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BUNDESTAG/5396: Heute im Bundestag Nr. 596 - 11.11.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 596
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 11. November 2015, Redaktionsschluss: 17.58 Uhr

1. Neuer Ausschuss zum NSU
2. Acht Milliarden Euro für Asylsuchende
3. Drangsalierte Menschenrechtsverteidiger
4. Gästeführer beklagen Arbeitsbedingungen
5. Zu wenige Frauen in Führungspositionen
6. Claus soll ins Vertrauensgremium
7. Grüne wollen Weichenstellung in Paris


1. Neuer Ausschuss zum NSU

Inneres/Ausschuss

Berlin: (HiB/rik) Der Bundestag hat Mittwochnachmittag mit den Stimmen aller Fraktionen die Einsetzung eines dritten Untersuchungsausschusses beschlossen (Drucksache 18/6330). Er trägt den Namen "Terrorgruppe NSU II" und verfolgt das Ziel, "die noch offene Fragen im Zusammenhang mit der Terrorgruppe 'Nationalsozialistischer Untergrund' (NSU), den ihr zur Last gelegten Straftaten sowie zu ihrem Umfeld aufzuklären", wie es in der Beschlussempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses heißt (Drucksache 18/6601). Man wolle an die "erfolgreiche Arbeit" des NSU-Untersuchungsausschusses in der vergangenen Wahlperiode anknüpfen und "seither bekanntgewordene Fakten, die der frühere Ausschuss nicht behandeln konnte, verarbeiten". Dem Ausschuss werden acht ordentliche Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, zwei Mitglieder der SPD-Fraktion und je ein Mitglied der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angehören. Wie üblich, stellt jede Fraktion auch die gleiche Zahl von stellvertretenden Mitgliedern.

Untersucht werden soll laut Beschluss unter anderem, ob die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden bei der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 in Eisenach und Zwickau "sachgerechte Maßnahmen ergriffen und zielführend kooperiert haben". Der Ausschuss will auch klären, wie und mit welchen Ergebnissen die Behörden Informationen zu rechtsterroristischen Gefahren beschafft haben und welche Fehler dabei möglicherweise begangen wurden. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf dem Umgang der Behörden mit V-Personen, Informanten, Gewährspersonen oder anderen Quellen sowie dem Einsatz verdeckter Ermittler liegen. Auch die Vernichtung von Akten und die Löschung von Daten im Zusammenhang mit dem NSU wird untersucht werden. Stets soll dabei im Blick bleiben, welche Schlussfolgerungen "für Struktur, Zusammenarbeit, Befugnisse, Qualifizierung und Kontrolle der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden sowie für eine effektive Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus" zu ziehen sind, wie es in dem Antrag heißt. Der derzeit laufende NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München ist ausdrücklich nicht Gegenstand des Untersuchungsauftrags.

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2. Acht Milliarden Euro für Asylsuchende

Haushalt/Ausschuss

Berlin: (hib/MIK) Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) rechnet wegen der Flüchtlinge und Asylsuchenden im kommenden Jahr mit einer Mehrbelastung für den Bundeshaushalt von rund acht Milliarden Euro. Dies erklärte er am Mittwochabend bei den Haushaltsberatungen 2016 des Etats des Bundesfinanzministeriums. Die Mehrbelastung hänge jedoch davon ab, wie viele Menschen tatsächlich nach Deutschland kommen würden und was in die Rechnung des Bundes einbezogen würde. "Verlässliche, amtliche Zahlen hat niemand", betonte er. Schäuble geht davon aus, dass trotzdem auch 2016 keine neuen Schulden vom Bund gemacht werden müssen.

Der Etat des Bundesfinanzministeriums blieb bisher ohne wesentliche Änderungen. Vor allem wurden bisher die Ausgaben für die Vereinheitlichung der Software im Besteuerungsverfahren um zwei Millionen Euro auf 12,71 Millionen Euro erhöht. Zur Einsparung wurden diese zwei Millionen Euro beim Bundeszentralamt für Steuern für sonstige Zuweisungen an Länder gestrichen.

Die Fraktion Die Linke forderte erfolglos, 1.000 zusätzliche Planstellen für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu schaffen. Hier beantragte Bündnis 90/Die Grünen 600 neue Planstellen. Ebenso erfolglos blieb ihr Antrag, zehn Millionen Euro für die Erstattung an die Länder zur Beseitigung alliierter Kampfmittel zur Verfügung zu stellen.

