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PRESSEKONFERENZ/1185: Kanzlerin Merkel zum Abschluss des Europäischen Rates am 18. März 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift Pressekonferenz in Brüssel - Freitag, 18. März 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Abschluss des Europäischen Rates am 18. März

(Die Ausschriftung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, es ist mir ein Bedürfnis, zuallererst über die traurige Nachricht zu sprechen, die uns heute erreicht hat: Die Nachricht, dass Guido Westerwelle heute früh in Köln an den Folgen seiner Leukämieerkrankung gestorben ist.

Sein Tod erschüttert mich tief, und meine Gedanken gehen in diesen Stunden zu Guido Westerwelles Familie. Insbesondere gilt meine Anteilnahme natürlich seinem Mann, Michael Mronz. Ich hatte erst vor wenigen Tagen mit Michael Mronz gesprochen. Ich weiß, welches Auf und Ab von Hoffnungen und Rückschlägen Guido Westerwelle und er in den letzten zwei Jahren immer wieder durchleben mussten.

Natürlich denke ich heute, wie viele andere auch, an den erfolgreichen Politiker Guido Westerwelle, der sehr jung an die Spitze der Freien Demokraten aufstieg und sie schließlich 2009 in die Regierungsverantwortung führte. Natürlich denke ich auch an den Außenminister Guido Westerwelle, der mit Herz und Leidenschaft für Frieden und Menschenrechte gekämpft hat, oder an einen der besten Redner, die der Deutsche Bundestag erlebt hat.

Erlauben Sie mir auch meine persönlichen Erinnerungen: Ich habe Guido Westerwelle als empfindsamen und als nachdenklichen Menschen erlebt einen Menschen, dessen Wort, wenn er es einmal gegeben hatte, auch Gültigkeit hatte, einen verlässlichen und einen treuen Menschen. Ich bleibe persönlich sehr dankbar für die vielen Begegnungen und die vielen Gespräche, die ich mit Guido Westerwelle geführt habe auch Gespräche, die ich nach seinem Abschied aus der Politik führen konnte.

Dass er nun mit gerade 54 Jahren nicht mehr unter uns ist, das ist richtig schwer zu akzeptieren. Für die liberale Bewegung in Deutschland, für die deutsche Politik insgesamt und für mich persönlich ist dies ein richtig trauriger Tag.

Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich Ihnen über das berichten, was wir heute hier in Brüssel in unserem Rat verabschiedet haben, was sich in einem EU-Türkei-Statement, in einer Vereinbarung mit der Türkei, wiederfindet und in unseren Schlussfolgerungen und was sich natürlich mit der Bewältigung der für uns so kann man wohl sagen völlig neuartigen und sehr schwierigen Flüchtlingskrise beschäftigt.

Ich würde sagen, dass das Fazit des heutigen Tages ist, dass Europa es schaffen wird, auch diese schwierige Bewährungsprobe zu bestehen, und zwar mit allen 28 Mitgliedsstaaten zusammen, auch gemeinsam mit der Türkei, im Geist einer breiten und wirklich wichtigen Partnerschaft und auch in dem Geist, Lasten miteinander zu teilen.

Diese Vereinbarung, wie wir sie heute im Anschluss an das, was wir bereits am 29. November vereinbart hatten, beschlossen haben, hilft vor allen Dingen den betroffenen Menschen, den Flüchtlingen. Ich will die Gelegenheit nutzen, auch gerade den Flüchtlingen in Idomeni zu sagen, dass sie auf die griechische Regierung vertrauen und sich in andere Unterbringungsmöglichkeiten bewegen lassen sollten, in denen die Bedingungen deutlich besser sein werden. Ich denke, dass dieses Übereinkommen nicht nur den Flüchtlingen hilft, sondern dass es vor allen Dingen auch ein Beitrag, und zwar ein sehr wesentlicher Beitrag, dazu ist, den Schmugglern und Schleppern das Handwerk zu legen. Ich denke, dass die Außengrenze geschützt werden kann und dass durch die Vereinbarung mit der Türkei ganz wichtige Ziele erreicht wurden, dass wir vor allen Dingen natürlich auch Fluchtursachen bekämpfen.

