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BUNDESTAG/6266: Heute im Bundestag Nr. 018 - 17.01.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 018
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 17. Januar 2017, Redaktionsschluss: 09.36 Uhr

1. Linssen: Kein Cum/Ex bei West LB
2. Experten kritisieren Gentechnikgesetz


1. Linssen: Kein Cum/Ex bei West LB

4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex)/Ausschuss

Berlin: (hib/MWO) Der 4. Untersuchungsausschuss des Bundestages (Cum/Ex) hat seine öffentliche Zeugenvernehmung fortgesetzt. Unter Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger (SPD) befragte das Gremium zunächst den Steuerexperten Roman Seer. Professor Seer ist Inhaber des Lehrstuhls für Steuerrecht an der Ruhr-Universität Bochum und veröffentlichte 2013 zusammen mit Marcel Krumm einen Artikel zum Thema "Die Kriminalisierung der Cum-/Ex-Dividende-Geschäfte als Herausforderung für den Rechtsstaat". Bei diesen Geschäften erstattete der Fiskus bis 2012 eine nur einmal abgeführte Steuer mehrfach.

Seer sagte auf eine Frage Krügers, ob ihm bekannt sei, dass bestimmte Leute versucht hätten, durch die Lancierung bestimmter Positionen Rechtsauffassungen zu beeinflussen, dass man einmal bei ihm angefragt habe, ob er ein Gutachten im Sinne des Cum/Ex-Vermittlers Hanno Berger verfassen würde. Dies habe er abgelehnt. Er habe nur einmal einen Beratungsauftrag angenommen, bei dem es um die mögliche strafrechtliche Relevanz der Cum/Ex-Geschäfte gegangen sei. Aus diesem Beratungsauftrag habe sich der etwa ein Jahr später veröffentlichte Artikel entwickelt. Nach Seers Meinung sind die Cum/Ex-Geschäfte bis heute steuerrechtlich umstritten. Bei deren Bewertung gebe es zwei Stränge: den von Professor Christoph Spengel vertretenen - wonach eine mehrfache Steueranrechnung rechtlich zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen sei - und einen diametral anderen Strang. Es sei bis heute "nicht evident", welcher von beiden Recht habe.

Der Gesetzgeber habe selbst nicht klargestellt, wie Leerverkäufe bei Cum/Ex zu behandeln seien, sagte Seer. Einerseits heiße es, mit dem OGAW-IV-Gesetz sei die sogenannte Lücke ab 2012 geschlossen worden, andererseits sei erklärt worden, dass es nie eine Lücke gegeben habe. Aus seiner Sicht habe es steuerstrafrechtlich eine unklare Rechtslage gegeben. Dies sei der Grund für die Veröffentlichung des Artikels gewesen, bei dem es um die rechtsstaatlichen Grenzen in einer solchen "misslichen Situation" gegangen sei. Es habe sich mitnichten um eine Einschätzung der Cum/Ex-Konstruktion gehandelt, diese habe ihm auch nicht gefallen. Auf eine Nachfrage des Linke-Obmanns Richard Pitterle zur Möglichkeit des doppelten wirtschaftlichen Eigentums sagte Seer, er sei "kein Freund dieser Auslegung", aber sie sei "nicht völlig abwegig". Der Bundesfinanzhof habe sie 2014 nicht von vornherein verworfen. Zudem habe der Gesetzgeber ab 2006 gewusst, wie die Cum/Ex-Geschäfte funktionierten. Wenn es so klar gewesen sei, wie von Spengel dargestellt, "warum ist das von der Bundesregierung nie so gesehen worden?", fragte Seer.

Der nächste geladene Zeuge, Hans-Jürgen Niehaus, machte von seinem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch. Zur Begründung führte der Anwalt des Ex-Vorstands der früheren WestLB an, dass die Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen ihn wegen möglicher Cum/Ex-Geschäfte ermittle. Krüger brach die Vernehmung daraufhin ab. Niehaus ging 2013 zur HSH Nordbank.

