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PRESSEKONFERENZ/1045: Kanzlerin Merkel und Staatspräsident Hollande vor ihrem Gespräch, 24.08.2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Berlin - Montag, 24. August 2015
Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Hollande vor ihrem Gespräch am 24. August 2015

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass der französische Präsident François Hollande heute nach Berlin gekommen ist. Es gibt im Großen und Ganzen zwei Gründe, die dazu führen, dass ich ihn hier willkommen heißen darf.

Erstens geht es um die Fragen einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik, bei der uns die reale Situation vor erhebliche Herausforderungen stellt. Hierbei wollen Frankreich und Deutschland gemeinsam agieren, um die Probleme, die zurzeit in der Europäischen Union auftreten, besser lösen zu können.

Zweitens werden wir uns dazu werden wir Ihnen dann in einer Pressekonferenz Rede und Antwort stehen mit dem ukrainischen Präsidenten treffen, um über die Situation dort zu beraten.

Zu dem ersten Thema möchte ich aus dem Grund, dass wir erschreckende Bilder aus Heidenau in Sachsen gesehen haben, wiederholen, dass ich die gewalttätigen Ausschreitungen dort auf das Schärfste verurteile. Dort gab es eine aggressive, fremdenfeindliche Stimmung, die in keiner Weise akzeptabel ist. Es ist abstoßend, wie Rechtsextremisten und Neonazis versuchen, dumpfe Hassbotschaften zu verkünden. Es ist genauso beschämend, wie Bürgerinnen und Bürger, sogar Familien mit Kindern, durch ein Mitlaufen diese Dinge noch unterstützen.

Deshalb kann ich nur wiederholen: Deutschland ist ein Land, das die Würde jedes einzelnen Menschen respektiert. Das sagt unser Grundgesetz, und das gilt für jeden Menschen, der sich in unserem Lande aufhält. Deutschland ist ein Land, das jedem das Recht gibt, hier sein Anliegen vortragen zu können, egal, ob zum Schluss ein Asylantrag oder ein Antrag auf den Status eines Bürgerkriegsflüchtlings genehmigt und akzeptiert wird oder nicht. Genau so werden wir als Bundesregierung, als Landesregierungen und als politisch Verantwortliche handeln. Ich freue mich, dass die übergroße Mehrzahl der Menschen dies genauso tut.

Wenn wir uns die europäische Situation anschauen, so sehen wir, dass wir zwar in weiten Teilen ein gemeinsames Asylrecht in Europa haben, aber dass dies zurzeit nicht umgesetzt wird. Deutschland und Frankreich erwarten, dass alle Mitgliedstaaten die vollständige Umsetzung dieses Asylrechts auch wirklich realisieren. Hier geht es um die Registrierung, hier geht es um Mindeststandards der Unterbringung, und es geht um Mindeststandards für die Gesundheitsversorgung. Wir bitten die Europäische Kommission, dafür Sorge zu tragen, wenn Mitgliedstaaten diese von uns allen in Europa bereits vereinbarten Bedingungen nicht einhalten, darauf hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass dies endlich geschieht.

Zweitens sind wir der Meinung wir danken auch unseren Innenministern, die das vorbereitet haben , dass wir die sicheren Herkunftsstaaten in Europa definieren und die daraus erwachsenden Rechtsfolgen vereinheitlichen könnten. Wir, die Staats- und Regierungschefs, haben besprochen, dass wir gemeinsam Registrierungszentren in den Staaten errichten, die besonders vom Ersteintritt von Flüchtlingen betroffen sind, nämlich in Griechenland und in Italien, und dass wir dort gemeinsam Personal zur Verfügung stellen. Dies muss jetzt schnell, noch in diesem Jahr geschehen. Wir können keine Verzögerungen akzeptieren. Dann müssen auch gemeinsame Standards für die Rückführung entwickelt werden. Das gilt auch für diese Registrierungszentren. Für diejenigen, die ein Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union haben, muss es eine faire Lastenverteilung geben. Diese faire Lastenverteilung ist zurzeit nicht sichergestellt.

Wir werden im Herbst einen EU-Afrika-Gipfel haben. Deutschland und Frankreich setzen sich dafür ein, diesen Gipfel intensiv vorzubereiten. Hierbei geht es auch um die Frage der Rückführungsabkommen mit afrikanischen Ländern. Es geht vor allen Dingen auch um die Bekämpfung der Fluchtursachen, gegebenenfalls um die Umschichtung von Mitteln, auch um mehr Anstrengungen, um ein menschenwürdiges Leben in Flüchtlingslagern, gerade im Umkreis von Syrien zu gewährleisten, also in Jordanien, im Libanon und auch in der Türkei. Das ist eine große Agenda. Wir werden uns gemeinschaftlich dafür einsetzen, dass hierfür die notwendigen Anstrengungen unternommen werden.

Noch einmal herzlich willkommen hier in Berlin!

P Hollande: Ich möchte der Bundeskanzlerin für diese Einladung danken.

Wir hatten uns im Sommer schon öfter abgesprochen und auch beschlossen, Präsident Poroschenko gemeinsam hier nach Berlin einzuladen, um die Situation in der Ukraine zu beurteilen und das an einem ganz besonderen Tag, denn heute ist der Unabhängigkeitstag der Ukraine.