Ich will auch ganz deutlich sagen: Ich mache mir keine Illusionen, dass mit dem, was wir heute beschlossen haben nicht auch weitere Rückschläge verbunden sein werden. Wir müssen jetzt große logistische Herausforderungen bewältigen. Aber ich denke, dass wir eine Übereinkunft gefunden haben, die ein Moment der Unumkehrbarkeit in sich birgt. Vor allen Dingen war es mir sehr wichtig, dass wir das alles heute gemeinsam mit den 28 beschließen konnten.

Ich möchte Donald Tusk als Ratspräsidenten und dem Kommissionspräsidenten ganz herzlich danken, gerade auch für die Verhandlungen in den letzten Tagen, und natürlich auch dem türkischen Ministerpräsidenten meinen Dank dafür sagen, dass wir diese Vereinbarung treffen konnten.

Die Vereinbarungen schließen an den gemeinsamen Aktionsplan vom 29. November an. Wir können uns vor Augen führen, dass wir schon einen großen Fortschritt in verschiedenen Bereichen gemacht haben, so zum Beispiel durch den Zugang der Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt, durch die Einführung verschiedener Visapflichten, durch die Öffnung eines Kapitels des Kapitels 17 und natürlich auch durch erste Schritte zur Bekämpfung der Tätigkeit der Schmuggler und Schlepper, die viele Menschenleben gekostet hat, allein in diesem Jahr schon über 350. Wir haben die Nato-Mission begonnen, von der wir heute noch einmal deutlich gemacht haben, dass sie in vollem Umfang in Gang gesetzt werden muss. Insofern ist schon einiges geschehen.

Mit dem, was wir heute beschließen, werden wir das Geschäftsmodell der Schmuggler und Schlepper wirklich noch einmal hart treffen und, so hoffe ich, auch die Möglichkeiten dieses Modells zerstören, indem wir nämlich Alternativen aufzeigen, wie man auf legalen Wegen nach Europa kann und wie man gleichzeitig die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in der Türkei verbessert. Sie kennen das Prinzip, von dem wir ausgehen, wonach die Migranten, die auf den Inseln in Griechenland ankommen, in die Türkei zurückgeschickt werden. Wichtig war das hat einen großen Teil der Verhandlungen eingenommen, dass dies nach allen wichtigen internationalen Standards erfolgt und dass dabei alle notwendigen Prinzipien eingehalten werden. Jeder Einzelne wird registriert, und jeder Asylantrag wird individuell bearbeitet. Das ist in der EU-Türkei-Vereinbarung noch einmal niedergelegt, entsprechend der Verfahrensrichtlinie der Europäischen Union und in Kooperation mit dem UNHCR.

Wir haben das Prinzip, dass die Rückkehr in die Türkei erfolgen soll. Das soll ab dem 20. März 2016 gelten. Alle Flüchtlinge, die ab dem 20. März 2016 die griechischen Inseln erreichen, werden nach Ablauf der von mir genannten Prozeduren in die Türkei zurückgebracht, wenn es keinen begründeten Asylanspruch für individuelle Menschen gibt. Die Rückführungen sollen ab dem 4. April erfolgen.

Bei den syrischen Flüchtlingen haben wir das Prinzip, dass wir einem Syrer, der die illegale Route benutzt hat und zurückgeführt wird, einen anderen syrischen Bürger entgegenstellen, der die Möglichkeit hat, auf legalem Weg in die Europäische Union zu gelangen. Hierfür werden wir zuerst den Betrag von 18 aus den 160 nehmen, die für die Umsiedlung aus den Nachbarstaaten Syriens vorgesehen sind. Dann haben wir noch 54, die in der Lage sind, ebenfalls umgesiedelt zu werden, und aus dem Teil der 160 kommen, der noch nicht zugeordnet war. Sie wissen, die anderen Teile der 160 sind Griechenland und Italien zugeordnet beziehungsweise den 18 für die Umsiedlung aus den Nachbarstaaten Syriens.

Man kann sagen, dass wir jetzt zum ersten Mal die 160 auch operationell einsetzen. Hierüber gab es große Übereinstimmung.

Wir werden diesen Mechanismus natürlich immer wieder überprüfen. Wir gehen davon aus, dass die illegale Migration schneller beendet sein wird, als angesichts der Umsiedlung dieser großen Zahl von Flüchtlingen notwendig ist, dass wir also ausreichend Raum haben. Wenn diese Zahlen nicht ausreichen sollten, dann muss man sagen, dass das ganze Modell nicht funktioniert. Dann müsste man neu nachdenken. Aber davon gehen wir nicht aus.

