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PRESSEKONFERENZ/478: Regierungspressekonferenz vom 10. September 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 10. September 2012
Regierungspressekonferenz vom 10. September 2012

Themen: Medienberichte über Kritik des Bundesrechnungshofs am Einkauf von Handwaffen durch die Bundeswehr, europäische Schuldenkrise, Aufhebung der bisherigen Beschränkungen der Souveränität der Republik Kosovo, Zuschussrente

Sprecher: StS Seibert, Dienst (BMVg), Kotthaus (BMF), Zimmermann (BMJ), Flosdorff (BMAS)



Vorsitzender Fichtner eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Frage: Ich habe eine Frage an das Verteidigungsministerium: Was sagen Sie zur Kritik des Rechnungshofes an der Beschaffungspraxis für Waffen durch die Bundeswehr, die der "Spiegel" veröffentlicht hat?

Dienst: Wenn Sie mich direkt nach dem Bericht des Rechnungshofs fragen, dann kann ich Ihnen sagen, dass uns der Bericht vorliegt, dass er ausgewertet wird und dass dem Rechnungshof dann eine entsprechende Antwort zugehen wird. Mehr kann ich Ihnen dazu im Detail nicht sagen.

Es ist eine Tatsache, dass das Gewehr G36 durchaus Teil der Berichterstattung ist. Das hat verschiedene Ursachen, die mit Sicherheit zum Teil auch im Wettbewerb zu finden sind. Es ist so, dass das Gewehr G36 im Rahmen des normalen Verfahrens eingeführt worden ist, innerhalb dessen Waffen bei uns eingeführt werden - das ist das sogenannte Customer Product Management -, und dass das Gewehr - anders als es manche Berichterstattung vermuten lässt - im Einsatz und in der Ausbildung zu keinerlei grundsätzlicher Beanstandung führt. Dementsprechend kann ich Ihnen hierzu im Moment nichts weiter sagen, schon gar nicht in Bezug auf den Bericht des Bundesrechnungshofs im Speziellen.

Zusatzfrage: Der Hauptvorwurf ist ja, dass der Bericht aussagt, es sei im Verteidigungsministerium kein Konzept bei der Waffenbeschaffung zu erkennen. Was halten Sie dem entgegen?

Dienst: Das Konzept ist das Customer Product Management. Das ist ein langjähriger Prozess, den jedes neu zu beschaffende Waffensystem durchläuft. Dieser Prozess ist auch bei der Beschaffung des G36 angewandt worden. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Finanzministerium und das Justizministerium. Es geht um den Antrag von Herrn Gauweiler bezüglich der EZB. Ist Ihrer Einschätzung nach das Verfassungsgericht die richtige Adresse für diesen Antrag, oder müsste der eigentlich woanders hingehen?

Kotthaus: Ich maße mir vielerlei Kompetenz an, aber weder die, Sprecher des BVerfG zu sein, noch die, Sprecher für Herrn Gauweiler zu sein. Das müssen die beiden unter sich entscheiden. Das BVerfG hat ja ganz normale Entscheidungsprozeduren und auch Entscheidungsfindungsprozeduren. Das muss das BVerfG entscheiden. Das kann ich nicht beurteilen. Wir sind weiterhin zuversichtlich, was den Mittwoch betrifft, aber im Endeffekt liegt es in der Zuständigkeit des BVerfG, mit dem Antrag das zu tun, was es machen möchte.

Zimmermann: Dem kann ich nichts hinzufügen.

Frage: Zumindest eine Regierungspartei hat ja große Sympathie für diesen Schritt von Herrn Gauweiler geäußert, das noch einmal überprüfen zu lassen, und auch für den Termin. Sieht die Bundesregierung es genauso, dass es richtig ist, dass man vor dem Hintergrund der von der EZB angekündigten Anleihenkäufe diese Entscheidung und den Zeitpunkt der Entscheidung noch einmal überprüfen lässt?

Kotthaus: Aus unserer Perspektive hat sich gegenüber dem ursprünglichen Verfahren nichts geändert. Wir haben unsere Argumentation für den ESM ausgiebig dargelegt. Wir sind der festen Überzeugung, dass der ESM und auch der Fiskalpakt verfassungsgemäß sind. Entscheidungen der letzten Woche haben aus unserer Perspektive mit dem Verfahren nichts zu tun.

