitere Herangehensweise an die EU und die Frage, wie man diese gestalten kann, ein weiterer Punkt gewesen, über den wir gesprochen haben.

Frau Merkel hat nach dem niederträchtigen Putschversuch vom 15. Juli auch ihre Solidarität gezeigt. Wir möchten uns dafür bedanken. Auch ihr heutiger Besuch ist ein Zeichen dieser Solidarität. Nach dem Putschversuch gab es im Rahmen des Ausnahmezustands ja Situationen, die die Putschisten hervorgerufen haben, bestimmte Maßnahmen, um diese Traumata zu erleichtern, und wir haben dann auch die Möglichkeit gehabt, über diese Maßnahmen zu sprechen. Egal welche Bedingungen herrschen - die Türkei ist ein Rechtsstaat. Im Rahmen der Justiz und im Rahmen des Rechts müssen die Verantwortlichen behandelt und dann natürlich auch zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist nämlich eine große Katastrophe gewesen. In der Geschichte der Demokratie kann man, glaube ich, kein zweites Beispiel sehen. Gegen Panzer, Kanonen, Kampfhubschrauber, Flugzeuge und sozusagen gegen Raketen haben die Menschen mit ihrem Leib versucht, ihr Land zu verteidigen. Wir erinnern uns an die Menschen, die dabei ihr Leben verloren haben. Das ist insgesamt ein Erfolg einer Nation, eines Volkes. Diese niederträchtige Organisation hat leider einen sehr großen Schaden herbeigeführt. Um diesen Schaden nun zu beheben, sind natürlich Maßnahmen ergriffen worden, um nicht erneut eine solche Situation zu erleben. Wir ergreifen diese Maßnahmen auch weiterhin.

Hinsichtlich der Umsetzung gibt es natürlich manchmal Kritik; das hören wir. Aber bei solch einem großen Vorfall, bei einem solchen Ereignis, in das natürlich Hunderte von Personen im Rahmen dieses Putschversuchs verwickelt waren, kann es bei der Umsetzung dieser Maßnahme sicherlich Fehler geben. Aber wir haben von Beginn an gesagt: Die Türkei ist ein Rechtsstaat und agiert nicht mit Rachegefühlen. Wir werden im Rahmen der Justiz und der Gerechtigkeit vorgehen, und auch unsere Umsetzungen werden in diesem Rahmen sein.

Hinsichtlich der Menschen, die als Staatsbeamte suspendiert worden sind, haben wir in der letzten Woche eine neue Regelung getroffen, nämlich dass nun auch diese Menschen vor Gericht ziehen können, um ihre Rechte einzufordern, wenn sie im Recht sind. Es gab bestimmte Einschränkungen, beispielsweise im Rahmen von Polizeigewahrsam, aber auch hinsichtlich des Gesprächs mit dem Anwalt, und auch dort gibt es nun Erleichterungen, die wir dadurch herbeigeführt haben.

Insbesondere für den Kampf gegen die gülenistische Terrororganisation FETÖ brauchen wir noch mehr Unterstützung von Deutschland; denn diese Organisationen sind in den europäischen Ländern momentan aktiv und können sich auch frei bewegen. Sie sind heute ein Problem für die Türkei, aber ich bin mir sicher, dass diese Organisationen in Zukunft auch eine große Gefahr und Bedrohung für andere europäische Länder sein können. Deshalb ist die Zusammenarbeit gegen den Terror noch wichtiger denn je.

Im Zusammenhang mit Syrien und dem Irak sowie dem Kampf gegen Da'esh ist natürlich, was die Zusammenarbeit mit Deutschland angeht, insbesondere nachrichtendienstliche Aufklärung, aber auch Luftaufklärung wichtig. Für diese Unterstützung in Deutschland bedanken wir uns. Wir wollen, dass wir in diesem Rahmen natürlich Möglichkeiten haben, die sich dort ergeben, wo es keinen Terror mehr gibt.