Wir werden alle Anstrengungen unternehmen vor allem die Türkei wird das tun, dazu verpflichtet sie sich, auch andere Routen zu unterbinden, die denkbar wären, um andere Möglichkeiten der irregulären Migration zu finden. Wir werden dann, wenn die irreguläre Migration so gut wie zu Ende gekommen ist, auch den freiwilligen humanitären Umsiedlungsmechanismus nutzen. Sie wissen, wir haben sehr oft von solchen Kontingenten gesprochen. Aber dazu müssen wir erst die Phase erreichen, in der die irreguläre Migration gestoppt ist.

Wir haben dann den Komplex der Dinge, die auch im Interesse der Türkei liegen, den die Türkei als ihre Forderungen eingebracht hat. Dabei geht es zum einen um die Visafreiheit und die Visaliberalisierung. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass alle Erfordernisse der Visa-Roadmap erfüllt werden und dass die Türkei anstrebt, bis Ende Juni diese Voraussetzungen erfüllt zu haben. Das heißt, sie selber will diese Voraussetzungen bereits bis Ende April erfüllt haben. Dann beginnt eine Prozedur, in der die Kommission bewerten muss, ob das tatsächlich der Fall ist.

Die 3 Milliarden Euro, die bereits für syrische Flüchtlinge in der Türkei zur Verfügung gestellt wurden, werden beschleunigt ausgegeben. Innerhalb der nächsten Woche sollen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Lebensmittel oder andere Lebenskosten weitere Projekte zu den ersten Projekten, die wir schon haben, benannt werden. Bis Ende 2018 werden wir dann weitere 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

Wir werden neben Kapitel 17, das schon geöffnet wurde, demnächst, noch unter der niederländischen Präsidentschaft, auch Kapitel 33 öffnen. Das ist das Budgetkapitel. Die Vorbereitungsarbeit zur Öffnung weiterer Kapitel wird durch die Kommission fortgesetzt. Wir verpflichten uns, alles zu tun, damit auch die humanitären Bedingungen innerhalb Syriens verbessert werden können. Wir beziehen uns dabei insbesondere auf bestimmte Gebiete in der Nähe der türkischen Grenze. Wir werden alles daran setzen, dass die Flüchtlinge in diesen Gebieten entlang der türkischen Grenze mehr Sicherheit haben und mehr Vertrauen gewinnen können. Das muss Teil der Verhandlungen in Genf von Herrn de Mistura sein. Diesem Verhandlungsprozess wünschen wir natürlich sowieso einen großen Erfolg.

Alle Elemente werden parallel durchgeführt. Das heißt, alles hängt mit allem zusammen, wie man sagen würde. Monatlich wird das Ganze überprüft und einem Review unterzogen.

Wir haben jetzt eine sehr große logistische Operation vor uns. Deshalb werden bereits am Wochenende in Athen Verantwortliche der Kommission, der niederländischen Präsidentschaft und einer Gruppe, die man als Freunde Griechenlands bezeichnen kann, die logistischen Vorbereitungen treffen. Die griechischen Behörden sind allein, ohne EASO und europäische Hilfe, nicht in der Lage, in der Frage der Asylanträge alles Notwendige die notwendigen erfahrenen Personen, Personen, die die Interviews durchführen können, Personen, die Sprachkapazität haben, Übersetzer, auch juristische Hilfe bereitzustellen. Die griechische Regierung nimmt diese Hilfe der Europäischen Union an, was ich sehr gut finde. Bereits am Wochenende wird also daran gearbeitet, das Ganze aufzusetzen. Alle wollen sich hierbei sehr intensiv einbringen, damit das Ganze gelingen kann.

Dann haben wir Schlussfolgerungen vertieft, die nur das anbelangen, was die Europäische Union zu tun hat. Hierbei geht es vor allen Dingen um mehr Hilfe für Griechenland und eine Beschleunigung des Umsiedlungsprozesses der über 40 Flüchtlinge, die jetzt in Griechenland sind. Insofern haben wir uns auch hier gemeinsam auf die verschiedenen Notwendigkeiten verständigt. Wir haben in diesem Statement auch noch einmal unserer Sorge über Entwicklungen in der Türkei Ausdruck gegeben. Wir haben unsere Erwartung geäußert und setzen darauf, dass die demokratische Entwicklung fortgesetzt wird, dass das Recht respektiert und die fundamentalen Freiheiten zum Beispiel die Pressefreiheit gesichert werden. Auch darüber werden wir natürlich im Dialog bleiben.

