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PRESSEKONFERENZ/590: Regierungspressekonferenz vom 24. April 2013 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 24. April 2013
Regierungspressekonferenz vom 24. April 2013

Themen: Kabinettssitzung (Entwurf eines Standortauswahlgesetzes, Planfeststellungszuweisungsverordnung, Bundeskompensationsverordnung, Rechenschaftsbericht 2013 zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, Bericht der Bundesregierung zum Kulturgutschutz in Deutschland), Treffen des Bundesinnenministers mit dem Flüchtlingskommissar des UNHCR, Regierungsbildung in Italien, geplante EU-Richtlinie zu Fluggastdaten, Sitzung des Koalitionsausschusses, Diskussion um eine Reform der strafbefreienden Selbstanzeige, Äußerungen des EU-Kommissionspräsidenten zum Sparkurs der EU, Syrien-Konflikt

Sprecher: StS Seibert, Teschke (BMI), Kotthaus (BMF), Rouenhoff (BMWi), Peschke (AA)



Vorsitzender Leifert eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag, meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, haben sich Bundesregierung, Bundesländer und die Bundestagsfraktionen am 9. April darauf geeinigt, ein Gesetz zur Endlagersuche auf den Weg zu bringen, das auch noch vor der Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden soll. Das Kabinett hat nun heute den Gesetzentwurf für dieses Standortauswahlgesetz beschlossen. Dieses Gesetz regelt das Verfahren für die Suche und die Auswahl eines Endlagerstandortes, an dem hochradioaktive oder radioaktive Abfälle entsorgt werden sollen. Es soll ein ergebnisoffenes und wissenschaftsbasiertes Verfahren sein. Es ist ein Endlagerstandort zu finden, der langfristig sicher ist und damit Mensch und Umwelt schützt.

Die Bundesregierung begrüßt, dass der Entwurf, den der Bundesumweltminister zusammen mit den Ländern erarbeitet hat, jetzt auch wirklich eine konsensfähige Grundlage ist, über Partei- und Ländergrenzen hinweg. Dieser Entwurf wird parallel - übrigens fraktionsübergreifend - auch aus der Mitte des Bundestags in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.

Ganz kurz das Wesentliche: Der Entwurf sieht vor, dass vor dem Auswahlverfahren selbst eine pluralistisch zusammengesetzte Bund-Länder-Kommission eingerichtet wird, die bis 2015 Kriterien für eine ergebnisoffene Endlagersuche in ganz Deutschland erarbeiten wird. Wesentliche Entscheidungen während des Auswahlverfahrens werden durch das Gesetz getroffen. Das ist eine Besonderheit dieses Verfahrens und betrifft zum Beispiel die Entscheidung darüber, welche Standorte übertägig und welche Standorte untertägig erkundet werden sollen. Schließlich wird auch der Endlagerstandort selbst durch das Gesetz festgelegt werden. Wichtig ist es mir, hervorzuheben, dass die Öffentlichkeit während des gesamten Prozesses und in allen Phasen des Suchverfahrens umfassend beteiligt sein wird.

Lassen Sie es mich also zum Schluss vielleicht noch einmal hinsichtlich der Tragweite einordnen: Sie wissen, dass es der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin persönlich sehr wichtig war, dass es gemeinsam mit allen Beteiligten zu einer Lösung kommt. Wir haben dazu im Energiekonsens von 2011 den Anstoß gegeben. Das waren keineswegs einfache Verhandlungen. Es ist ein positives Zeichen, dass diese gemeinsame Verantwortung, die alle Seiten an den Tag gelegt haben, nun auch weiter trägt; denn es folgen nun weitere und sicherlich auch schwierige Schritte. Es ist jetzt aber ein sehr guter Weg beschritten worden, um einen wirklich jahrzehntelangen Konflikt in Deutschland zu befrieden.

Mit Energie und der Energiewende hat auch der zweite Tagesordnungspunkt der Kabinettssitzung zu tun. Das ist ein großer Schritt für die Energiewende. Es ging auch um den Ausbau der Stromnetze. Heute wurde die sogenannte Planfeststellungszuweisungsverordnung beschlossen. Damit wird die Planfeststellung für Projekte, die länder- und grenzübergreifend sind, der Bundesnetzagentur zugewiesen. In Zukunft wird also beim gesamten Planungsverfahren von länder- und grenzübergreifenden Höchstspannungsleitungsprojekten eine Behörde - das ist die Bundesnetzagentur - zuständig sein. Es wird also eine Entscheidung aus einer Hand geben. Das wird die Verfahren beschleunigen. Es wird die Transparenz der Verfahren erhöhen. Es wird auch den Verwaltungsaufwand reduzieren.

Sie erinnern sich vielleicht: Diese Zuständigkeitsübertragung an den Bund und damit an die Bundesnetzagentur war Gegenstand langer Gespräche, zuletzt bei der Begegnung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder am 21. März. Dabei wurde die Einigkeit erzielt, die jetzt zu diesem Schritt im Kabinett führen konnte. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Genehmigungsverfahren bei wichtigen Ausbauvorhaben in den Stromnetzen zu beschleunigen. Es hat zuvor schon andere Schritte gegeben: das Netzausbaubeschleunigungsgesetz 2011 und den Gesetzentwurf zum Bundesbedarfsplan von 2012.

Ich möchte vielleicht in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen Punkt hinweisen, den das Kabinett heute behandelt hat, nämlich die Bundeskompensationsverordnung. Mit ihr werden die gesetzlichen Pflichten zur Vermeidung und zur Kompensation von Eingriffen in die Natur konkreter gefasst. Sie werden bundesweit standardisiert. Das heißt, Investitionen zum Beispiel in die Modernisierung von Stromnetzen werden erleichtert und die entsprechenden Verfahren beschleunigt. Das BMU hat dazu auch eine Pressemitteilung herausgegeben.

Wir bleiben bei einem Thema, das das BMU in das Kabinett eingebracht hat. Das ist der Rechenschaftsbericht 2013 zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Die sieht eine Berichtspflicht der Bundesregierung vor, und der kommt sie nun zum ersten Mal nach. Darin wird auf etwa 200 Seiten dargelegt, wie weit wir auf dem Weg zum Schutz der natürlichen Vielfalt und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt in Deutschland vorangekommen sind und wo auch noch Handlungsbedarf besteht. Es gibt eine Reihe von Indikatoren, die das sehr konkret anschaulich machen. Dabei wird deutlich, dass wir uns bei einigen Punkten auf jeden Fall in die richtige Richtung bewegen, beispielsweise bei der Reduzierung der Flächeninanspruchnahme, bei der Reduzierung der Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft oder bei der nachhaltigen Forstwirtschaft. Es wird aber auch deutlich, dass es noch große Anstrengungen zu unternehmen gilt, wenn man den Punkt anspricht, der vielleicht vielen Leuten vor Augen steht, wenn sie den Begriff "biologische Vielfalt" hören, also die Vielfalt wild lebender Arten hier in Deutschland. Man kann sagen, dass es bei einigen Arten - Fischotter, Biber, Seeadler, Kraniche - Bestandsverbesserungen gibt, ebenso - Enzian, Orchideen-Arten, Arnika, Gelbe Narzisse - bei Pflanzen. Die Bestände konnten zumindest stabilisiert werden. Dennoch zeigt sich: Es ist auch noch eine Menge zu tun, um die Artenvielfalt in Deutschland wirklich nachhaltig zu schützen und zu erhalten.

