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PRESSEKONFERENZ/976: Regierungspressekonferenz vom 22. April 2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 22. April 2015
Regierungspressekonferenz vom 22. April 2015

Themen: Kabinettssitzung (Bericht zum Stand des Bürokratieabbaus und zur besseren Rechtsetzung für das Jahr 2014, Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer), deutsch-polnische Regierungskonsultationen, Lage im Jemen, Sturmgewehr G36, Tötung und Vertreibung von Armeniern im Osmanischen Reich, finanzielle Situation Griechenlands, Existenzgründerförderung, Lage in Afghanistan, geforderte Entschädigungszahlungen für die Deportation griechischer Juden im Zweiten Weltkrieg, Verurteilung des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mursi, EU-Zulassung für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln, Tarifauseinandersetzungen zwischen GDL und Deutscher Bahn

Sprecher: SRS'in Wirtz, Schäfer (AA), Dimroth (BMI), Jäger (BMF), Ehrentraut (BMAS), Flosdorff (BMVg), Moosmayer (BMVI), Urban (BMEL), Braams (BMWi)


Vors. Welty eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt SRSin Wirtz sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

SRSin Wirtz: Heute im Kabinett wurde ein Bericht zum Stand des Bürokratieabbaus und zur besseren Rechtsetzung für das Jahr 2014 beschlossen. Der Bürokratieabbau ist ein wichtiges Ziel der Bundesregierung. Insofern geht es darum, dass man jährlich auch eine Auflistung darüber führt, inwieweit sich die Bürokratie für Bürger, Wirtschaft und auch die Verwaltung abbauen lässt. In dem Bericht zeigt sich, dass sich die Bürokratiekosten tatsächlich haben senken lassen und wie sich der Erfüllungsaufwand im Jahr 2014 entwickelt hat.

Es gibt Erleichterungen, beispielsweise für die Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf einkommensabhängige Zusatzbeiträge bei Krankenkassen. Diese können inzwischen direkt von den Arbeitgebern an die Krankenkassen gezahlt werden und müssen nicht mehr von den Bürgerinnen und Bürgern dort abgeführt werden.

Dann gibt es Erleichterungen bei der Zulassung von Fahrzeugen und beim Ausfüllen der Steuererklärung.

Dies war heute Thema im Kabinett und wird morgen noch einmal hier in der Bundespressekonferenz ein Thema sein. Um 10.30 Uhr wird Staatsminister Helge Braun noch einmal ausführlich über den Bürokratieabbau berichten.

Dann war Thema im Kabinett die Flüchtlingskatastrophe, die wir alle noch vor Augen haben und die ja auch am Montag ausführlich besprochen worden ist. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen im Kabinett noch einmal deutlich gemacht, dass es in allerster Linie darum gehen muss, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Insofern findet sich im Zehn-Punkte-Plan der EU-Kommission die verstärkte Seenotrettung an allererster Stelle.

Weitere Ansatzpunkte, um Menschenleben zu schützen - das war heute Morgen auch Thema im Kabinett -, sind das Vorgehen gegen skrupellose Schlepperbanden und die Stabilisierung der Herkunfts- und Transitländer.

Heute Nachmittag wird sich der Bundestag in einer Sondersitzung zu diesem Thema zusammenfinden. Die Bundeskanzlerin wird auch im Plenum sein und die Debatte verfolgen. Im Rahmen der Debatte werden Bundesaußenminister Steinmeier und Bundesinnenminister de Maizière auch noch einmal über das gemeinsame Ministertreffen berichten, das am Montag in Luxemburg stattgefunden hat.

Für morgen Nachmittag, Donnerstag, hat EU-Ratspräsident Donald Tusk zu einer außerordentlichen Ratssitzung eingeladen. Grundlage dieser Beratungen, an denen selbstverständlich auch die Bundeskanzlerin teilnehmen wird, ist der Zehn-Punkte-Plan der EU-Kommission, der auch am Montag schon Thema in Luxemburg war. Vor allem geht es darum, dass die europäische Politik einen gemeinsamen Weg findet, den vielen verschiedenen Herausforderungen zu begegnen, die sich in außen-, innen-, sicherheits- und entwicklungspolitischer Hinsicht ergeben und die natürlich auf europäischer Ebene koordiniert werden müssen.

Denn Bilder von ertrinkenden Menschen - das hat die Bundeskanzlerin im Kabinett heute auch noch einmal deutlich gemacht - sind mit den Werten der Europäischen Union nicht vereinbar.

Dann möchte ich Ihnen noch einen Termin für die kommende Woche ankündigen. Am kommenden Montag finden in Warschau die deutsch-polnischen Regierungskonsultationen statt. Die Bundeskanzlerin wird um 11.30 Uhr ein bilaterales Gespräch mit der polnischen Ministerpräsidentin Ewa Kopacz führen. Parallel dazu finden die Gespräche der mitreisenden Ministerinnen und Minister mit ihren jeweiligen Amtskollegen statt.

Anschließend wird es ein gemeinsames Arbeitsmittagessen geben. Dann wird es um 14.20 Uhr eine Begegnung der Bundeskanzlerin und der polnischen Ministerpräsidentin mit der Presse geben. Um 15 Uhr wird sich die Bundeskanzlerin dann mit dem polnischen Präsidenten, Herrn Bronislaw Komorowski, treffen.

Themen der Konsultationen werden selbstverständlich die Lage in der Ukraine und die Vorbereitung des Gipfels der Östlichen Partnerschaft in Riga sein, der im Mai stattfinden wird.

Dann möchte ich noch etwas zu der Situation im Jemen beziehungsweise zu der Ankündigung Saudi-Arabiens sagen, nun so schnell wie möglich einen politischen Prozess in Gang zu bringen.

Alle beteiligten Akteure - das kann ich vonseiten der Bundesregierung noch einmal bestärken - sind nun dazu aufgerufen, im Interesse der Zivilbevölkerung und für ein friedliches, stabiles Jemen konstruktiv daran mitzuwirken, dass dieser politische Prozess so bald wie möglich und so gut wie möglich in Gang gesetzt wird.

Das war es von meiner Seite.

Schäfer: Da es entgegen den Ankündigungen Saudi-Arabiens auch heute Morgen wieder Luftschläge im Jemen gegeben hat, verbinden wir das noch einmal mit der Aufforderung, jetzt auch den Worten Taten folgen zu lassen und tatsächlich die Waffen schweigen zu lassen.

Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass auch vor Aufnahme heute vor exakt vier Wochen, am 25. März, im Jemen bereits ein Bürgerkrieg mit ziemlicher Härte getobt hatte und die diesen kriegerischen, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zugrunde liegenden Ursachen ja noch gar nicht beseitigt sind.

Es hat über Nacht die eine oder andere Äußerung gegeben, die Hoffnung wecken lässt, dass tatsächlich eine Art von Beginn eines politischen Prozesses auf den Weg gebracht worden sein könnte.

Sie wissen, dass vor einigen Tagen ein Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Markus Ederer, auf Bitte des deutschen Außenministers am 14. April sowohl in Riad wie auch am 15. April in Teheran vorgesprochen hat und ganz wesentlicher Gegenstand der Gespräche damals auch die aktuelle Lage im Jemen gewesen ist.

Wir hoffen, dass mit den Ankündigungen der von Saudi-Arabien geführten Koalition nunmehr auch eine bessere Möglichkeit besteht, den Hunderttausenden von Menschen im Jemen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, diese jetzt auch gefahrlos oder jedenfalls gefahrloser zukommen zu lassen.

Deshalb passt es gut, dass ich Ihnen sagen kann, dass Herr Steinmeier entschieden hat, noch einmal 6 Millionen Euro für humanitäre Hilfe für die notleidenden Menschen im Jemen zur Verfügung zu stellen. Wir müssen davon ausgehen, dass allein im Zuge der Kämpfe der letzten vier Wochen weitere 150.000 Menschen vertrieben worden sind. In vielen Teilen des Landes ist die öffentliche Versorgung mit Strom und Wasser total zusammengebrochen. Auch die Lebensmittel werden knapp. Deshalb planen wir gemeinsam mit deutschen und internationalen Mittlerorganisationen, diese Soforthilfemittel so schnell es nur irgend geht für die humanitäre Versorgung der Menschen im Jemen bereitzustellen.

Frage: Frau Wirtz, ich habe zwei Fragen zu dem Zehn-Punkte-Plan. Die erste wäre - noch mal fürs Protokoll -: Steht die Bundesregierung hinter allen zehn Punkten, die die EU-Kommission vorgeschlagen hat? Ist das sozusagen ein Papier, mit dem sich die Bundesregierung zufrieden gibt, oder gibt es da in dem einen oder anderen Punkt Dissens?

Die zweite Frage wäre: In dem zweiten Punkt geht es um die Vernichtung von Booten. Boote von Schleusern sollen beschlagnahmt und zerstört werden. Das ist eine Lernfrage; ich weiß nicht, ob Sie da helfen können oder vielleicht das Innenministerium oder das Auswärtige Amt. Ich frage mich: Wie soll das eigentlich gehen? Wenn man die Boote zerstören will, muss man ja im Grunde bis an die libysche Küste heran, und man müsste auch an Land gehen. Die Boote auf dem Wasser sind voll mit Menschen; die kann man nicht zerstören.

Das heißt, man bräuchte im Grunde eine Art polizeiliche Befugnis für Frontex in einem fremden Staat. Ich frage mich, wie das laufen soll. Da kommt immer der Vergleich mit Somalia. Für Somalia gibt es ein UN-Mandat. Also habe ich hier ein Fragezeichen. Könnten Sie das ein bisschen erläutern?

SRSin Wirtz: Ich versuche mal, das erste Fragezeichen aufzugreifen. Der Zehn-Punkte-Plan, den die Europäische Kommission am Montagabend vorgelegt hat, war praktisch auch ein Resultat dessen, was die Minister auf europäischer Ebene besprochen haben. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass das zunächst einmal die Grundlage dessen ist, was morgen beim Europäischen Rat besprochen wird. Das ist also die Grundlage, und das wird sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch präzisiert oder ausgebaut, wie auch immer. Das ist zunächst einmal der Vorschlag der Europäischen Kommission, der eine Gesprächsgrundlage darstellt.

Zu den technischen Fragen kann Herr Schäfer etwas beisteuern, was die Frage der Zerstörung der Boote anbelangt.

Schäfer: Wir sind da in einem wirklich sehr, sehr frühen Stadium. Ich habe bei der heutigen Lektüre der Presselage ganz viele gute, interessante Überlegungen von Ihnen und von Ihren Kollegen gelesen darüber, was man denn tun könnte, was man tun müsste, was man tun sollte. All diesen Vorschlägen liegt, so glaube ich, die Vorstellung zugrunde, dass das, was wir in den letzten Tagen an Unglück und an Ertrinken im Mittelmeer erlebt haben, nicht mehr geschehen soll.

Jetzt sind wir in einer Phase, in der sich vor einigen Tagen bereits die Innen- und Außenminister getroffen haben, die Kommission ein Papier vorgelegt hat, das griffig klingt, Zehn-Punkte-Plan, das aber jetzt auch mit der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates morgen Abend und danach die politisch Verantwortlichen in Brüssel, in Rom, in Berlin und anderswo vor die Aufgabe stellt, eine Gesamtkonzeption zu entwickeln. Eingang finden in eine solche Gesamtkonzeption werden und sollten dann eine Fülle von einzelnen Maßnahmen, die, wenn sie denn vernünftig ineinandergreifen, tatsächlich helfen können, das Leid und das Elend der Menschen zu lindern.

Ich bin nicht ganz sicher, ob es uns gelingen kann, jede Art von Unglück auf dem Mittelmeer in absehbarer Zeit zu lösen, einfach deshalb, weil das Problem und die Anreize und die Bereitschaft der Menschen, alles aufs Spiel zu setzen, um irgendwie lebend übers Mittelmeer zu kommen, alles Dinge sind, denen gar nicht so einfach beizukommen sein wird.

Aber ich möchte den Fokus einfach darauf legen: Es geht gar nicht anders, als dass wir uns mit einer Gesamtkonzeption beschäftigen. Dies hat eine ganze Menge mit Seenotrettung zu tun. Das hat Frau Wirtz ja gerade schon ausgeführt, auch als Gegenstand der Gespräche im Kabinett. Das hat eine ganze Menge damit zu tun, in welcher Weise wir mit Asylbewerbern innerhalb der Europäischen Union umgehen. Das hat auch andere Aspekte, zu denen der gehört, den Sie angesprochen haben.

Ich glaube, es stimmt: Es gibt positive Erfahrungen, die wir mit europäischen Missionen am Horn von Afrika gesammelt haben, Atalanta. Da ist es geglückt, mit einer guten Kombination von entwicklungspolitischen und repressiven Maßnahmen ein echtes Problem für das Land Somalia, ein echtes Problem für den internationalen Handel am Horn von Afrika ganz gut in den Griff zu bekommen. Die Zahlen der Überfälle durch Piraten von Somalia aus sind dramatisch zurückgegangen, und auch politisch ist es in Somalia vorangegangen.