Mit dem heutigen Tag haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit der Türkei also eine weitreichende Vereinbarung getroffen, von der folgende klare Botschaft auch gerade in Richtung derer ausgeht, die darüber nachdenken, ob sie sich als Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen: Ab dem 20. März das ist also in wenigen Tagen wird die Türkei jeden irregulären Migranten zurücknehmen, wenn er die dafür notwendigen Bedingungen erfüllt. Alle, die illegal über die Ägäis nach Griechenland kommen, werden zurückmüssen.

Das heißt, wer sich auf diesen gefährlichen Weg begibt, riskiert nicht nur sein Leben, sondern hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Damit wollen wir dieses unmenschliche Schleusermodell beenden und die Außensicherung der Grenze wieder durchsetzen. Wir hoffen, dass damit die irreguläre Migration in kurzer Zeit zu Ende geht. Ich glaube damit will ich dann auch schließen, dass dieses noch einmal zeigt, dass wir zu gemeinsamen europäischen Antworten fähig sind und dass wir dies mit einer wichtigen und der Aufgabe angemessenen Vereinbarung mit der Türkei auch bewerkstelligen wollen. Alle haben diesen Willen heute noch einmal unterstrichen.

Herzlichen Dank!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben uns heute Nacht erzählt, dass es nur wenige Tage dauern soll, bis nach dem Beginn der Rückführung von Flüchtlingen auch die Umsiedlung eins zu eins aus der Türkei vollzogen wird. Können Sie uns sagen, wie das konkret laufen soll, wenn das in den ersten Tagen 2000 Leute sind? Wo fliegen sie hin? Welche Länder sind bereit, sie aufzunehmen? Was sagen die Osteuropäer zu diesem Modell, gegen das ja immerhin zwei Länder klagen?

BK'in Merkel: Das soll sozusagen in den gleichen Tagen in Gang gesetzt werden. Wenn die ersten Rückführungen am 4. April stattfinden, soll in den Tagen darauf diese Rückführung aus der Türkei stattfinden. Prinzipiell sind alle Länder mit der Einschränkung von Ungarn und der Slowakei dabei. Es ist heute schon begonnen worden, den Mechanismus im Detail zu besprechen. Allerdings wird man genauso wie beim Mechanismus von Griechenland in die Türkei in den nächsten Tagen sehr intensive Verhandlungen führen. Von den Grundzügen her wird aber jetzt daran gearbeitet, wie wir diese syrischen Flüchtlinge auswählen, die legal in die Europäische Union kommen können.

Man muss wissen, dass das natürlich relativ schnell gehen muss. Es wird aber parallel an beidem gearbeitet, sodass man davon ausgehen kann, dass mit einem Unterschied von ganz wenigen Tagen die ersten in europäische Länder kommen. Ich gehe davon aus, dass das nicht nur ein Land sein wird. Deutschland wird sich daran aber auch beteiligen. Alle haben ihre Bereitschaft entsprechend ihren Anteilen bekundet.

Man muss Folgendes sehen: Wir haben die 18, die für die Umsiedlung aus den Nachbarstaaten Syriens gedacht sind. Dann haben wir diese 54, hinsichtlich derer die Kommission eine Mitteilung gemacht hat, dass man die Relocation der 54 in eine Readmission umwandeln kann, also in eine Umsiedlung aus der Türkei. Nach meiner Einschätzung nehmen die allermeisten Mitgliedstaaten an dieser Umwidmung auch teil. Aber noch nicht alle haben endgültig erklärt, ob sie, wenn die 18 einmal ausgelaufen sein sollten, an der Umwidmung teilnehmen oder nicht. Das kann ich jetzt nicht auf den Punkt genau sagen. Es gab heute eine ganz breite Akzeptanz, dass man sich an diesem Prozess beteiligt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Zypern hatte große Vorbehalte, was vor allem die Beitrittsgespräche und die weitere Eröffnung von Kapiteln angeht. Wie konnte Zypern überzeugt werden, dabei mitzumachen?

