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BUNDESTAG/3572: Heute im Bundestag Nr. 577 - 10.12.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 577
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 10. Dezember 2012 Redaktionsschluss: 17:15 Uhr

1. Lob und Kritik für geplante Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht
2. Experten diskutieren Auszahlung von Ghetto-Renten
3. Expertin will "Label-Dschungel" bei nachhaltigen Produkten vereinfachen



1. Lob und Kritik für geplante Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht

Finanzausschuss (öffentliche Anhörung)

Berlin: (hib/HAU) Der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts (17/11316) stößt bei Experten auf ein grundsätzlich positives Echo. Während der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am Montagnachmittag wurde jedoch auch auf Nachbesserungsbedarf hingewiesen. Der Entwurf sieht unter anderem eine Anhebung der Übungsleiterpauschale von 2.100 auf 2.400 Euro jährlich vor. Zugleich soll die Ehrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro pro Jahr angehoben werden. Außerdem soll die Haftung für Ehrenamtliche beschränkt sowie das Verfahren für die Mittelverwendung erleichtert werden.

Aus Sicht des Deutschen Fußballbundes (DFB) ist die "moderate Anpassung" des Übungsleiterfreibetrages auf 2.100 Euro "unbedingt notwendig". Begrüßt wurde vom DFB auch die Verlängerung des Zeitraums der zulässigen Mittelverwendung von bisher einem Jahr auf künftig zwei Jahre. Somit werde den Vereinen eine gezielte Planung hinsichtlich der Verwendung überschüssiger Mittel ermöglicht, sagte der DFB-Vertreter. Rund 500.000 Übungsleiter würden von der Pauschalenänderung profitieren, die auch in der Höhe "absolut sachgerecht" sei, hieß es vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Die zweijährige Verwendungsfrist stelle eine wirkliche Entbürokratisierung dar, machte der DOSB deutlich. Sowohl DOSB als auch die Bundessteuerberaterkammer befürworteten zudem das geplante neue Verfahren zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Die schnelle Klärung schaffe Rechtssicherheit, machte der Vertreter der Bundessteuerberaterkammer deutlich.

Professor Birgit Weitemeyer von der privaten Hochschule für Rechtswissenschaften Buceruis Law School lobte zwar ebenfalls die Anhebung der Übungsleiterpauschale, kritisierte aber die unterschiedliche Behandlung des Ehrenamtes. Es sei nicht verständlich, dass ein Übungsleiter im Sport eine höhere Pauschale erhalte als ein ehrenamtlich Tätiger im Kinderhospiz. "Hier sollten Einebnungen angestrebt werden, statt Unterschiede zu zementieren", forderte Weitemeyer.

Die geplante Verlängerung des Zeitraums der zulässigen Mittelverwendung auf zwei Jahre wurde von mehreren Experten mit Skepsis betrachtet. Sowohl der Vertreter der Bundessteuerberaterkammer als auch Professor Hans Fleisch vom Bundesverband Deutscher Stiftungen machten darauf aufmerksam, dass bislang die Angemessenheit des Zeitraumes im Ermessen der Finanzverwaltung gestanden habe. Dabei seien Fristen von drei bis vier Jahren anerkannt worden. Aus Sicht der Bundessteuerberaterkammer ist es daher besser, "die Regelung im Ermessen der Finanzverwaltung zu lassen". Auch Olaf Zimmermann vom Bündnis für Gemeinnützigkeit verwies darauf, dass die bisherige Praxis der Finanzämter positiv für die Rücklagensicherung gewesen sei. "Wir müssen aufpassen, dass die Festschreibung auf zwei Jahre nicht nachteilig wirkt", sagte er.

Zimmermann, zugleich Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates warnte auch vor einer Instrumentalisierung des "Bürgerschaftlichen Engagements". Die Begründung zu dem Gesetzentwurf lasse den Eindruck entstehen, dass das Bürgerliche Engagement gestärkt werden solle, um die Lücken zu schließen, die durch die leeren Kassen des Staates gerissen werden. "Das Ehrenamt darf aber kein Erfüllungsgehilfe für den Ausfall staatlicher Leistungen sein", forderte Zimmermann.

