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AGRAR/148: Beschluss des Parteirats zur landwirtschaftlichen Tierhaltung


Pressedienst von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 14. Januar 2013

Beschluss des Parteirats zur landwirtschaftlichen Tierhaltung



Berlin, 14. Januar 2013


Beschluss des Parteirats

Wir haben es satt! - Umweltverträglich, tiergerecht und gesund - für eine neue landwirtschaftliche Tierhaltung in unserem Land!

Die Landwirtschaft in unserem Land steckt in einer tiefen Krise. Die Politik der Bundesregierung und des Deutschen Bauernverbandes, die einseitig auf Größe, Wachstum und immer mehr Leistung setzt, ist gescheitert. Umwelt- und Ressourcenverbrauch nehmen immer weiter zu, der Tierschutz bleibt auf der Strecke und die Mehrzahl der Bäuerinnen und Bauern in unserem Land hat es immer schwerer, ein angemessenes Einkommen zu erwirtschaften. Allenfalls eine kleine Minderheit von Großagrariern und industriell strukturierten Unternehmen, die zunehmend auf den Export von Lebensmitteln setzen, profitieren.

Die negativen Folgen dieser Politik treten immer deutlicher zu Tage:

Der Zustand unseres Grundwassers ist beängstigend, seit Jahren stagnieren die Pestizid- und Nitratbelastungen auf hohem Niveau, zum Teil steigen sie sogar noch an. Flächenverbrauch und Biotopverlust sind nicht gestoppt, die rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten wird immer länger und die Klimaschäden durch die Landwirtschaft wachsen bedingt durch Grünlandumbruch, Überdüngung und Massentierhaltung beständig an.

Besonders deutlich werden die verheerenden Folgen dieser Politik des immer "größer und schneller" bei der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Agrarfabriken, nicht selten finanziert durch international agierende Akteure und Konzerne, schießen aus dem Boden. Die Einheiten, in denen die Tiere gehalten werden, werden immer größer. So hat sich die durchschnittliche Zahl der Masthühner pro Betrieb von 4.100 Tieren im Jahr 1999 über 6.800 Tiere 2007 auf fast 15.000 Tiere im Jahr 2010 innerhalb von 10 Jahren fast vervierfacht. Megaställe für mehrere tausend Sauen und hunderttausende Masthähnchen und Puten entstehen nicht nur in den bereits viehstarken Regionen in Niedersachsen und im Münsterland, sondern auch in den Ostdeutschland und bislang nicht betroffenen Regionen wie etwa der Eifel. Diese Art der Tierhaltung wird in aller Regel hoch arbeitsteilig und ohne ausreichende Fläche betrieben: Die notwendigen Futtermittel werden nicht mehr von den Tierhaltern selbst oder zumindest in der Region produziert, sondern zum überwiegenden Teil aus weit entfernten Ländern, allen voran aus Südamerika importiert. Für den Anbau von größtenteils gentechnisch verändertem Soja sind in den letzten Jahren nicht nur riesige Waldflächen abgeholzt worden. Mit den GV-Pflanzen einher ging auch eine enorme Steigerung des Pestizideinsatzes mit massiven Schädigungen der Anwohner und Umwelt. Durch die Inanspruchnahme von 2,5 Millionen Hektar Landfläche in Übersee setzen wir zudem die Ernährungssouveränität der Menschen in diesen Ländern aufs Spiel, denen die Flächen zum Anbau ihrer eigenen Nahrungsmittel genommen werden, damit bei uns immer mehr Fleisch produziert werden kann.

Gleichzeitig wird unseren Nutztieren immer mehr an Wachstum und Leistung abverlangt, häufig auf Kosten ihres Wohlbefindens und ihrer Gesundheit. So hat sich die durchschnittliche Milchleistung je Kuh in den letzten zwanzig Jahren von unter 5000 Litern auf über 7200 Litern pro Jahr um fast 50 % gesteigert. Von "Spitzenkühen" werden heute Leistungen von weit über 10.000 Litern erwartet. Sauen werden so gezüchtet, dass sie mehr Ferkel gebären, als sie Zitzen zum Säugen besitzen. Sofern die Ferkel überhaupt noch von der Mutter gesäugt werden, erfolgt die Trennung häufig bereits nach drei Wochen - viel zu früh und mit massiven negativen Folgen für das Sozialverhalten und die Gesundheit der Tiere. Tageszunahmen von bis zu 1.000 Gramm pro Tag und mehr sind bei Mastschweinen heute Realität, Masthühner müssen innerhalb ihres kurzen Lebens von meist nicht mehr als 30 bis 35 Tagen ihr Körpergewicht um das Tausendfache und mehr vermehren.