Frage: Was sagt denn der Regierungssprecher dazu, dass die CSU - in diesem Punkt Herr Dobrindt, wie der Kollege schon anklingen ließ - große Sympathie hat erkennen lassen? Deutet das eventuell darauf hin, dass die Bundesregierung in dieser Thematik nicht ganz mit einer Stimme spricht? Wie reagieren Sie denn insgesamt auf diesen Antrag von Herrn Gauweiler?

StS Seibert: Das hat Herr Kotthaus gerade im Grunde genommen wirklich schon perfekt ausgeführt: Wir als Bundesregierung sind davon überzeugt, dass der ESM verfassungsgemäß ist. Diese Haltung haben wir mit unseren Argumenten vor dem Gericht in Karlsruhe vertreten. Daran hat sich nichts geändert. Wir glauben auch, dass sich in der Sache nichts geändert hat. Dies ist eine Haltung, die die Bundesregierung insgesamt einnimmt.

Zusatzfrage: Lassen Sie die Zwischentöne aus der CSU vollkommen kalt?

StS Seibert: Ich spreche hier für die Bundesregierung und nicht für alle Teile der Parteien, die die Bundesregierung tragen.

Frage: Gibt es denn Einlassungen der Minister der CSU innerhalb der Bundesregierung zu diesem Thema, die in die Richtung dessen deuten, wie sich ihr Generalsekretär geäußert hat?

StS Seibert: Ich bleibe bei der Antwort, die ich gegeben habe, und diese Antwort habe ich als Sprecher dieser Bundesregierung gegeben: Wir sind von der Verfassungsmäßigkeit des ESM überzeugt, wie wir sie auch vor Gericht vertreten haben. Dieser Haltung gilt. Mit diesem guten Gefühl gehen wir in den Mittwoch, und zwar in der Hoffnung, dass das Gericht das auch so sieht.

Frage: Die Troika in Griechenland stößt offenkundig auf Probleme und hat noch nicht alle Auskünfte erhalten, die sie eigentlich bekommen sollte. Macht sich die Bundesregierung Sorgen, wie es in der Vergangenheit auch schon einmal der Fall war, dass die Troika nicht recht vorankommt?

StS Seibert: Nein, Sorgen macht sich die Bundesregierung nicht. Wir haben immer gewusst und ja auch öffentlich gesagt, dass die Arbeit der Troika in Griechenland keine Sache von ein paar Tagen sein wird. Bis dort alle Gespräche geführt sind, bis alle Fragen zufriedenstellend beantwortet sind und bis alle Zahlen zufriedenstellend vorliegen, dauert es eine Weile. Das ist der Prozess. Den haben wir auch in der Vergangenheit erlebt. Insofern sind wir nicht besorgt.

Aber es ist ganz klar, dass die Troika am Ende einen Bericht schreiben muss, der auch wahrheitsgemäß den Zustand in Griechenland und den Grad der Umsetzung des Versprochenen niederlegt, dass dazu ein sehr enger Kontakt bestehen muss und dass sehr viele Auskünfte von der griechischen Regierung gegeben werden müssen.

Kotthaus: Ich meine, das Verfahren ist ein Verfahren des Austausches, des Informationsaustausches und des Hinterfragens. Das ist ja genau das Besondere an diesem Troika-Prozess. Die Troika ist halt die einzige Instanz, die all diese Fragen im Detail klären kann und daher auch klären muss. Dementsprechend ist das ein längeres Verfahren intensiverer Art. Wir müssen einfach abwarten, was dann am Ende die Bewertung sein wird. Wenn alle Fragen geklärt sind und alle Informationen vorhanden sind, dann kann die Troika das ausgiebig bewerten. Aber das ist, wie gesagt, ein Verfahren, das nicht von heute auf morgen funktioniert.

Vorsitzender Fichtner: Dann schieben wir eine Ankündigung zum Kosovo nach.

StS Seibert: Es ist eigentlich keine Ankündigung, sondern eine Würdigung dieses Tages, der für die Republik Kosovo ein besonderer Tag ist. Heute, am 10. September 2012, enden nämlich die bisherigen Beschränkungen der Souveränität dieser Republik. Damit endet übrigens auch das Mandat des Internationalen Repräsentanten in Pristina.