Nun ist es aber, glaube ich, ein sehr vorschneller Schritt, die positiven Erfahrungen, die wir mit Atalanta gesammelt haben, so mir nichts, dir nichts einfach auf die Situation im Mittelmeer zu übertragen. Wir haben eine völlig andere Lage.

In Somalia ging es ja nicht darum, dass irgendwelche Flüchtlinge irgendwo hinwollten, sondern dass da Handelsschiffe entführt wurden und Lösegeld erpresst werden sollte. Dafür gab es politische Ursachen, dafür gab es entwicklungspolitische, soziologische, soziale Ursachen. Alles sind Dinge, die sich, glaube ich, nicht eins zu eins auf die Lage im Mittelmeer übertragen lassen.

Deshalb würde ich Sie bitten, mich nicht allzu sehr zu drängen, da in Details zu gehen. Ich kann Ihnen versichern, dass es im Auswärtigen Amt, ganz bestimmt auch im Verteidigungsministerium - ich weiß auch, dass es da schon Gespräche gegeben hat -, Vorüberlegungen gibt, wie, auf welche Art und Weise man als Baustein für eine Gesamtkonzeption vielleicht auch Maßnahmen in Erwägung ziehen könnte, die so etwas Ähnliches sind wie das, was Sie beschrieben haben, nämlich den Schlepperbanden nicht nur mit den Mitteln des Strafrechtes beizukommen, sondern auch darüber hinaus.

Aber das ist in einem so frühen Stadium, dass es, glaube ich, ehrlich gesagt, nicht wirklich seriös wäre, wenn ich hier sozusagen Brainstorming mit Ihnen betriebe und Ideen ventilierte, die weder politisch noch in der Sache wirklich abgesichert wären.

Zusatzfrage: Mir fehlt da genau wie Ihnen die Fantasie. Ich glaube, die Situation ist tatsächlich überhaupt nicht vergleichbar. Atalanta kann man nicht übertragen; auch der Vergleich mit Somalia ist Quatsch.

Mir fehlt die Fantasie, wie man auf einem fremden Staatsgebiet - Libyen wäre das Land, wo man eigentlich hinschauen müsste - operieren kann. Das ist ein Staat -die Probleme kennen wir alle -, der sich faktisch auflöst. Wie soll da sozusagen eine EU-Polizei Boote zerstören?

Es ist ja richtig, dass Sie jetzt kein Brainstorming betreiben wollen. Ich will es auch gar nicht vertiefen. Aber dann ist anscheinend dieser Punkt zwei, der in der Liste steht, auch eine Art Brainstorming, von dem man gar nicht genau weiß, wie das eigentlich kommen soll.

Schäfer: Jedenfalls braucht er eine praktische Umsetzung. Sie haben in der Tat auch noch auf einige Punkte hingewiesen, die man, glaube ich, auch betonen kann. In Somalia waren das im Wesentlichen zersplitterte Gruppierungen, die aus welchen Gründen auch immer - aus sozialer Not oder aus krimineller Energie oder aus anderen Gründen - Schlauchboote oder größere Boote hergenommen haben, um Handelsschiffe zu kapern.

In Libyen müssen wir davon ausgehen, dass das ein Staat ist, der auf dem Weg ist, total zu zerfallen, in dem es Machtgruppierungen gibt, die bis an die Zähne bewaffnet sind. Es ist ja eine der schrecklichen Folgen des Untergangs des Gaddafi-Regimes, dass diese unglaublich großen Waffenarsenale von Gaddafi in der ganzen Region Verbreitung gefunden haben, sie im Grunde die Ursache sind für den Bürgerkrieg in Mali und für andere Verwerfungen in der Region, aber eben auch in Libyen verblieben sind und von den unterschiedlichen politischen Strömungen und diesen bis an die Zähne bewaffneten, gut ausgebildeten Milizen für militärische Aktionen genutzt werden könnten.

Der Glaube, dass man so einfach mir nichts, dir nichts mit ein bisschen militärischem Gerät der Europäischen Union oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union da hingeht und das alles regelt, ist, glaube ich, ein Irrglaube, weil man sich durchaus darauf einstellen muss, dass es erbitterten Widerstand von Leuten geben wird, denen man da zu nahe tritt, weil man ihre wirtschaftlichen, politischen oder sonstigen Interessen beeinträchtigt, indem man versucht, das Problem der Schlepper in den Griff zu kriegen.

Das nächste Problem - das haben Sie auch angesprochen -: Ich habe da jetzt keine statistischen Auswertungen, aber es sind nach allem, was man sieht, wohl manchmal auch Fischerboote, die da von Schleppern zweckentfremdet werden, um Flüchtlinge übers Mittelmeer zu bringen. Diese Boote kann man zerstören, aber damit beraubt man auch andere Menschen ihrer Lebensgrundlage, die diese Schiffe brauchen, um auf diese Art und Weise ihrer Arbeit nachgehen zu können und die Bevölkerung in ihren Dörfern zu versorgen.

Wohin man tritt, trifft man auf Dilemmata und Schwierigkeiten, die - dafür kann man nur um Verständnis werben - sich nicht einfach in 24 Stunden in Luft auflösen oder durch geeignete Kombinationen irgendwie aus der Welt geschaffen werden können, sondern noch einmal: Wir brauchen eine Gesamtkonzeption. Wir brauchen eine Fülle von Einzelmaßnahmen, die ineinandergreifen, um dann zusammenzuwirken und langsam, aber sicher das Problem des Flüchtlingsdrucks von Nordafrika auf Europa zu reduzieren.

Frage: Was meinten Sie damit, dass man den Schleppern nicht nur mit Mitteln des Rechtsstaates beikommen will, sondern auch darüber hinaus?

Schäfer: Ich habe nicht gesagt "mit Mitteln des Rechtsstaates". Ein Rechtsstaat sind wir immer. Alles, was Deutschland, alles was die Europäische Union tut, ist ein Ausfluss des Rechtsstaates. Das ist, glaube ich, das Grundprinzip europäischen Handelns.

Ich hatte gesagt - das war das, was Ihr Kollege gerade gefragt hatte -, dass es Überlegungen gibt, die sich auch heute jedenfalls in der deutschen Presselage wiederfinden, Maßnahmen zu ergreifen, die über die Mittel des Strafrechtes hinausgehen. Das könnten militärische Maßnahmen sein. Ich habe da aber nichts Konkretes zu verkünden. Darüber haben wir ja gerade in den letzten Minuten gesprochen.