Diese Turbomast auf engstem Raum und in nicht tiergerechten Haltungssystemen wird teuer erkauft: Die haltungsbedingte, betäubungslose Amputation von Körperteile wie den Schwänzen beim Schwein oder den Schnäbeln beim Geflügel ist, obwohl an sich europaweit verboten, die Regel und wird stillschweigend von den Behörden als "systemimmanent" geduldet. Durch Überforderung und nicht artgerechte Fütterung werden die Tiere krank, der massive Einsatz von Antibiotika und anderen Medikamenten ist die Folge.

Untersuchungen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben gezeigt, in welch großem Ausmaß Antibiotika in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung eingesetzt werden. So kommen neun von zehn Masthühnern, so die Ergebnisse einer Studie aus NRW, bzw. 100% der Kälber, so eine niedersächsische Stichprobe, im Laufe ihres kurzen Lebens mit Antibiotika in Berührung, häufig nicht nur einmal, sondern mehrfach und mit zahlreichen Wirkstoffen. Im September 2012 musste selbst die Bundesregierung eingestehen, dass 2011 mit 1.734 Tonnen weit mehr Antibiotika, als von ihr bislang angenommen, an Nutztiere verfüttert wurden und Deutschland damit eine traurige Spitzenstellung in Europa einnimmt.

Diese Entwicklung schadet nicht nur den Tieren und der Umwelt, sondern sie bedroht zunehmend auch die Gesundheit der Menschen, insbesondere durch die Verbreitung Antibiotika-resistenter Keime.

Dieser verfehlten Politik der Bundesregierung setzen Bündnis 90/Die Grünen eine andere, an der bäuerlichen Landwirtschaft ausgerichtete Agrarpolitik entgegen: Klasse statt Masse, regionale Kreisläufe, ein faires Bündnis zwischen VerbraucherInnen und LandwirtInnen, eine Landbewirtschaftung, die die natürlichen Ressourcen schont und eine Tierhaltung, die auf die Bedürfnisse unserer Mitgeschöpfe Rücksicht nimmt und sie nicht überfordert - das sind unsere Anforderungen an eine tiergerechte, nachhaltige und damit zukunftsfähige Agrarpolitik.

Um diese zu erreichen, setzen wir uns vor allem für die folgenden Maßnahmen ein:

