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BUNDESTAG/6201: Heute im Bundestag Nr. 711 - 01.12.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 715
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 01. Dezember 2016, Redaktionsschluss: 15.54 Uhr

1. Briten von Snowden weniger beeindruckt
2. Mittel für finanzschwache Kommunen
3. Notfallvertretungsrecht für Ehegatten
4. Grüne fordern Kindergrundsicherung


1. Briten von Snowden weniger beeindruckt

1. Untersuchungsausschuss (NSA)/Ausschuss

Berlin: (hib/WID) In einer Anhörung vor dem 1. Untersuchungsausschuss hat der britische Politologe Richard Aldrich bestätigt, dass die Enthüllungen des US-Geheimdienstkritikers Edward Snowden in seinem Land weit weniger Aufsehen erregt haben als in Deutschland. Es gebe eine Menge Briten, die ganz zufrieden seien mit dem Ausmaß staatlicher Überwachung und sich sogar mehr davon wünschten, sagte Aldrich, der an der Universität Warwick internationale Sicherheitspolitik lehrt, am Donnerstag. Außer ihm hörte der Ausschuss als Sachverständige aus Großbritannien den Unabhängigen Beauftragten für die Aufsicht über die Antiterror-Gesetzgebung, David Anderson, die Referentin für Politik und Datenschutz bei der Menschenrechtsorganisation "Liberty", Silkie Carlo, und den Bürgerrechtsanwalt Ben Jaffey.

Aldrich, dessen Forschungsinteresse in erster Linie den Geheimdiensten gilt, wies darauf hin, dass 90 Prozent der im Internet zirkulierenden Daten in den vergangenen zwei Jahren entstanden seien. Wir erlebten also erst den Anfang einer Entwicklung, mit der der Datenverkehr und damit auch die Möglichkeiten der Überwachung "exponentiell" anwachsen würden. Er sehe, meinte Aldrich, diesen Trend aber nicht pessimistisch.

Zwar werde sich der einzelne Bürger nur noch in eingeschränktem Maße auf den Schutz seiner Privatsphäre verlassen können. Zugleich seien aber auch Unternehmen und Behörden immer weniger in der Lage, ihr Handeln vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Der US-Geheimdienst CIA etwa gehe jetzt schon davon aus, dass er nur noch unter Bedingungen einer "Verzögerung der Offenlegung", also lediglich halb geheim, operieren könne. Hinweisgeber wie Snowden, die bisher mit "unglaublichen Problemen" und "negativen Konsequenzen" zu rechnen hätten, müssten in Zukunft rechtlich besser gestellt werden, forderte Aldrich.

Anderson widersprach dem Eindruck, dass in Großbritannien eine Massenüberwachung stattfinde. Er kenne aus seiner Amtspraxis zahlreiche Mitarbeiter der Geheimdienste GCHQ, MI6 und MI5: "Die Vorstellung, dass diese Menschen unsere Bevölkerung unter vollständiger Kontrolle halten würden, ist einfach lächerlich." Die Massensammlung von Daten, die in der seit dieser Woche rechtskräftigen Novelle des britischen Geheimdienstgesetzes ausdrücklich festgeschrieben ist, sei aber zur Kriminalitätsbekämpfung und Terrorabwehr durchaus sinnvoll. Es gelte immer, zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der öffentlichen Sicherheit abzuwägen. Wichtig seien Transparenz und eine geregelte Kontrolle, die nicht von Enthüllungen einzelner Hinweisgeber abhängen dürfe. Dank besserer Transparenz habe sich die Debatte seit der Snowden-Affäre wesentlich entspannt.

Widerspruch erntete Anderson von der Bürgerrechts-Aktivistin Carlo, nach deren Ansicht es durchaus angemessen ist, in Großbritannien von einer Massenüberwachung zu reden. Das neue Geheimdienstgesetz bewertete Carlo als Lizenz zum Spitzeln. Es verschaffe den staatlichen Spähern Befugnisse zum Abgriff großer Datensätze und zur Vorratsdatenspeicherung, die es zuvor nicht gegeben habe, und müsse unbedingt nachgebessert werden. So bedürfe es auch in Großbritannien der Vorschrift, nach Abhörmaßnahmen Betroffene zu informieren.

Jaffey betonte, dass sich dank Snowden die Zahl der Klagen vor Gericht gegen Maßnahmen der Geheimdienste erhöht habe. Ein Problem seien aber die dehnbaren Formulierungen im Gesetz, die im Zweifelfall immer eine Auslegung zugunsten der Dienste ermöglichten. Ein Problem sei auch, dass vielfach die Interpretation des Gesetzestextes selber als geheim eingestuft sei.

