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BUNDESTAG/5441: Heute im Bundestag Nr. 641 - 03.12.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 641
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 03. Dezember 2015, Redaktionsschluss: 09.28 Uhr

1. Skepsis gegenüber Restitutionsgesetz
2. Sorge um die Religionsfreiheit
3. Korruption im Gesundheitswesen


1. Skepsis gegenüber Restitutionsgesetz

Kultur und Medien/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Experten bewerten Forderungen nach einem Restitutionsgesetz für NS-Raubkunst skeptisch. Allerdings müsse die Provenienzforschung in Deutschland verstärkt und besser vernetzt werden. Dies war der vorherrschende Tenor einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses zum Thema Provenienzforschung und Restitution von verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern während der nationalsozialistischen Diktatur. Grundlage der Anhörung war ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (18/3046), in dem die Fraktion die Bundesregierung auffordert, ihre Maßnahmen auf diesem Feld zu verstärken.

Julius H. Schoeps, Vorstandvorsitzender der Moses Mendelssohn Stiftung, sprach sich als einziger Sachverständiger eindeutig für ein Restitutionsgesetz aus, mit dem das Prinzip der Beweislast umgekehrt wird. Als Vorbild nannte er ein entsprechendes Gesetz in Österreich, nach dem die staatlichen Museen beweisen müssen, dass es sich bei ihren Sammlungsstücken nicht um Raubkunst handelt. In Deutschland müsse ein solches Gesetz sowohl vom Bund als auch von allen Bundesländern verabschiedet werden, sagte Schoeps.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wies diese Forderung zurück. Ein solches Gesetz habe in der Praxis letztlich keine Relevanz. Schon heute könne es sich kein staatliches Museum mehr erlauben, ein Kunstwerk nicht an die Erben der rechtmäßigen Eigentümer zu restituieren, wenn es als Raubkunst identifiziert wird. Viel entscheidender sei es, die Provenienzforschung in Deutschland weiter zu entwickeln. Vor allem kleineren Museen, die nicht über die entsprechenden Ressourcen verfügen, müsse dabei geholfen werden ihre Sammlungen zu überprüfen, sagte Parzinger. Dieser Forderung schloss sich auch der Uwe M. Schneede, Vorstand der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, an. Er sprach sich zudem dafür aus, dass die Landesregierungen nach dem Vorbild des Bundes von ihren Museen jährliche Berichte über die Fortschritte bei der Provenienzforschung einfordern sollten.

Die Leiterin der Taskforce "Schwabinger Kunstfund", Ingeborg Berggreen-Merkel, bewertete die Forderung nach einem Restitutionsgesetz zurückhaltend. Für staatliche Museen sei ein solches Gesetz nicht nötig, da sie den Prinzipien der Washingtoner Erklärung unterworfen seien. Für private Kunstsammlungen hingegen würden jedoch die gesetzlichen Verjährungs- und Ersitzungsfristen gelten. Wenn überhaupt, dann müsse der Gesetzgeber an dieser Stelle ansetzen. In diesem Sinne äußerten sich auch die Rechtsanwältin Jutta Freifrau von Falkenhausen und die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, Isabel Pfeiffer-Poensgen. Eine Umkehrung der Beweislast sei schon deshalb schwierig, da sich in vielen Fällen eine lückenlose Provenienz von Kunstwerken nicht erstellen ließe.

Einigkeit herrschte zwischen den Experten, dass auch Enteignungen und der Kulturgutverlust in der DDR verstärkt untersucht werden sollen. Dies stecke noch in den Kinderschuhen, sagte Ute Haug, Vorstandvorsitzende des Arbeitskreises Provenienzforschung.

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2. Sorge um die Religionsfreiheit

Menschenrechte/Anhörung

Berlin: (hib/JOH) Den Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit in Deutschland und der Welt sehen zahlreiche Experten als große Herausforderungen der Gegenwart an. Das wurde in einer öffentlichen Anhörung des Menschenrechtsausschusses deutlich. Als Ursachen nannten die fünf geladenen Sachverständigen die schwierige Lage im Nahen Osten, die Zuwanderungsbewegungen nach Europa und die zunehmende Radikalisierung vieler junger Menschen auch in den Demokratien Europas.

Andreas Jacobs von der Middle East Faculty am Nato Defense College in Rom berichtete, dass in vielen muslimischen Ländern der Einsatz für Menschenrechte und Religionsfreiheit immer schwieriger werde. Weil das Umfeld gerade im Nahen Osten "sehr sicherheitspolitisch dominiert" sei, werde das Thema häufig als "Luxusproblem" angesehen. Zudem seien in vielen Staaten des Nahen Ostens Rechte zur freien Religionsausübung zwar auf dem Papier geregelt, jedoch würden sie in der Praxis nicht angewandt. Als Beispiele nannte Jacobs die Möglichkeit eines Religionswechsels, den Umgang mit dem Abfall von der Religion (Apostasie) oder den Kirchenbau. Er urteilte, die Gewährung und Sicherung von Religionsfreiheit in Deutschland und Europa sei "eine zentrale Grundlage für eine glaubwürdige Forderung von Demokratie und Religionsfreiheit weltweit". Nur wenn Muslime hierzulande die praktische Erfahrung machten, dass Religionsfreiheit auch für sie gelte und dass die freie Entfaltung muslimischen Lebens möglich sei, könne Religionsfreiheit auch glaubhaft gegenüber muslimischen Ländern eingefordert werden.