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3. Drangsalierte Menschenrechtsverteidiger

Menschenrechte/Ausschuss

Berlin: (hib/AHE) Der UN-Sonderberichterstatter für die Situation von Menschenrechtsverteidigern, Michel Forst, warnt vor neuen Formen der Repression gegenüber Journalisten, Juristen, Wissenschaftlern und Gewerkschaftlern, die sich für die Menschenrechte einsetzen. "Menschenrechtsverteidiger werden immer mehr zur Zielscheibe", sagte Forst am Mittwoch im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Akteure, die sich etwa im Bereich Rohstoffe, Bergbau und Umwelt engagieren, hätten in einigen Ländern heute etwa nicht mehr nur mit Druck staatlicher Stellen zu rechnen, sondern auch von privaten Unternehmen. Es gebe zudem Drohungen von religiösen Gruppen gegen Menschenrechtsverteidiger - etwa in Lateinamerika durch Kirchen, die sich gegen Aktivisten für Homosexuellenrechte wenden würden.

Der UN-Diplomat verwies zudem darauf, dass eine Reihe von Staaten neue Formen der Drangsalierung finden würden - etwa durch die Anwendung von Anti-Terror-Gesetzen gegen Menschenrechtsverteidiger sowie durch die Einschränkung der Arbeit von internationalen Nichtregierungsorganisationen oder solchen, die Mittel aus dem Ausland beziehen. Forst berichtete außerdem, dass sich eine Reihe von Staaten weigerten, ihn als UN-Sonderberichterstatter offiziell einzuladen. In solchen Fällen sei es hilfreich, wenn die dortigen Botschaften europäischer Länder eine offizielle Einladung aussprechen könnten, um ein Treffen mit Menschenrechtsaktivisten vor Ort zu ermöglichen.

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4. Gästeführer beklagen Arbeitsbedingungen

Tourismus/Ausschuss

Berlin: (hib/wid) Als "Botschafter" ihrer Regionen sehen sie sich, Mittler zwischen "dem Lokalen und dem Globalen". Doch Gästeführer und Reiseleiter in Deutschland finden ihre anspruchsvolle Tätigkeit weder in der Öffentlichkeit angemessen gewürdigt noch hinreichend honoriert. "Mein Wunsch ist fast schon missionarisch, diese Tätigkeit, die wir hier ausüben, aus der Nische herauszuholen. Was wir machen, hat eine hohe Wertigkeit", sagte Ute Jäger, Vorsitzende des Bundesverbandes der Gästeführer in Deutschland, am Mittwoch in einer gemeinsamen Anhörung mit dem Verband der Studienreiseleiter vor dem Ausschuss für Tourismus.

Der Bundesverband der Gästeführer ist die Dachorganisation von 220 Vereinen und Verbänden, in denen sich über 6500 der schätzungsweise rund 10.000 Gästeführer bundesweit zusammengeschlossen haben. Im Verband der Studienreiseleiter, gegründet 1988, sind etwa 100 Mitglieder organisiert aus einer Berufsgruppe, der in Deutschland etwa 17.000 Menschen angehören.

Dass sie in zwei getrennten Verbänden organisiert sind und so auch vor den Ausschuss auftraten, hat mit unterschiedlichen Berufsbildern zu tun. Gästeführer verstehen sich nach den Worten ihrer Verbandschefin als "Spezialisten vor Ort". Sie zeigen Besuchern die Sehenswürdigkeiten einer bestimmten Stadt oder Region. Reiseleiter begleiten Gruppen auf längeren Fahrten im In- und Ausland und haben dabei nicht nur Kultur- und Naturschätze zu erklären. Vielmehr obliegt ihnen die gesamte Organisation.

Gemeinsam sind beiden Berufsgruppen die Unsicherheit und oftmals prekären Umstände einer gering bezahlten selbständigen Existenz. "Wir haben eine enorme Verantwortung", sagte Isabelle Riter vom Vorstand des Verbandes der Studienreiseleiter. "Arbeitsbedingungen und Entlohnung stehen leider dazu im Widerspruch." Es gebe keine geregelten Arbeitszeiten, keinen Sozialversicherungsschutz, keinen Ausgleich für Überstunden, keine Zuschläge für die zahlreichen Einsätze an Sonn- und Feiertagen. Auch der Zeitaufwand für die Vor- und Nachbereitung der Reisen bleibe unbezahlt.