Die Bundeskanzlerin und ich wollten aber auch die Gelegenheit nutzen, um eine extrem schwerwiegende Situation zu besprechen, nämlich die der Flüchtlinge, die nach Europa kommen. Die Zahlen sagen allein noch gar nicht so viel über die Dramen aus, die dahinterstehen. Gleichzeitig ist das natürlich eine schwere Belastung und eine Prüfung für die Familien, aber auch für die Länder aufgrund ihrer Traditionen und einfach weil sie die Pflicht, die Verantwortung haben, diese aufzunehmen.

Ich weiß, was es für Deutschland und auch in geringerer Form für Frankreich bedeutet, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Diese Verantwortung kann nicht einem einzelnen Land überlassen werden, sondern ganz Europa ist davon betroffen. Wir sehen, welche Spannungen das hervorrufen kann. Ich schließe mich voll und ganz dem an, was Angela Merkel hier zu dem gesagt hat, was in ihrem eigenen Land passiert ist. Das hat uns wirklich aufgerüttelt, denn wir wissen, was Asylrecht bedeutet und was es vor allen Dingen in demokratischen Ländern bedeuten muss. Keine Situation, so schmerzhaft sie auch sein mag, kann ein solches Vorgehen rechtfertigen, wie das vor Kurzem hier in Deutschland der Fall war. Wir sind also solidarisch und müssen das auch sein.

Davon ausgehend wollten wir, dass unsere Innenminister Bernard Cazeneuve für Frankreich und Thomas de Maizière für Deutschland hier gemeinsam an einem Dokument arbeiten. Das führt die Bundeskanzlerin und mich heute dazu, diese Initiative zu ergreifen und uns dafür einzusetzen, dass wir mit den europäischen Institutionen und unseren Partnern andere Maßnahmen als diejenigen ergreifen können, die beim letzten Europäischen Rat beschlossen worden sind.

Die Bundeskanzlerin ist bereits auf diese Maßnahmen eingegangen, die wir vorschlagen. Das ist zunächst der Vorschlag, dass es eine Beschleunigung der Einrichtung von Aufnahmezentren in Italien und Griechenland geben muss. Das ist unerlässlich, um die Flüchtlinge, die an unseren Küsten ankommen und nach Europa kommen, zu registrieren. Da muss man natürlich die notwendige Unterscheidung zwischen den Personen, die Anspruch auf Asyl haben, und den Menschen treffen, die im Zuge einer verständlichen Migration hierherkommen, die aber als solche nicht akzeptiert werden kann.

Diese Maßnahme bezüglich der Aufnahmezentren muss ganz dringend umgesetzt werden. Dann muss es eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge geben, die Anspruch auf Asyl haben, sowie eine würdevolle Rückführung derjenigen Personen, die illegal in unser Staatsgebiet gekommen sind.

Wir müssen auch ein vereinheitlichtes Asylverfahren haben, denn das ist eine Vorbedingung in einem Raum wie dem Schengen-Raum mit Freizügigkeit, sodass es keine Länder gibt, die in Bezug auf ihre Bevölkerung mehr Flüchtlinge als andere Länder aufnehmen.

Es muss auch eine gemeinsame Migrationspolitik mit gemeinsamen Regeln geben. Man muss darauf achten, dass es diese Harmonisierung gibt. Die Aufnahmenormen müssen kohärent sein. Das gilt schon allein für die Definition der sicheren Herkunftsländer in Europa, sodass wir hier auf einer gleichen juristischen Basis und auf der Grundlage gleicher Regeln arbeiten können.

Schließlich sind wir dafür, dass es einen noch entschlosseneren Kampf gegen die Schleuser gibt. Wir müssen natürlich den Ländern helfen, die heute, weil sie in der Nähe der Krisenherde in Syrien und Irak sind, diese Flüchtlinge aufnehmen. Auch sie müssen wir unterstützen ich denke dabei an den Libanon, Jordanien, die Türkei und auch das Horn von Afrika und so verhindern, dass diese Menschen bis nach Europa kommen.

Wir müssen natürlich auch eine Entwicklungspolitik verfolgen. Angela Merkel hat es bereits gesagt: Es wird sehr wichtig sein, dass wir in Bezug auf den EU-Afrika-Gipfel in Malta hier auch perspektivisch solidarisch eine Entwicklungspolitik entwickeln müssen, die weiterentwickelt werden soll. Die Europäische Kommission hat bereits eine Reihe von Ländern angesprochen. Ich denke hierbei an Niger, wo es bereits Kooperationen zur Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit gibt. Das kann auch auf andere Regionen ausgeweitet werden, und das hier ist auch unsere Verantwortung.

Es gibt Momente in der europäischen Geschichte, wo wir vor außergewöhnlichen Situationen stehen. Heute ist das so eine außergewöhnliche Situation, aber eine außergewöhnliche Situation, die anhalten wird, so lange die Krisen nicht gelöst worden sind. Wir sollten nicht warten und nicht nur Tag für Tag versuchen, diese Situation zu handhaben. Wir müssen uns organisieren und unsere Politik absprechen. Das schlagen Deutschland und Frankreich vor.

Montag, 24. August 2015

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Quelle:
Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen
Staatspräsidenten Hollande vor ihrem Gespräch am 24. August 2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/08/2015-08-24-pressestatements-merkel-hollande.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2015

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