Danach befragte das Gremium Helmut Linssen. Der CDU-Politiker war von 2005 bis 2010 Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und damit als Mitglied des Aufsichtsrates auch mitverantwortlich für die WestLB. Linssen ist heute Finanzvorstand der RAG-Stiftung. Er schloss im Verlaufe seiner Vernehmung mehrfach aus, dass die WestLB zu seiner Amtszeit in Cum/Ex-Geschäfte verwickelt gewesen sei. Er habe sich im Mai 2009 im Ergebnis einer Kleinen Anfrage im Landesparlament an den Vorstand der WestLB gewandt und gefragt, "ob da was gewesen ist". Ihm sei versichert worden, dass es solche Geschäfte nicht gebe und nie gegeben habe. Auch diverse Überprüfungen, so von PwC und Ernst & Young, hätten nichts zutage gefördert. "Überall Fehlanzeige", sagte Linssen.

Er habe sich auch sonst nie mit dem Thema Cum/Ex beschäftigt. Was er kenne und ihn sehr beschäftigt habe, seien die fehlgeschlagenen Spread-Geschäfte 2006 und 2007, mit denen die Bank 600 Millionen Euro verloren habe. Daraufhin sei der Eigenhandel der Bank eingestellt worden und es habe personelle Konsequenzen gegeben. Auch die Aktion mit DaimlerChrysler-Aktien 2007 im Rahmen eines Dividendenstripping-Deals sei ihm bekannt gewesen. Dabei habe es sich aber um ein normales Trading-Geschäft gehandelt. "Ich gehe bis heute davon aus, dass es Cum/Ex bei der WestLB nicht gegeben hat", sagte Linssen. Auf Fragen von CDU/CSU-Obmann Christian Hirte und Grünen-Obmann Gerhard Schick nach der Erfüllung des Kontrollauftrags des Aufsichtsrats sagte Linssen, die WestLB sei in seinem Hause "tägliches Programm" gewesen. Von SPD-Obmann Andreas Schwarz nach einem möglichen Eigenleben der Bank gefragt, sagte Linssen, er könne ausschließen, dass die WestLB eine Strategie verfolgt habe, die nicht die volle Unterstützung des Finanzministeriums gehabt habe.

Als letzten Zeugen befragte der Ausschuss Levin Holle, im Bundesfinanzministerium (BMF) für die Finanzmarktpolitik zuständiger Abteilungsleiter. Darunter fällt auch die Finanzdienstleistungsaufsicht. Holle leitet die Abteilung VII des BMF seit Anfang 2012. Zuvor war er Senior Partner der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Nach eigenen Angaben hatte er in dieser Funktion mit Steuern nie etwas zu tun.

Holle sagte aus, dass er im Laufe des Jahres 2012 durch einen Bericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu einem Institut auf das Thema Cum/Ex aufmerksam wurde. Die BaFin habe klargestellt, dass es zwar keine neuen Risiken gebe, den Praktiken der Vergangenheit aber nachgegangen werden müsse. Sie habe dann den Kontakt mit den Steuerbehörden und den Staatsanwaltschaften intensiviert und andere Institute befragt. Dazu habe es keiner Weisung bedurft, die Behörde habe die Aufklärung von selbst weiter vorangetrieben und auch die Bankenbefragung durchgeführt.

Nach der Maple-Insolvenz habe seine Abteilung darum gebeten, immer auf dem aktuellen Stand gehalten zu werden. Es gebe einen "sehr intensiven Austausch". Zu der kolportierten Schadenssumme von zwölf Milliarden Euro sagte Holle, ihm sei keine Übersicht bekannt, die auf eine Gesamtzahl in dieser Größenordnung hindeute. Aus seiner Sicht können sich solche Vorgänge auch nicht wiederholen. Zum einen sei die staatliche Seite vorsichtiger im Umgang mit den Banken geworden, zum anderen habe die BaFin ihre Mitarbeiterzahl massiv erhöht, könne Prüfungen jetzt selber vornehmen, und es gebe seit Ende 2015 einen verbesserten Informationsaustausch mit den Steuerbehörden. Dazu komme die Europäisierung der Bankenaufsicht und die deutliche Erhöhung der Sanktionsmöglichkeiten.

