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BUNDESTAG/3316: Heute im Bundestag Nr. 321 - 27.06.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 321
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 27. Juni 2012 Redaktionsschluss: 17:30 Uhr

1. Staatsminister Link: "Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen"
2. Zulassungsverfahren für Medizinprodukte im Fokus
3. Experten uneinig über Sicherungsverwahrung
4. Industrie warnt vor Verteuerung von Dieselkraftstoff
5. "Causa Erfurt" birgt nach wie vor Unklarheiten in sich



1. Staatsminister Link: "Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen"

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Berlin: (hib/AS) Zwei Tage vor der Abstimmung über den Fiskalvertrag und den Europäischen Stabilitätsmechanismus hat sich der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Link (FDP), für eine zügige Verabschiedung des Gesetzespakets ausgesprochen. "Deutschland muss in diesem Bereich mit gutem Beispiel vorangehen", sagte Link am Mittwochnachmittag im Europaausschuss des Bundestages. Denn ohne Deutschland würde der Vertrag nicht in Kraft treten, sagte er. Zugleich betonte Link: "Das stärkste Signal, das wir senden können, ist, dass wir aus der Krise gelernt haben." Die Gesetze zum Fiskalpakt und den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM sollen am Freitag von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Bettina Kudla (CDU/CSU) fragte in der anschließenden Aussprache danach, wie man sicherstellen könne, dass der Rettungsschirm nur eine ultima ratio sei. Link erklärte dazu, dass jeder Staat für seine Verbindlichkeiten hafte. Der Fiskalpakt setze nicht bei der Vergemeinschaftung ein, sondern sei so ausgestaltet, dass jedes Land seine eigenen Schulden abbauen müsse. Michael Roth (SPD) sagte mit Blick auf die vorausgegangene Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Plenum, dass sie viel von der SPD "abgeschrieben" habe. Er hoffe aber, dass es für eine Umkehr nicht zu spät sei. Michael Spatz (FDP) entgegnete daraufhin, dass das Thema Wachstum in der Koalition nicht erst seit der Frage um eine Zweidrittel-Mehrheit für die Verabschiedung des ESM und des Fiskalpaktes diskutiert werde.

Dieter Dehm (Die Linke) erklärte, er sei dankbar, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 19. Juni verhindert habe, dass die Gesetze "durchgepeitscht" würden. Für die Grünen wies Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen) daraufhin, dass der Fiskalpakt nach seiner Meinung einen Mangel aufweise, da er keinen glaubwürdigen Schuldenabbaupfad aufzeige. Zu diesem Thema machte Staatsminister Link anschließend nochmals deutlich, dass der Weg der Vergemeinschaftung von Schulden ein Weg sei, "den wir nicht für tauglich halten".

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2. Zulassungsverfahren für Medizinprodukte im Fokus

Ausschuss für Gesundheit (Anhörung)

Berlin: (hib/MPI) Die Vorschläge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur besseren Sicherheit von Medizinprodukten sind umstritten. In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses zu Anträgen der beiden Fraktionen (17/9932, 17/8920) stand dabei das Zulassungsverfahren. SPD und Grüne fordern, für bestimmte Medizinprodukte wie Implantate und Herzschrittmacher ein staatliches Zulassungsverfahren einzuführen. Bislang können sich in Deutschland Hersteller für die Zulassung eine sogenannte Benannte Stelle aussuchen. Das sind staatlich akkreditierte Unternehmen, die den Herstellungsprozess überprüfen und deren Korrektheit nach einheitlichen Bewertungsmaßstäben bescheinigen.

Der Rechtsanwalt Jörg F. Heynemann befürwortete strengere Maßstäbe bei der Zulassung und ein staatliches Verfahren. Zugleich müsse Deutschland darauf dringen, dass auch der europäische Gesetzgeber strengere Zulasungsregeln auf den Weg bringe. Dagegen betonte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed), Joachim M. Schmitt, eine Zulassung von Medizinprodukten durch staatliche Stellen bringe keinen Sicherheitsgewinn und verlangsame den Patientenzugang zu Medizinprodukten. Der Arzt und Rechtsanwalt Adem Koyuncu sagte, auch ein staatliches Zulassungssystem hätte den Brustimplantate-Skandal des französischen Unternehmens Poly Implant Prothèse (PIP) nicht verhindert. Bernd Metzinger von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sagte, es gebe kein Defizit bei den Regelungen, sondern im Vollzug, etwa bei der Überwachung der Hersteller.