Frage: Denkt die Bundesregierung daran, deutsche Beamte nach Italien und Griechenland zu senden?

SRSin Wirtz: Derzeit gibt es dazu keine konkreten Pläne. Wie gesagt, morgen kommen zunächst einmal die Staats- und Regierungschefs zusammen, um sich über weitere Maßnahmen zu verständigen und weiter über die Strategien zu sprechen, wie man diesen Herausforderungen begegnen kann. Insofern kann ich jetzt noch nicht mit Ihnen darüber sprechen. Wir müssen einfach morgen den Europäischen Rat in Brüssel abwarten.

Zusatzfrage: Welche Rolle spielt die Türkei in diesem Verfahren? Gibt es Gespräche mit der Türkei? Gibt es einen Kontakt mit Ankara?

SRSin Wirtz: Dazu wird Herr Schäfer noch weiter ausführen.

Schäfer: Zunächst noch zu dem Punkt: deutsche Beamte. Niemand in Berlin, schon gar nicht in der Bundesregierung, ist der festen Überzeugung, dass alle deutschen Beamte die Weisheit mit Löffeln gefressen hätten und alle nur darauf warten, dass diese deutschen Beamten dann - ich weiß nicht, wem - dabei helfen, die Probleme vernünftig zu lösen, sondern so etwas kann überhaupt nur das Ergebnis von gemeinsamen Entscheidungen und Überlegungen sein, in gemeinsamen Teams innerhalb der Europäischen Union etwas zu unternehmen, was allen Interessen dient.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand in Berlin das Interesse hat, irgendjemandem so etwas aufzudrängen. So etwas passiert allenfalls auf Anfrage oder dann, wenn sich die politisch Verantwortlichen darauf einigen.

Wenn Sie das Thema Türkei ansprechen, dann hat das im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage, wenn ich Sie richtig verstehe, mit Flüchtlingsströmen über die Türkei und über Griechenland nach Europa zu tun. Ich habe in den letzten Tagen sehr interessante Analysen in den Medien gesehen, die sich, glaube ich, weitgehend mit Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden decken. Es gibt verschiedene Routen, auf denen Flüchtlinge aus Gebieten, in denen sie nicht mehr leben wollen oder leben können, nach Europa zu kommen trachten. Der Weg, den Sie ansprechen, spielt dabei eine gewichtige Rolle, insbesondere für die Flüchtlinge aus Syrien.

Da gibt es bereits eine Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitsbehörden, die wir weiterführen wollen, um auch diesen Teil der Flüchtlingsströme, die nach Europa hineinfließen, besser in den Griff zu bekommen, als das bisher der Fall ist. Aber man darf einfach nicht vergessen, mit welcher Dimension wir es hier zu tun haben. Allein der seit vier Jahren schwelende Bürgerkrieg in Syrien hat weit mehr als 10 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Die allermeisten von ihnen halten sich in den Nachbarländern Syriens auf, in Jordanien, in der Türkei und im Libanon.

Man muss sich einfach die Dimensionen klarmachen: Das ist nicht viel weniger als die Hälfte der Bevölkerung Syriens, die im Zuge dieser vierjährigen Kämpfe ihre Heimat verloren hat und auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen und besseren Lebenschancen für sich und die eigenen Kinder ist. Da ist eine Antwort, die wir in Europa geben wollen, wirklich schwierig.

Die Antwort, die Deutschland in den letzten Jahren mit Blick auf die Flüchtlinge aus Syrien gegeben hat, ist, dass wir mit weitem Abstand dasjenige Land außerhalb der Konfliktzone sind, das die größte Zahl von Menschen aus Syrien aufgenommen hat. Wir sind da inzwischen weit jenseits der 100.000. Die Zahlen werden weiter anwachsen, auch deshalb, weil viele dieser Menschen, die bei uns politisches Asyl beantragt und bekommen haben, damit das Recht verbinden können, auch Teile ihrer Familie nachziehen zu lassen. All das muss bewältigt werden, all das muss organisiert sein, und all das muss in einer Weise geschehen, die dem Anspruch genügt, den die Bundeskanzlerin ja gerade auch betont hat, nämlich dass Europa ein Kontinent der Humanität ist.

Auch da wiederum nur der Appell an Ihr Verständnis dafür, dass angesichts dieser gewaltigen Dimensionen es nicht so einfach ist, in 24 Stunden eine Patentlösung herbeigeführt zu haben.

Frage: Eine kurze Frage ans Innenministerium: Es gibt heute Berichte über die Vorgänge rund um G36. Plant Ihr Minister, der vor einigen Jahren Minister in einem anderen Ministerium war, sich dazu in nächster Zeit zu äußern, weil das ja Berichte sind, die ihn nicht wahnsinnig schmücken?

Dimroth: Die zum Schluss vorgenommene Bewertung überlasse ich Ihnen. Jedenfalls äußere ich mich als Sprecher des Innenministeriums nicht zu Vorgängen, die aus einer Amtszeit des Ministers herrühren, die in einem anderen Ressort stattgefunden haben.

Zusatzfrage: Ich frage ja auch nur, ob er sich äußern wird. Ich habe nichts Inhaltliches gefragt.

Dimroth: Aktuell ist dazu keine Äußerung des Ministers geplant.

Frage: Es geht um den Armenienkomplex. Ich habe gleich zwei Fragen, zum einen: In der Resolution des Bundestages, die nun verabschiedet werden soll, heißt es: "Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das trotz eindeutiger Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen."

Befürchtet die Bundesregierung, dass Armenien möglicherweise Entschädigung oder Wiedergutmachung verlangen wird? Man kennt ja solche Fälle. Könnte daraus etwas abzuleiten sein, was am Ende möglicherweise sehr teuer wird?

Der türkische Ministerpräsident soll gestern mit der Bundeskanzlerin telefoniert haben und sich über die Völkermord-Resolution des Bundestages beschwert haben, die ja von der Bundesregierung ausdrücklich unterstützt wird. Ist das so? Wie hat die Kanzlerin darauf reagiert? Wie können Sie das insgesamt kommentieren?