  1. Das Tierschutzgesetz und die auf ihm beruhenden Haltungsverordnungen müssen grundlegend geändert und an dem grundgesetzlich verankerten Staatsziel Tierschutz ausgerichtet werden. Mehr Platz, Bewegungsfreiheit und Auslauf, eine artgerechte Fütterung, ein konsequentes Verbot der Amputation von Körperteilen und eine tiergerechte Begrenzung von Zucht-, Mast- und Leistungszielen sind die entscheidenden Stichworte. Die Haltungsbedingungen müssen den Tieren angepasst werden und nicht, wie heute traurige Praxis, die Tiere den Haltungsbedingungen! Dazu bedarf es vor allem auch Haltungsvorschriften für die Tierarten, wie z.B. Puten, für die es heute keinerlei Haltungsverordnungen gibt.
  2. Durch die Änderung des Bau- und Immissionsschutzrechts wollen wir die Entstehung weiterer Groß- und Megaställe insbesondere im Außenbereich verhindern. Die privilegierte Errichtung von Ställen soll sich zukünftig an den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsgrenzen orientieren, die ihrerseits wieder auf die bis 1996 geltenden Tierplatzzahlen zurückgeführt werden. Auch kleinere Stallanlagen sollen in bereits besonders viehdichten Kommunen nur noch privilegiert im Außenbereich gebaut werden dürfen, wenn die Tiere überwiegend mit betriebseigenem Futter ernährt werden und die anfallende Gülle im eigenen Betrieb oder ortsnah verwertet werden kann. Damit wird die baurechtliche Privilegierung gewerblicher Tierhaltungsanlagen begrenzt, sowie Überdüngung und Gülletourismus bei neuen Ställen beendet. Zudem werden die planungsrechtlichen Steuerungsmöglichkeiten der Kommunen dadurch gestärkt.
  3. Der Einsatz von Medikamenten und insbesondere von Antibiotika muss drastisch reduziert und auf das aus Tierschutzgründen absolut notwendige Minimum begrenzt werden, um die weitere Ausbreitung von gefährlichen Resistenzen wirksam zu bekämpfen. Um dies zu erreichen brauchen wir neben einer Verbesserung der Haltungs- und Zuchtbedingungen der Tiere insbesondere die gesetzliche Verankerung eines anspruchsvollen Minimierungsziels, die lückenlose Aufdeckung und Nachverfolgung der Antibiotikaströme von den Pharmaunternehmen über die ZwischenhändlerInnen und TierärztInnen bis hin zu den LandwirtInnen, ein Verbot der Rabattierung von Antibiotika, eine kritische Überprüfung des tierärztlichen Dispensierechtes und des Einsatzes sog. Reserveantibiotika im Veterinärbereich. Statt den ganzen Bestand und damit Tausende von Tieren "metaphylaktisch" mit Antibiotika zu behandeln, muss, wo immer dies möglich ist, wieder die einzelne Behandlung des kranken Tieres im Vordergrund stehen.
  4. Um die Ausbreitung von Bioaerosolen und gefährlichen Keimen aus Ställen zu verhindern, müssen die Tierhaltungsanlagen Schritt für Schritt, beginnend mit den größeren Anlagen, mit entsprechenden Filtern ausgerüstet werden.
  5. Anstatt wie die Bundesregierung die Orientierung am Weltmarkt als Ziel zu formulieren, setzen wir auf regionale Kreisläufe und einen Bund zwischen Landwirtschaft und VerbraucherInnen. Die Abschaffung der Exportsubventionen, Gentechnikfreiheit, eine nationale und europäische Eiweiß- und Futtermittelstrategie, klare Kennzeichnungsregelungen für die Herkunft und Qualität von Lebensmitteln und ein stetiger und nachhaltiger Ausbau der ökologischen Landwirtschaft sind Elemente unserer Strategie der regionalen Wertschöpfungsketten.
  6. Auf europäischer Ebene muss sich die Bundesrepublik wieder als Motor für ein stärkeres "Greening" der Agrarpolitik und für mehr Tierschutz verstehen. Agrarzahlungen aus Steuermitteln müssen endlich konsequent an öffentliche Leistungen geknüpft werden. Deutschland muss Vorreiter und Vorkämpfer für europaweite, anspruchsvolle Standards im Umwelt- und Tierschutzbereich werden, statt diese Ziele zu blockieren, wie dies die jetzige Bundesregierung macht.

Im Agrarministerrat muss die Bundesregierung sich endlich für die vernünftigen Vorschläge der EU-Kommission zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik stark machen statt zu blockieren. Die notwendigen Schritte in eine nachhaltigere, klima- und umweltfreundlichere Landwirtschaftspolitik und Förderung dürfen nicht scheitern.

Die Bundesministerin Aigner muss sich endlich für eine gerechtere Verteilung der Direktzahlungen einsetzen und offensiv für eine ökologisch verantwortbare Landbewirtschaftung eintreten, denn es gilt öffentliches Geld für öffentliche Güter. Auch die Milcherzeugung muss im Rahmen der Reform der Europäischen Agrarpolitik eine neue Orientierung bekommen. Die Milchkrise bedroht weiter bäuerliche Existenzen und gefährdet traditionelle und ökologisch wertvolle Grünlandregionen. Wir Grünen setzen uns für ein Konzept der flexiblen Mengensteuerung ein und eine damit einhergehende Stärkung der Milcherzeuger.

Die Idee des "Greening" also der Orientierung der Landwirtschaftsförderung an ökologischen und sozialen Zielen darf von Ilse Aigner und ihren Kolleginnen und Kollegen im Rat der Europäischen Agrarminister nicht zum Etikettenschwindel gemacht werden.

Deshalb unterstützt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Demonstration "Wir haben es satt!" am kommenden Samstag, 19. Januar 2013 und ruft zur Teilnahme auf.

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Quelle:
Pressedienst vom 14. Januar 2013
Bündnis 90/Die Grünen Bundesvorstand
Sigrid Wolff, Pressesprecherin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2013