Die Sicherheit Europas geht durch die Türkei. Wir haben 3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei. Somit ist die Türkei für die Europäische Union, wenn wir von den Flüchtlingen oder auch von der Gefahr des Terrors ausgehen, natürlich ein Land, das diese Gefahr aufhält, damit diese Gefahr nicht nach Europa weitergeht. Ich hoffe und wünsche mir, dass dies von der Europäischen Union gewürdigt wird. Auch diese Themen haben wir behandelt.

Deutschland und die Türkei haben eine tief verwurzelte Vergangenheit. Wir haben dabei in Deutschland natürlich einen größten Handelspartner - von dem Export her an erster Stelle, vom Import her an zweiter Stelle -, und es gibt ein Exportvolumen von 35 Milliarden Dollar. Auch von den Investitionen her gesehen liegt Deutschland an sechster Stelle. Aber auch hinsichtlich der türkischen Investoren in Deutschland sehen wir eine sehr aktive Situation. Wir haben an die 3,5 Millionen Menschen, die aus der Türkei kommen und in Deutschland leben. Somit sind diese Menschen natürlich auch für die Verstärkung der Bande zwischen beiden Ländern sehr wichtig; das möchte ich noch einmal unterstreichen.

Verehrte Vertreter der Presse, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die Entwicklungen und die Ereignisse in unserer Region sind natürlich seit sechs Jahren aufgrund des Autoritätsvakuums in dieser Region ein Faktor dafür Der Friedensprozess in Syrien, aber eben auch der Kampf im Irak und die Befreiung von Mossul werden Stabilität in diese Region bringen, auch mit den Friedensgesprächen. Ich hoffe, dass wir diese Sicherheitsfrage beziehungsweise diese Terrorfrage in Zukunft dann eben nicht mehr in dieser Intensität behandelt werden und unsere Kraft natürlich vielmehr für den Ausbau der bilateralen Beziehungen einsetzen werden, sodass der Wohlstand weiter angehoben werden kann.

Auch im Zusammenhang mit Zypern hatten wir die Gelegenheit, über diese Probleme und über die Herbeiführung der Lösung zu sprechen. Einer der größten Wünsche, die wir haben, ist, dass eine faire Lösung, eine Föderation, gewährleistet wird. Das ist sowohl für Europa als auch für die Türkei und auch für Griechenland eine Lösung, die wir uns wünschen, alle zusammen. Da sollten die entsprechenden Parteien natürlich auch noch vorsichtiger und auch mit der entsprechenden Aufopferungsbereitschaft an die Sache herangehen, damit wir zu einer Lösung kommen.

Ich möchte mich bei Frau Bundeskanzlerin Merkel und der werten Delegation noch einmal für diesen Besuch bedanken. Noch einmal herzlich willkommen! Ich wünsche, dass dieser Besuch fruchtbar ist.

BK'in Merkel: Danke schön, Herr Ministerpräsident! Ich bedanke mich, dass wir die Gelegenheit zu so ausführlichen Gesprächen in bewegten und herausfordernden Zeiten hatten.

Ich habe mir durch den Besuch des Parlaments heute noch einmal einen persönlichen Eindruck von der Wucht des Putschversuchs machen können und sage noch einmal, dass sich die Bevölkerung eindeutig dagegengestellt und sich für die Demokratie eingesetzt hat. Gerade aus diesem Grunde sollte jetzt bei den weiteren politischen Schritten auch darauf geachtet werden, dass Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und auch die Gewaltenteilung eine Rolle einnehmen, die dem entspricht, was die demokratischen Grundstrukturen eines Landes ausmacht. Wir haben darüber gesprochen, und wir werden diesen Austausch sicherlich auch fortsetzen.

