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BUNDESTAG/7761: Heute im Bundestag Nr. 913 - 26.11.2018


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 913
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 26. November 2018, Redaktionsschluss: 17.49 Uhr

1. Verdienstgrenzen für Minijobs umstritten
2. Vorhaben der Ministerien vorgestellt


1. Verdienstgrenzen für Minijobs umstritten

Arbeit und Soziales/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die von der FDP-Fraktion in einem Gesetzentwurf geplante dynamische Erhöhung der Höchstgrenzen für Verdienste bei geringfügig entlohnter Beschäftigung (Mini-Jobs) und Beschäftigung in der Gleitzone (Midi-Jobs) (19/4764) ist während einer öffentlichen Expertenanhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag bei Gewerkschaftsvertretern auf Ablehnung und bei Arbeitnehmervertretern auf Zustimmung gestoßen.

Die FDP schlägt in dem Gesetzentwurf vor, die Verdienstgrenzen an die Entwicklung des Mindestlohns zu koppeln. Im kommenden Jahr solle die Verdienstgrenze bei geringfügiger Beschäftigung auf das 60-fache des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns festgelegt werden und bei Beschäftigung in der Gleitzone auf das 145-fache des Mindestlohns. Durch diese Änderung werde ein Automatismus eingeführt, der eine Anpassung der bisher starren Grenzen bei jeder Anpassung des Mindestlohns zulasse, wird argumentiert.

Zur Begründung schreibt die Fraktion, die Verdienstgrenzen seien seit 2013 nicht angehoben worden, weil die derzeit starren Regelungen keine automatische Anpassung an die allgemeine Lohnentwicklung zuließen. Mit jeder Erhöhung des Mindestlohns reduzierten sich deshalb die Stunden, die Beschäftigte im Rahmen von Mini- oder Midi-Jobs arbeiten dürfen. Sie könnten damit auch nicht von den Erhöhungen des allgemeinen Mindestlohns oder der Lohnentwicklung insgesamt profitieren.

Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist der Gesetzentwurf, "ökonomisch falsch, arbeitsmarktpolitisch schädlich und gesellschaftspolitisch rückständig". Eine weitere Ausweitung der Minijobzone würde den Fachkräftemangel am deutschen Arbeitsmarkt weiter verschärfen, sagte der DGB-Vertreter Johannes Jakob. Statt einer Ausweitung der Minijobs müsse eine Exit-Strategie entwickelt werden, damit in einer Übergangszeit die Minijobs vollständig in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden könnten.

Minijobs seien ihrer Konstruktion nach eine Falle, hieß es von Seiten der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Sie leisteten durch die fehlende volle Versicherungspflicht einen Beitrag zu niedrigen Renten - insbesondere bei Frauen, sagte NGG-Vertreter Micha Heilmann. "Wir sollten nicht die Anreize für diese Art der Beschäftigung verstärken", betonte er.

Gerald Friedrich von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) verwies hingegen darauf, dass Minijobs gerade kleinen Unternehmen helfen würden, in besonderen Situationen ihre Beschäftigung "passgenau zu organisieren". Die starre Verdienstgrenze führe aber dazu, dass geringfügig Beschäftigte auf Lohn- und Gehaltsanhebungen mit Arbeitszeitreduzierungen reagieren würden. Bei einer Dynamisierung der Verdienstgrenzen sei eine solche "ungewollte" Reduzierung der Arbeitszeit nicht mehr nötig, argumentierte der BDA-Vertreter.

Die Einschätzung, dass bei steigenden Löhnen die Arbeitszeit der Minijobber sinken würde, teilte auch Erik Thomsen, Leiter der Minijobzentrale. Profitieren von einer Anhebung der Verdienstgrenze würden seiner Aussage nach vor allen jene, die momentan nahe an der Grenze von 450 Euro seien. 33 Prozent der Minijobber verdienten derzeit zwischen 400 und 450 Euro. Ebenfalls profitieren würden Personen, die keine versicherungspflichtige Beschäftigung aber mehrere Minijobs ausübten.

Der Sozialrechtler Ulrich Preis nannte den Gesetzentwurf den "völlig falschen Weg". Zentrales Element einer Neuordnung müsse hingegen die Abschaffung der Sozialversicherungsfreiheit für all jene Beschäftigungsverhältnisse sein, die über eine Bagatellvergütung von 100 Euro monatlich hinausgehen, sagte er.

Aus Sicht von Jens Stegmaier vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung darf eine Reform der geringfügigen Beschäftigung nicht - wie mit dem Gesetzentwurf vorgesehen - in Richtung einer Ausweitung gehen. Vielmehr müsse es eine schrittweise Eingrenzung geben, sagte er.

Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln erkannte hingegen den Bedarf für eine Dynamisierung der Verdienstgrenzen. Diese sei nötig, damit die Verdienstgrenzen nicht durch Lohn- und Preisentwicklungen ständig entwertet würden, sondern konstant bleiben könnten.

Zwar sei eine jährliche Anhebung der Verdienstgrenze sinnvoll, urteilte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Wenn bei Midijobs aber die Verdienstgrenze bei 1.333 Euro liegen solle, wie aus dem FDP-Entwurf hervorgehe, bestehe die Gefahr, dass "in nicht geringer Zahl" reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in bei Steuern und Abgaben privilegierte Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt würden, warnte Brenke.

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2. Vorhaben der Ministerien vorgestellt

Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt/Anhörung

Berlin: (hib/LBR) Die geplanten und laufenden Vorhaben und Formate des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Zusammenhang mit der Arbeit der im September eingesetzten Enquete-Kommission "Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt" sind am Montag Thema einer öffentlichen Anhörung der Kommission gewesen. In der vierten Sitzung des Gremiums stellten die Parlamentarischen Staatssekretäre der Ministerien entsprechende Vorhaben ihrer Ressorts vor und beantworteten die Fragen der Abgeordneten und Sachverständigen.