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2. Experten kritisieren Gentechnikgesetz

Ernährung und Landwirtschaft/Anhörung

Berlin: (hib/EIS) Der Entwurf zur geplanten Änderung des Gentechnikgesetzes durch die Bundesregierung (18/10459) stößt bei Experten auf Kritik. In einer Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestages bemängelten die Sachverständigen, dass der Entwurf zu kompliziert sei. Einerseits erschwere der Entwurf die Durchsetzung eines Anbauverbotes für gentechnisch veränderte Pflanzen (GVO), andererseits könnte durch das Gesetz eine wichtige Zukunftstechnologie riskiert werden. Ausschussvorsitzender Alois Gerig (CDU) erläuterte zu Beginn, dass sich die Anhörung sowohl einem Entwurf der Bundesregierung als auch einem Entwurf des Bundesrates (18/6664) widme, die Anbaubeschränkungen oder Verbote für GVO in Deutschland ermöglichen sollen. Als rechtliche Grundlage dient die sogenannte Opt-out-Regelung auf Grundlage der Richtlinie (EU) 2015/412 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG. Opt-out meint eine Ausnahmeregelung für EU-Mitgliedstaaten, nationale Anbauverbote oder Beschränkungen für gentechnisch veränderte Pflanzen in ihrem Hoheitsgebiet oder in Teilen davon beschließen zu dürfen.

Die Leiterin Gentechnik-Politik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., Heike Moldenhauer (BUND), trat für ein Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen ein. Ihrer Ansicht nach nutzt die Bundesregierung den durch die EU-Richtlinie eröffneten Spielraum nicht aus. Obwohl die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik sogar im Koalitionsvertrag festgehalten seien, werde der Gesetzentwurf der Ablehnung nicht gerecht. "Es werden hohe Hürden aufgebaut, die ein bundesweites Anbauverbot unmöglich machen", meinte Moldenhauer. Die Verantwortung würde auf die Bundesländer abgewälzt. Es sei illusorisch, innerhalb von 45 Tagen ein "Einvernehmen" zwischen sechs Bundesministerien für einen Verbotsbeschluss herbeiführen zu wollen. Ein Veto würde genügen, jedes nationale Anbauverbot zu verhindern. Moldenhauer forderte, die Beteiligung aller Bundesministerien zu streichen. Sollte der Gesetzentwurf verabschiedet werden, leiste dieser einem "Flickenteppich" Vorschub, wenn nicht alle Bundesländer Anbauverbote verhängen. Mittelfristig drohe dadurch der Verlust der Gentechnikfreiheit für in Deutschland erzeugte landwirtschaftliche Produkte.

Die Vertreterin der Bundesländer, Staatssekretärin Beatrix Tappeser vom Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Hessen, hob indes die Vorzüge des Gesetzentwurfs des Bundesrates hervor. Ziel sei ein bundesweit zentrales und einheitliches Verfahren für Beschränkungen oder Verbote für den GVO-Anbau. "Doch dieser Entwurf wurde von der Bundesregierung im Rahmen der Stellungnahme abgelehnt", monierte Tappeser. Der Bundesrat folge jedoch nicht der vom Bund vertretenen Einschätzung, dass eine höhere Rechtssicherheit nur bei Zuständigkeit der Länder erreicht werden könne. Regionale Aspekte könnten auch auf Bundesebene berücksichtigt werden. Aus Sicht der Länder sei der vorgelegte Gesetzentwurf der Regierung deshalb als "enttäuschend" zu beurteilen. Die Abstimmung unter so vielen Beteiligten werde nicht gelingen, kritisierte die Staatssekretärin. Der einfache und schlanke Weg, den die EU durch ihre Vorlage eröffnet habe, werde unnötig kompliziert gemacht. Bundesweite und flächendeckende Anbauverbote würden dadurch in weite Ferne rücken.

