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BUNDESTAG/6089: Heute im Bundestag Nr. 603 - 19.10.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 603
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 19. Oktober 2016, Redaktionsschluss: 12.38 Uhr

Keine Stützen für autoritäre Regime
Streit über Ausschreibung für Zytostatika
Chancengleichheit im Wissenschaftssystem


1. Keine Stützen für autoritäre Regime

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/Ausschuss

Berlin: (hib/JOH) Der Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) in Ostafrika, Pater Endashaw Debrework, hat die Europäische Union davor gewarnt, autoritäre Regime in Afrika durch Mittel der Entwicklungszusammenarbeit zu stützen. Das Geld käme nicht den Flüchtlingen in den Flüchtlingslagern zugute, sondern würde von den Regierungen für andere Zwecke missbraucht, sagte Debrework am Mittwochmorgen im Entwicklungsausschuss. Darüber hinaus kritisierte er, dass es im Rahmen des sogenannten Valletta-Prozesses versäumt worden sei, die Zivilgesellschaft in den afrikanischen Staaten einzubeziehen. Ohne sie könne dieser jedoch nicht erfolgreich sein.

Auf dem EU-Afrika-Migrationsgipfel in Valletta auf Malta hatten die Staaten im November 2015 einen Aktionsplan beschlossen, der eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Fluchtursachen und dem Kampf gegen Schlepper und Menschenhändler vorsieht sowie die verstärkte Rücknahme davon Flüchtlingen aus Europa. Im Gegenzug wurde ein fast zwei Milliarden Euro schwerer Treuhandfonds ins Leben gerufen, mit dem die Lebensbedingungen in den Herkunftsstaaten vieler Migranten verbessert werden sollen.

Diese Vereinbarung kritisierten im Ausschuss erneut auch die Oppositionsfraktionen. Dass die Auszahlung der Gelder an "Abschottungsmaßnahmen, die Rücknahme von Flüchtlingen und militärische Ertüchtigung" an den Außengrenzen geknüpft würde, sei ein heftiger Widerspruch zu den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit, kritisierte eine Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) müsse dagegen "laut aufschreien". Auch aus den Reihen der Linksfraktion hieß es, Grenzschutz sei keine Fluchtursachenbekämpfung. Leider fühlten sich viele afrikanische Staaten mit Blick auf das EU-Türkei-Abkommen jedoch eingeladen, diesem Beispiel zu folgen und mehr Geld für derartige Maßnahmen zu fordern.

Ein Vertreter der Unionsfraktion warf der Opposition vor, nicht zwischen Migration und Flüchtlingen zu unterscheiden. Es gehe einerseits darum, den Flüchtlingen zu helfen, anderseits müsse aber auch dem Menschenschmuggel Einhalt geboten werden. Um Perspektiven für die Flüchtlinge in den Lagern zu schaffen, könne das derzeit im Nahen Osten im Aufbau befindliche "Cash for work"-Programm des BMZ möglicherweise auch in Ostafrika Anwendung finden. Allerdings müsse bei der Organisation sehr genau darauf geachtet werden, dass keine neuen Konflikte provoziert würden.

Eine Vertreterin der SPD-Fraktion wies darauf hin, dass Flüchtlingen auf der Flucht nach Europa nicht erst auf dem Mittelmeer große Gefahren drohten, sondern auch beim Durchqueren der Wüste. Außerdem würden Flüchtlinge vielerorts Opfer von Versklavung, Folter und sexuellen Übergriffen.

Der Parlamentarische Staatssekretär im BMZ, Thomas Silberhorn (CSU), verteidigte den Schritt der Bundesregierung, den Dialog mit autoritären Staaten wie Eritrea und dem Sudan wieder aufzunehmen. Beide Staaten seien Haupttransitländer für Flüchtlinge, die Bundesregierung müsse wissen, was in diesen Ländern passiere.

Er stellte klar, dass die Mittel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit nicht in Form einer Budgethilfe direkt in die Haushalte der Länder fließen würden, sondern an Organisationen der Vereinten Nationen, die Flüchtlingslager in den afrikanischen Staaten betrieben. Weitere Mittel würden für die Zusammenarbeit in Bereichen wie berufliche Bildung, Wasserversorgung oder Gesundheitsdienstleistungen aufgewandt und direkt durch die Experten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt.