Der letzte Punkt, über den ich Ihnen berichten möchte, ist der Bericht der Bundesregierung zum Kulturgutschutz in Deutschland, den Kulturstaatsminister Bernd Neumann dem Kabinett vorgelegt hat. Der Schutz von Kulturgut ist ein zentrales Anliegen dieser Bundesregierung. Es gibt derzeit bei internationalen Krisensituationen immer wieder klare Beweise dafür, dass diese bewaffneten Konflikte - ob in Afghanistan, im Irak, in Syrien oder zuletzt in Mali - auch dazu führen, dass Museen und Grabungsstätten geplündert werden und dass Kulturgüter illegal ins Ausland verbracht werden, auch nach Deutschland. Dieser Bericht stellt eine umfassende Bestandsaufnahme des Kulturgutschutzrechts in Deutschland dar.

Deutschland hat 2007 das Unesco-Kulturgutübereinkommen ratifiziert und hat damit auch die völkerrechtliche Verantwortung dafür übernommen, Maßnahmen gegen die rechtswidrige Einfuhr, die rechtswidrige Ausfuhr und die rechtswidrige Übereignung von Kulturgütern zu ergreifen. Die Unesco sagt: Der illegale Handel mit Kulturgut ist nach dem illegalen Handel mit Waffen und dem mit Drogen an dritter Stelle der internationalen Kriminalität zu sehen.

Dieser Bericht stellt also verschiedene Aspekte dar. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die 2007 getroffenen Neuregelungen richtig und notwendig waren. Er konstatiert aber auch, dass gesetzgeberische Nachbesserungen dringend erforderlich sind. Man findet in diesem Bericht auch Eckpunkte und konkrete Verbesserungsvorschläge.

Teschke: Ich wollte Sie kurz auf ein Gespräch hinweisen, dass der Minister heute Nachmittag führen wird, und zwar wird er sich mit dem Flüchtlingskommissar des UNHCR, Herrn Guterres, treffen. Erörtert werden sollen das Prozedere und die weiteren Schritte, um die Aufnahme von 5.000 syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen auf den Weg zu bringen. Sie erinnern sich: Ende März hatte der Minister hier in der Bundespressekonferenz die grundsätzliche Bereitschaft angekündigt, 5.000 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Jetzt soll das konkret werden. Über den Verlauf des Gesprächs werden wir Sie dann in den nächsten Tagen informieren.

Frage: Herr Seibert, Giorgio Napolitano hat den Auftrag, um Enrico Letta herum eine Regierung in Italien zu bilden. Enrico Letta ist ein Mitglied der Demokratischen Partei, und er hat jetzt gesagt, er akzeptiere, aber er sei von der Zeit terrorisiert, in der er diesen Auftrag bekommt. Wie beurteilt die Bundesregierung diese Entwicklung der Lage in Italien? Wie betrachten Sie eine mögliche zukünftige Zusammenarbeit mit einer Regierung Enrico Letta?

Wie würden Sie den Fall beurteilen, dass diese Regierung - das wird sie wahrscheinlich - auch von Berlusconi und seiner Partei unterstützt wird und dass Berlusconi und seine Partei auch eine Rolle spielen werden?

StS Seibert: Dabei handelt es sich um innenpolitische Entwicklungen in Italien, die ich als Sprecher der Bundesregierung nicht zu kommentieren habe.

Zusatzfrage: Aber wir haben jetzt einen Premier. Ist das eine Entwicklung, die die Bundesregierung erwartet hat?

StS Seibert: Nein, das ist eine Entwicklung, die die Bundesregierung mit großem Interesse verfolgt, wie schon seit geraumer Zeit.

Frage: Ich habe eine Frage zur Passagierdatei. Das EU-Parlament in Brüssel hat diesen Vorschlag zur Errichtung einer Flugpassagierdatei gerade abgelehnt. Ich wollte wissen, wie die Bundesregierung dazu steht.

Teschke: Dazu kann ich Ihnen im Moment noch nichts sagen. Dafür ist es zu früh.

Frage: Herr Seibert, ich wüsste gern, ob die Bundeskanzlerin froh ist, dass Sie am Donnerstagabend länger als erwartet Zeit haben wird, weil die Sitzung des Koalitionsausschusses ausfällt.

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin stellt sich den Terminen so, wie sie kommen, und beklagt sich nicht über Termine. Sie beklagt sich auch nicht, wenn es einmal keine gibt; das ist aber selten der Fall.

Zusatzfrage: Ist die Bundeskanzlerin froh, dass es keine Sitzung des Koalitionsausschusses geben wird, weil es offenbar auch keinen Gesprächsbedarf mehr zwischen CDU/CSU und FDP gibt?

StS Seibert: Ehrlich gesagt handelt es sich dabei, dass Gespräche nur im Koalitionsausschuss geführt werden können, um einen, wenn ich das so sagen darf, alten Irrtum mancher Journalisten. Natürlich gibt es nahezu ständig Gespräche zwischen den Koalitionspartnern. Die führen dann dazu, dass das Bundeskabinett - wie auch heute wieder - immer wieder neue und wichtige Projekte vorantreibt.

Frage: Herr Kotthaus, was hält denn das Finanzministerium von Vorschlägen zur Reform der strafbefreienden Selbstanzeige, die jetzt im Zuge des Falles Hoeneß aufkommen?

Kotthaus: Darf ich erst kurz etwas zu unseren brasilianischen Gästen sagen? - Sejam bemvindos! Como a minha mãe é Brasileira é um prazer muito especial de ver vocês aqui. - Das musste jetzt sein!

Zur strafbefreienden Selbstanzeige: Sie wissen, dass gerade diese Koalition die strafbefreiende Selbstanzeige massiv verschärft hat, und zwar erst 2011. Sie hat sie in fast jeder Hinsicht verschärft. Sie hat sie verschärft, was die Voraussetzungen betrifft, unter denen man überhaupt in den Genuss der Strafbefreiung kommen kann. Das soll heißen: Es muss mittlerweile so sein, dass die Anzeige für jede Steuerart komplett ist. Es gibt also kein "Ein-bisschen-Anzeigen" oder ein "Ein-bisschen-hinterher-Anzeigen", sondern die Anzeige muss komplett sein. Sie hat sie verschärft, was das Datum betrifft, bis zu dem man sie stellen kann; das ist nach vorne verlagert worden. Sie hat sie verschärft, was die Regelung betrifft, dass eine Strafbefreiung im engeren Sinne nur bis zu einem Betrag von 50.000 Euro möglich ist. Danach kann von der Strafverfolgung abgesehen werden, wenn man einen erhöhten Zinssatz auf die Strafe bezahlt.

Die strafbefreiende Selbstanzeige per se geht ja, glaube ich, auf 1919 zurück. Sie hat immer zwei Elemente gehabt: Sie hatte das fiskalische Element, dass dadurch Steuereinnahmen erzielt werden konnten, die man ansonsten nicht hätte erzielen können, und sie hatte auch durchaus das bestrafende Element durch die erhöhten Zinsen und die damit einhergehenden Kosten, die damit verbunden sind.

