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ENERGIE/751: Elektromobil in die Zukunft (DFG)


forschung 2/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Elektromobil in die Zukunft

Von Martin Winter, Miriam Kunze, Alexandra Lex-Balducci


In Handys, Notebooks und Digitalkameras sind Lithium-Ionen-Batterien längst weit verbreitet. Mit neuartigen Materialkombinationen erweitert eine interdisziplinäre Forschungsinitiative nun die Potenziale der Speichertechnologie - vor allem für energieeffiziente Fahrzeugantriebe.


Das Personenauto oder der LKW mit Verbrennungsmotor ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir haben uns an die unbegrenzte individuelle Mobilität gewöhnt, zu sehr vielleicht, um jetzt erst zu erkennen, dass es doch Grenzen gibt. Eine entscheidende Grenze liegt in der Verfügbarkeit der Energie, im begrenzten Vorhandensein von fossilen Brennstoffen.

Als Alternative werden landauf, landab regenerative Energien diskutiert. Allerdings stehen die nahezu unbeschränkt verfügbaren regenerativen Energiequellen wie Sonne und Wind nicht immer und überall gleichmäßig zur Verfügung. Darüber hinaus muss einmal erzeugte elektrische Energie sofort genutzt werden. Für die Konservierung von elektrischem Strom werden daher leistungsfähige und dauerhafte Energiespeicher gebraucht.

Die Lithium-Ionen-Technologie ist die derzeit eleganteste und auch effizienteste Methode, elektrischen Strom zu konservieren. Der Mechanismus ist im Prinzip sehr einfach: Zwei mischleitende Einlagerungsverbindungen mit stark unterschiedlichem chemischen Potenzial für Lithium-Kationen und den korrespondierenden Elektronen werden als negative (Anode) und als positive Elektrode (Kathode), ein Elektrolytsalz im organischen Lösungsmittel als Elektrolyt eingesetzt. Die Lade- und Entladereaktion bestehen aus dem Transfer der Lithium-Kationen zwischen den Elektroden über das Medium "Elektrolyt".


Es ist besonders wertvoll, dass die Lithium-Ionen-Batterie - dem "Baukastenprinzip" vergleichbar - den Einsatz zahlreicher Materialien und Materialkombinationen möglich macht. So sind der Suche nach neuen Materialien praktisch keine Grenzen gesetzt. Bei einer Spannung von circa. 3,4-3,8 V (je nach Zelltyp und Beanspruchungsprofil) erreichen Lithium-Ionen-Zellen im Vergleich zu anderen Akkumulatoren unschlagbare Energieinhalte von bis zu 250 Wh/kg (Wattstunden pro Kilogramm) beziehungsweise 800 Wh/l (Wattstunden pro Liter).

In Mobiltelefonen und Notebooks, in tragbaren Werkzeugen, sogenannten Power Tools, und Kameras, zusammengefasst als 4C-Markt, hat die Lithium-Ionen-Batterie bereits flächendeckend Einzug gehalten. Schließlich genießt sie im Vergleich zu anderen wieder aufladbaren Batterien den Vorteil einer ausgeprägten Formenvielfalt und ihrer hohen Energiedichte. Allerdings sind die jeweils besten Werte für Energie und Leistung nicht mit einem System zu erreichen. Vielmehr lässt es sich je nach Anwendung für hohe Leistung oder hohe Energie auslegen.

Es ist eine relative Betrachtungsweise notwendig, um einzuordnen, ob die Energieinhalte von Lithium-Ionen-Batterien wirklich so hoch sind. Das gilt auch beim derzeitigen Batterie-Topthema: der Elektromobilität, also der Fortbewegung mithilfe von Batterien und elektrischem Strom, zum Beispiel bei (teil-)elektrisch angetriebenen Autos, Bussen, Fahrrädern.

Die Lithium-Ionen-Technologien, die derzeit im Elektrofahrzeug einsetzbar sind, geben "ungefähr" 0,5 bis 1 Kilometer Reichweite pro Kilogramm Batteriegewicht. "Ungefähr" deshalb, weil viele verschiedene Lithium-Ionen-Technologien und auch verschiedene Fahrzeugkonzepte miteinander konkurrieren. Eine Distanz von 100 Kilometern kann derzeit mithilfe von 100 Kilogramm schweren (oder noch schwereren) Batterien bewältigt werden.


Zwei Ansätze gibt es, damit umzugehen. Einerseits gilt es, die Lithium-Ionen-Technologie weiterzuentwickeln sowie auch an Alternativtechnologien zu arbeiten mit dem Ziel, längere Reichweiten zu ermöglichen. Das ist eine Strategie für die Elektromobilität von morgen, vielleicht sogar übermorgen. Andererseits - und das ist der andere Ansatz - ist die Anwendung an das Eigenschaftsprofil der individuellen Technologie anzupassen. Dabei ist an ein Cityfahrzeug zu denken, welches für den Stadt- oder Pendlerverkehr ausgelegt ist: klein, leicht, mit einer Batteriegröße, die eine Reichweite von 100 Kilometern gewährleistet. Doch eine solche Distanz entspricht nicht den Gewohnheiten und den Wünschen der Verbraucher nach persönlicher Freiheit. Die Folge: Das Elektrofahrzeug hat es schwer, schon jetzt akzeptiert zu werden, obwohl in Deutschland die durchschnittlich zurückgelegte Strecke im Automobil pro Tag deutlich unter 50 Kilometern liegt.