Wir haben natürlich auch über die terroristischen Bedrohungen und über den islamistischen Terror gesprochen, wobei ich hinzufüge - das habe ich beim Präsidenten schon gesagt -, dass das kein irgendwie gearteter Verdacht gegen Muslime ist. Vielmehr sind das Menschen, die menschliches Leben zerstören, die die Demokratie nicht achten, die alles zerstören wollen, was uns wichtig ist. Insofern sind wir in diesem Kampf verbunden - Sie haben ja auch die Luftüberwachung genannt. Wir kämpfen auch im Irak mit den Peschmerga gegen diesen Terrorismus zusammen und unterstützen die Türkei, und wir wissen, dass die Türkei hier eine sehr große Last zu tragen hat.

Wir haben auch über terroristische Aktivitäten der PKK gesprochen. Die PKK ist in Deutschland als terroristische Organisation eingestuft, und unsere Innenminister werden auch weiterhin in Kontakt bleiben über das, was wir in diesem Zusammenhang noch an Fragen zu lösen haben.

Wir haben sehr wohl auch intensiv über eine andere Herausforderung der Türkei gesprochen, nämlich die drei Millionen Flüchtlinge, die insbesondere durch die Situation in Syrien in die Türkei gekommen sind. Deshalb muss natürlich von allen Seiten das EU-Türkei-Abkommen vom 18. März 2016 auch mit Leben erfüllt werden. Die finanziellen Mittel fließen inzwischen, wenn auch vielleicht nicht so schnell, wie sich die Türkei das wünscht. Von den 3 Milliarden Euro sind aber immerhin 2,2 Milliarden Euro gebunden, und 750 Millionen Euro sind jetzt auch ausgegeben worden. Aber wenn man sich die Situation der Flüchtlinge anschaut - ich war vor einigen Monaten ja in Gaziantep -, dann sieht man, dass das Geld natürlich jeden Tag nötig ist, weil die Menschen in die Schule gehen wollen und weil sie ihr Leben besser gestalten wollen. Deshalb werden wir da auch helfen. Deutschland wird sich auch weiterhin an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. Wir haben jetzt auch beschlossen, jeden Monat 500 Flüchtlinge aufzunehmen, um hier in bestimmten Fällen hilfreich zu sein.

Wir haben dann sehr intensiv über das Thema Wirtschaft gesprochen, hierbei als eine Facette auch über den Tourismus. Im Bereich des Tourismus gibt es natürlich angesichts der Anschläge in der Türkei auch Sorgen. Wir haben verabredet, dass unsere Innenminister in einen engen Kontakt treten, um alles dafür zu tun, die Sicherheit an den Flughäfen und auch in den Urlaubsregionen zu gewährleisten. Deutschland und die Türkei können hierbei noch besser miteinander kooperieren.

Wir haben auch darüber gesprochen, wie wir unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit, die sehr gut ist, stabilisieren und erweitern können. Auch hier gab es nach dem Putschversuch Verunsicherungen. Der Ministerpräsident hat mir auch noch einmal einige Maßnahmen dargelegt, die deutlich machen, dass deutsche Unternehmen auf Rechtssicherheit setzen können, und ich habe vorgeschlagen, dass sich die Wirtschaftsminister in dieser Hinsicht treffen und miteinander darüber reden, wie sich die wirtschaftliche Kooperation weiter entwickeln kann.

Wir haben über das Thema Ditib und darüber gesprochen, dass hier keine Irritationen aufkommen dürfen. Wenn wir Probleme haben, zum Beispiel mit der Gülen-Bewegung, und die Türkei Hinweise darauf hat, dann müssen das unsere Sicherheitsinstitutionen miteinander besprechen. Wir haben nämlich ansonsten viele Jahre lang intensiv darüber gesprochen, welche Ausbildung die Imame haben, die in Deutschland arbeiten, und ich möchte natürlich, dass die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland auch Zugang zu ihren Imamen haben kann. Deshalb müssen Irritationen oder dieses Gefühl, dass Menschen hier beobachtet oder bespitzelt werden, von vornherein ausgeräumt werden. Auch darüber werden die Innenminister intensiv sprechen.

Wir haben über das Thema Zypern gesprochen. Ich glaube, hier müssen wir den Verhandlungsprozess weiter beschleunigen und versuchen, ein Ergebnis zu erzielen. Das wäre für Griechenland, für die Türkei, für Zypern, aber auch für die ganze Europäische Union eine wichtige Sache.