Als Bundesregierung begrüßen wir, dass die Republik Kosovo an diesem heutigen 10. September ihre volle Souveränität erlangt. Kosovo hat in den vergangenen Jahren die notwendigen Reformen durchgeführt, die jetzt dieses Ende der Überwachung beziehungsweise der Einschränkung seiner Souveränität ermöglichen. Dies ist auch ein Zeichen, das die Republik Kosovo damit gesetzt hat, und zwar dafür, dass sie politisch handlungsbereit und auch reformfähig ist. Diesen Weg wird die Bundesregierung weiterhin unterstützen. Das gilt nicht nur für die Bereiche Sicherheit, Kampf gegen Korruption und Kampf gegen Kriminalität, sondern das gilt auch für den wichtigen Bereich der Normalisierung des Verhältnisses mit und der Beziehungen zu Serbien.

Frage: Meine Frage richtet sich an Herrn Seibert oder an Herrn Flosdorff. Am Wochenende war ja viel die Rede von einem großen parteiübergreifenden Konsens in der Rentenpolitik, um zu verhindern, dass Menschen mit geringen Einkommen langfristig in die Altersarmut abrutschen. Meine Frage an die Bundesregierung: Werden Sie sich in diese Konsenssuche aktiv einschalten, ist das noch ein Thema für diese Legislaturperiode, oder ist das aus Ihrer Sicht bei den Parteien und Fraktionen gut aufgehoben?

StS Seibert: Ich will Ihnen gern darauf antworten. Für die Bundesregierung ist der Schlachtplan sozusagen erst einmal klar: Wir unter den Koalitionspartnern, die diese Regierung tragen, beraten jetzt sehr gründlich das Thema, das Frau von der Leyen aufgeworfen hat. Wenn es eine Einigung unter den Koalitionspartnern gibt, dann kann man über weitere Schritte nachdenken. Natürlich wird man sich - da ist man ja der Sache verpflichtet - auch das SPD-Konzept anschauen. Beraten wird aber unter den Koalitionspartnern, und dort wird Einigkeit über das weitere Vorgehen hergestellt.

Flosdorff: Ich kann dem nur beipflichten: Zuallererst ist da natürlich die Regierung zum Handeln aufgerufen. Darüber hinaus ist es aber natürlich hilfreich und zu begrüßen - so sind die Ausführungen von Frau von der Leyen auch zu verstehen -, wenn bei Grundfragen, die das Rentensystem betreffen, auch ein gesamtgesellschaftlicher Konsens da ist.

In diesem Lichte - so intendierte das die Bundesarbeitsministerin - ist es hilfreich und auch bemerkenswert, dass das Konzept, das seit dem Wochenende in der größten Oppositionspartei diskutiert wird, auch viele Übereinstimmungen mit den Vorschlägen der Bundessozialministerin aufweist. Ich möchte nur einmal verweisen auf das Festhalten an der Rente mit 67, auf das Festhalten an der aus demografischen Gründen notwendigen Absenkung des Rentenniveaus sowie darauf, dass die Säule der privaten Vorsorge nicht infrage gestellt wird. Auch die konkreten Vorschläge, die dort zur Lösung der Gerechtigkeitsfrage für Geringverdiener, die jahrzehntelang ins Rentensystem einzahlen, im Raume stehen, bewegen sich doch auch auffallend eng entlang der Prinzipien der Zuschussrente - nehmen Sie nur einmal die Kriterien 30 Jahre Beitragszahlung, 40 Jahre Versichertenzeiten, eine Einkommensprüfung, wie sie in der Zuschussrente vorgesehen ist, oder auch die Höhe von 850 Euro, die da als Betrag genannt ist.

Ganz klar ist aber: Es ist gut, wenn in der Gesellschaft über solche Grundfragen eine weitgehende Übereinstimmung besteht, aber aufgefordert ist natürlich die Regierung und sind die Parteien und Institutionen, die diese Regierung tragen.