SRSin Wirtz: Zunächst einmal kann ich Ihnen bestätigen, dass in der Tat die Bundeskanzlerin gestern mit dem türkischen Ministerpräsidenten gesprochen hat und das jetzt nicht so intoniert war, wie Sie es gerade vorgetragen haben, sondern dass es ein gutes Gespräch war, in dem die Bundeskanzlerin dem türkischen Ministerpräsidenten noch einmal die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage erläutert hat, und die Bundeskanzlerin durchaus auch begrüßt, dass aufseiten der Türkei eine Erklärung abgegeben worden ist.

Ich habe gesehen, dass jetzt auch deutsche Medien diese Erklärung teilweise aufgegriffen haben, in der sich der türkische Ministerpräsident durchaus offen zeigt, jetzt eine gemeinsame Verantwortung von Türken und Armeniern wahrzunehmen und ernst zu nehmen, alte Wunden zu schließen und sich diesem Versöhnungsprozess weiter zu stellen. Das hat die Bundeskanzlerin durchaus positiv angemerkt.

Zusatzfrage: Das bedeutet also, es war ein freundliches Gespräch, und mit einer Beschwerde hatte das nichts zu tun?

SRSin Wirtz: Es war ein gutes Gespräch, in dem, wie gesagt, die Bundeskanzlerin die Haltung der Bundesregierung dargelegt hat.

Schäfer: Aber es lohnt die Lektüre der Erklärung von Herrn Davutoglu, die die türkische Botschaft vor einigen Stunden ins Internet gestellt hat. Ich kann Ihnen das nur anempfehlen. Da sind eine ganze Menge Sätze drin, die sicherlich auch viele von Ihnen und viele von uns unterschreiben können.

Ich spare mir jetzt, Ihnen das vorzulesen. Es ist eine lange Erklärung von Herrn Davutoglu, eine zweiseitige Erklärung, die, wie Frau Wirtz zu Recht sagt, sich schon in den deutschen Medien wiederfindet, aber die auch im Original leicht auf der Website der türkischen Botschaft nachlesbar ist.

Zusatzfrage: Noch zu meiner ersten Frage: Thema Wiedergutachtung, Armenien. Die Resolution hat ja möglicherweise einen durchaus nicht ganz unbrisanten Inhalt.

SRSin Wirtz: Ich kann jetzt schlecht mutmaßen und prophezeien, was daraus an weiteren rechtlichen Fragen oder Entschädigungsansprüchen resultieren wird. Ich kann jetzt nur darauf verweisen, dass es diese Debatte mit dem entsprechenden Entschließungsantrag im Bundestag geben wird. Aber ich kann von dieser Stelle aus nicht mutmaßen, welche weiteren Folgerungen daraus entstehen werden.

Zusatzfrage: Sind Sie dazu im Gespräch mit Armenien, das heißt jetzt im Vorfeld?

SRSin Wirtz: Nein. Es gibt solche Gespräche nicht.

Frage : Zwei Fragen, einmal an Frau Wirtz: Es heißt, für den EU-Rat sei auch ein bilaterales Treffen zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin vereinbart. Wird das stattfinden? Was ist von diesem Treffen zu erwarten? Worüber werden sie sprechen?

Die zweite Frage geht an Herrn Jäger: Was ist jetzt der Stand der Dinge, zwei Tage vor dem Treffen der Eurogruppe, was die griechische Krise betrifft?

SRSin Wirtz: Also ich habe von diesem vermeintlichen Treffen des griechischen Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin gelesen. Ich habe auch in der Presse davon gelesen. Ein solches Treffen kann ich weder bestätigen noch dementieren. Ich möchte nicht ausschließen, dass es möglicherweise im Rahmen eines solchen Gipfels, bei dem sich ja die Staats- und Regierungschefs alle treffen, auch die Möglichkeit einer solchen Begegnung geben wird.

Zusatzfrage: Es gibt ja eine Anfrage an das Kanzleramt. Haben Sie nur aus der Presse erfahren, dass ein solches Treffen stattfinden wird?

SRSin Wirtz: Wie gesagt: Ich kann Ihnen sagen, dass es im Rahmen eines solchen Europäischen Rates die Möglichkeit gibt, sich miteinander zu verständigen. Diese Möglichkeit wird auch wahrgenommen, wenn sich die Möglichkeit ergibt.

Zusatzfrage: Sieht die Bundeskanzlerin überhaupt den Bedarf eines solchen Treffens?

SRSin Wirtz: Es ist sicherlich immer gut, mit allen Staats- und Regierungschefs im Gespräch zu sein. Dafür bietet der Europäische Rat ja immer auch Möglichkeiten. Insofern schließe ich das nicht aus. Aber ich kann es Ihnen auch nicht bestätigen.

Jäger: Was den Stand der Gespräche mit Griechenland angeht, dazu gab es in den vergangenen Tagen die eine oder andere Interviewäußerung von den drei Institutionen, die diese Gespräche mit Griechenland führen. Dem habe ich von unserer Seite wenig hinzuzufügen.

Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir mit sehr überschaubaren Erwartungen nach Riga gehen. Es ist nicht davon auszugehen, dass in Riga ein Gesamtpaket an Reformmaßnahmen, wie es die Erklärung vom 20. Februar vorsieht, beschlossen werden kann. Das heißt, wir erwarten, dass es in Riga so eine Art Zwischenbilanz geben wird. Die Institutionen werden über ihre Gespräche berichten. Darüber hinaus kann ich mir schwer vorstellen, was es noch Neues zu Griechenland geben könnte.

Aber ich will den Gesprächen nicht vorweggreifen. Wir werden dann am Freitag in Riga erfahren, wie die Institutionen die Lage einschätzen und wie die griechische Regierung erklärt, dass bis dato keine umfassende Reformliste vorgelegt wird.

Zusatzfrage: Wenn bei diesem Europäischen Rat keine Entscheidung bezüglich Griechenland getroffen wird, heißt das, dass eine sehr wichtige Frist zur Lösung der griechischen Krise ergebnislos vorbeigeht. Denn bis Ende April sollte ja die griechische Regierung ihre Reformpläne präsentieren. Das passiert jetzt.

Jäger: Ich kann an dieser Stelle naturgemäß noch nicht sagen, ob die griechische Regierung bis Ende April eine solche Liste vorlegt. Denn der April ist dann vorüber, wenn wir alle miteinander den 30. April erreicht haben. Das wäre natürlich bedauerlich. Denn darauf haben wir uns ja in der Erklärung vom 20. Februar alle miteinander verpflichtet. Das rechtlich relevante Datum ist aber sicherlich der 30. Juni dieses Jahres. Denn das ist der Zeitraum, für den wir das laufende Programm verlängert haben.