Wir haben auch darüber gesprochen, dass wir natürlich die politischen Entwicklungen sowohl im Irak als auch in Syrien - wir haben vor allen Dingen über Syrien gesprochen - begleiten wollen, damit wir langfristige, nachhaltige Lösungen finden. In Syrien gibt es nach den schrecklichen Vorkommnissen in Aleppo jetzt einen fragilen Waffenstillstand, aber wir sind weit von einer gelösten Lage entfernt, und deshalb muss das auch fortgesetzt werden.

Alles in allem möchte ich mich bedanken. Ich finde, in solchen herausfordernden Zeiten müssen wir im Gespräch sein. Wir müssen uns austauschen. Wir müssen unsere gegenseitigen Argumente kennen und sie auch in das einfließen lassen, was wir jeweils tun. Ich stimme Ihnen zu: Allein durch die vielen türkischstämmigen Menschen in Deutschland sind Deutschland und die Türkei in ganz besonderer Weise verpflichtet, diese Zusammenarbeit zu versuchen, auch wenn es manchmal Punkte gibt, bei denen wir auch unterschiedlicher Meinung sind.

Frage: Meine Frage geht an Frau Merkel: Im März letzten Jahres sind ja verschiedene Abkommen unterzeichnet worden, beispielsweise Rückübernahmeabkommen und Abkommen über die Visabefreiung. Gegen Ende Dezember wurde dann ein Termin genannt, aber das ist nicht verwirklicht worden. Ich als türkischer Staatsbürger frage mich, wann wir ohne Visa nach Europa reisen können.

BK'in Merkel: Auf dem Weg zur Erfüllung der Bedingungen für die Erteilung der Visafreiheit ist ja sehr viel erreicht worden, aber leider fehlen noch einige Punkte; an denen muss noch weiter gearbeitet werden. Dazu gehört eben auch der Punkt, dass die Terrorismusgesetze noch einmal verändert werden sollen. Darüber sprechen wir noch intensiv. Ich habe heute mit dem Ministerpräsidenten vereinbart, dass wir diese Gespräche vertiefen und dass auch die Gespräche zwischen der Europäischen Kommission und dem Ministerpräsidenten wieder in Gang kommen. Ich habe ja gesagt: Wir stehen auf beiden Seiten dazu, dass das Abkommen auch wirklich umgesetzt wird, und deshalb arbeiten wir mit Hochdruck weiter daran.

MP Yildirim: Das ist natürlich ein sehr umfangreiches Abkommen; es geht also nicht nur um das Thema Terror, sondern wir sprechen hier von der Visabefreiung, von finanzieller Unterstützung und verschiedenen Themen, die momentan gut funktionieren - manche vielleicht nicht so, wie wir wollen. Wir haben eigentlich schon das meiste abgearbeitet, aber es gibt noch fünf Punkte, bei denen noch etwas zu tun ist. Einer dieser Punkte ist das Antiterrorgesetz oder die Antiterrorbekämpfung. Als das Land, das am meisten von Terror heimgesucht wird und auch Terror bekämpfen muss, sind wir aber natürlich für die Sicherheit insbesondere in der Türkei und auch in Europa zuständig, und deshalb muss diese Thematik in dieser Form aufgefasst werden. Das heißt, das müsste auch in der Europäischen Kommission so aufgenommen werden und bestimmt werden; das wäre der Sache dienlich. Das haben wir vorgeschlagen, und dahingehend gibt es Bestrebungen, die weitergehen. Ich hoffe, dass wir dabei in Kürze auch Fortschritte erzielen.

Frage: Ich hätte eine Frage, die ich gerne an Sie, Frau Bundeskanzlerin, und Sie, Herr Ministerpräsident, richten möchte: Deutschland und die Türkei setzen auf eine sehr enge Nato-Kooperation im Kampf gegen den internationalen Terror. Was erwarten Sie da vom neuen US-Präsidenten Trump, und was bedeutet das ganz konkret für Syrien?