Die Firma PIP hatte für die Brustimplantate statt medizinischen Silikons billiges Industriesilikon verwendet, das erhebliche gesundheitliche Gefahren birgt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt Frauen, sich PIP-Implantate entfernen zu lassen. In diesem Zusammenhang befürwortete das geschäftsführende Präsidiumsmitglied des TÜV-Verbandes, Klaus Brüggemann, die von der SPD vorgeschlagene verpflichtende Haftpflichtversicherung für Hersteller bestimmter Medizinprodukte. Heynemann ergänzte, so könne sichergestellt werden, dass im Schadensfall alle betroffenen Patienten "in vollem Umfang entschädigt werden". Sabine Pareras vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft wandte ein, dass die meisten Unternehmen der Branche bereits über eine Haftpflichtversicherung verfügten. Eine Verpflichtung würde aus ihrer Sicht die Kosten für kleine und mittlere Unternehmen erheblich steigern. Diese Mittel seien besser in der Risikoprävention investiert, sagte Pareras.

Auf viel Zustimmung bei den Experten traf die Forderung, ein verpflichtendes Register von implantierbaren Medizinprodukten einzurichten. Ein solches Register sei insbesondere zur Langzeitüberwachung zwingend erforderlich, sagte der Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung und Inhaber des Lehrstuhls für Chirurgische Forschung an der Universität Witten/Herdecke, Edmund Neugebauer. Wie internationale Beispiele zeigten, habe dies einen direkten Einfluss auf die Qualität der Medizinprodukte, fügte der Professor hinzu.

Die SPD-Fraktion schlägt in ihrem Antrag vor, für bestimmte Medizinprodukte wie Implantate und Herzschrittmacher europaweit ein einheitliches amtliches Zulassungsverfahren einzuführen. "Ziel muss es sein, dass nur solche Medizinprodukte zugelassen werden, für die der Patientennutzen im Verhältnis zu den Risiken nachgewiesen und vertretbar ist", heißt es zur Begründung. Die Grünen fordern, für implantierbare Medizinprodukte, zu denen auch Brustimplantate gehören, ein "der Arzneimittelzulassung vergleichbares staatliches Verfahren zur Marktzulassung und Marktüberwachung" einzuführen. Für das Inverkehrbringen solcher Medizinprodukte solle künftig eine Produktzulassung durch das BfArM oder die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) Voraussetzung sein. Die Fraktion führt aus, das bestehende "durch sogenannte Benannte Stellen durchgeführte Zertifizierungsverfahren für implantierbare Medizinprodukte" müsse ersetzt werden. Die vorhandene CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten habe lediglich den Ausschluss von Infektionsrisiken, die Gewährleistung der physikalischen Sicherheit sowie die Einhaltung der zugesagten Produkteigenschaften zum Ziel. "Die therapeutische Wirksamkeit oder gar der gesundheitliche Nutzen werden damit keineswegs bestätigt", betonen die Grünen.

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3. Experten uneinig über Sicherungsverwahrung

Rechtsausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/VER) Neun Fachleute diskutierten in einer Anhörung des Rechtsausschuss am Mittwochnachmittag über die nachträgliche Sicherungsverwahrung von Straftätern.