Der Gesetzentwurf leiste keinen Beitrag, um "bildungsferne und beteiligungsferne Bevölkerungsgruppen" an das Engagement heranzuführen, kritisierte Professor Roland Roth von der Universität Magdeburg. Der Entwurf sei darauf ausgelegt, "klassische Institution auf die klassische Art und Weise zu fördern", sagte Roth. Benötigt werde jedoch ein Ausbau der Infrastruktur, um das Engagement auf bereitere Pfeiler zu stellen. Zugleich forderte Roth, die "zunehmende Monetarisierung" bei der Evaluation im Blick zu behalten. Es bestehe die Gefahr, "dass damit letztlich Schaden angerichtet wird", befand Roth.

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2. Experten diskutieren Auszahlung von Ghetto-Renten

Ausschuss für Arbeit und Soziales (Anhörung)

Berlin: (hib/VER) Zwölf Experten haben am Mittwochnachmittag im Ausschuss für Arbeit und Soziales über die Auszahlung von Ghetto-Renten diskutiert. Anlass der öffentlichen Anhörung waren zwei Anträge der Oppositionsfraktionen, die das Ghetto-Rentengesetz ändern wollen.

SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen mit ihrem gemeinsamen Antrag (17/10094) erreichen, dass Renten für Beschäftigungen in Ghettos in der NS-Zeit rückwirkend ab 1997 ausgezahlt werden. Die Bundesregierung soll für ehemalige Ghetto-Insassen bei fristgerecht gestellten, aber zunächst bestandskräftig abgelehnten und erst nach 2009 bewilligten Rentenanträgen eine rückwirkende Auszahlung der Rente ab dem 1. Juli 1997 ermöglichen.

Auch Die Linke fordert in ihrem Antrag (17/7985), dass Holocaust-Überlebende Renten aus einer Beschäftigung in einem Ghetto nachträglich ab dem Jahr 1997 ausgezahlt bekommen. Hintergrund ist, dass das Bundessozialgericht 23.818 Holocaust-Überlebenden im Jahr 2009 einen Rentenanspruch zugestanden hat. Die Betroffenen hätten die Rente jedoch nicht rückwirkend zum Jahr 1997 erhalten, wie es das 2002 verabschiedete Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vorgesehen habe, sondern erst ab dem Jahr 2005. Die Bundesregierung habe dies mit der im Sozialrecht geltenden Rückwirkung von maximal vier Jahren begründet, heißt es in dem Antrag.

Christoph Skipka von der Deutschen Rentenversicherung Bund sprach sich für Einmalzahlungen als Entschädigungen aus. Diese müssten gegebenenfalls an das Lebensalter gekoppelt werden. Auch Franz Ruland, ehemaliger Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, aus München befand die Zahlung einer Entschädigungspauschale für am besten geeignet. Ähnlich argumentierte auch der Vertreter des Bundes Deutscher Sozialrichter e.V., Hans-Peter Jung.

Uri Chanoch, Vertreter des Center of Organizations of Holocaust Survivors in Israel, erzählte eingangs von seinen Erfahrungen im Ghetto. Es habe sich nicht um Zwangsarbeit gehandelt. "Wir wollten arbeiten", sagte er. Deshalb stünde den ehemaligen Arbeitnehmern im Ghetto die Rentenzahlung rückwirkend ab 1997 zu. "Das ist unser Geld, wir haben dafür gearbeitet", erklärte Chanoch. Und der Einzelsachverständige Jan-Robert von Renesse, Richter aus Essen, sagte, dass eine rentenrechtliche Lösung vorzuziehen sei. Eine entschädigungsrechtliche Leistung sei seiner Ansicht nach nicht zu empfehlen. Der EDV-Aufwand für eine rentenrechtliche Lösung sei zudem überschaubar. Michael Teupen aus Köln erklärte die Thematik zu einer "klaren Sache des Rentenrechts"; eine Rentenregelung sei eine "konkrete Regelung". Teupen betonte, dass einige der zu entschädigenden ehemaligen Ghetto-Arbeiter das Geld dringend bräuchten und die Zeit dränge.