Gab es vielleicht auch im Hinblick auf eine mögliche Wiedervereinigung Zugeständnisse?

BK'in Merkel: Wir haben sehr viel über die mögliche Wiedervereinigung gesprochen. Wir haben trotzdem nicht in den Verhandlungsprozess, der unter der Schirmherrschaft der Uno und mit Herrn Eide stattfindet, eingegriffen. Wir haben jetzt das Kapitel 33 zur Eröffnung bereitgestellt. Das ist von niemandem blockiert gewesen. Es war früher einmal von Frankreich blockiert, jetzt konnten aber alle übereinstimmen. Ansonsten haben wir uns auf die Vertiefung der Vorbereitungsarbeiten konzentriert. Die türkische Seite, also der türkische Ministerpräsident, und auch die Kommission haben gesagt, dass sie alles daran setzen wollen, den Zypernprozess weiter voranzubringen. Das war jetzt die Lösung.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben selber gesagt, dass es gewisse Risiken gibt, ob das funktioniert und wie das funktioniert. Was passiert denn, wenn es nicht funktioniert, mit den Zugeständnissen, die man bezüglich der Visavergabe, der Kapitel und der finanziellen Mitteln macht?

BK'in Merkel: Deshalb habe ich ja gesagt: Das Ganze endet Das ist der vorletzte Satz. Alle Elemente, die in diesem Abkommen, wenn man so will, vereinbart sind, werden vorangebracht. Sie werden parallel vorangebracht, das heißt, nicht erst eines und dann das andere. Immer wieder wird überprüft, ob das stattfindet. Das heißt, wenn die Rückführungsdinge nicht stattfinden würden, wie wir uns das vorstellen, hat das natürlich Auswirkungen auf andere Elemente, zum Beispiel Visa oder Beitrittskapitel.

Zuruf (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)

BK'in Merkel: Ich kann ja jetzt nicht sagen: Was soll ich jetzt an Horrorszenarien an die Wand malen? Das sind spekulative Fragen. Jetzt lassen Sie uns erst einmal mit dem Prozess beginnen. Es liegt in unserer Hand, ob wir die Visaliberalisierung vornehmen. Es liegt in unserer Hand, ob wir ein Beitrittskapitel eröffnen. Nicht umsonst werden Rückübernahmefragen vom 4. April an und andere Fragen Ende Juni (umgesetzt). Dazwischen ist ja genügend Zeit, sich zu überlegen, wie wir auf eventuelle und von mir jetzt einmal nicht prognostizierte nicht stattfindende Erfüllungen reagieren würden.

Es gibt das will ich vielleicht noch hinzufügen ein ureigenes Interesse der Türkei, so meine feste Überzeugung, daran, die Flüchtlingskrise auch zu bewerkstelligen, vor allen die illegale Schlepperbewegung zu zerstören, weil es nicht nur für uns schwer ist, für die Menschen, die davon betroffen sind, sehr schwierig ist, sondern weil es auch für die Türkei als Land schwierig ist, wenn sich kriminelle, sozusagen mafiotische Strukturen immer weiter festsetzen. Deshalb bin ich ganz fest davon überzeugt, dass dieses Abkommen darauf beruht, dass nicht nur die Europäische Union ein Interesse hat, sondern dass auch die Türkei ein Eigeninteresse daran hat, diese Flüchtlingsbewegung vernünftig zu bewältigen.

Noch einmal: Die Türkei hat schon 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge. Deshalb ist es absolut richtig und wichtig, dass wir auch den Menschen, die in der Türkei sind, dabei helfen, dass ihre Lebensbedingungen verbessert werden. Das ist ja eines der großen Ziele. Auch der türkische Ministerpräsident hat heute gesagt, dass es das ist, was er sich unter wirklicher Lastenteilung von Nachbarn vorstellt. Wir alle sind uns einig, dass der syrische Bürgerkrieg und der IS nicht nur vor der Haustür der Türkei wüten, sondern auch vor der Haustür der Europäischen Union.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die CSU, allen voran Horst Seehofer, hat Sie bis zum Schluss massiv kritisiert und unter Druck gesetzt. Ist dieses Ergebnis zwischen der EU und der Türkei für Sie ein Zeichen an diese in Anführungszeichen Front, dass da jetzt einmal Ruhe einkehren muss?