Frage: Daran anknüpfend: Gilt denn dieses Datum 30. April noch, oder ist das inzwischen vom Tisch genommen worden? Ich habe da so etwas gelesen, dass man die Frist, also die Vorlage einer Reformliste bis zu diesem Datum, inzwischen angesichts der Entwicklung quasi kassiert habe.

Zum Zweiten: Herr Jäger, haben Sie denn in den letzten Tagen, sprich Anfang der Woche bis jetzt, irgendwelche Informationen erhalten, die Ihnen das Gefühl geben, dass es jetzt doch etwas nach vorn geht? Es gab Äußerungen vom IWF, dass jetzt ein bisschen etwas in Bewegung geraten sei. Hat das nach Ihrer Auffassung in irgendeiner Weise Substanz?

Jäger: Ich will diese Interviews jetzt nicht im Einzelnen interpretieren. Wir haben sie so gelesen, dass jetzt wieder Gespräche in Gang gekommen sind, was wir natürlich begrüßen. Das heißt aber noch nicht, dass diese Gespräche auch zu Ergebnissen führen. Insofern will ich an dieser Stelle einfach den Bericht der drei Institutionen in Riga abwarten. Der Bundesfinanzminister wird in Riga eine Pressekonferenz abhalten und dann darüber berichten, was es an Fortschritten gegeben oder halt nicht gegeben hat.

Zu Ihrer Frage nach dem 30. April: Das ist eine politische Festlegung. Wir haben uns gemeinsam mit unseren griechischen Freunden im Februar darauf verständigt, bis Ende April eine solche umfassende Reformliste vorzulegen. Ich habe eben gesagt und kann es nur unterstreichen: Der April ist noch nicht zu Ende.

Ich weise aber zugleich auch darauf hin, dass das rechtlich relevante Datum für das laufende Hilfsprogramm der 30. Juni ist. Denn das ist der Zeitraum, auf den wir das Hilfsprogramm verlängert haben.

Frage: Eine Frage zum Thema Existenzgründerförderung an das Wirtschafts- und/oder das Arbeitsministerium: In dem Bericht der "FAZ" von heute heißt es, dass die Zahl der Existenzgründungen durch Arbeitslose drastisch zurückgegangen ist. Ich unterstelle einmal, dass diese Zahlen stimmen, die da genannt werden. Ist dieses Ergebnis, also der Rückgang, ein gewünschter Effekt der Reform? Sind Sie damit zufrieden, oder müssen Sie gegebenenfalls nachsteuern, um die Zahl der Existenzgründungen zu erhöhen?

Ehrentraut: Ja, es ist korrekt. Es handelt sich um einen Bericht, mit dem die Bundesregierung ihrer Zusage aus dem damaligen Vermittlungsverfahren zum Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt nachkommt. Die Zahlen sind somit auch korrekt. Das war ja auch das Ziel der Neuregelung, zum einen die Ausgaben zu reduzieren und zum anderen potenzielle Mitnahmeeffekte zu verringern. Dieser Bericht wird jetzt auch dem Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet. Die Umsetzung der Regelung zum Gründungszuschuss grundsätzlich und deren Auswirkung werden wir natürlich weiterhin beobachten.

Zusatzfrage: Sie haben die Reduzierung der Mitnahmeeffekte angesprochen. Laut Bericht der "FAZ" ist ja genau das nicht passiert. Ich glaube, zwei Drittel haben gesagt, sie hätten sich auch ohne den Zuschuss selbstständig gemacht. Das heißt, sie haben ihn einfach einmal mitgenommen, weil er da war. Müssen Sie zumindest an der Stelle noch nachjustieren?

Ehrentraut: Wenn Sie den Bericht oder die Medienberichterstattung genau gelesen haben, dann wissen Sie, hier kommen ja auch Befragungen von geförderten Personen zum Ausdruck. In dem Bericht selbst sind auch deskriptive Auswertungen der Bundesagentur für Arbeit enthalten. Da gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Also man kann jetzt nicht genau sagen, wie hoch dieser Anteil genau ist. Deshalb werden wir uns das ganz genau ansehen und die weitere Umsetzung auch weiterhin überprüfen.

Frage: Mir geht es um das Thema Afghanistan. Ich habe zur Lage dort Fragen an das Auswärtige Amt und an das Verteidigungsministerium.

Zum einen: Gibt es Informationen zu dem vermissten deutschen Entwicklungshelfer in Kundus?

Zweitens. Die Provinzregierung in Kundus warnt ja nun, die Lage eskaliere und die gesamte Provinz könne in die Hände der Taliban fallen. Teilen Sie diese Einschätzung als Bundesregierung?

An das BMVg noch einmal: Es gab dort ja früher einen sicheren Hafen der Bundeswehr, im früheren Camp in Kundus. Ist er heute noch aktuell für Sie? Das heißt, ist die Bundeswehr da zuletzt gewesen?

Schäfer: Zu dem Fall, den Sie ansprechen, gibt es für mich über das hinaus, was Sie bereits in den Medien gelesen haben, bis auf Weiteres absolut nichts mehr hinzuzufügen. Es gibt einen Fall, um den sich der Krisenstab des Auswärtigen Amtes kümmert. Ich sage dazu nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Zu Ihrer zweiten Frage vielleicht nur so viel: Die afghanischen Sicherheitskräfte sind nach unserer Einschätzung auch nach dem Ende unseres internationalen Kampfeinsatzes grundsätzlich in der Lage, den regierungsfeindlichen Kräften auch im Gefecht ernsthaft Widerstand zu leisten und entgegenzutreten. Das haben sie im laufenden Jahr schon an vielen Stellen, unter anderem auch in Helmand, dort, wo die Insurgenz ganz besonders intensiv gearbeitet hat, unter Beweis gestellt.

Es ist richtig, dass die Sicherheitslage in der Provinz Kundus eine Herausforderung ist. Das ist sie aber schon ganz lange. Das ist sie auch in der Zeit gewesen, in der es diesen internationalen Kampfeinsatz gegeben hat. Das ist ja auch einer der Gründe, weshalb deutsche Soldaten gerade in der Gegend um Kundus einen so hohen Blutzoll für unseren Einsatz und unser Engagement für Afghanistan haben zahlen müssen.

Es gibt in der Provinz Kundus einige traditionell problematische Distrikte - ich nenne Char Darah und Archi. Auch für diese Distrikte gilt: Die Sicherheitslage dort war immer schon - wenn ich sage "immer schon", dann meine ich im Grunde den gesamten Zeitraum, über den wir jetzt miteinander sprechen, sagen wir seit Beginn des neuen Jahrtausends - problematischer als im Rest der Provinz Kundus.