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3. Expertin will "Label-Dschungel" bei nachhaltigen Produkten vereinfachen

Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

Berlin: (hib/KOS) Eine Vereinfachung des "verwirrenden Label-Dschungels" bei der Kennzeichnung nachhaltiger Produkte hat Lucia Reisch verlangt. Zugleich mahnte die Professorin an der Friedrichshafener Zeppelin-Universität vor der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität", die sich am Montag mit nachhaltigem Konsum und nachhaltigen Lebensstilen befasste, bei solchen Labels Qualitätsstandards an, die durch ein Anmelde- und Zertifizierungsverfahren gewährleistet werden sollen. Der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach forderte vor dem Bundestagsgremium Maßnahmen gegen Werbung im öffentlichen Raum, um den Konsum "auszubremsen". Als "entscheidenden Schlüssel" für ein Umsteuern bezeichnete der ehemalige Leiter des Nell-Breuning-Instituts und emeritierte Professor der Hochschule für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Hochschule St. Georgen in Frankfurt/Main die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten.

Reisch erläuterte, dass einer Umorientierung hin zu nachhaltigen Lebensstilen erhebliche Hindernisse im Wege stünden. Ein Kernproblem sieht die Wissenschaftlerin in der "Verhaltensstarre" vieler Bürger, im Festhalten am Gewohnten. Ein nachhaltiger Konsum könne auch dem Bedürfnis nach Genuss und Spaß widersprechen, weil individuelle Freiheitsspielräume eingeschränkt würden. Die Referentin wies auf die Diskrepanz hin, die vielfach zwischen wünschbaren Zielen und der Zahlungsbereitschaft existiere. So habe bei einer Studie ein hoher Prozent der Befragten bei Lebensmitteln u. a. für einen Verzicht auf Gentechnik, für eine artgerechte Tierhaltung, für eine angemessene Entlohnung der Beschäftigten im Handel oder für faire Preise plädiert, die Rohstoffproduzenten in Entwicklungsländern gewährt werden sollen. Die Anteil derer, die für derart erzeugte Nahrungsmittel mehr Geld ausgeben würden, sei jedoch erheblich kleiner gewesen.

Reisch führte eine Fülle konkreter Maßnahmen an, mit deren Hilfe ein Umsteuern vorangebracht werden könne. Dazu gehöre etwa die Propagierung von Vorbildern, die einen nachhaltigen Lebensstil praktizieren. In Geschäften solle man Süßigkeiten nicht mehr mit Karte, sondern nur bar bezahlen können. Bankberater könnten verpflichtet werden, so die Professorin, ihren Kunden Vorschläge für eine "ethisch-moralische Geldanlage" zu unterbreiten. Verhaltensweisen, die nicht nachhaltig seien, sollten "unattraktiv" gemacht werden: Als Beispiel erwähnte sie die in Dänemark mancherorts praktizierte Möglichkeit, im Straßenraum nur noch Elektroautos das Parken zu ermöglichen. Reisch lobte eine dänische Lebensmittelkette, die Thunfisch aus ihrem Angebot entfernt habe. Auch das FCKW-Verbot sei ein gelungenes Beispiel für das Auslisten von Produkten.

Hengsbach gab sich überzeugt, dass eine auf den einzelnen zielende "Tugendethik" im Sinne eines nachhaltigen Lebensstils nicht sehr wirkungsvoll sei: "Den mündigen Konsumenten gibt es nicht." Nötig sei vielmehr eine "Regelethik", es müssten "Strukturen und Regeln" geändert werden. Als zentralen Hebel benannte der Professor die den Produzenten auferlegte Verpflichtung, den schnellen Verschleiß zahlreicher Güter zu beenden. So sollten etwa Computer und Autos "baukastenförmig" konzipiert und von den Herstellern durch den Austausch von Komponenten nachträglich technisch aufgerüstet werden. Der Bürger nutze das Produkt, während der Hersteller dessen technische Wartung und dessen Rücknahme nach Ablauf der Garantie gewährleisten müsse. Mit Hilfe von Recycling, erklärte Hengsbach, könne dann das Material zum Teil wiederverwendet werden. Ein solcher Kreislauf ermögliche es, dass Güter länger am Markt bleiben, dass sich das Abfallvolumen verringert und die Nachfrage nach Rohstoffen sinkt.

Der Wissenschaftler will nicht nur mit Maßnahmen gegen Werbung im öffentlichen Raum Konsumanreize bekämpfen. Er rief dazu auf, auch Marketingstrategien wie "Bier trinken für den Regenwald" zu verbieten. Öffentlich propagiert werden sollten dagegen das Energiesparen, die Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes, das Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr oder die Absage an saisonale Modewellen bei der Kleidung.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 577 - 10. Dezember 2012 - 17:15 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2012