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PRESSEKONFERENZ/1342: Zum 9. Nationalen Integrationsgipfel am 14. November 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt - Montag, 14. November 2016
Pressekonferenz zum 9. Nationalen Integrationsgipfel am 14. November 2016 

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatsministerin Aydan Özoguz, Gökay Sofuoglu (Türkische Gemeinde in Deutschland e. V.)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten heute den neunten Integrationsgipfel, und wie immer war es eine sehr intensive, konstruktive Diskussion, die gezeigt hat, wie viele Menschen und auch gerade Organisationen der Migrantinnen und Migranten sich in die gesellschaftliche Arbeit einbringen.

Ich habe sehr gerne die Anregung von Staatsministerin Özoguz aufgegriffen, dass wir diesmal das Thema "Partizipation in der Einwanderungsgesellschaft" besprechen, und dazu wurden auch ganz konkrete Vorarbeiten geleistet. Es gibt eine langjährige Diskussion darüber, dass viele, die schon viele Jahre bei uns sind - oft in der zweiten, dritten, vierten Generation -, nicht immer nur über Integration, sondern auch über Teilhabe an der Gesellschaft sprechen wollen. Sie wollen Teil der Einwanderungsgesellschaft sein.

Genau diese Fragen haben wir heute sehr intensiv beleuchtet. Hierbei ist auch sehr deutlich geworden, was schon geschafft wurde. Man sieht von Generation zu Generation die Fortschritte. Es bilden sich auch immer wieder neue Strukturen von Verbänden von Menschen mit bestimmten Wurzeln, die sich dann auch ganz bewusst als deutsche Verbände klassifizieren. Insofern finde ich diese Entwicklung sehr interessant und auch sehr spannend.

Sie steht auch für sich. Wir haben auch über das Thema Flüchtlinge gesprochen, aber es gibt schon einen großen Willen derer, die schon viele Jahre bei uns sind, ihre Fragen zu besprechen und ihre Meinungen zu artikulieren. Hierbei ist Folgendes deutlich geworden: Verbundenheit mit unserem Wertesystem, das im Wesentlichen durch das Grundgesetz vorgegeben wird, natürlich das Erlernen und das Kennen der Sprache, aber natürlich auch Offenheit der Einwanderungsgesellschaft. Auch Dinge, die sozusagen machbar und erreichbar sind, also Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und sich auch politisch in die Gesellschaft einzubringen - all das ist sozusagen als Teil dessen beschrieben worden, was den Migrantinnen und Migranten sehr wichtig ist.

In dieser Hinsicht müssen wir auch unsere Strukturen öffnen. Einer hat ganz illustrativ berichtet, wie schwierig es eigentlich ist - zum Beispiel beim Freiwilligenjahr, das von Ministerin Schwesig angeboten wird -, überhaupt in die schon bestehenden Strukturen und Kontingente hineinzukommen. Als wir das jetzt für die Flüchtlingsarbeit geöffnet haben, wollten eben auch Migrantenverbände dort mitarbeiten, und das ist dann mit Unterstützung anderer, schon lange bestehender ehrenamtlicher, gemeinnütziger Organisationen sowie natürlich auch durch tatkräftige Hilfe des Ministeriums gelungen.

Es geht also um Offenheit und, wie wir heute Vormittag gesehen haben, auch um eine gezielte Ansprache der Menschen. Dann findet man auch sehr viel Offenheit vor, mitzumachen und sich in unsere Gesellschaft einzubringen. Insofern war das heute für mich eine sehr spannende, aber auch sehr ermutigende Veranstaltung. Ich bedanke mich bei der Staatsministerin und natürlich bei allen Migrantenverbänden für all das, was an Vorbereitungsarbeiten geleistet wurde.

StM'in Özoguz: Ich freue mich erst einmal sehr, dass Bundeskanzlerin Merkel auch sofort das Thema aufgegriffen hat, dass wir uns auf Zugehörigkeit und Teilhabe konzentrieren. Das Thema an sich ist natürlich schon breit genug, aber wir wollten gerade in diesen Zeiten, in denen so viele naturgemäß über Flüchtlinge sprechen, über die Krisen sprechen, dass nicht verloren geht, dass Deutschland schon seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland ist und dass eben sehr viele Menschen - dafür stehen die Migrantenorganisationen stellvertretend - ja auch schon seit Jahrzehnten an diesen Themen Teilhabe und Integration arbeiten und teilweise eben doch noch vermelden: Ja, es gibt so manch eine - vielleicht manchmal unsichtbare - Hürde, an der man nicht weiterkommt.