BK'in Merkel: Diese Übereinkunft von heute ist für mich ein Zeichen, dass Europa solche Herausforderungen gemeinsam bewältigen kann. Jetzt werden wir das Ganze in die Praxis umsetzen. Die Übereinkunft ist für mich ein Zeichen, dass wir einen ganz wichtigen Schritt auf dem Weg vorangekommen sind, dass wir eine nachhaltige Lösung und nicht nur eine Scheinlösung für das Thema finden. Das beginnt beim Thema Fluchtursachen.

Ich will auch noch darauf hinweisen, dass in unseren heutigen Schlussfolgerungen ein Satz zu Libyen enthalten ist, dass wir die Einheitsregierung unterstützen und hoffen, dass sie bald parlamentarisch legitimiert wird. Wir sind uns dessen ganz bewusst und haben am Rande sehr intensiv über andere mögliche Fluchtwege diskutiert. Da ist der Weg Libyen/Italien natürlich einer. In den letzten Tagen gab es hier bereits ansteigende Fluchtzahlen. In diesem Jahr sind bereits 10 Menschen auf diesem Weg nach Europa gekommen. Wir haben mit dem italienischen Ministerpräsidenten gesprochen, was das für Italien bedeutet. Wir haben jetzt die Möglichkeit einer nachhaltigen und einer gemeinsamen europäischen Lösung für die sogenannte Ägäis-Route, wie es umgangssprachlich heißt. Aber damit ist das Flüchtlingsthema als Ganzes noch nicht beendet. Deshalb gilt unsere gesamte Aufmerksamkeit der Frage dazu hatten wir heute auch ein Treffen, das von David Cameron initiiert war, wie es mit Libyen weiter geht. Darauf werden wir uns natürlich parallel konzentrieren.

Frage: Sie haben zu Anfang gesagt, dass Sie sehr zuversichtlich sind, dass diese Verfahren in Sachen Asylanträge auf individueller Basis erfolgen werden und dass Sie auch hoffen, dass die Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze Vertrauen in die griechischen Behörden haben. Nun hat der UNHCR dieses als inhuman bezeichnet. Ich frage mich, ob man das System so verändern kann, dass es tatsächlich mit Hilfe der europäischen Beamten zu einem System wird, dass tatsächlich humane Maßstäbe bei der Behandlung dieser Asylanträge ansetzt.

BK'in Merkel: Man muss zwei Dinge auseinanderhalten: Das eine ist, dass es Flüchtlinge in Idomeni gibt. Es gibt bessere Aufenthaltsmöglichkeiten für diese Flüchtlinge, die die griechische Regierung jetzt auch zur Verfügung gestellt hat. Deshalb war meine Bitte an die Flüchtlinge in Idomeni, diesen Ort, der wirklich nicht den Standards europäischer Fürsorge entspricht, zu verlassen und an andere Stellen zu gehen. Von dort aus wird Griechenland ein Asylverfahren in Gang setzen oder aber es wird die Umverteilung in andere europäische Länder stattfinden.

Was wir heute besprochen haben, betrifft diejenigen, die nach dem 20. März auf den griechischen Inseln ankommen und die eben nicht, wie oft suggeriert wird, einfach zurückgeschickt werden, sondern entsprechend der EU-Verfahrensrichtlinie einem Verfahren unterzogen werden, das jeden Flüchtling individuell betrachtet. Das logistisch durchzuführen und zwar sehr schnell, weil man sich auf den griechischen Inseln nicht Wochen und Monate aufhalten kann , ist jetzt die Aufgabe der griechischen Behörden in Zusammenarbeit mit europäischer Hilfe, insbesondere unter dem Dach der europäischen Asylorganisation.

Ich will vielleicht noch Folgendes sagen ich weiß nicht, ob das allen bekannt ist: Die Visa-Roadmap, also das, was zu erfüllen ist, um die Visafreiheit mit der Europäischen Union zu bekommen, enthält ein Kapitel "internationaler Schutz". In diesem internationalen Schutzkapitel muss die Türkei sich sowieso, wenn sie die Visafreiheit haben möchte, womit natürlich auch ein Rückführungsabkommen verbunden ist, verpflichten, die Standards der Genfer Flüchtlingskonvention und die Standards der Menschenrechte einzuhalten. Insofern ist das, was jetzt von der Türkei erwartet wird, nichts, was die Türkei überraschend trifft, weil es Teil der Umsetzung der Visa-Roadmap ist.