Der Verband veranschlagt Tagessätze von 150 bis 180 Euro als einigermaßen angemessen. Es komme aber häufig vor, dass Reiseveranstalter nur deutlich weniger als 100 Euro zu zahlen bereits seien, sagte Vorstandsmitglied Peter Weinert. Vom Bundesverband der Gästeführer liegen über Einkünfte der Mitglieder keine Angaben vor. Vizechef Wolther von Kieseritzky nannte eine fünf Jahre alte Studie, der zufolge damals 60 Prozent der Mitglieder die Tätigkeit im Nebenberuf oder als Zuverdienst ausübten. Seither sei allerdings eine zunehmende Professionalisierung zu beobachten. Ein Problem der Branche sei, dass der Beruf in Deutschland nicht staatlich anerkannt sei. Seit 2008 gebe es immerhin Qualitätsstandards der Europäischen Union.

Als Experten, die in 25 verschieden Sprachen Besuchern aus fremden Ländern ihre jeweilige Region erklären könnten, leisteten die Mitglieder seines Verbandes eines wesentlichen Beitrag zu einem weltoffenen Deutschland, betonte von Kieseritzky. "Es sind Gästeführer, die, was die Heimat an Kultur, Sehenswürdigkeiten, Brauchtum, Identität besitzt, vermitteln." So habe in Nürnberg am vergangenen Wochenende erstmals eine kostenlose "Willkommensführung" für Flüchtlinge stattgefunden. Daran habe ein Syrer teilgenommen, der selber in seiner Heimat als Gästeführer gearbeitet habe und so beeindruckt gewesen sei, dass er sich jetzt auch in Nürnberg für diese Tätigkeit ausbilden lassen wolle.

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5. Zu wenige Frauen in Führungspositionen

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Viele Bereiche der Kulturbranche werden zwar von Frauen zahlenmäßig dominiert, an den Schlüsselstellen jedoch unterrepräsentiert. Dies war der einhellige Befund in einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses am Mittwoch. Der Ausschuss hatte sechs Sachverständige geladen, um sich über die Situation von Frauen im Kulturbetrieb zu informieren und deren Meinungen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen "Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen" zu erfragen.

Besonders auffällig gestaltet sich das Missverhältnis in der Buchbranche. Valeska Henze, Vorsitzende des Vorstandes des Vereins BücherFrauen, verwies darauf, dass 80 Prozent der Festangestellten in der Buchbranche Frauen seien, aber nur 16 Prozent der Posten in den Führungsetagen von Frauen besetzt seien. Auffällig sei zudem, dass sich gerade die großen Verlagshäuser gegen die Einführung von Teilzeitarbeitsmodellen wehren. Für Frauen, die ein Kind bekommen, sei die Karriere praktisch beendet. Zudem sei der sogenannte Gender Pay Gap in der Buchbranche deutlich höher als in anderen Bereichen. So liege das Durchschnittseinkommen von Frauen in der Buchbranche um 28 Prozent unter dem von Männern.

Ein ähnliches Bild zeichnete die Filmemacherin Maria Mohr, Vorstandsmitglied im Verein Pro Quote Regie, für die Filmbranche. Bei lediglich einem von fünf deutschen Filmen führe eine Frau Regie. Dies stehe in einem deutlichen Missverhältnis zu der Tatsache, dass 42 Prozent der Absolventen der Filmhochschulen in Deutschland Frauen seien. Prinzipiell sei die Beobachtung zu machen, dass der Anteil von Frauen in den höheren Positionen bei Filmproduktionen mit der Größe des Budgets sinke. Diesen Befund schloss sich auch die ehemalige Berliner Kultursenatorin und freie Publizistin und Kuratorin Adrienne Goehler an. Die Leitung von Theatern und Museen würde vor allem dann an Frauen vergeben, wenn diesen das Geld ausgehe. Mohr und Goehler plädierten mit Nachdruck für Quoten bei der Vergabe von Leitungspositionen bei öffentlichen oder öffentlich geförderten Kultureinrichtungen und im Bereich der Filmförderung. Die geplante Novellierung des Filmfördergesetzes müsse genutzt werden, um weibliche Filmschaffende gezielt zu fördern, sagte Mohr. Quoten seien eben keine Wettbewerbsverzerrung, sondern könnten Verzerrungen im Wettbewerb beseitigen, fügte sie hinzu. Goehler räumte ein, dass Quoten zwar unschön und "antidemokratisch" seien, aber die Realitäten für Frauen im Kulturbetrieb eben auch. Für die paritätische Besetzung von Gremien und Jurys im Kulturbetrieb sprach sich auch die Geschäftsführerin des Frauenkulturbüros Nordrhein-Westfalen, Ursula Theißen, aus. Ebenso müsste bei staatlichen Museen darauf geachtet werden, dass die Werke von Künstlerinnen bei Ankäufen und Ausstellungen gleichberechtigt berücksichtigt werden.