BK'in Merkel: Ich glaube - so jedenfalls meine Gespräche und auch das, was ich über die Gespräche mit anderen lese -, der Kampf gegen den internationalen Terror ist eine Priorität auch der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Administration ist jetzt neu im Amt, das heißt, wir werden dann intensiv im Detail darüber reden, was genau jetzt in Syrien gemacht wird, wie die Befreiung von Mossul weitergeht, wie die Missionen weitergehen. Ich glaube aber, dass es hier ein hohes Maß an Kontinuität auch in der Kooperation gibt; denn das ist sozusagen ein Gegner, den wir weltweit sehen. Insofern habe ich jetzt keine Zweifel daran, dass hier alles versucht werden wird, um sehr eng zusammenzuarbeiten. Jeder kann betroffen sein, das erleben wir überall. Ich möchte allerdings wiederholen, was ich bereits im Zusammenhang mit den Einreisebedingungen gesagt habe: Der Kampf gegen den Terrorismus rechtfertigt natürlich keinen Generalverdacht; er muss zwar entschlossen geführt werden, aber nicht, indem man Muslime aus bestimmten Ländern einem Generalverdacht aussetzt.

MP Yildirim: Ich möchte vielleicht noch etwas hinzufügen. Die Nato ist eine Organisation, die seit einem halben Jahrhundert regional, aber auch global für den Frieden im Einsatz ist. Die Nato hat sicherlich wichtige Betätigungen gehabt, auch in Syrien und im Irak, gegen den Terror, um den Terror zu beenden. Für die Gewährleistung der Stabilität sind die Koalitionskräfte im Moment natürlich effektiv am Zug. Ich glaube nicht, dass die neue amerikanische Administration Zweifel an der Funktion der Nato hat. Mitte dieses Monats wird es ein Ministertreffen der Nato geben. Dabei wird es natürlich auch eine Beteiligung geben. So wird man diese Thematik dann noch einmal auffassen.

Wie auch Frau Bundeskanzlerin eben gesagt hat: Der Terror ist nicht nur ein Problem Deutschlands oder der Türkei, sondern das ist ein Übel der ganzen Welt, auch für die USA. Amerika musste ja aufgrund des Terrors von Al-Qaida am meisten zahlen. Deshalb ist es wichtig, dass der Terror in dieser Region gänzlich beendet wird. Das ist unsere Verantwortung.

Frage: Die Türkei kämpft seit langer Zeit gegen die PKK. Sie hat in Syrien Arme wie die YPG oder die PYD, die unterstützt werden und in Deutschland sozusagen auch Ableger haben. Im Rahmen des Gesprächs mit Herrn Erdogan war beispielsweise auch Gesprächsinhalt, dass beispielsweise die Imame, die irgendwie tätig geworden sind, im Rahmen des Verfassungsschutzes festgestellt wurden. Gab es Gesprächsinhalte dazu?

BK'in Merkel: Also, aus dem Gespräch kann ich sagen, dass wir natürlich über die verschiedenen Facetten der PKK und der Organisationen gesprochen haben, vor allem darüber, dass die PKK und alles, was damit zusammenhängt, in Deutschland nicht nur beobachtet wird, sondern auch, wie dagegen eingeschritten wird. Denn die PKK - ich habe es schon gesagt - ist auch in Deutschland als terroristische Organisation verboten.

Die verschiedenen Fälle, die uns von der Türkei vorgelegt wurden, werden wir sehr sorgsam prüfen. Deshalb habe ich auch gesagt: Unsere Dienste müssen enger zusammenarbeiten; die Innenministerien müssen enger zusammenarbeiten. Denn es ist natürlich verständlich, dass, wenn Anschläge der PKK mit Menschenopfern stattfinden, eine hohe Sensibilität seitens der türkischen Bevölkerung besteht, dass sich eine solche terroristische Organisation nicht auch anderswo entfalten oder öffentlich auftreten kann.