Thomas Rachel (CDU, BMBF) stellte Forschungsinitiativen zu mit der Digitalisierung verbundenen Veränderungsprozessen und Handlungsbedarfen sowie Beispiele für den Transfer von Erkenntnissen in die Berufsbildungspraxis vor: "In der Dachinitiative Berufsbildung 4.0 haben wir gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung für ausgewählte Berufe untersucht, welche Anpassungsbedarfe und Muster sich aus der Digitalisierung ergeben, um Entwicklungen feststellen zu können", sagte er in der öffentlichen Anhörung. Das Jahr 2018 sei etwa mit 24 modernisierten Berufsbildern und einem neuen Ausbildungsberuf, dem Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce, gestartet. Man arbeite außerdem daran, das Berufsbildungsgesetz als ordnungspolitischen Rahmen zu modernisieren. Schwerpunkte seien hier eine Mindestvergütung für Auszubildende und eine verbesserte Durchlässigkeit im System.

An der Lücke zwischen Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage zeige sich, dass die Anreize erhöht werden müssten, die Mobilität und Flexibilität der Auszubildenden zu erhöhen. Aber auch die Ausbildungsbeteiligung kleinerer Betriebe beschäftige das BMBF, da diese immer weniger ausbilden, sagte Rachel. Dies korrespondiere oft mit der Sorge, Mitarbeiter zu finden. Rachel verwies außerdem auf Überlegungen im Ministerium, Start-Ups, die bereits Fuß gefasst haben, als Ausbildungsbetriebe zu gewinnen.

Christian Hirte (CDU, BMWi) betonte, dass die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung gestärkt werden müsse. "Im internationalen Kontext beneidet man uns um das duale Ausbildungssystem. Es ist ein Garant für wirtschaftlichen Erfolg und eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit", sagte Hirte. Das BMWi sei Verordnungsgeber für 301 der 325 Ausbildungsberufe. Man setze vordringlich daran an, dass eine Modernisierung der Ausbildungsverordnungen und Berufsbilder in schnelleren Zyklen erfolge. Die Anforderungen an die Ausbildungsverordnungen seien allerdings sehr unterschiedlich, sodass neben der Vermittlung von Grundlagen im Bereich Digitalisierung genau geprüft werden müsse, "welche berufsbezogenen neuen Inhalte bindend einbezogen werden", sagte Hirte.

Im BMWi werde außerdem sehr darauf geachtet, dass angebotsorientiert über die gesamte berufliche Laufbahn weitergebildet werden könne und Aufstiegsfortbildungen und individuelle Spezialisierungen möglich sind. Durch gemeinsame Aktivitäten könne erstmals seit langem ein leichter Anstieg bei den Ausbildungszahlen beobachtet werden, gleichwohl seien in diesem Jahr knapp 58.000 Lehrstellen unbesetzt. Was die Förderung von überbetrieblichen Bildungszentren angehe, habe man sich einen Fördersatz von 90 Prozent vorgenommen. Klar sei für das BMWi aber auch, dass der Druck auf Betriebe und Menschen durch staatliche Vorgaben und Gesetze nicht noch weiter vergrößert werden dürfe, betonte Hirte.

Die Parlamentarische Staatssekretärin Anette Kramme (SPD, BMAS) erklärte der Enquete-Kommission, dass Überlegungen zum Thema Digitalisierung aufgrund der fünf Gesetzesvorhaben aus dem vergangenen Jahr in ihrem Ministerium noch nicht weit fortgeschritten seien. Mit der Fachkräftestrategie und der Nationalen Weiterbildungsstrategie gebe es aber zwei geplante Vorhaben. "Mit dem Qualifizierungschancengesetz machen wir einen Quantensprung in der Weiterbildung", sagte Kramme. Da die Bundesagentur Mittel übrig habe, würden ihre Aufgaben bei der Weiterbildung für alle, nicht nur für Arbeitslose, gestärkt. "Gleichzeitig wird auch die Weiterbildung Geringqualifizierter massiv ausgedehnt", kündigte Kramme an. In Bezug auf junge Menschen arbeite man daran, dass die Leistungen in der Berufsausbildungsbeihilfe verbessert und der Antragsprozess vereinfacht werde. Mit den überall in der Bundesrepublik verteilten Jugendberufsagenturen habe man zudem ein Mittel an der Hand, das ein Netz spanne, "damit niemand an der Schnittstellen von Schule, Jugendhilfe und Arbeitsverwaltung durch ein Loch fällt", sagte Kramme. Mit dem Ziel der Flächendeckung soll deren Arbeit weiterentwickelt werden.

Die Abgeordneten und Sachverständigen konzentrierten sich in ihren Fragen auf die Problematik der Umschulung. Laut konservativer Schätzungen des BMAS-Fachkräftemonitorings sollen bis ins Jahr 2025 1,3 Millionen Arbeitsplätze wegfallen und 2,1 Millionen neue Plätze entstehen. Bis zum Jahr 2035 geht man bereits von einem neuen Bedarf an 3,3 Millionen Arbeitsplätzen bei einem Wegfall von rund vier Millionen Stellen aus. Auch die Qualifizierung von Lehrern und die Dauer und genauen Prozesse der Anpassung von Ausbildungsverordnungen interessierten die Mitglieder der Enquete-Kommission in ihren Nachfragen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 913 - 26. November 2018 - 17.49 Uhr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2018

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