Genau das wollten wir heute in den Mittelpunkt rücken und haben gemerkt, dass dort, wo es eine besondere Anerkennung gibt, wo Wege geöffnet werden, tatsächlich auch sehr viel Teilhabe geschehen kann. Heute Vormittag bei der Freiwilligen Feuerwehr im Wedding wurde das gerade von den Jugendlichen noch einmal besonders schön formuliert. Es hieß, dass, wenn sie die Angebote bekommen, wenn man sie anspricht, sie auch dort ankommen können, sie auch dort mitmachen können. Aber von alleine schaffen sie die Wege manchmal nicht, weil das in ihren Strukturen vielleicht gar nicht so vorhanden ist oder weil ihre Eltern das beispielsweise gar nicht kennen. Es ist ja doch ein Befund beziehungsweise wir stellen in der Gesellschaft manchmal fest: Migranten kommen nicht an. Aber dann wird zu wenig nach den Ursachen geschaut, danach, woran das denn liegen kann beziehungsweise wie wir das eben beschleunigen und verbessern können.

Wir waren uns, glaube ich, alle einig, dass die Arbeit mit Flüchtlingen nicht alles andere überdecken darf, aber gleichzeitig natürlich jetzt auch die Stunde da ist, wo sich viele Menschen mit Einwanderungsgeschichten noch einmal besonders zeigen können, weil sie über Sprachkenntnisse, über kulturelle Kenntnisse verfügen und dort mitmachen. Bundeskanzlerin Merkel hat es gerade gesagt: Nicht immer haben sie sofort den Bezug gefunden, dort auch an diesen Hilfepaketen teilhaben zu können.

Ich bin sehr froh, dass ich einen Haushalt bekommen habe, mit dem ich gerade diese ehrenamtliche Arbeit noch einmal im Besonderen unterstützen durfte und zu der bestehenden Organisation und Struktur von Wohlfahrtsverbänden gerade auch noch einmal Migrantenorganisationen und Moscheegemeinden im wahrsten Sinne des Wortes mit integrieren durfte, sodass man sagt: Wir, die schon sehr lange in diesem Land sind, machen das gemeinsam.

In diesem Sinne freue ich mich auch - ich sage gleich dazu: auch wenn die Bundesregierung und auch ich mir nicht alles zu eigen machen, was geschrieben wird -, dass ich diese Struktur einmal anschieben konnte, dass die Migrantenorganisationen im Rahmen der Integrationsgipfel ein eigenes Papier vorlegen und ihre Ideen in Bezug auf unsere gesellschaftliche Entwicklung darstellen können. Es sind viele sehr weitgehende Forderungen enthalten, und das muss diskutiert werden. Ich finde das gut, denn diese Gedanken sind da und sie brauchen eine Plattform, auf der darüber gesprochen wird: Was ist möglich? Was ist gut? Wo müssen wir hin?

Ein einziges Beispiel, wo wir uns durchaus schon getroffen haben, ist der Weg, dass wir eine Art Zielmarke brauchen, wie wir beispielsweise auch im öffentlichen Dienst den Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den Ministerien, in den Behörden erhöhen können. Das haben Länder wie Hamburg oder Berlin schon vorgemacht und zeigen uns durchaus, dass das sehr erfolgversprechend sein kann. Ich hoffe, dass wir so einzelne Punkte eines solchen Papiers noch weiter besprechen werden.

Ich freue mich jedenfalls sehr, dass die Bundeskanzlerin den Integrationsgipfel auch wirklich diesem Thema gewidmet hat und dass wir ihn heute so gut und wie immer sehr lebhaft durchführen konnten.

Sofuoglu: Vielen Dank. - Wir haben heute in der Tat erlebt, dass die Sache zu einer Chefinnensache geworden ist. Es wurde sehr viel diskutiert, sehr viel miteinander gesprochen, und es gab sehr konkrete Bespiele. Das Engagement für unsere Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Migrantencommunities und Migrantenorganisationen ist ja nicht neu. Sie engagieren sich seit Jahren in den Migrantencommunities, weil sie sich einfach dort zugehörig fühlen. Das heißt ja nicht, dass sie in den Migrantencommunitys etwas anderes machen, was unsere gemeinsamen Ziele betrifft, sondern wir wollen alle das Gleiche, nämlich dass es unserem Land, unserer Demokratie gut geht. Es muss wertgeschätzt werden, was wir heute bei diesem Integrationsgipfel erlebt haben.