Frage: Herr Seibert, Sie sagten gerade, dass jetzt erst einmal die Regierung unter sich einen Konsens finden sollte. Wird sich die Kanzlerin aktiv in diesen Prozess einbringen - Stichwort auch: Verhandlungen mit der FDP -, oder liegt das Ganze jetzt weiterhin schwerpunktmäßig bei der Arbeitsministerin, die ja bereits angekündigt hat, vielleicht auch mit der SPD sprechen zu wollen?

StS Seibert: Das, was ich Ihnen gesagt habe, ist die Überzeugung aller drei Parteivorsitzenden, also auch der Bundeskanzlerin. Natürlich ist sie in dieser Debatte keine Randfigur, vielmehr ist das Kanzleramt da ja auch eingebunden. Insofern weiß ich jetzt nicht ganz genau, wie ich Ihre Frage darüber hinaus noch beantworten soll.

Vorsitzender Fichtner: Gibt es noch Fragen zur Rente? - Dann hat das Verteidigungsministerium noch einmal das Wort mit einer Korrektur.

Dienst: Ich möchte dem Kollegen vom ZDF gegenüber noch einmal sagen: Das von mir angesprochene Beschaffungsverfahren, das Customer Product Management, gilt erst seit 1996 [Anm.: nachträglich richtig gestellt: 2001]. Das Gewehr G36 ist davor nach den damals gültigen Verfahren beschafft worden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich hier zu dem Bericht des Bundesrechnungshofes nichts sagen kann. - Danke.

Frage: Herr Seibert, am Samstag haben sich in Rom die Herren Monti und Van Rompuy getroffen und gesagt: Es wäre schön, wenn man einen Sondergipfel der Europäischen Union organisieren könnte, um das "europäische Gefühl" zu verstärken und gegen die populistischen Kräfte in Europa zu kämpfen. Wäre die Bundesrepublik damit einverstanden, einen solchen Sondergipfel zu veranstalten?

Sehen Sie eine Gefahr, die von den angesprochenen populistischen Kräften ausgeht? In zwei Tagen wird in Holland ein neues Parlament gewählt, und dort werden wahrscheinlich auch die Populisten bestimmte Kräfte bekommen.

StS Seibert: Ich will hier auf die niederländische Wahl nicht eingehen. Wir, die wir an Europa und an die Notwendigkeit europäischer Einigung - und sogar weitergehender europäischer Vertiefung, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in allen Mitgliedstaaten der EU - glauben, müssen immer dafür sorgen, dass der europäische Gedanke am Leben ist, dass er lebendig ist und dass er auch in jeder neuen Generation wieder verankert ist. Das ist zum Beispiel der Grund gewesen, aus dem die Bundeskanzlerin vor kurzem die Initiative der deutschen Stiftungen "Ich will Europa" mit einem eigenen Gastbeitrag so stark unterstützt hat.

Ob wir dafür nun einen europäischen Sondergipfel brauchen, müssen die Staats- und Regierungschefs miteinander besprechen. Sie haben ja die Möglichkeit, wenn sie im Oktober wieder im Europäischen Rat in Brüssel zusammentreffen. Alles, was wir tun, um diese Krise zu lösen, alles, was wir tun, um das Vertrauen in Europa und auch in die Handlungsfähigkeit Europas und der Eurozone wiederherzustellen, wird auch dazu beitragen, dass Europa insgesamt besser dasteht und dass der Name Europa beziehungsweise Europäische Union wieder strahlt.

Zusatzfrage: Aber ist ein solcher Sondergipfel Ihrer Meinung nach nötig?

StS Seibert: Das werden die Staats- und Regierungschefs miteinander besprechen, wenn sie das nächste Mal zusammenkommen.

Zusatzfrage: Sehen Sie eine Gefahr, die vom Aufstieg populistischer Kräfte in Europa ausgeht?

StS Seibert: Wir müssen in Deutschland und andere Regierungen müssen bei sich immer wieder unseren Bevölkerungen klarmachen, unseren Bürgern klarmachen, welch großen Wert Europa für uns hat und dass dieser Wert weit mehr als ein wirtschaftlicher Wert ist. Das ist die Aufgabe jeder Regierung, und die Bundesregierung bemüht sich da redlich.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 10. September 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/09/2012-09-10-regpk.html?nn=391778
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2012