Frage: Meine Frage passt gut dazu. Ich wollte in Bezug auf Zypern fragen: Ist es auch Teil der Anforderungen an die Türkei in Sachen Visafreiheit, dass sie alle EU-Staaten anerkennen und allen Bürgern aller EU-Staaten ihrerseits Visafreiheit anbieten muss?

BK'in Merkel: Darüber kann ich Ihnen im Augenblick keine Auskunft geben. Ich weiß schlicht und ergreifend nicht, wie die Visa-Roadmap an der Stelle aussieht. Man müsste sich die 75 Punkte noch einmal anschauen. Ich weiß es nicht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich wollte noch einmal an die Frage bezüglich der CSU anknüpfen, die ja vorher rote Linien aufgestellt hat. Zumindest eine rote Linie scheinen Sie aus Sicht der CSU überschritten zu haben, nämlich die völlige Visafreiheit. Glauben Sie, dass der Streit innerhalb der Union jetzt wirklich beendet ist?

Noch eine ganz konkrete Nachfrage: Wie viele Beamte bietet Deutschland Griechenland jetzt eigentlich an? Gibt es eine konkrete Zahl, wie Deutschland Athen hilft?

BK'in Merkel: Ich habe heute mit Innenminister Thomas de Maizière Kontakt gehabt. Wir arbeiten gemeinsam mit Frankreich daran und werden in den nächsten ein, zwei Tagen die Zahl nennen. Das richtet sich ein bisschen danach, was genau gebraucht wird. Es ist ein Unterschied, ob ein Frontex-Polizist gebraucht wird, ob ein Dolmetscher oder ein Richter gebraucht wird. Deutschland wird sich jedenfalls in erheblichem Umfang an dieser Leistung beteiligen.

Zu der anderen Frage kann ich nur sagen: Ich habe zu den Vereinbarungen, die wir im Rahmen der Koalition getroffen hatten, in meiner Regierungserklärung Stellung genommen. Ansonsten haben wir heute hier ein wichtiges Thema bearbeitet und einer Lösung zugeführt das muss jetzt natürlich umgesetzt werden, das genau den gemeinsamen Zielen von CDU/CSU entspricht Schutz der Außengrenzen, Stopp der illegalen Migration und das eine europäische Lösung der gesamten Thematik ermöglicht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich würde gerne auf die juristischen Voraussetzungen aufseiten der Türkei eingehen. Wenn ich es richtig verstanden habe, muss, damit die Rückführungen möglich sind, Griechenland die Türkei als sicheren Drittstaat anerkennen oder erklären. Dafür wiederum, so habe ich es bisher verstanden, muss die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention umsetzen, will heißen, den Regionalvorbehalt aufgeben. Hat sie das heute zugesagt?

BK'in Merkel: Griechenland hat seit Längerem ein Rückführungsabkommen mit der Türkei. Es hat in diesem Zusammenhang die Türkei bereits als sicheren Drittstaat anerkannt. Die Türkei hat zugesagt, dass sie alle internationalen Standards, die der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen, umsetzt. Das muss sie nicht notgedrungen so habe ich es jedenfalls verstanden durch Aufhebung des Regionalvorbehalts machen, sondern das kann sie auch durch adäquate Regelungen, die denen der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen, in nationales Recht umsetzen. Aber der Inhalt muss der Gleiche sein das ist klar , und so steht es auch in dieser Visa-Roadmap. Dazu sind bereits die ersten Gesetze in der Türkei verabschiedet worden. Ich weiß nicht, ob schon alle verabschiedet worden sind. Die allermeisten sind schon verabschiedet worden und gerade in den letzten Tagen sind einige verabschiedet worden, so der türkische Ministerpräsident heute. Ich habe mir den Gesetzgebungsplan nicht persönlich angeschaut.

Danke schön! Ich hoffe, dass ich Ihnen schon einmal in Richtung frohe Ostern etwas wünschen kann.

Freitag, 18. März 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Abschluss des Europäischen Rates am 18. März in Brüssel
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/03/2016-03-18-abschluss-pk-merkel-bruessel-er.html;jsessionid=E2568A6D0B00C13D264C5B87319C9468.s7t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2016

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