Anlass waren ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (17/9874) sowie jeweils ein Antrag der SPD-Fraktion (17/8760) und der Linksfraktion (17/7843). Im Mai 2011 hatte das Bundesverfassungsgericht einer Beschwerde von vier Sicherungsverwahrten stattgegeben und alle geltenden Vorschriften für verfassungswidrig erklärt. Bis Juni 2013 muss der Gesetzgeber nun eine neue Regelung suchen, heißt es in dem Karlsruher Urteil. Für sogenannte Altfälle gelten derzeit Übergangsregelungen. Die Karlsruher Richter sahen in dem bestehenden Gesetz unter anderem eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts und des Vertrauensschutzgebots und forderten eine völkerrechtsfreundlichere Auslegung des Grundgesetzes. Im Zentrum des Regierungsentwurfs steht deshalb das sogenannte Abstandsgebot. Danach müssen die Unterbringungsbedingungen in der Sicherungsverwahrung gegenüber den Haftkonditionen deutlich verbessert werden. Die SPD-Fraktion will die Sicherungsverwahrung auf schwerste Gewalt- und Sexualtaten beschränken und zudem eine nachträgliche Therapieunterbringung ermöglichen. Die Linksfraktion fordert die Einsetzung einer Expertenkommission.

Neun Experten legten deshalb in der Anhörung ihre Positionen dar: Dr. Ralf Peter Anders, Oberstaatsanwalt beim Landgericht Lübeck und Privatdozent an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Hamburg; Peter Aspiron, Diplompädagoge und Supervisor aus Freiburg im Breisgau; Konrad Beß, Richter am Oberlandesgericht München und Leiter der Zentralen Koordinierungsstelle Bewährungshilfe der bayerischen Justiz; Dr. Johannes Endres, Diplom-Psychologe und Leiter des Kriminologischen Dienstes des bayerischen Justizvollzugs, von der Justizvollzugsanstalt Erlangen; Professor Dr. Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Straf- und Sanktionsrecht aus Tübingen; Thomas König, Regierungsdirektor und stellvertretender Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl; Dr. Jens Peglau, Richter am Oberlandesgericht Hamm; Professor Dr. Henning Radtke, Direktor des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Leibniz Universität Hannover und Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Internationales Strafrecht sowie Dr. Stefan Weismann, Präsident des Landgerichts Aachen.

Konrad Beß beispielsweise befürwortete die Sicherungsverwahrung. Er argumentierte, dass oftmals die "Störung der Sexualpräferenz" erst in der Haft deutlich werde, nachdem das Strafmaß ja bereits festgelegt worden sei. Ähnlich argumentierte auch Thomas König. Henning Radke vertrat die Ansicht, dass eine "Abschaffung der Sicherungsverwahrung nicht richtig" sei. Johann Endres befürwortete den Gesetzentwurf der Bundesregierung aus der Perspektive seiner praktischen Arbeit heraus. Peter Aspiron dagegen erklärte, dass er in seiner 16-jährigen Arbeit als Bewährungshelfer immer wieder auf Diskriminierung von Sicherungsverwahrten in der Bevölkerung gestoßen sei. Ihnen sei es auch nicht möglich, eine Wohnung anzumieten. Jörg Kinzig führte an, dass die Sicherungsverwahrung eine "Haft für noch nicht begangene Straftaten" sei. Der Gesetzentwurf berge ein hohes Risiko, in Straßburg abgewiesen zu werden. Stefan Weismann betonte, dass aber "auch die Sanktionsmöglichkeit der nachträglichen Therapieunterbringung" nötig sei.

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4. Industrie warnt vor Verteuerung von Dieselkraftstoff

Finanzausschuss/Öffentliches Fachgespräch

Berlin: (hib/HLE) Pläne der EU-Kommission zur Änderung der Energiebesteuerung sind von Vertretern der Wirtschaft in einem öffentlichen Fachgespräch am Mittwoch Nachmittag äußerst kritisch beurteilt worden. "Für Deutschland würde eine Änderung der Besteuerung eine Erhöhung des Mindeststeuersatzes von Diesel von derzeit 47 Cent um 60 Prozent auf 75 Cent pro Liter nach sich ziehen", erklärte der Deutsche Speditions- und Logistikverband zum Richtlinienvorschlag des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/96 EG zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom. "Wir sind der Meinung, dass hierdurch ein falsches Signal mit erheblichen negativen ökologischen und ökonomischen Folgen für die Speditionsbranche und die Wirtschaft insgesamt gesetzt wird", warnten die Logistiker.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) lehnte den EU-Vorschlag einer Besteuerung nach dem Energiegehalt, die für jede Energieeinheit in jedem Mitgliedsland unabhängig vom Energieträger gleich sein soll, ab. Nur zwischen Kraftstoffen und Heizstoffen soll noch eine Differenzierung möglich sein. Für den Kraftstoffbereich ist eine Übergangsregelung bis 2023 vorgesehen. Laut BDI würde es zu einer Verringerung des Bruttoinlandsprodukts, zu einer Verringerung der Wertschöpfung der energieintensiven Industrie, zu einer Verringerung der Beschäftigung der energieintensiven Industrie, zu einer Verringerung des Konsums, insbesondere der ärmeren Haushalte, zu einer Verringerung der Reallöhne, zu einer Verringerung von Investitionen und Exporten der energieintensiven Industrien und gleichzeitig zu einer Erhöhung der Emissionen der energieintensiven Industrien kommen. Ähnlich äußerten sich die Verbände der energieintensiven Industrien.