Teilhabe als politische Haltung ist der Weg, einen deutschen Trump zu verhindern. Das gilt nicht nur für die Teilhabe von Migranten. Es gibt viele andere Bevölkerungsgruppen, die von der Teilhabe ausgeschlossen sind oder sich so fühlen. Es sollte einen gemeinsamen Weg geben, mehr Teilhabe und keine Exklusivlösungen zu erreichen. Das heißt, Teilhabe ist eine Frage der Gerechtigkeit.

Die sogenannte Flüchtlingskrise bedeutet einen starken Impuls in Bezug auf Teilhabe. Wir spüren das deutlich bei der Zusammenarbeit mit den Bundesministerien. Wobei man sagen muss, dass im Familienministerium beispielsweise schon vorher deutlich auf Teilhabe gesetzt wurde. Es gibt also eine Chance, integrationspolitische Fehler der Vergangenheit - Maßnahmen, die man für Migranten entwickelt hat, die in der Vergangenheit schlecht funktioniert haben - nicht zu wiederholen. Maßnahmen müssen gemeinsam entwickelt werden. Die Ziele und Lebensrealitäten von Migranten müssen berücksichtigt werden, denn ansonsten dauert Integration ewig. Teilhabe ist eine Frage der Professionalität.

Es muss auch eine andere klare Botschaft in Richtung der Menschen mit Einwanderungsgeschichte geben: Dieses Land bietet euch Schutz vor Rassismus, Diskriminierung, gesetzlichen Schutz in Schulen, Behörden, durch die Strafverfolgung. Menschen werden umso mehr Verantwortung für unser Land übernehmen, je stärker sie den Eindruck haben, dass sie geschützt werden.

In europäischen Studien, wo es um den Schutz vor Diskriminierung geht, schneiden wir unterirdisch schlecht ab. Das widerspricht selbstverständlich unserem Grundgesetz. Man könnte ja sagen: Jemanden zu diskriminieren, ist undeutsch. Da ist die Botschaft: Teilhabe ist eine Frage der Verfassungstreue.

Frage: Eine Frage an die Bundeskanzlerin: Die SPD hat einen Entwurf zu einem Einwanderungsgesetz vorgelegt, und die CDU hat das auf ihrem Parteitag voriges Jahr auch so beschlossen. Gibt es da eine Möglichkeit, noch vor der Wahl zu einem Gesetz zu kommen?

An Herrn Sofuoglu: Was kann die türkische Gemeinde dafür tun, dass Befürchtungen, der Konflikt, der derzeit in der Türkei zutage tritt, könne auch nach Deutschland übertragen werden, reduziert oder aufgelöst werden?

BK'in Merkel: Die SPD hat dazu in der Tat einen Vorschlag gemacht. Wir haben in der CDU gesagt: Wir wollen zumindest die gesamten Regelungen, was die Zuwanderung anbelangt, besser ordnen und zusammenstellen. Ob es noch in dieser Legislaturperiode zu einer neuen Gesetzesinitiative kommt, kann ich nicht sagen; das ist ja auch nicht Teil des Koalitionsvertrages. Aber dass hier in bestimmter Weise Handlungsbedarf besteht, glaube ich schon. Die Vorstellungen mögen in dieser Frage allerdings zwischen SPD und Union noch ein bisschen auseinandergehen.