Christine Schirrmacher vom Institut für Orient- und Asienwissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn hob hervor, dass sich die religiöse Landschaft in Deutschland unter anderem wegen der Flüchtlingskrise verändere. Auch islamistische und salafistische Kräfte, denen die Demokratie "ein Dorn im Auge" sei, verzeichneten großen Zulauf. Die Themen Religionsfreiheit und Demokratieentwicklung hätten daher eine immer größere innenpolitische Bedeutung. Schirrmacher sieht die Herausforderung für Deutschland darin, die Freiheit und das friedliche Miteinander der Religionen und Weltanschauungen zu sichern. Dafür brauche es ihrer Ansicht nach "eine neue öffentliche Begründung und Werbung für die Religionsfreiheit in Schulen, Universitäten und allen Bildungsplattformen, weil diese uns in dem neuen Miteinander nicht einfach einen Schoß fallen wird". Ausdrücklich wandte sich Schirrmacher gegen Forderungen, die Religion in den privaten Raum zurückzudrängen. Solche Bestrebungen trügen nicht zu einem friedlichen Miteinander und einer echten Toleranz und Akzeptanz bei, warnte sie. Sie forderte hingegen "eine faktenorientierte und kompetente öffentliche Debatte über die Grenzen zwischen Religion und Politik, eine Bejahung religiöser Ausdrucksformen in ihrer ganzen Vielfalt, aber auch eine entschiedene Zurückweisung politischer Ansprüche im Namen der Religion".

Ähnlich äußerte sich die Journalistin Khola Maryam Hübsch. Ihrer Ansicht nach bedrohen Forderungen nach einem Burka-Verbot oder einem Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen an Schulen die säkulare und freiheitliche Grundlage der Gesellschaft mehr anstatt sie zu verteidigen. "Die Verbannung der Religion aus dem öffentlichen Raum führt nicht dazu, dass das tolerante Miteinander der Religionen gefördert wird." Sie schüre vielmehr Misstrauen, verstärke das Ausgrenzungsgefühl gerade vieler Muslime und schaffe einen "Nährboden für Islamismus", warnte Hübsch. Angesichts von "einigen hundert" Burkaträgerinnen in Deutschland könne man zudem nicht von einer Störung des öffentlichen Friedens sprechen. Die Forderung nach einem Verbot sei daher "reine Symbolpolitik", mit der niemanden geholfen werde. Hübsch zeigte sich zudem überzeugt davon, dass eine offene, freundliche Flüchtlingspolitik dazu beitragen könne, das Bild des Westens in der islamischen Welt zu verbessern. Auch dies könne den Terrorismus einzudämmen.

Professor Matthias König von der Georg-August-Universität Göttingen und dem Max Planck Institut für die Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften bezeichnete es als "unstrittig", dass die Einschränkung der Religions- und Glaubensfreiheit die friedliche Koexistenz von Religionsgemeinschaften erschwere und zur Exklusion von Minderheiten beitrage. Er betonte, es bleibe "genuine Aufgabe der Politik, Arrangements religiöser Diversität auszuhandeln". Angesichts einer "tiefgreifenden Globalisierung religiöser und nichtreligiöser Überzeugungen in der Gegenwart" sei dies eine "Herausforderung von hoher Brisanz und Aktualität". König empfahl, zur Stärkung der Religions- und Glaubensfreiheit auf multilaterale Instrumente zu setzen. Neuere Studien zeigten, dass der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz in der faktischen Umsetzung vor Ort langfristige Wirkungen entfalten könne. So könnten Menschenrechtskonventionen wegen ihrer hohen Legitimation durchaus die binnenpolitische Agenda in anderen Ländern beeinflussen.

Kirsten Wiese von der Humanistischen Union e.V. in Berlin bekräftigte im Menschenrechtsausschuss die Forderung ihres Verbandes nach einer vollständigen Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften und kritisierte in diesem Zusammenhang die "starke Vermengung" des Staates mit den christlichen Kirchen in Deutschland. Den Kirchen würden zahlreiche Privilegien gewährt, etwa durch den staatlichen Kirchensteuereinzug, Steuer- und Gebührenbefreiungen und jährliche Staatsleistungen durch die Bundesländer. Dies stehe jedoch im Widerspruch zum staatlichen Neutralitätsgebot. "Damit die Religionsfreiheit in Deutschland konsequent gewährleistet werden kann, müssen jegliche Privilegien für die Kirchen abgeschafft werden", forderte Wiese.