Der Verband der Automobilindustrie erklärte: "Hier darf es nicht dazu kommen, dass im Zuge der Neufassung der EU-Energiesteuerrichtlinie der Steuersatz für Diesel drastisch erhöht wird." Gegen die Erhöhung bestünden "schwerwiegende steuersystematische, belastungs-, klima- und beschäftigungspolitische Bedenken". Der Dieselmotor sei effizienter als ein Ottomotor. So sei sein Verbrauch um 25 bis 30 Prozent niedriger. Der Effizienzvorsprung drücke sich auch in niedrigeren Kohlendioxid-Werten aus. Höhere Steuern würden zu einem Rückgang des Dieselanteils in der europäischen Fahrzeugflotte führen. Dadurch würden die Ziele zur Senkung der Kohlendioxid-Emissionen gefährdet. Das sei eine widersprüchliche Politik.

Dagegen bezeichnete der Autoexperte Ferdinand Dudenhöfer (Universität Duisburg-Essen) den Vorschlag der EU-Kommission ausdrücklich als richtig. Laut Dudenhöfer genießt Dieselkraftstoff in Deutschland einen Steuervorteil von 18 Cent je Liter, mit Mehrwertsteuer sogar von 21 Cent. "Bei einem Dieselverbrauch von 35 Milliarden Liter im Jahr 2010 entspricht dies einem Steuerausfall von 7,35 Milliarden Euro: eine stolze Summe", stellte der Sachverständige fest. Zwar werde der Diesel-Pkw in seiner Kfz-Steuer höher veranlagt als der Benziner, aber in der Summe bleibe die Steuerbilanz negativ. Außerdem würden Vielfahrer deutlich besser gestellt als Wenigfahrer. "Wer effizient mit Energie umgehen will, muss den Energiegehalt in unterschiedlichen Energieträgern gleich besteuern", verlangte Dudenhöfer. Mit der Beharrung auf Diesel und der Blockade der Richtlinie schieße Deutschland ein "Eigentor", weil alternative Kraftstoffe und wichtige Innovationen auf die lange Bank geschoben würden.

Der Richtlinienvorschlag gebe der deutschen und anderen Regierungen "ein wirksames Mittel zur Hand, Haushaltskonsolidierung und den Kampf gegen den Klimawandel aufkommensneutral und kosteneffektiv miteinander zu koppeln und damit wirtschaftliche Klugheit und ökologische Verantwortung miteinander zu verbinden", lobte das Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Mit dem EU-Vorschlag werde "endlich Wettbewerbsgleichheit zwischen den einzelnen Energieträgern" hergestellt. Der Verkehrsclub Deutschland warf der Industrie vor, ein "Horrorszenario" zu zeichnen.

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5. "Causa Erfurt" birgt nach wie vor Unklarheiten in sich

Sportausschuss

Berlin: (hib/HAU) Auch nach der Sitzung des Sportausschusses am Mittwochnachmittag bleiben Unklarheiten rund um die Blutmanipulationsaffäre am Olympiastützpunkt Thüringen bestehen. Insbesondere die Frage, mit welcher Fragestellung und welchen Informationen sich die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) an die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) gewandt hat, blieb ungeklärt, da der zu der Sitzung geladene Wada-Generaldirektor David Howman mit Verweis auf andere Verpflichtungen abgesagt hatte.