Lange Rede, kurzer Sinn: Sie ist 2011 massiv verschärft worden, und ich glaube, in diesem Rahmen ist sie zurzeit geltendes Recht. Sie hat sich, wie gesagt, über die vielen Jahrzehnte hinweg als Instrument bewährt. Es gibt diese Maßnahme, die Idee einer Strafbefreiung durch eine Selbstanzeige, auch in anderen Bereichen des Strafgesetzbuches. Deswegen gibt es, glaube ich, momentan keinen Bedarf, sie abzuschaffen, sondern die Verschärfung, die jetzt gefordert wird, ist, wie gesagt, schon da.

Zusatzfrage: Gibt es also im Moment keine Überlegung, als Reaktion auf den Fall Hoeneß politisch tätig zu werden?

Kotthaus: Diese Regierung und gerade auch dieser Finanzminister zeichnen sich dadurch aus, dass sie eben nicht hektisch auf Einzelfälle reagieren, sondern versuchen, systemische Lösungen herbeizuführen. Ich will sie jetzt wirklich nicht mit dem fünften Ansatz meinerseits langweilen, indem ich versuche, Ihnen zu erklären, wie intensiv wir das Thema Steuerhinterziehung durch internationale Zusammenarbeit bekämpfen. Dort liegt der Schwerpunkt. Das ist die einzige Chance, die Leute wirklich umfassend zu erwischen, also nicht immer nur auf Einzelfälle zu schauen, sondern umfassende Regelung dazu herbeizuführen, wie wir die Steuerhinterziehung so weit wie möglich bekämpfen können.

Ich glaube, für die Fiktion, dass irgendwann ein Moment eintreten wird, in dem es Steuerhinterziehung nicht mehr geben wird, muss sich wahrscheinlich in der menschlichen Psyche noch einiges wandeln, und das kann noch ein paar Minuten dauern. Aber wir machen es den Steuerhinterziehern so schwer wie eben möglich. Wir versuchen, sie durch internationale Zusammenarbeit überall dort zu erwischen, wo sie glauben, sich verstecken zu können. Damit sind wir eigentlich sehr erfolgreich. Wir wollen einen systemischen Ansatz. Wir wollen einen grundsätzlichen Ansatz. Wir wollen einen internationalen Ansatz. Dabei kommen wir gut vorwärts. Ich glaube, hektisches Ruderschlagen auf Einzelfälle hat keinen Sinn.

Frage: Herr Seibert, am Montag haben Sie gesagt, dass die Kanzlerin wie viele enttäuscht oder sehr enttäuscht sei. Meine Frage: Ist sie inzwischen darüber hinweg?

StS Seibert: Ich habe meinen Worten vom Montag nichts hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Am Montag hatten Sie in indirekter Rede darüber gesprochen. Gibt es auch ein Zitat von ihr, das sie selbst gesagt hat und das Sie sozusagen als O-Ton Merkel wiedergeben können, oder bleibt es bei der Stellungnahme, dass Regierungssprecher Seibert erklärte, dass Frau Merkel enttäuscht oder sehr enttäuscht sei?

StS Seibert: Ich kann mich nicht an indirekte Rede erinnern. Ich glaube, ich habe gesagt: Viele Menschen in Deutschland sind jetzt zu Recht von Uli Hoeneß enttäuscht, und die Bundeskanzlerin zählt zu diesen Menschen. Ich kann hier nicht mehr tun, als hier zu sitzen und zu sprechen.

Zusatzfrage: Gibt es kein Originalzitat der Bundeskanzlerin dazu, wie sie selbst den Fall Hoeneß beurteilt?

StS Seibert: Sie haben doch sonst auch keine Schwierigkeit damit, das, was ich hier sage, wenn ich es für die Bundeskanzlerin ausdrücke, als eine Aussage der Bundeskanzlerin weiterzuverbreiten. Ich finde, die Aussage ist eigentlich klar. Ich glaube, ich muss dem, was ich hier am Montag für die Bundeskanzlerin gesagt habe, nichts hinzufügen. Das ist eine Haltung, die sehr klar ist.

Frage: Herr Kotthaus, Sie haben jetzt gerade noch einmal gesagt, dass sich das Instrument der Selbstanzeige über viele Jahre hinweg bewährt habe. Wenn ich mich recht erinnere, konnten Sie bisher nicht beziffern, in welcher Höhe sich das bewährt hat, also Steuern in welcher Höhe durch Selbstanzeigen oder als Folge von Selbstanzeigen nachträglich eingenommen worden sind. Bleibt es dabei? Ich erinnere mich daran, dass es vor etwa einem Jahr einmal die Meldung in Bezug auf eine dieser Steuer-CDs gab, dass das Bundesfinanzministerium die Einnahmen infolge des Ankaufs dieser Steuer-CD auf 2 Milliarden Euro geschätzt habe. Gibt es eine Gesamtschätzung hinsichtlich dieses Komplexes der Selbstanzeigen bisher immer noch nicht?

Kotthaus: Nein. Wir haben tatsächlich - ich habe auch noch einmal bei uns im Haus nachgefragt - weiterhin keine vernünftig nach Jahren, CDs oder Ähnlichem mehr aufgeschlüsselte Auflistung darüber, was einzelne CDs oder einzelne Jahre durch Selbstanzeigen erbracht haben. Der Hintergrund ist, dass das in den Bundesländern, deren Anzahl Sie kennen, komplett vereinzelt aufgebaut ist. Wir arbeiten auch seit geraumer Zeit an einer generellen Übersicht, da schon genau das Bedürfnis besteht, dabei eine größere Transparenz herzustellen, und da es sicherlich auch für alle Beteiligten nur bedingt befriedigend ist, immer nur einzelne Elemente und einzelne Zahlen von einzelnen Ländern oder aber einzelnen Jahren oder aber einzelnen CDs zu erhalten, ohne dass man die konkret gegenchecken kann. Deswegen ist das eine der Sachen, an denen wir jetzt auch zusammen mit den Ländern arbeiten, nämlich dass es eine größere statistische Transparenz gibt, die aber zurzeit nicht existiert.

In der Vergangenheit waren die CDs sicherlich ein hilfreiches Mittel, um Einzelfälle aufzudecken. Sicherlich haben auch einzelne CDs über das Instrument der Selbstanzeige oder anderes mehr zu erheblichen Steuereinnahmen geführt. Nichtsdestotrotz bleibt jede CD immer nur auf die Datensätze beschränkt, die darauf zu finden sind. Man wird im Endeffekt immer nur einen Teil derjenigen aufdecken können, die sich auf dieser CD befinden, respektive derjenigen, die meinen, auf der CD zu finden zu sein. Das sind alles keine systematischen Ansätze. Das kann alles nicht die Basis für eine Regelbesteuerung sein. Deswegen ist unser Ansatz, diesen internationalen Weg zu wählen, und zwar durch den automatischen Informationsaustausch.