Frage: Der erste Teil meiner Frage richtet sich an Sie, Frau Bundeskanzlerin. Die Opposition in der Türkei befürchtet, dass Ihr jetziger Besuch von dem türkischen Staatspräsidenten und von der türkischen Regierung als Unterstützung für die geplante Verfassungsänderung betrachtet werden könnte. Ist das der Fall?

Der zweite Teil ist an Sie beide gerichtet. Die türkische Regierung droht immer wieder, den Flüchtlingsdealkündigen. Haben Sie über dieses Thema gesprochen? - Danke.

BK'in Merkel: Zum ersten Teil: Ich bin der Meinung - ich habe es gerade erste gesagt, aber ich wiederhole es gern -: In herausfordernden Zeiten ist es wichtig, dass Politiker miteinander sprechen und dass Regierungen miteinander sprechen. Deshalb finde ich, dass es wichtig und richtig ist, dieses Gespräch zu suchen.

Erstens denke ich, dass die Bevölkerung der Türkei ihre Entscheidung allein treffen wird. Ich denke nicht, dass ein Besuch von mir diese Meinung ändern wird. Ich werde mich im Übrigen ja auch mit Vertretern von Parteien treffen, die nicht der Regierung angehören und dabei natürlich auch ihre Meinung hören.

Zweitens bietet ein Gespräch auch die Möglichkeit, direkt über Meinungsverschiedenheiten zu reden. Das nur in Deutschland zu tun und nicht miteinander, das empfinde ich nicht als ausreichenden Weg, sondern wir müssen miteinander reden und miteinander versuchen, Lösungen zu finden.

Ich habe den Eindruck, wir haben heute keinen Gesprächsgegenstand ausgespart, sondern alle Themen angesprochen. Dabei ist die türkische Seite so, dass sie uns schon sagt, was ihr nicht gefällt, und ich bin auch von der Art, dass ich das sage, was ich an Beschwernissen habe. Ich glaube, das hat immer noch am weitesten geführt.

Wir haben die Gespräche heute nicht im Sinne von Androhungen geführt, was wann nicht passiert, sondern wir haben versucht, darüber zu reden, was wie am besten passieren kann. Deshalb haben wir über das, was im EU-Türkei-Abkommen noch zu tun ist, geredet. Aber ich würde ausdrücklich sagen, dass von türkischer Seite, mehr noch als es von der europäischen Seite - in diesem Falle von Griechenland - aus geschehen ist, viele Dinge implementiert wurden. Wir haben sehr viel weniger Flüchtlinge. Der Küstenschutz funktioniert sehr viel besser. Wir sehen auch, dass recht viel für die Integration der hier lebenden Flüchtlinge getan wird. Durch dieses Abkommen sind in der Türkei Entscheidungen gefällt worden zum Beispiel für Arbeitsmöglichkeiten von Flüchtlingen und für eine bessere Versorgung. Deshalb ist es auch die Pflicht der Europäischen Union, möglichst schnell diese Gelder zur Verfügung zu stellen, weil die Menschen darauf warten.

Ich sagte ja schon: Ich war in Gaziantep. Ich konnte es mir anschauen. Wenn eine Stadt 80 Menschen mehr hat als normalerweise, dann ist das schon eine Herausforderung. Da wir in Deutschland auch Flüchtlinge haben, wissen wir, wovon wir reden. In diesem Sinne haben wir versucht, konstruktiv über das Abkommen zu sprechen.

MP Yildirim: Die Oppositionl sich keine Sorgen machen. Es gibt sicherlich Wahlen in Deutschland. Dabei kann ich nicht mit abstimmen. Hier in der Türkei kann Frau Bundeskanzlerin nicht abstimmen. In Deutschland gibt es deutsche Staatsbürger, hier gibt es türkische, und jeder hat eine Entscheidung.

Donnerstag, 2. Februar 2017

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem türkischen
Ministerpräsidenten Binali Yildirim, 2.2.2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/02/2017-02-03-pk-merkel-yildirim.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2017

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