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3. Korruption im Gesundheitswesen

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/pst) Das geplante Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen (18/6446) fand bei einer Anhörung des Rechtsausschusses große grundsätzliche Zustimmung der geladenen Experten. Im Detail gab es aber auch viele Einwände. Vor allem die Abgrenzung von Korruption, die künftig strafbar sein soll, und sinnvoller Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens bereitet Schwierigkeiten. Der Gesetzentwurf sieht Änderungen insbesondere im Strafgesetzbuch sowie im Fünften Buch Sozialgesetzbuch vor, mit denen der Straftatbestand der Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen eingeführt wird sowie die Verbände, Kammern und Kassen des Gesundheitswesens zur Mitwirkung bei der Aufdeckung und Verfolgung solcher Straftaten verpflichtet werden. Die Einführung des Straftatbestands war im Koalitionsvertrag vereinbart worden, nachdem der Bundesgerichtshof 2012 entschieden hatte, dass niedergelassene Ärzte weder als Amtsträger noch als Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen angesehen werden können und daher bestehende Straftatbestände ins Leere laufen.

Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) wies den Rechtsausschuss auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Arzneimittelherstellern und Ärzten für die Entwicklung und Erprobung neuer Präparate hin. Deshalb forderte der vfa-Jurist Uwe Broch einen eindeutigen Gesetzestext, um ungerechtfertigte Ermittlungen zu vermeiden. Denn "bereits das Verfolgungsrisiko stellt alle Beteiligten vor große Probleme, nicht erst das Verurteilungsrisiko". Ebenso wie andere Experten kritisierte Broch das Vorhaben, Ärzte- und Zahnärztekammern die genauere Definition des strafbaren Verhaltens zu überlassen. "Normadressaten werden so zu Normgebern", gab Brochs zu bedenken.

Nach Ansicht der Ärztin und Geschäftsführerin der Mediziner-Initiative MEZIS, Christiane Fischer, sollte nicht nur Bestechung und Bestechlichkeit unter Strafe gestellt werden, sondern so wie beim Öffentlichen Dienst auch Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung. Der Bestechung liege eine Vereinbarung über Leistung und Gegenleistung zugrunde. Viel häufiger aber sei, dass Angehörige von Gesundheitsberufen einen Vorteil erhielten, ohne sich konkret zu etwas zu verpflichten. Die Gegenleistung erfolge vielmehr unausgesprochen, etwa indem man nach einer Einladung zu einem Kongress vermehrt das dort vorgestellte Medikament verschreibe.

Der im Medizinbereich tätige Rechtsanwalt Morton Douglas hob die Notwendigkeit hervor, sicherzustellen, "dass Patienten Vertrauen fassen können". Aus Sorge um ihre Versorgung trauten sie sich oft nicht, unlautere Handlungen im Gesundheitswesen, mit denen sie konfrontiert werden, mitzuteilen. Douglas schlägt vor, den Patientenbeauftragten mit der Aufgabe zu betrauen, derartige Beschwerden zu prüfen.

Der Kölner Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel empfiehlt, die Passagen im Gesetzestext zu streichen, nach denen für die Einleitung eines Strafverfahrens der Antrag eines Betroffenen oder eines Verbandes, einer Krankenkasse oder einer Kammer erforderlich ist. Auch andere Sachverständige schlugen vor, Korruption im Gesundheitswesen zum Offizialdelikt zu machen, bei dem die Staatsanwaltschaft von Amts wegen ermitteln muss. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf kann sie dies nach eigenem Ermessen, wenn sie es wegen eines "besonderen öffentlichen Interesses" für geboten hält.

Als "großen Wurf mit kleinen Schwächen" bezeichnete Stephan Meseke, Korruptionsbekämpfer im Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung, den Gesetzentwurf. Er bemängelte das Fehlen der Pflegeversicherung im Gesetzestext und wies darauf hin, dass die Pflegebranche in Deutschland bereits mehr Beschäftigte zähle als die Automobilindustrie.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Frank Ulrich Montgomery, sprach sich ebenso wie einige andere Teilnehmer der Anhörung dagegen aus, die genaue Definition strafbarer Handlungen den regionalen Kammern zu überlassen. "Korruption ist überall gleich" sagte Montgomery, deshalb solle auch die Definition bundeseinheitlich sein. Außerdem plädierte er dafür, im Gesetzestext auf die Formulierung "Verletzung der berufsrechtlichen Pflichten" zu verzichten. Vielen Beschäftigten im Gesundheitswesen werde nicht klar sein, was damit genau gemeint ist, vermutete Montgomery. Er sprach sich stattdessen für die Aufnahme konkreter Tatbestands-Merkmale in den Gesetzestext aus.

Auf die Schwierigkeit, bei Bestechung und Bestechlichkeit den Tatnachweis zu führen, wies der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Peter Schneiderhan, Präsidiumsmitglied des Deutschen Richterbundes, hin. Man müsse dazu eine "Unrechtsvereinbarung" nachweisen, also die Absprache von Leistung und Gegenleistung. Die Staatsanwaltschaften müssten dazu die Möglichkeit verdeckter Ermittlungsverfahren wie der Telefonüberwachung bekommen, forderte Schneiderhan. Er sei sich aber des Problems bewusst, das sich hierbei wegen der ärztlichen Schweigepflicht ergibt.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 641 - 3. Dezember 2015 - 09.28 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2015

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