Ich darf noch einmal betonen: Auf diesen Weg haben wir gerade in den letzten Wochen und Monaten sehr viel erreicht, und zwar durch die Initiativen im G20-Millieu und durch die Initiative innerhalb der EU. Wir drücken jetzt mit aller Kraft darauf, dass die EU sowohl geographisch als auch inhaltlich eine Zinsrichtlinie erarbeitet, um den automatischen Informationsaustausch auch europaweit hinzubekommen, und dass sie daran arbeitet, auch mit Drittstaaten zusammenzuarbeiten, also daran, dass das auch mit der Schweiz funktioniert. Ich glaube, dann gibt es keine Chance mehr für die Steuerhinterzieher, sich zu verstecken, weil es hinterher einen automatischen Informationsaustausch gibt. Das ist sicherlich der Weg, den wir beschreiten, aber den wir nicht erst seit dieser Woche und auch nicht erst seit gestern beschreiten, sondern den wir seit Monaten und Jahren beschreiten und auf dem wir ganz gut vorwärts marschieren.

Die Statistik darüber, was Selbstanzeigen wann, wo und wie in der Gesamtheit der Bundesrepublik Deutschland eingebracht haben, ist, wie gesagt, wünschenswert. Ich habe sie noch nicht. Vor allen Dingen sind wir auf die Zusammenarbeit mit den Ländern angewiesen. Bei denen liegt das. Aber das Interesse daran, diese Übersicht zu verbessern, ist eindeutig vorhanden. Wir arbeiten daran.

Frage: Ist dieses Urteil, dieses Instrument habe sich bewährt, ein qualitatives oder sozusagen juristisches Urteil? Lässt sich das also nicht quantitativ erfassen?

Kotthaus: Sie kennen die einzelnen Zahlen, die ich auch kenne. Es gibt immer wieder neue Zahlen, die von den verschiedenen Bundesländern kommen. Daraus kann man entnehmen, dass dadurch Steuermehreinnahmen getätigt werden können. Das ist, wie gesagt, seit Jahrzehnten ein Teil des Instrumentariums. Bevor die Regeln zur strafbefreienden Selbstanzeige 2011 verschärft wurden, gab es auch intensive Debatten über die Sinnhaftigkeit dieses Instruments: Ist es sinnvoll, das beizubehalten? Ist es sinnvoll, das zu verstärken? Was machen wir damit? - Das ganz klare Votum aller Spezialisten und aller Beteiligten war: Es ist erstens sinnvoll, dieses Instrument zu behalten, und es ist zweitens sinnvoll, es zu verstärken. Dementsprechend haben wir auch gehandelt. Die Diskussion, die jetzt wieder - an einem Einzelfall aufgehängt - geführt wird, wurde in dieser Legislaturperiode intensiv geführt, und zwar mit dem ganz klaren Ergebnis: Es ist gut, dieses Instrument beizubehalten, aber wir sollten es auch verschärfen. Das haben wir ja getan.

Frage: Ich wollte auch noch einmal ein bisschen genauer auf den automatischen Informationsaustausch eingehen. Wie sieht denn der Fahrplan für die nächste Zeit aus? Ich glaube, dass diese EU-Zinsrichtlinie auch auf der Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels steht. Wann, stellen Sie sich vor, wird auch mit der Schweiz verhandelt werden?

Kotthaus: Die Behandlung des Europäischen Rats obliegt eigentlich Herrn Seibert, aber wenn ich die Frage kurz beantworten darf: Soweit ich es aus den Verlautbarungen von Herrn Van Rompuy erkannt habe, möchte er das Thema der Steuerhinterziehung beziehungsweise der Steuerverlagerung auf dem nächsten Europäischen Rat ansprechen, weil das auch ein wichtiges Element dafür ist, dass die Staaten ausreichend finanziert sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Gerade im Rahmen der Staatsschuldenkrise haben wir ja festgestellt, dass sicherlich jeder Euro mehr hilfreich ist, der gewonnen werden kann, ohne dass die Steuern erhöht werden, eben dadurch, dass die Steuern durchgesetzt werden. Deswegen haben wir es auch sehr begrüßt, dass dieses Thema auch auf dem Europäischen Rat besprochen werden wird.

Kommen wir jetzt zu der konkreten Diskussion im Ecofin-Rat: Dort lag das Thema der Revision der Zinsrichtlinie seit geraumer Zeit aufgrund der Tatsache etwas auf Eis, dass es zwei Staaten gab, die damit Schwierigkeiten hatten. Sie wissen, dass wir im Steuerrecht immer einstimmig arbeiten müssen.

Jetzt gibt es klare Signale, dass diese Schwierigkeiten - zumindest bei einem Staat umfassend, bei einem anderen arbeitet man noch daran - überwunden sein könnten. Das heißt, wir könnten dann die Diskussion im Rat der Finanzminister wieder schnell aufnehmen, und zwar in zweierlei Hinsicht: Wir könnten sie zum einen in der Hinsicht aufnehmen, dass die EU-Zinsrichtlinie inhaltlich verbreitert wird. Momentan betrifft sie nur Zinsen. Wir hätten, wie Sie von der Initiative der sechs Staaten aus Dublin wissen, gerne alle Kapitalerträge darin enthalten. Das würde ein echter Quantensprung bedeuten, was die Einnahmeseite für den Staat betrifft.

Zum Zweiten hätten wir gerne - und wir drängen darauf -, dass dieses Modell der EU-Zinsrichtlinie mit dem automatischen Informationsaustausch auch auf Drittstaaten ausgeweitet wird, und zwar sowohl geografisch als auch inhaltlich. Dafür wiederum muss die Kommission ein Verhandlungsmandat haben. Dieses Verhandlungsmandat war in der gleichen Form mit Durchsetzungsschwierigkeiten beseelt wie die Erweiterung der Zinsrichtlinie als solche.

Ich glaube, in der jetzigen Dynamik und in der jetzigen Situation - wenn man die verschiedenen Stellungnahmen der Länder in Washington gehört hat, wenn man gehört hat, dass die Schweiz erklärt hat, dass sie eigentlich das System des automatischen Informationsaustausches gut findet, wenn Sie den luxemburgischen Premierminister und andere gehört haben - sind wir auf dem Weg, dass diese Hindernisse, die sehr lange den Weg blockiert haben, gerade dahinschmelzen, vielleicht ein bisschen wie der Schnee in der Sonne in Berlin mittlerweile - es ist ja auch schön, dass der Winter vorbei ist -, und dass wir dann zügig voran arbeiten können.

Noch einmal: Ich kann Ihnen nicht sagen, wie schnell das gehen wird. Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie weit diese Staaten sich in der Lage sehen, ihre Blockade endgültig aufzugeben. Es gibt eben das Prinzip der Einstimmigkeit. Nichtsdestotrotz: Von unserer Seite werden wir sicherlich beim kommenden Rat und bei jedem anderen Rat darauf drängen, schnell vorwärts zu marschieren. Aber ich habe den Eindruck, dass genau das jetzt gerade passiert. Wenn Sie sich das Treffen in Dublin angucken, wenn Sie sich das Treffen in Washington angucken, dann fallen all die richtigen Worte. Es werden all die richtigen Punkte gesetzt. Wir haben überall die richtigen Signale aufgestellt. Ich glaube, die Züge haben langsam freie Fahrt.