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2. Streit über Ausschreibung für Zytostatika

Gesundheit/Ausschuss

Berlin: (hib/PK) Krankenkassen, Apotheker und Ärzte streiten heftig über die bisher mögliche Ausschreibung für die Herstellung von Krebsmedikamenten (Zytostatika). In einer Expertenrunde im Gesundheitsausschuss machten am Mittwoch die Vertreter der an dem Prozess beteiligten Stellen ihre gegensätzlichen Auffassungen zu dem Thema deutlich. Das Bundeskabinett hatte unlängst mit dem Entwurf eines "Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV" eine Vorlage beschlossen, in der vorgesehen ist, dass auf die Ausschreibungsmöglichkeit künftig verzichtet wird.

Immer mehr Krankenkassen gehen dazu über, die Herstellung und Lieferung der kostspieligen Zytostatika mit Hilfe von Ausschreibungen an jene Apotheken mit dem günstigsten Preis zu vergeben. In Deutschland gibt es nach Angaben der Pharmazeuten rund 300 speziell ausgerüstete Apotheken, die in der Lage sind, Zytostatika herzustellen. Onkologen und Apotheker wehren sich gegen die Ausschreibungen, weil sie befürchten, dass darunter die flächendeckende Versorgungsqualität leidet.

Stephan Schmitz, Vorstandschef beim Berufsverband der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO), sagte im Ausschuss, die Zytostatika-Herstellung sei ein ausgesprochen komplexer Prozess. Mit den Ausschreibungen werde die ganze bewährte Prozesskette ausgeschaltet. Das habe Folgen für die Patienten, denn es gehe nicht nur um die Krebsmittel, sondern auch um die Begleitmedikation, die aus einer Hand organisiert werden müsse, um die Patienten nicht zu überfordern.

Die Spezialmedikamente müssten auch ganz kurzfristig bereitgestellt werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen und eine hohe Qualität zu gewährleisten. Dies sei über ortsferne Ausschreibungen nicht zu erreichen. Vielmehr könne es sein, dass teure Medikamente nicht zur rechten Zeit verabreicht und so unbrauchbar würden. Dies sei nicht zu akzeptieren, wenn eine Fusion 8.000 Euro koste. Mit den Ausschreibungen werde überdies in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingegriffen.

Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Fritz Becker, warnte, die flächendeckende Versorgung mit Spezialapotheken sei durch die Ausschreibungspraxis gefährdet. Er betonte: "Wenn die Labors mal zu sind, geschieht nichts mehr." In der Folge könnten nur noch wenige qualifizierte Apotheken übrig bleiben und frisch hergestellte Präparate über weite Wege zu spät zu den Patienten gelangen.

Vertreter der Krankenkassen und des GKV-Spitzenverbandes widersprachen der Darstellung, die Ärzte würden übergangen und das System ausgehebelt. Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, sagte, es entscheide weiter der Arzt darüber, was verordnet werde. In dessen Entscheidungshoheit werde nicht eingegriffen.

Das Problem mit schnell verfallenden Arzneimitteln habe mit der Ausschreibung nichts zu tun. Die Patienten bekämen auch keine vergammelten Medikamente. "Das ist alles sauber." Für die Patienten ändere sich nichts, weil sie die Arzneimittel nicht selbst in der Apotheke abholen müssten. Das laufe alles über den Arzt.

Johannes Thormählen, Vorstand der Gesellschaft für Wirtschaftlichkeit und Qualität bei Krankenkassen (GWQ) betonte, bei einer Ausschreibung würden Onkologen von maximal drei statt einer Apotheke beliefert. Das könne ja kein Problem sein. Die Praxis zeige, dass die Ausschreibungen auch wohnortnah funktionierten. Es gebe sogar erstmals eine klare Definition für sogenannte ad-hoc-Lieferungen der Zytostatika. So seien 30 Minuten Herstellungszeit vorgesehen und 60 Minuten Lieferzeit. Er könne hier keine verschlechterte Versorgung erkennen.