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2. Mittel für finanzschwache Kommunen

Haushalt/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/SCR) Der Kommunalinvestitionsförderungsfonds, ein Sondervermögen des Bundes, wird in diesem Jahr um weitere 3,5 Milliarden Euro aufgestockt. Mit dem Geld sollen über die Länder finanzschwache Kommunen bei Investitionen in Bildungsinfrastrukturen unterstützt werden. Zur haushaltsrechtlichen Ermächtigung der Aufstockung hat die Bundesregierung einen Entwurf für einen Nachtragshaushalt 2016 (18/10500) vorgelegt. Der Entwurf des Nachtragshaushalts 2016 sieht weiterhin keine Nettokreditaufnahme vor. Das Sondervermögen war 2015 mit einem Volumen von 3,5 Milliarden Euro eingerichtet worden.

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3. Notfallvertretungsrecht für Ehegatten

Recht und Verbraucherschutz/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/PST) Für den Fall, dass ein Ehepartner durch Unfall oder plötzliche schwere Erkrankung entscheidungsunfähig ist und keine Vertetungsvollmacht vorhanden ist, soll der andere Ehepartner automatisch ein Vertretungsrecht in medizinischen und damit zusammenhängenden finanziellen Angelegenheiten erhalten. Gleiches soll für eingetragene Lebenspartner gelten. Dies sieht ein Gesetzentwurf des Bundesrates (18/10485) vor, den die Bundesregierung jetzt dem Bundestag zugeleitet hat. Der Bundesrat verweist darauf, dass Ehepartner überwiegend glauben, sie hätten schon jetzt ein solches Vertretungsrecht im Notfall. Tatsächlich aber müsse durch das Betreuungsgericht ein Betreuer bestellt werden, der dann tatsächlich der Ehe- oder Lebenspartner sein kann.

Dem Gesetzentwurf zufolge soll künftig grundsätzlich angenommen werden, dass eine Vertretungsvollmacht für den Gatten besteht, sofern keine entgegenstehende Erklärung des Verunglückten oder Erkrankten vorliegt. Ärzte sollen dem Partner gegenüber von der Schweigepflicht entbunden werden. Diese "Vollmachtsvermutung" soll es allerdings nicht geben, wenn die Partner getrennt leben.

Die Bundesregierung "begrüßt" in ihrer Stellungnahme "grundsätzlich das Anliegen der Länder, dem Wunsch vieler Bürger nachzukommen, im Fall einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls bei der Besorgung ihrer Angelegenheiten von ihrem Partner ohne weitere Formalitäten vertreten werden zu können". Sie unterstützt auch das Ziel der Länder, kurzfristige Betreuerbestellungen zu vermeiden. Allerdings äußert die Regierung Bedenken gegen den dafür gewählte Weg einer gesetzlichen Vollmachtsvermutung. Dieser sei in vielen Fällen nicht praktikabel und vor allem mißbrauchsanfällig. Vorrangig solle daher die weitere Verbreitung der Vorsorgevollmacht gefördert werden. Allerdings hält es die Bundesregierung für denkbar, ein auf die reine Gesundheitssorge beschränktes Notvertretungsrecht für maximal wenige Wochen einzuführen. Erst bei einem längeren Vertretungsbedarf müsste dann ein Betreuer bestellt werden. Dies würde ebenfalls die Betreuungsgerichte entlasten und Missbrauchsgefahren verhindern, argumentiert die Bundesregierung.

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4. Grüne fordern Kindergrundsicherung

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Antrag

Berlin: (hib/AW) Die Teilhabe von Kindern und ihren Eltern, die von Grundsicherung leben, soll nach dem Willen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sichergestellt werden. In einem Antrag fordert sie die Bundesregierung auf, die Regelsätze in der Grundsicherung so zu gestalten, dass sie das Existenzminimum in "ausreichender Höhe" decken und die Teilhabe am sozialen Leben, an Bildung, Kultur und Mobilität ermöglichen. Die Grünen fordern zudem die Einführung einer neuen einkommensunabhängigen Kindergrundsicherung, damit Eltern mit kleinen und mittleren Einkommen für ihre Kinder die gleiche Unterstützung erhalten wie Eltern mit hohen Einkommen, die derzeit von steuerlichen Freibeträgen stärker profitieren. Dies sollte mit einer Reform des Ehegattensplittings gekoppelt werden. Bestehenden Ehen soll dabei eine Wahlmöglichkeit zwischen dem alten Modell der Familienförderung mit Ehegattensplitting, Kinderfreibeträgen und Kindergeld und dem neuen Modell mit Kindergrundsicherung und Individualbesteuerung erhalten.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 711 - 1. Dezember 2016 - 15.54 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2016

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