Die Vorstandsvorsitzende der Nada, Andrea Gotzmann, stellte die Situation aus ihrer Sicht dar. Danach habe sie sich im Februar 2012 explizit mit der Frage, ob die von einem Sportmediziner am OSP Thüringen vorgenommenen Bluttransfusionen erst durch den ab 2011 geltenden Wada-Code verboten gewesen seien oder auch schon davor, an die Wada gewandt und dazu auch sämtliche vorhandenen Unterlagen beigelegt. Ende April sei dann von der Wada in einem Brief die Mitteilung gekommen, es handle sich erst seit dem neuen Wada-Code um eine verbotene Methode. "Über diese Entscheidung haben wir uns gewundert, sie aber akzeptiert", sagte die Nada-Vorstandsvorsitzende. Ende Mai jedoch habe Wada-Chef Howman in einem Brief schwere Vorwürfe gegenüber der Nada erhoben. So seien die "falschen Fragen gestellt und nicht alle Unterlagen zugeschickt worden". Der Brief sei daher nur ein Zwischenbericht, da unvollständige Angaben keine finale Antwort ergeben könnten. Die Vorwürfe habe Howman später auch bei einem Interview auf dem Frankfurter Flughafen erneuert.

Vor den Abgeordneten stellte Gotzmann jedoch klar: "Das ist falsch." Es seien sehr wohl alle relevanten Informationen weitergeleitet worden. Der Wada habe man mit einem Protestbrief geantwortet, sagte sie. Bei einer schlussendlich am vergangenen Samstag stattgefundenen Telefonkonferenz habe Howman "in einem Nebensatz" eingeräumt, dass die Missverständnisse auf internen Kommunikationsproblemen der Wada beruht hätten, sagte die Nada-Vorstandsvorsitzende.

Was die Situation am OSP Thüringen angehe, liege seit dem 11. Juni das beauftragte Gutachten von Professor Heiko Striegel vor, wonach die Behandlung auch vor 2011 verboten gewesen sei. Daraufhin habe die Nada zwei Tage später ein Verfahren gegen einen Radsportler eingeleitet, sagte Gotzmann.

Kritik am Verhalten der Wada äußerten anschließend vor allem die Vertreter von Unions-, FDP- und Linksfraktion sowie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Christoph Bergner (CDU). Für ihn sei es "völlig unverständlich", wie die Wada agiere, sagte Klaus Riegert (CDU/CSU). Sein Fraktionskollege Eberhard Gienger sagte, die Wada versuche sich mit den Anschuldigungen "aus der Affäre zu ziehen". Der Briefwechsel zwischen Wada und Nada sei eine "Posse", urteilte Jens Petermann (Die Linke). Lutz Knopek zeigte sich "überrascht" vom Verhalten der Wada und sprach sich dafür aus, künftig jede Blutmanipulation als Doping anzusehen. Bergner kritisierte insbesondere, dass Howman lediglich für ein Interview nach Deutschland geflogen sei, statt den Kontakt mit der Nada zu suchen.

Zweifel an der Darstellung Gotzmanns, wonach der Wada-Chef in dem Telefoninterview das Probleme auf Missverständnisse innerhalb der Wada zurückgeführt habe, äußerte Viola von Cramon (Bündnis 90/Die Grünen). "Meine Korrespondenz mit der Wada sagt weiterhin aus, dass Sie die falschen Fragen gestellt haben sollen", sagte sie. Der SPD-Abgeordnete Martin Gerster äußerte sein Unverständnis darüber, dass die Nada das Schiedsverfahren gegen die Eisschnellläuferin Judith Hesse mit einem Vergleich beendet habe. "Sie hätten doch eigentlich an einem Urteil interessiert sein müssen", sagte er. Nada-Justiziar Lars Mortsiefer entgegnete, dass das Verfahren nicht mit einem Vergleich, sondern einem "Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut" beendet worden sei. Der Schiedsrichter habe zwei Sachen klargestellt, so Mortsiefer. Zum einen, dass es sich um ein Dopingvergehen handle. Zum anderen, dass aber kein schuldhaftes Verhalten der Athletin festzustellen sei.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 321 - 27. Juni 2012 - 17:30 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2012