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3. Chancengleichheit im Wissenschaftssystem

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Bei den Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftssystem gab es in den vergangenen Jahren Fortschritte. Das Tempo der Entwicklung ist aber noch zu gering. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch geladenen Sachverständigen einig. Ob Sanktionen der richtige Weg sind, um zu einem höheren Frauenanteil zu gelangen, blieb hingegen umstritten.

Der Bund verfügt aus Sicht von Jutta Dalhoff, Leiterin des GESIS-Bereichs Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS), durchaus über Stellschrauben zur Schärfung der Instrumente der Gleichstellung. Beim Pakt für Forschung und Innovation beispielsweise zeigten die Monitoringberichte zur Gleichstellung der vergangenen Jahre deutlich, was verändert werden müsste. Konsequenzen daraus würden aber nicht gezogen. Der Bund könne hier bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen als größter Mittelgeber durchaus Einfluss nehmen, befand Dalhoff. Eingehend auf das Professorinnenprogramm, das aus ihrer Sicht "modifiziert weitergeführt werden sollte", forderte sie, Bund und Länder müssten in ihren Förderrichtlinien mehr Verbindlichkeit schaffen. Verbindlichkeit dahingehend, dass die Hochschulen verpflichtet werden, dass durch das Professorinnenprogramm veränderte Gerüst auch mit eigenen Mitteln aufrechtzuerhalten.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) als Drittmittelgeber sieht sich nicht als Instrument, politische Zielsetzungen mittels Sanktionen durchzusetzen, betonte DFG-Präsident Peter Strohschneider. "Wir sind eine forschungsfördernde und nicht eine forschungsnötigende Organisation", sagte er. Strohschneider macht zugleich deutlich, dass Gleichstellung aus Sicht der DFG "Mittel zum Zweck bester Forschung ist und nicht andersherum". Als genderfeindlich bezeichnet der DFG-Präsident den quantitativen Wettbewerbs- und Beschleunigungsdruck. Wenn sich die Beurteilung nach quantitativen Parametern - wie etwa der Zahl der Veröffentlichungen - richte statt nach qualitativen Parametern, gehe das zu Lasten der Frauen, sagte Strohschneider.

Für mehr Entschleunigung sprach sich auch Professor Ulrike Beisiegel, Präsidentin der Georg-August-Universität Göttingen, aus. "Wir brauchen weniger quantitative und mehr qualitative Parameter", forderte sie. Um mehr Frauen in den Wissenschaftsbereich zu bekommen, so Beisiegel, brauche es "ständige Ermunterungen im Alltag an allen Stellen". Gleichstellung müsse Führungsaufgabe werden, forderte sie. Kritik übte sie daran, dass in vielen Bereichen des Managements die Ergebnisse der Geschlechterforschung noch nicht berücksichtigt würden. Mit Blick auf das Professorinnenprogramm und die Feststellung, dass nur ein Drittel der deutschen Hochschulen daran teilnehmen würden, sagte die Universitätspräsidentin, das habe auch damit zu tun, dass das Programm schwierig umzusetzen sei. Gleichwohl sei es sehr wichtig und habe schon viel gebracht.

Für Universitäten und große Hochschulen sei es leichter als etwa für Fachhochschulen, sich für das Professorinnenprogramm zu bewerben, lautete der Erklärungsansatz von Anneliese Niehoff, Vorstandsmitglied der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen. Außerdem sei die Konfinanzierung des Programms seitens der Länder "sehr unterschiedlich gelagert". Niehoff nannte das Professorinnenprogramm dennoch sehr bedeutsam für den Kulturwandel "auch wenn es den Aufwuchs von knapp ein Prozent an Professorinnen möglicherweise auch so gegeben hätte". Sie schlug vor, die Mittel für das Programm zu erhöhen und getrennte Töpfe für verschiedene Hochschultypen einzurichten.

Förderrichtlinien auf Familienplanung auszurichten, forderte Franziska Broer, Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft. Elementar für Gewinnen und Halten der talentierten Wissenschaftlerinnen werde in Zukunft die Kombination von Rekrutierung und Individualförderung einerseits und einer Förderung der institutionellen Weiterentwicklung der Organisationen zu attraktiven Arbeitgebern andererseits sein, sagte Broer.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 603 - 19. Oktober 2016 - 12.38 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2016

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