Wir stellen tatsächlich fest, dass es vermehrt Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seite und Aufständischen auf der anderen Seite in der Provinz Kundus gibt. Ein Anzeichen dafür etwa ist, dass es von Aufständischen illegal errichtete Checkpoints gibt. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, was wir schon aus den letzten Jahren kennen, dass nämlich nach Ende des Winters die Insurgenz und die Taliban ihre Frühjahrsoffensive starten.

Also, ich glaube, das ist kein Grund, jetzt auf die Berichte Ihres Kollegen bei "dpa" alarmistisch zu reagieren. Richtig ist, dass die Sicherheitslage in Kundus besser sein könnte als sie tatsächlich ist. Aber wir haben keine grundsätzliche Änderung gegenüber dem Zustand aus den vergangenen Jahren.

Flosdorff: Ich kann der Lageanalyse jetzt nichts hinzufügen. Die Bundeswehr betreibt in Kundus keine Einrichtungen mehr, sondern ist in Masar-e-Scharif mit ihrem Feldlager aktiv.

Frage: Wie bewerten Sie denn, Herr Flosdorff oder Herr Schäfer oder beide, die Aufforderung der Taliban zum Start ihrer üblicherweise jetzt im Frühjahr beginnenden Großoffensive? Sie haben auf afghanischer Seite Mitarbeiter aufgefordert, sogar Minister, überzulaufen und sich ihnen anzuschließen. Dann würde ihnen ein sicheres Leben gewährt usw. Gibt es schon erste Anzeichen, dass das zu einer gewissen Erschütterung oder Aufweichung innerhalb der afghanischen Behörden führen könnte, welcher Art auch immer?

Schäfer: Ich kann das weder feststellen noch Ihnen berichten. Allerdings verbinde ich das mit einem Wunsch, den wir gerne an die Adresse Kabuls richten möchten. Der Prozess der Regierungsbildung in Afghanistan war ja gar nicht so einfach. Das hat Gründe, die mit dem Wahlkampf und der Auseinandersetzung von zwei Kandidaten im Zusammenhang stehen. Es gibt jetzt noch einen ganz wichtigen Posten im Kabinett der neuen afghanischen Regierung, der besetzt werden muss: Das ist der Posten des Verteidigungsministers. Wir würden uns doch sehr wünschen - und glauben, dass jetzt auch der richtige Moment dafür ist -, dass das Parlament dafür Sorge tragen würde, den von der Regierung vorgeschlagenen Verteidigungsminister jetzt auch tatsächlich sein Amt einnehmen zu lassen. Dann gibt es auch wieder eine politische Spitze für die afghanische Armee, und wir glauben, dass das auch ein Beitrag dazu wäre, im Kampf gegen die Insurgenz und gegen die Aufständischen noch schlagkräftiger zu werden.

Zusatzfrage: Sie wissen natürlich auch, dass Rohani in Teheran auf die Gefahr hingewiesen hat, die darin bestünde, dass IS auch in Afghanistan aktiv würde. Das ist zwar schon als eventuelles politisches Manöver von Rohani bezeichnet worden, aber ist das aus Ihrer Sicht ganz auszuschließen?

Schäfer: Ich glaube, es macht keinen Sinn, hier in der Regierungspressekonferenz "unter eins" über die Aktivitäten von Geheimdiensten zu sprechen. Ich glaube aber, es ist kein großes Geheimnis, dass viele davon ausgehen, dass bestimmte Kreise in Pakistan auch Einfluss auf Geschehnisse und Entwicklungen politischer oder sonstiger Natur in Afghanistan zu nehmen trachten. Dass das ein Verstoß gegen die Souveränität Afghanistans ist, ist sowieso klar. Dass das der nationalen Einheit und dem Kampf gegen die Aufständischen und damit der Entwicklung eines geordneten Staatswesens in Afghanistan abträglich ist, ist auch klar.

Vors. Welty: Wollen Sie sich "unter drei" dazu äußern?

Schäfer: Nein, danke.

Frage: Zunächst an das Verkehrsministerium: Die griechische Gemeinde Thessaloniki hat gemeinsam mit der deutschen Organisation Zug der Erinnerung gegenüber der Deutschen Bahn die Forderung erhoben, etwa 120 Millionen Euro als Entschädigung zurückzubezahlen. Diese Gelder sind von Saloniki und von anderen Gegenden in Griechenland für den Transport der griechischen Juden aufgewendet worden. Meine Frage ist: Hat das Ministerium schon Kenntnis von dieser Forderung? Falls ja: Hat es darauf bereits reagiert oder gedenkt es, darauf zu reagieren? Darüber hinaus: Reagiert das Außenministerium und reagiert die Bundesregierung darauf?

Moosmayer: Eine gleichlautende Frage hatten wir hier schon vor ungefähr vier bis fünf Wochen. Da hatten wir eine schriftliche Antwort auf diese Frage geliefert, auf die ich mich gerne noch einmal beziehe. Diese Antwort können Sie also noch einmal heraussuchen. Insofern: Diese Forderung ist bekannt - ich glaube, Sie hatten die auch selber angesprochen. Wir hatten damals auch aufgeklärt, dass die Deutsche Bahn nicht die Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn ist und dass die Entschädigungsfragen gesammelt beim BMI beantwortet werden - wenn ich mich richtig entsinne. Ich kann das gerne aber noch einmal heraussuchen; das habe ich jetzt nicht ganz präsent, aber genau dieselbe Frage ist schon damals, vor vier bis fünf Wochen, gestellt worden.

Zusatzfrage: Die Forderung ist erst gestern oder vorgestern erhoben worden. Vorher gab es Gespräche darüber, aber die Forderung ist offiziell, wie gesagt, gestern oder vorgestern an die Deutsche Bahn geleitet worden.

Moosmayer: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir genau die gleiche Forderung - vielleicht nicht von Thessaloniki, sondern einer anderen Region - hier schon einmal diskutiert hatten. Aber wie gesagt, das kann ich gerne noch einmal heraussuchen.

SRSin Wirtz: Ja, das würde Frau Moosmayer dann für die Bundesregierung tun.

Frage: Herr Schäfer, der ehemalige ägyptische Präsident Mursi wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Wie bewertet das Auswärtige Amt dieses Urteil?