Sofuoglu: Es ist natürlich schwierig, zu verhindern, dass der Konflikt aus der Türkei auch hierhin kommt, denn die Türkei ist in Deutschland inzwischen ja sehr präsent. Wir müssen natürlich mehr Teilhabemöglichkeiten schaffen, wir müssen uns mehr unserem Land, Deutschland, widmen; wir müssen uns mit den Themen in Deutschland mehr auseinandersetzen und wir müssen unseren Menschen klar machen, dass ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder hier in Deutschland liegen. Das wird jetzt wahrscheinlich ein schwieriger, mühsamer Weg, aber das müssen wir auf jeden Fall machen. Ich denke, dass das, was gerade passiert, eine vorübergehende Erscheinung ist. Je mehr wir uns hier mit dem Land auseinandersetzen und mit dem Land identifizieren, desto geringer werden auch die Einflüsse aus dem Ausland.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, sie sagten, Sie hätten heute gemerkt, dass es für Migrantenorganisationen teilweise sehr schwer ist, in die neuen Strukturen zu kommen. Haben Sie diesbezüglich konkrete Versprechungen machen können, zum Beispiel, beim Bundesfreiwilligendienst mit hineinzukommen? Konnten Sie da also als Träger Versprechungen machen, etwas neu zu ordnen oder vielleicht neue Plätze, noch mehr Plätze zur Verfügung zu stellen, oder wird das überlegt?

BK'in Merkel: Wir brauchten da gar nichts zu versprechen. Uns wurde dargestellt, wie sich das Problem auch erledigt hat, also wie auf der einen Seite das Ministerium von Frau Schwesig zum Beispiel bei der Antragstellung geholfen hat - ich weiß nicht, ob auch die Gemeinnützigkeit der Institution festgestellt wurde. Darüber hinaus hat der BUND Pate gestanden - denn die kennen sich mit dem Bundesfreiwilligenjahr sehr gut aus - und hat den Migrantenorganisationen in der Frage, wie man solche Anträge stellt und wie man hineinkommt, geholfen.

Eine Frage der Plätze ist das nicht, was die Flüchtlingsarbeit anbelangt, denn da haben wir 10 zur Verfügung gestellt, von denen im Augenblick erst weniger als 6, glaube ich, belegt sind. Das ist also nicht das Problem.

StM'in Özoguz: Ich würde dazu gerne noch einen Satz anfügen: Wir haben bei unserer Förderung ehrenamtlicher Strukturen ja auch gemerkt, dass Migrantenorganisationen es in der Regel sehr schwer haben, eine solche Förderung zu bekommen, und haben gerade deshalb diese Partnerschaftlichkeit im Netzwerk - so nenne ich das jetzt einmal - zwischen den Wohlfahrtsverbänden und anderen eben auch auf die Migrantenorganisationen ausgeweitet. Dazu sage ich Ihnen: Die Schwierigkeit besteht immer darin, dass man eigentlich nicht viel Zeit hat, weil ja schnell etwas geschehen muss; aber Organisationen, die solche Strukturen noch gar nicht gewohnt sind, müssen solche Strukturen wiederum erst einmal aufbauen. Das haben wir jetzt trotzdem geschafft. Wir haben also wirklich viel Hilfestellung geleistet, damit eben auch die Migrantenorganisationen eine solche öffentliche Förderung ordentlich bekommen können. Dazu mussten die sich teilweise ja auch ganz neu aufstellen.

BK'in Merkel: Bei dem klassischen Bundesfreiwilligenjahr gibt es natürlich auch bestimmte Erbhöfe, und wir wollen natürlich, dass alle eine faire Chance bekommen - auch Verbände, die hinzukommen und die Anträge stellen. Oft ist das ja überbucht, und dann müssen wir eben schauen, dass die Migrantenverbände genauso gut hineinkommen wie andere, die schon seit 20 Jahren dabei sind und solche Anträge gestellt haben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wie wollen Sie der Sorge der Migranten hier in Deutschland entgegentreten, dass die Wahl von Herrn Trump in den USA auch die Atmosphäre in Deutschland mit Blick auf die Migranten negativ beeinflussen könnte?

BK'in Merkel: Na ja, wir führen die Diskussionen ja auch in Deutschland, auch schon vor der Wahl eines neuen amerikanischen Präsidenten, und da sind wir alle aufgefordert, eben auch Farbe zu bekennen und sozusagen Flagge zu zeigen, dass wir für ein offenes Deutschland eintreten, das seinen Verfassungsgeboten auch gerecht wird. Die Würde jedes Menschen ist unantastbar, und das gilt unabhängig von Religion, Herkunft, sexueller Orientierung und anderen Merkmalen - Geschlecht zum Beispiel. Das ist das, was uns leitet, und dafür treten wir auch ein.

Montag, 14. November 2016

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Quelle:
Pressekonferenz zum 9. Nationalen Integrationsgipfel am 14. November 2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/11/2016-11-14-pk-integrationsgipfel.html;jsessionid=5F79E1BFF
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2016

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