StS Seibert: Wenn ich dazu etwas ergänzen darf: Sie fragten nach Zeitplänen. Ich würde gerne einen verwandten Bereich ansprechen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien setzen sich international stark dafür ein, dass das Thema der Steuervermeidung durch internationale Konzerne auf die Tagesordnung kommt, also das Thema des geschickten Ausnützens der verschiedenen Steuerregime, mit dem sich diese Konzerne der Zahlung ihres fairen Steueranteils entziehen. Das ist ein Thema, bei dem Deutschland, Frankreich und Großbritannien intensiv zusammenarbeiten und das ein wichtiges Thema beim G20-Gipfel im St. Petersburg im September sein wird. Das ist auch das richtige Forum dafür.

Kotthaus: Wenn ich noch einmal ergänzen darf: Wir haben es geschafft, genau diese Themen sowohl bei der IWF-Frühjahrstagung in Washington als auch beim G20-Finanzministertreffen auf die Agenda zu setzen. Sie kennen den weiteren Zeitplan vor St. Petersburg. Da ist das Treffen der Finanzminister im G20-Rahmen im Sommer in Moskau. Es gibt die klare Zusicherung der OECD, dass nach der Analyse der Probleme, die wir zu Beginn des Treffens in Moskau hatten - wie können Großkonzerne international operieren, um Steuern drücken, die sie eigentlich zahlen sollten -, ein Aktionsplan kommen soll. Was kann man konkret dagegen tun? Das wird ein Teil der Diskussion sein, die bei dem G20-Finanzministertreffen im Juli in Moskau stattfinden wird.

Es sind, wie Herr Seibert richtig gesagt hat, immer diese beiden Elemente: einmal Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch automatischen Informationsaustausch und zum Zweiten Verhinderung der Tatsache, dass Konzerne sich heute nicht mehr vor Doppelbesteuerungen fürchten müssen, sondern dass die Staaten sich davor fürchten müssen, dass das aufgrund der Ausnutzung der Steuerkonstruktionen, die einzelne Firmen haben, gar keiner mehr versteuern kann. Beide Elemente sind wichtig. Beide Elemente müssen aber auch getrennt behandelt und getrennt gesehen werden. Sie ergeben zusammen einen Fokus.

Frage: Herr Kotthaus, spielen bei den Gesprächen über all das, was Sie jetzt berichtet haben - Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Schwarzgeld, Geldwäsche innerhalb der Europäischen Union, G20-Treffen -, irgendwann einmal mögliche internationale illegale Fußballspielertransfers eine Rolle? Spielt der Sport bei diesen ganzen Fragen eine Rolle? Oder gibt es vielleicht innerhalb der deutschen Steuerfahndungsbeamten spezielle Gruppen, die darauf spezialisiert sind? Oder fällt das noch nicht unter Ihren Blickwinkel?

Kotthaus: Sie sagten gerade "illegaler Fußballspielertransfer"?

Zusatzfrage: Gelder, die im Zuge von Spielertransfers anfallen.

Kotthaus: Da muss ich jetzt leider passen. Aus meiner schlichten Perspektive ist mir das noch nicht untergekommen. Ich kann mich aber kurzfristig bei den Kollegen kundig machen, die tief in dem Thema sind, und mich dann dazu melden. Ich kann die Frage momentan weder positiv noch negativ beantworten. Es ist sicherlich in den Diskussionen in Washington und Dublin im Fokus der Diskussionen gewesen; das kann ich sicherlich sagen. Ob das unter der Oberfläche ein vertieftes Thema ist, kann ich Ihnen momentan nicht sagen. Das kann ich sicherlich nachliefern.

Frage: Herr Kotthaus, gibt es nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums irgendwo auf dieser Erde nach den Kriterien, die Sie selbst aufgestellt haben, Steueroasen?

Kotthaus: Es gibt Jurisdiktionen, die besondere Modelle anbieten, die genutzt werden können, um die Steuern zu verkürzen. Es gibt momentan, soweit mir bekannt ist, keinen Staat, der sich der Diskussion darüber verweigert, wie man damit umgehen kann, um das zu verhindern.

Zusatzfrage: Es gibt keine Steueroase, wenn ich das richtig zusammenfasse? Sie haben mit Blick auf 2010 diese Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung entwickelt und eine Liste mit Ländern angekündigt, die nach den Kriterien des Bundesfinanzministeriums Steueroasen sind. Die Liste ist bis heute leer. Das ist auch deshalb so, weil kein Land nach Ihren Kriterien eine Steueroase ist. Habe ich das so richtig verstanden?

Kotthaus: Ich habe das deswegen ganz feinsinnig differenziert. Der Begriff "Steueroase" ist, soweit mir bekannt ist, nicht wirklich ein technischer Fachbegriff. Er ist plakativ, er ist griffig. Dieses Gesetz von 2010 sieht vor, dass Länder, die sich den Verhandlungen über diese Probleme verweigern, auf eine Liste gesetzt werden können. Allein der Druck, dass das so ist, hat dazu geführt, dass es momentan keinen Staat gibt, der sich diesen Verhandlungen widersetzt.

Die Tatsache, dass wir in dieser Legislaturperiode fast 40 Informationsabkommen mit Drittstaaten abgeschlossen haben, die Tatsache, dass wir mit all diesen Staaten diskutieren und schauen, wie man das angehen kann, zeigt, dass das Wedeln mit diesem Hebel, mit diesem Knüppel der Listen durchaus funktioniert. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, kann ich momentan hier und jetzt nicht beurteilen. Das Gesetz ist von 2010. Es ist, glaube ich, in den letzten Tagen der früheren Legislaturperiode angeschoben worden und wird seitdem sozusagen angewendet. Es hat den positiven Effekt gehabt, dass alle mit uns im Dialog sind. Ich glaube, die Methode, diese Probleme im Dialog zu lösen, die Methode, auf die Staaten zuzugehen, hat sehr viele Früchte getragen. Ich wage einmal zu behaupten, dass wir ohne diesen Ansatz mit den Staaten in der nächsten Nachbarschaft bis heute nicht so wären, wie wir gekommen sind, weil wir dialogisch vorgegangen sind, ohne mit irgendwelchen Fährden oder anderem zu arbeiten. Daher war dieses Gesetz, was einen anderen Knüppel in die Hand gegeben hat, sehr geeignet, den Dialog aufzunehmen.

Ob man auf Dauer, wenn man feststellen würde, der Dialog dauert ewig, es gibt keine Resultate, etwas dazutun müsste, ist eine andere Frage. Aber dass wir auf jeden Fall mit allen im Gespräch sind, ist sicherlich hilfreich gewesen. Deswegen habe ich meine erste Antwort genauso gewählt, wie ich sie gewählt habe. Der Begriff "Steueroase" ist plakativ und knuffig, aber nicht sehr technisch.

Frage: EU-Kommissionspräsident Barroso will die Sparpolitik nicht mehr. Er hat sinngemäß gesagt, dass er sie für überholt und schädlich hält. Ich wollte wissen, ob es eine Stellungnahme der Bundesregierung dazu gibt und ob sie sich in Angelegenheiten von Brüssel einmischt.

StS Seibert: Wenn ich das sagen darf: Ich glaube, Herr Barroso wäre mit Ihrer Zusammenfassung seiner Rede nicht sehr zufrieden. Diese Zusammenfassung steht Ihnen natürlich offen. Er hat zum Beispiel in seiner Rede wörtlich gesagt: "Wachstum, das auf Schulden aufgebaut ist, ist künstlich. Wachstum, das auf Schulden aufgebaut ist, ist nicht nachhaltig." Das sind Sätze, die würden wir sofort unterschreiben, die haben wir schon oft unterschrieben und die bleiben auch unverändert richtig.