Für den Einzelsachverständigen Georg Buchholz erweckte der Gesetzentwurf hingegen den Eindruck, eine gewollte bundesweite Regelung mit dem Ziel eines GVO-Verbots durchsetzen zu wollen. In der Praxis werde der Entwurf allerdings die Umsetzung dieses Ziels erschweren. Buchholz sah im Entwurf der Bundesregierung unnötig aufgebaute Hindernisse, indem die Einwilligung für Verbote und Beschränkungen von sechs Bundesministerien und einer Mehrheit der Bundesländer abhängig ist. Außerdem sah der Sachverständige in der Regelung eine "verfassungswidrige Mischverantwortung" zwischen Bund und Ländern angelegt, die die Rechtssicherheit der getroffenen Beschlüsse infrage stelle. "Der Bundesratsentwurf eignet sich besser", lautete das Fazit des Experten. Der Einzelsachverständige Wolfgang Koehler beurteilte die EU-Richtlinie in ihrer Zielsetzung als eher "gentechnikfreundlich" und weniger als "feindlich". Allerdings mache der Regierungsentwurf seiner Meinung nach alles kompliziert. Für unglücklich hielt Koehler außerdem, dass das Bewertungsverfahren die Diskussion über die ökonomische Sinnhaftigkeit von GVO nicht ermöglicht und sich nur auf den Aspekt der Sicherheit fokussiere. Das sei aber der falsche Ansatz. Schwerwiegende verfassungs-, unions- und welthandelsrechtliche Bedenken äußerte Hans-Georg Dederer von der Juristischen Fakultät der Universität Passau. Seiner Ansicht nach zielt die Änderung einzig auf ein Verwendungsverbot für als sicher befundene Produkte. Denn Verbote würden letztlich gegenüber GVO ausgesprochen, die durch EU-Kontrollbehörden auf Basis wissenschaftlicher Expertisen sowie entsprechend der Sicherheits-, Umwelt- und Gesundheitsregeln erlaubt worden sind. "Das wäre das Ende der grünen Gentechnik", sagte er.

In eine ähnliche Kerbe schlug auch Hans-Jörg Jacobsen vom Institut für Pflanzengenetik der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, der feststellte, dass im Ausland neue Techniken wie das Genome Editing bereits angewendet würden. Der Wissenschaftler befürchtete negative Auswirkungen durch die Einführung des Opt-out im Hinblick auf solche neuen Züchtungstechniken, die er nicht zur Gentechnik zählte und deshalb auch nicht als regelungsbedürftig erachtete. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung bezeichnete Jacobsen allerdings als nachvollziehbar, weil die Forschung in der Bundesrepublik wieder aufgebaut werden müsse. Deshalb forderte er, dass das Einvernehmen des Bundesforschungsministeriums bei entsprechenden Entscheidungen erforderlich sein muss, um die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Begründung für Anbauverbote zu erhalten. Ebenfalls als nicht erforderlich betrachtete Joachim Schiemann vom Julius-Kühn-Institut den Erlass nationaler Anbauverbote für GVO, die auf Grundlage einer wissenschaftlichen Risikobewertung für den Anbau in Europa zugelassen sind. Für Schiemann stelle das Gesetz im Vergleich zur vorherigen Regelung aber eine Verbesserung dar, denn nun müssten die Gründe für Verbote klar benannt werden und mit dem Verweis auf unwissenschaftliche Begründungen erfolgen. Fragwürdige wissenschaftliche Begründungen müssten dann nicht mehr bemüht werden, um politische Entscheidungen zu legitimieren. Der Wissenschaftler warnte in seiner Stellungnahme zudem davor, mit dem Gesetz Innovationen zu behindern. Auch Schiemann sah im Genome Editing ein großes Potenzial und eine wichtige Zukunftstechnologie.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 018 - 17. Januar 2017 - 09.36 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2017

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