Schäfer: Nicht nur Ex-Präsident Mursi ist gestern verurteilt worden, sondern - so wie das in Ägypten häufiger vorkommt, ja fast die Regel ist - gemeinsam mit ihm sind auch zahlreiche andere Angeklagte verurteilt worden. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass die gewalttätigen Auseinandersetzungen der letzten Jahre in Kairo, Alexandria und anderswo, die den Tod von Vielen - auch unschuldigen Demonstranten - zur Folge hatten, juristisch aufgearbeitet wird. Das ist ein wahrscheinlich unentbehrlicher Beitrag zur Stabilität und zur gesellschaftlichen Aussöhnung in Ägypten. Das setzt aber voraus, dass rechtsstaatliche Standards in diesen Verfahren und im Umgang mit den Angeklagten gewahrt werden und dass eben nicht nach politischen Kriterien geurteilt wird.

Es wird Sie nicht überraschen, dass ich das jetzt sage, und das ist auch kein Geheimnis, weil wir das an dieser Stelle und anderswo schon häufiger gesagt haben: Wir wünschen uns in Ägypten mehr Fortschritte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und ausdrücklich auch bei dem Umgang mit der jüngeren Vergangenheit des Landes im Bereich des Strafrechtes. Wir haben immer schon die von mir bereits angesprochenen Massenurteile kritisiert, bei denen wir ernste Zweifel haben, dass sie mit rechtsstaatlichen Standards im Einklang stehen, und wir kritisieren auch die Einschränkungen der Arbeits- und Bewegungsfreiheit von Oppositionellen und Angehörigen der Zivilgesellschaft. Das ist ein Gespräch, ein Dialog, den wir nicht nur übereinander in den Medien führen, sondern den wir auch sehr offen mit der ägyptischen Regierung in Kairo pflegen. Da gibt es - auch das wird Sie nicht überraschen - Differenzen, die wir im Gespräch weiter ausleben und austragen. Sicher ist, dass wir diese kritischen Themen, die für uns wichtig sind, auch im Gespräch und im Dialog mit unseren ägyptischen Partnern weiter kritisch verfolgen werden.

Frage: An das Landwirtschaftsministerium: Zum einen würde ich mir von Ihnen gern noch einmal die Grundsatzposition zum Import gentechnischer veränderter Nutzpflanzen erläutern lassen.

Zum Zweiten: Es gibt wohl eine Initiative in Brüssel, die Zuständigkeit für Genehmigungen in diesem Bereich wieder auf die Mitgliedstaaten zurückzuverlagern. Was hält die Bundesregierung von dieser Initiative? Unterstützen Sie die?

Urban: Sie sprechen von dem Kommissionsvorschlag für die Opt-out-Möglichkeit bei der EU-Zulassung für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln; hierbei geht es also um die Importzulassungen und nicht um den Anbau. Das ist ein Vorschlag, der frisch auf dem Tisch liegt. Die Bundesregierung wird diesen Vorschlag eingehend prüfen.

Schon jetzt lässt sich allerdings nach kursorischer Durchsicht sagen, dass negative Auswirkungen auf die Warenverkehrsfreiheit im EU-Binnenmarkt zu befürchten sind, wenn einzelne Staaten tatsächlich Nutzungsverbote oder - beschränkungen erlassen sollten. Auch bestünden nach derzeitiger Einsicht - ich sage noch einmal: auf der Basis der kursorischen Bewertung; der Vorschlag ist frisch - erhebliche WTO-rechtliche Bedenken. Unklar bei dem Vorschlag ist auch, wie die Nutzungsbeschränkungen oder -verbote in der Praxis kontrolliert werden sollen, zumal der übliche Folgenabschätzungskatalog diesem Vorschlag auch nicht beiliegt.

Stattdessen käme unserer Ansicht nach eine weniger einschneidende Möglichkeit in Betracht, nämlich in Ergänzung zur bestehenden Kennzeichnungspflicht von Lebens- und Futtermitteln eine entsprechende Kennzeichnung von solchen Lebens- und Futtermitteln vorzunehmen, die aus oder mit gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden. Die beiden Regierungsparteien haben dazu im Koalitionsvertrag festgelegt - ich zitiere daraus -: "Wir treten für eine EU-Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden, ein."

Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen. Wie gesagt, der Vorschlag ist frisch und wir werden ihn eingehend prüfen. Die Bedenken, die jetzt schon existieren, habe ich Ihnen gerade dargelegt.

Frage: Ich habe noch eine kleine Nachfrage an das Wirtschaftsministerium: Sie haben heute die jüngste Wachstumsprognose vorgestellt. Inwiefern sehen Sie das, was sich im Moment im Zugverkehr streikmäßig breitmacht, als eine Bedrohung für die an sich ganz gute und positive Entwicklung der Wirtschaft?

Braams: Vielen Dank für die Frage. Sie haben ja darauf hingewiesen: Der Wirtschaftsminister hat die Projektion heute vorgestellt. Zur Frage des Streiks: Ich kann Ihnen keine Quantifizierung der Auswirkungen des Streiks nennen. Wir sehen aber keine Auswirkungen auf die heute vorgestellte Projektion. Insgesamt ist es eben schwer, diese Maßnahmen und Streiks zu quantifizieren. Aber wie gesagt: kein Einfluss auf die heute vorgestellte Projektion.

Zusatzfrage: Darf ich fragen, ob das Verkehrsministerium zu den Streiks eine Position hat, die Sie uns anvertrauen wollen?

Moosmayer: Gerne. Der Minister hat sich ja schon dazu geäußert, und zwar dahingehend, dass einerseits die Tarifautonomie ein sehr hohes Gut ist, in das sich die Politik einmischt; er weist gleichzeitig aber darauf hin, dass in solchen Auseinandersetzungen möglichst eine Lösung am Verhandlungstisch gefunden werden sollte und die Auswirkungen auf unbeteiligte Dritte möglichst gering gehalten werden sollten. Diese Auswirkungen sind natürlich regelmäßig im öffentlichen Personenverkehr sehr hoch; denn wenn die Bahn streikt oder die Busse streiken, dann sind natürlich sehr viele Menschen in ihrem tagtäglichen Leben betroffen. Was die Schäden angeht, so kann die Bahn ja immer relativ schnell beziffern, dass es in sechsstellige Bereiche geht. Insofern sind die Schäden natürlich ganz erheblich. Wir haben jetzt keine Zahlen dazu, aber wenn Menschen zu spät kommen und bestimmte Sachen nicht erledigt werden können oder Güter nicht transportiert werden können, dann hat das natürlich Auswirkungen.

Mittwoch, 22. April 2015

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 22. April 2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/04/2015-04-22-regpk.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2015

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