Da gibt es eine große Übereinstimmung zwischen dem Präsidenten der Europäischen Kommission und der Bundesregierung. Die Bundesregierung ist unverändert davon überzeugt, dass wir, wenn wir die Herausforderungen der Krise bewältigen wollen, eben beides brauchen: Das ist zum einen eine entschlossene Konsolidierungspolitik. Das heißt: Defizitabbau, Abbau der Neuverschuldung und einen Reformkurs der Mitgliedstaaten. Nur so erreichen wir tragfähige öffentliche Finanzen. Nur so erreichen wir Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften. Da gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen der Bundesregierung und dem Präsidenten der Europäischen Kommission.

Wir befinden uns im Europäischen Semester. Die EU-Kommission hat jetzt Stellungnahmen zu den Defiziten der einzelnen Mitgliedstaaten auf der Basis des Stabilitäts- und Wachstumspaktes abzugeben, der dafür die Rechtsgrundlage bildet und der auch Spielräume bietet, die die Kommission natürlich ausnutzen kann. Wie gesagt: Da sehe ich keinen Unterschied zwischen Herrn Barroso oder dem Bundesfinanzminister oder der Bundeskanzlerin. Nachhaltiges Wachstum wird nur erreichbar sein, wenn Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern oder Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen.

Bedenken Sie, dass 90 Prozent des Wachstums weltweit und außerhalb der Europäischen Union geschieht. Das heißt, es müssen Produkte entstehen, die vermarktbar sind. Es müssen also Rahmenbedingungen entstehen, die privates Kapital, das in Europa im Übrigen reichlich vorhanden ist, dazu bringen, zu investieren.

Es müssen also Rahmenbedingungen für Unternehmen entstehen. Bürokratieabbau, die einfachere Gründung von Unternehmen - das sind wesentliche Punkte. Ich glaube, es ist vollkommen klar, dass es sich immer um beides handelt: Abbau der Verschuldung - denn die Verschuldung ist eine Hauptursache dieser Krise - und Aufbau von neuen, besseren, flexibleren und wettbewerbsfähigeren Strukturen.

Im Übrigen haben sich die europäischen Länder vor einiger Zeit verpflichtet, sechs Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit einzusetzen, die tatsächlich unser wirklich drängendstes Problem in Europa ist. Jetzt kommt es bald darauf an, zu konkretisieren, wie dieses Geld eingesetzt werden soll.

Zusatzfrage: Es geht ja nicht darum, dass die Überschuldung abgebaut werden sollte. Die Frage ist, ob die heute angewendete Sparpolitik das richtige Mittel dafür ist. Darüber hat der Kommissionspräsident gesprochen. Er hat ausdrücklich gesagt - ich habe den Text nicht vorliegen -, dass diese Politik an ihre Grenzen gestoßen sei. Darauf hätte ich gerne eine Antwort.

StS Seibert: Gut. Und ich habe Ihnen die Antwort für die Bundesregierung gegeben. Es gibt eine große Übereinstimmung zwischen der Europäischen Kommission und der Bundesregierung, dass beides notwendig ist: Defizitabbau, wo wir schon große Fortschritte gemacht haben, wie die letzten Zahlen auch wieder gezeigt haben, und Wettbewerbsfähigkeit muss wiederhergestellt werden. Auch da gibt es Fortschritte. Und wir müssen konkret Maßnahmen ergreifen, um die Jugendarbeitslosigkeit einzudämmen, um sie zurückzuführen. Dafür ist Geld zur Verfügung gestellt worden. Dieses muss in konkrete spezifische Projekte geleitet werden. Da freuen wir uns auf die Vorschläge, die die Europäische Kommission zu machen hat.

Kotthaus: Ich weiß nicht, ob Sie den Text von Herrn Barroso gelesen haben. Ich habe ihn vorliegen und kann ihn gerne vorlesen. Was Sie sagen, ist einfach eine Verkürzung seiner Aussage. Er sagt glasklar, dass die größte Herausforderung Schulden sind und dass wir sie abbauen müssen. Das sagt er glasklar und ohne Wenn und Aber. Manchmal muss man sich die Mühe machen und den Text komplett durchlesen und nicht nur die Tickermeldungen.

Da gibt es keinen Widerspruch. Die Tatsache, dass die Gelder, wie Herr Seibert gerade gesagt hat, für Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung gestellt werden, die Tatsache, dass der Vertrag Flexibilitäten beinhaltet, wenn sich plötzliche Verschlechterungen ergeben, was den Defizitabbau betrifft, ist ja richtig. Die Tatsache, dass die Kommission gesagt hat, dass sie die Strukturfonds noch klarer und gezielter ausgeben wird, ist auch richtig. Aber ich sehe keinen Widerspruch zwischen der Linie, die Europa - und nicht Deutschland - verabredet hat, und den Aussagen des Kommissionspräsidenten.

Frage: Heute liest man in den deutschen Zeitungen von einer Rebellion Brüssels gegen Berlin, und zwar genau wegen solcher Äußerungen von hochrangigen Vertretern der EU wie dem Kommissionspräsidenten. Ein Aspekt in all diesen Diskussionen sind auch Forderungen nach einer längeren Anpassungsfrist für diejenigen Länder, die sich in einem Programm befinden. Merkt die deutsche Regierung einen solchen Druck aus der Europäischen Kommission und anderen europäischen Ländern?

Kotthaus: Nein.

StS Seibert: Der Druck, den wir empfinden, stammt aus der Tatsache, dass wir die Krise immer noch nicht hinter uns haben. Wir haben große Fortschritte bei der Bewältigung der Krise gemacht und wir haben in Europa einiges an Vertrauen zurückgewonnen. Das lässt sich auch an der Entwicklung von Zinsen und Anleiherenditen ablesen. Gegenüber der Situation von vor vielleicht zwölf Monaten ist das ein konkreter Vorteil, den Länder jetzt haben. Druck macht uns insofern, dass wir wissen: Diese Politik, die wir erfolgreich eingeleitet haben - eine Politik von Defizitabbau und Strukturreformen -, müssen wir weiterführen, denn sie hat uns einiges Vertrauen zurückgebracht. Es wäre falsch, jetzt - immer noch mitten in der Krise - die Politik zu wechseln.

Kotthaus: Ich fand das, was Frau Lagarde in Washington gesagt hat, sehr interessant. Sie hat dort noch einmal darauf hingewiesen, dass wir im Nachgang zu der Lehman-Brothers-Krise und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise durch eine sehr tiefe Krise gegangen sind und dass es dementsprechend auch eine gewisse Zeit braucht, bis diese Krise bewältigt ist. Das ist sicherlich eine Analyse, die zutreffend ist - wir alle erinnern uns daran, dass wir in Deutschland einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukt von 5,5 Prozent hatten.

Aber wir sehen jetzt ja die Erfolge. Die Exporte auch in den Peripherieländern steigen ja an, die Länder werden wettbewerbsfähiger. Wir sehen, wie Herr Seibert gerade richtig gesagt hat, dass die Zinsen für Anleihen in ganz Europa drastisch gesunken sind. Wir haben ein erhöhtes Vertrauen der Finanzmärkte, wir haben sehr viele Erfolge erzielt. Das muss sich natürlich noch an den Arbeitsmärkten auswirken. Auch da gibt es erste Signale - auch aus Griechenland -, dass sich die Lage stabilisiert, mit einer leichten Tendenz nach oben.