Die stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates, Gabriele Schulz, verwies darauf, dass die Situation der Frauen im Kulturbereich sehr differenziert betrachtet werden müsse. Die Situation von freiberuflichen Kulturschaffenden unterscheide sich deutlich von der Situation von angestellten. Positiv sei, dass der Anteil von freiberuflichen Frauen, die über die Künstlersozialkasse versichert sind, von 1995 bis 2010 deutlich gestiegen sei und sich in den meisten Bereichen mit Ausnahme der Musikbranche dem Anteil der Männer angepasst habe. Allerdings liege ihr Einkommen weiterhin unter dem männlicher Freiberufler.

Jutta Troost, Referentin für Gleichstellungsangelegenheiten beim Deutschen Städtetag, zeichnete ein eher negatives Bild von der Situation von Frauen im Kulturbereich der Kommunen. Dort sei zwar einerseits eine sehr große Anzahl gut ausgebildeter Frauen anzutreffen. In den Führungspositionen der Kulturverwaltung seien sie jedoch auch hier unterrepräsentiert.

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6. Claus soll ins Vertrauensgremium

Haushalt/Wahlvorschlag

Berlin: (hib/MIK) Die Fraktion Die Linke schlägt zur Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung den Abgeordneten Roland Claus vor (18/6629).

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7. Grüne wollen Weichenstellung in Paris

Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit/Antrag

Berlin: (hib/SCR) Die Grünen fordern im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Paris mehr Anstrengungen beim nationalen und internationalen Klimaschutz. In einem Antrag (18/6648) verlangen die Grünen-Abgeordneten von der Bundesregierung unter anderem, sich bei der Konferenz dafür einzusetzen, dass die Erderwärmung auf 1,5 bis höchsten 2 Grad Celsius begrenzt wird. Dies soll nach Ansicht der Grünen in dem Abkommen völkerrechtlich bindend verankert werden.Der Fortschritt solle regelmäßig überprüft werden. Zudem solle die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass die nationalen Klimaschutzzusagen durch "nationale Dekarbonisierungsfahrpläne" untermauert werden. Der Antrag wird am Donnerstag im Plenum beraten.

Mit Verweis auf die Auswertung der bisher vorliegenden nationalen Klimaschutzzusagen durch das UN-Klimasekretariat, wonach im günstigsten Fall eine Erwärmung von 2,7 Grad zu erwarten sei, folgern die Grünen, dass die Anstrengungen noch nicht ausreichten, "um die Klimakrise abzuwenden". Ein entschiedenes Handeln sei auch deswegen geboten, weil die hauptsächlich von den Industrienationen verursachte "Klimakrise" vor allem Bevölkerungsgruppen im globalen Süden gefährde. "Die Erderwärmung zu begrenzen ist daher vor allem auch eine Gerechtigkeitsfrage", heißt es in dem Antrag.

In dem Antrag wird zudem das Verhalten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert. Sie präsentiere sich auf internationaler Ebene als "vermeintliche Klimaschützerin", sei aber in Wirklichkeit eine "Kohlekanzlerin", da sie sich geweigert habe, eine Klimaabgabe auf "schmutzige Kohlekraftwerke" zu unterstützen. Folglich fordern die Grünen auf nationaler Ebene einen Ausstieg aus der Kohle. Dazu solle die Bundesregierung unter anderem CO2-Grenzwerte für fossile Kraftwerke einführen und die Fracking-Technik verbieten.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 596 - 11. November 2015 - 17.58 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2015

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