Das ist für viele Staaten ein harter Kurs, und für den Einzelnen kann das sicherlich eine sehr harte Zeit sein. Das Ergebnis wird aber sein, dass wir wettbewerbsfähige Staaten haben, die ein nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Arbeitsplätze produzieren können. Das ist der Kurs, für den sich Europa entschieden hat, den die Staaten in den letzten Jahren sehr konsequent gegangen sind und der sicherlich auch zu einem positiven Erfolg führen wird. Ich glaube auch, dass dieser grundsätzliche Kurs in der EU weiterhin von hohem Konsens getragen wird und dass die anderen Maßnahmen, die ergriffen worden sind - inklusive derer, die Herr Seibert gerade aufgeführt hat -, sicherlich geeignet sind, um die negativen Begleiterscheinungen abzudämpfen.

Zusatzfrage: Sie haben von den 6 Milliarden Euro gesprochen, deren Bereitstellung für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa beschlossen worden ist. Erstens: Finden Sie diesen Betrag angesichts der Masse des Phänomens - die Jugendarbeitslosigkeit liegt in etlichen Ländern Südeuropas bei über 50 Prozent - ausreichend? Zweitens: Reicht es, nur Geld bereitzustellen, oder braucht man für die Lösung dieses Problems eine radikal andere Herangehensweise? Denn wie lange können die betroffenen Länder mit solchen Arbeitslosenzahlen stabil bleiben?

StS Seibert: Ich glaube, wir sind uns völlig einig, dass 6 Milliarden Euro - was eine Menge Geld ist - nicht ausreichen werden, um jedem arbeitslosen europäischen Jugendlichen eine dauerhafte Beschäftigung zu bringen. Das ist aber auch nicht das Einzige, was getan wird. Sie fragen: Reicht denn Geld allein? Ich glaube, da sind wir genau am Kern des Problems: Nein, mit Geld, mit Maßnahmen, mit Projekten allein kann man nicht dauerhafte nachhaltige Beschäftigung schaffen. Dazu braucht man vielmehr eine Wirtschaft, die funktioniert; denn nur eine private Wirtschaft, die funktioniert und die die richtigen Rahmenbedingungen hat, ist in der Lage, jungen Menschen auf Dauer Hoffnung zu geben. Dazu braucht es staatliche Reformen im Arbeitsmarkt und bei der Ausbildung junger Menschen. Genau da setzen wir ja auch an.

Es gibt auch nicht nur dieses 6-Milliarden-Euro-Paket. Deutschland ist mit vielen Ländern in Europa sehr aktiv dabei, Berufsbildungserfahrungen zu teilen, sodass sich auch konkret etwas ändert. Es gibt da erste Pilotprojekte. Die Bundesarbeitsministerin könnte ein Lied davon singen, wie viel sie darüber mit ihren europäischen Partnern schon gesprochen hat. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Teil; denn genau das sind die Strukturreformen, die ergriffen werden müssen, damit Generationen auf Generationen von jungen Leuten nicht in die Arbeitslosigkeitsfalle laufen, in der sie jetzt stecken.

Peschke: Weil Herr Seibert das gerade erwähnt hat und das duale Ausbildungssystem in Deutschland im Moment europaweit mit sehr viel Interesse betrachtet wird: Heute Nachmittag wird im Auswärtigen Amt eine gemeinsame Konferenz von Minister Westerwelle und Ministerin Wanka zum Thema duale Ausbildung stattfinden. Diese Konferenz ist presseöffentlich und richtet sich durchaus auch an eine europaweite Öffentlichkeit. Sie sind herzlich eingeladen, an dieser Konferenz teilzunehmen - um 14.30 Uhr ist der Beginn -, um sich dieses Modell noch einmal von Nahem erläutern zu lassen und das auch in Ihre Öffentlichkeiten zu transportieren. Das ist ein Thema, das bei Reisen des Bundesaußenministers, aber auch anderer Mitglieder der Bundesregierung, europaweit - gerade in südlichen Ländern, wo das Problem der Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch ist - mit sehr großem Interesse abgefragt und nachgefragt wird und wo geschaut wird: Was macht Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, um die Jugendarbeitslosigkeit, die ja in Deutschland sehr gering ist, so gering zu halten? Sie sind also herzlich eingeladen, sich das anzusehen. Das ist, glaube ich, ein relevantes Thema.

Kotthaus: Vielleicht kann ich auch noch daran erinnern, dass die europäischen Staaten übereingekommen sind, die europäische Investitionsbank EIB mit mehr Geld auszustatten. In dem gestrigen Interview mit EIB-Chef Hoyer, in dem er sehr genau dargelegt hat, wofür dieses Geld verwendet wird - von Solarenergieprojekten in Spanien bis zur neuen Untergrundbahn in Thessaloniki -, ist, glaube ich, auch klargeworden, dass in Europa mehr in Bewegung gesetzt worden ist - und auch in Bewegung gesetzt werden muss - als die 6 Milliarden Euro, die jetzt konkret für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt werden sollen - hinter denen wir aber auch stehen und von denen wir jetzt auch die Konkretisierung erhoffen.

Frage: Noch eine Frage zu den Ausführungen von Herrn Barroso: Er meint, damit eine Politik erfolgreich ist, müsse sie nicht nur gestaltet werden, sondern müsse auch die notwendige gesellschaftliche und politische Unterstützung haben. Teilen Sie seine Meinung? Haben Sie das Gefühl, dass es diese Unterstützung in Europa zurzeit gibt?

StS Seibert: Ich teile seine Meinung, dass eine erfolgreiche Politik die gesellschaftliche Unterstützung braucht, weswegen für diese gesellschaftliche Unterstützung immer wieder mit guten Argumenten geworben werden muss. Die Bundesregierung versucht da ihr Bestes.

Kotthaus: Wenn man sich die Umfragen anschaut - um jetzt einmal vom Bauchgefühl wegzugehen -, kann man durchaus sagen, dass die Zustimmung zum Euro und zur gemeinsamen Währung in den Zeiten der Krise eher gestiegen als gesunken ist.

StS Seibert: Ich will vielleicht noch hinzufügen: Alles, worüber wir hier sprechen, all diese Maßnahmen, all diese Programme und diese Reformbewältigungspolitik, sind ja keine bilateralen Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland mit irgendwelchen Partnerländern, sondern das sind in Europa gemeinsam beschlossene Wege. Insofern liegt die Verantwortung, für diese Wege so zu werben, dass sie auch in der Bevölkerung verstanden werden und unterstützt werden, bei jedem, der an diesen Entscheidungen teilgenommen hat. Die Bundesregierung, wie gesagt, versucht ihr Bestes.

Zusatzfrage: An das Wirtschaftsministerium: Die Ifo-Zahlen für den April sowie die Exportzahlen im März waren eher enttäuschend. Glauben Sie immer noch fest an einen Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte, oder ist dieses Szenario langsam in Gefahr?

Rouenhoff: Wenn wir einmal auf die Auftragseingänge in der Industrie und vor allem auch auf die Inlandsnachfrage nach Investitionsgütern schauen, so sehen wir, dass diese im Februar kräftig zunahm und auch eine Trendwende bei den Investitionen ankündigen konnte. Wir haben auch positive Entwicklungen bei den Einzelhandelsumsätzen und eine Belebung der privaten Konsumausgaben. Insofern gibt es durchaus Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Vielleicht kann ich in diesem Zusammenhang auch direkt darauf hinweisen, dass morgen eine Pressekonferenz zur Frühjahrsprojektion der Bundesregierung stattfinden wird, in der sich der Minister ausführlich zur aktuellen wirtschaftlichen Lage und zu den Aussichten für 2013 und 2014 äußern wird.

Vorsitzender Leifert: Zu dieser Pressekonferenz, die hier in der Bundespressekonferenz stattfinden wird, sind Sie herzlich eingeladen.

Frage: Wenn es erlaubt ist, würde ich gerne noch eine Frage zu dem, was in der ersten Runde zu den Syrien-Flüchtlingen gesagt wurde, stellen. Herr Teschke, gibt es eine Übersicht darüber, wie viele Visa bisher bereits beantragt worden sind oder wie viele Versuche beispielsweise von in Deutschland lebenden Syrern gemacht worden sind, Angehörige nachzuholen, und wie viele dieser Versuche gescheitert sind? Gibt es da irgendeine Übersicht, um wie viele konkrete Fälle es bereits geht? Oder geht es jetzt gar nicht darum, sondern man beschließt ein Kontingent, das dann letztlich in Syrien vergeben wird?

Teschke: Wie gesagt, für Visa-Fragen ist das Auswärtige Amt zuständig; wir sind ja nur für Asylverfahren zuständig. Dazu könnte ich Ihnen bezüglich der Zahlen nur sagen, dass wir seit 2010 natürlich eine immer weiter ansteigende Zahl von Asylgesuchen aus Syrien hatten. Für die ersten drei Monate dieses Jahres sind das 2.474 Anträge gewesen, und 2012 hatten wir insgesamt 7.930 Asylverfahren mit syrischen Bürgern. Insofern haben Deutschland und Schweden insgesamt zwei Drittel aller Syrer aufgenommen, die in Europa Schutz gesucht haben und aufgenommen worden sind. Das wären Zahlen, die ich Ihnen jetzt nennen kann. Zu konkreten Visa-Fragen liegen mir keine Zahlen vor.

Vorsitzender Leifert: Herr Peschke, wollen Sie das ergänzen?

Peschke: Ja, das kann ich gern ergänzen. - Da gibt es keine verlässlichen Gesamtzahlen. Sie wissen ja - und das ist ein großes Grundproblem bei der Erfassung der Daten -, dass wir im Moment keine Botschaft in Damaskus haben, da diese aus Sicherheitsgründen geschlossen werden musste, und dass Visa-Anträge für Syrer aus Syrien, aber auch für syrische Flüchtlinge, in den Nachbarländern von den Botschaften der Nachbarländer - namentlich in Amman, in Beirut und in anderen Nachbarländern - bearbeitet werden. Das ist natürlich ein sehr schwieriger Zustand, der auch nur mit großem Aufwand gelöst werden kann. Es ist für die Menschen dort oft nicht leicht, die Anträge zu stellen, es ist oft nicht leicht, die Anträge zu prüfen. Wir tun da, was wir können, und wo immer uns konkrete Anfragen erreichen, Visa aus humanitären Gründen zu erteilen, versuchen wir - das ist selbstverständlich -, die Sachen so unbürokratisch wie möglich durchzuführen. Das ist in vielen Fällen auch gelungen. Eine genaue Zahl vermag ich Ihnen hier aber nicht zu liefern.

Zusatzfrage: Gibt es denn eine Zahl darüber - die Sie jetzt vielleicht nicht sagen können, die Sie aber nachliefern können -, wie viele Visa-Anträge da gestellt worden sind und wie vielen dieser Anträge stattgegeben wurde beziehungsweise wie viele abschlägig beschieden worden sind?

Peschke: Ich will dieser Frage gerne nachgehen. Ich vermute, ich kann Ihnen diese Information nicht liefern, weil im Grund genommen jeder Visa-Fall als Einzelfall behandelt wird und die Botschaften im Wesentlichen nach Gesamtzahlen erfassen. Wenn sich das konkretisieren lässt, will ich mich gerne noch einmal melden, aber ich vermute, da kann ich Ihnen nicht helfen.

Frage: Herr Peschke, der russische Außenminister hat gestern beim Nato-Außenministertreffen in Brüssel die syrische Opposition scharf kritisiert und sie beschuldigt, nicht willens zu sein, politische Verhandlungen zu führen, sondern eine militärische Lösung anstreben zu wollen. Dazu hätte ich gerne eine Reaktion von Ihrem Hause.

Peschke: Ich bin jetzt nicht da, um Äußerungen des russischen Außenministers zu kommentieren. Wir hatten ja gestern ein ausführliches Treffen der Nato-Außenminister mit dem russischen Außenminister im Rahmen des Nato-Russland-Rates; da gab es eine sehr offene Aussprache zu sicherheitspolitischen Themen von gemeinsamem Interesse, unter anderem auch zum Thema Syrien. Es ist offensichtlich, dass es zum Thema Syrien zwischen Russland und uns sowie auch unseren Verbündeten in der Nato unterschiedliche, divergierende Ansichten gibt. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, diese Ansichten zu überbrücken und zu einer gemeinsamen Position - zum Beispiel auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - zu kommen. Das ist leider nicht gelungen. Es ist auch ein großes Hindernis für eine Lösung des Syrien-Konfliktes, dass im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen keine Einigkeit herrscht - auch aufgrund der Haltung Russlands.

Insofern kann ich Ihnen nur noch einmal sagen, dass die Bereitschaft der gemäßigten Kräfte der syrischen Opposition - die damals ja von Moas al-Chatib, dem ehemaligen Vorsitzenden der nationalen Koalition, geäußert wurde - zur Verhandlung mit verhandlungsbereiten Elementen des Assad-Regimes von unserer Seite sehr begrüßt wurde und dass das ein positiver Ansatz war. Dieser Ansatz ist ja im Wesentlichen daran gescheitert, dass Regimevertreter nicht bereit waren, darauf einzugehen. Das war also eine positive Bereitschaft.

Natürlich müssen auch wir zur Kenntnis nehmen, dass es in Syrien sehr diverse Kräfte gibt. Es gibt das Assad-Regime, dem wir uns entschieden entgegenstellen. Es gibt die nationale Koalition der syrischen Opposition, die eine Übergangsregierung gebildet hat. Das sind die gemäßigten Kräfte der Opposition, die wir sehr unterstützen. Außerdem gibt es - das will ich auch nicht verhehlen - leider auch extreme Elemente in Syrien, die in verschiedenen anderen Ländern als Terrorismusorganisation gelistet sind und deren Aktivitäten wir mit großer Sorge verfolgen. Deswegen ist es in der jetzigen Situation unser Ziel, die gemäßigten Kräfte der syrischen Opposition, diejenigen, die auf ein plurales, inklusives Syrien setzen, nach Möglichkeit zu unterstützen. Das ist unser Ansatz.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 24. April 2013
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/04/2013-04-24-regpk.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2013