Pointiert gesagt: Eigentlich ist ein typisches Fahrzeug ein "Stehzeug"; es wird meistens weniger als ein bis zwei Stunden am Tag bewegt. Oder man behilft sich mit "Plug-In-Hybriden", die eine mittelgroße Batterie mit Elektromotor und einen Verbrennungsmotor mit Treibstofftank kombinieren. Auf Kurzstrecken fährt das Fahrzeug elektrisch, auf der Langstrecke hilft der Verbrennungsmotor aus. Die Fahrzeugbatterie wird elektrisch nachgeladen, etwa über Nacht.

City- und Plug-In-Fahrzeug sind mit heutiger Lithium-Ionen-Technologie realisierbar. Die bisherigen Elektrofahrzeuge auf heimischen Straßen zählen überwiegend zu den Versuchsflotten von Energieversorgern, Stadtwerken, Taxiunternehmen oder Fahrzeugherstellern, nur die Minderheit gehört Privatleuten. Dieses liegt aber nicht nur an den noch verminderten Geschwindigkeiten und dem "Streckenpotenzial" einer Batterieladung, sondern auch an den noch zu hohen Kosten für eine Lithium-Ionen-Batterie im Automobilmaßstab.

Neben den Aspekten der Kosten und Energieinhalte sind auch die Fragen der Sicherheit, des Temperaturfensters für den Betrieb, der Schnellladefähigkeit und der Lebensdauer noch nicht abschließend beantwortet.

Warum wird die Lithium-Ionen-Technologie trotzdem favorisiert? Dafür gibt es zum einen strategische, zum anderen technologische Gründe. Die strategischen Gründe liegen auf der Hand. Parallel zur Ernüchterung über den Zeithorizont für die Kommerzialisierung der Brennstoffzelle im Automobil, suchte man nach Erfolg versprechenden, schnell umsetzbaren Technologien. Diese Alternative war schnell gefunden: Der Hybridantrieb, allerdings mit Nickelmetallhydrid (NiMH)-Batterietechnologie hatte seit den 1990er-Jahren beispiellos schnelle Fortschritte gemacht. Die NiMH-Batterie mit ihren geringen nutzbaren Energieinhalten ist allerdings für den rein-elektrischen Betrieb ungeeignet, eher "nur" als Hilfsaggregat zum Verbrennungsmotor. Dabei ist zum Beispiel an die Bremsenergierückgewinnung zu denken, für den Start-Stop-Betrieb im Stadtverkehr und unter Fahrbedingungen, bei denen der Verbrennungsmotor auf "schlechten Touren" läuft. Im Hybridbetrieb lässt sich eine beachtliche Menge Benzin einsparen.


Um vom Hybrid- zum Plug-In-Hybrid und dann auch zum reinen E-Fahrzeug zu kommen, braucht es eine Batterie mit höheren Energieinhalten und Leistungen: die Lithium-Ionen-Batterie. Gerade in der westlichen Welt kann man die Wertschöpfungskette der Batterie recht gut abbilden sowohl auf der Industrieseite - mit einer starken Chemie, einer großen Automobilindustrie und deren Zulieferern - als auch auf der Hochschulseite, wo naturwissenschaftliche Grundlagenforschung und Ingenieure sich dieses Themas sehr schnell und in intensiver Weise angenommen haben.


Eine Achillesferse bleibt die begrenzte Erfahrung in der Serienfertigung von Batteriezellen sowie in der Leistungselektronik von Batteriepacks. Technologische Gründe, die für die Lithium-Ionen-Technologie sprechen, wurden schon einige genannt. Heutiges Fazit: Es gibt keine andere Akkumulator-Technologie, welche einen annäherungsweise ähnlich guten Mix aus Energie, Leistung, Dynamik und Lebensdauer bietet. Das Wertvollste der Lithium-Ionen-Technologie ist aber ihre Vielfalt in der Chemie. Die Lithium-Ionen-Technologie lässt sich daher weiterentwickeln.

In diesen Zusammenhang gehören einerseits die "Performancesteigerung" und andererseits die Kostensenkung für Anode, Kathode und Elektrolytlösung. Im Zusammenspiel aller Einzelkomponenten ist die Lithium-Ionen-Batterie zukünftig ein herausragender Kandidat für die elektromobile Kurz- und Mittelstrecke oder für den Plug-In-Betrieb.

Für längere Strecken werden alternative Hochenergiebatteriesysteme, sogenannte "Superbatterien", wie Metall-Luft-Batterien, als aussichtsreicher erachtet. Wegen der besonders hohen Energiedichte ist der "heilige Gral" die Lithium-Luft-Chemie: eine komplexe Chemie, ein komplexer Zellenaufbau, viele Probleme, eine echte Herausforderung.

Die Realisierung der Metall-Luft-Batterien wird deshalb richtigerweise zeitlich weit nach der Lithium-Ionen-Technologie gesehen. Technologisch wird sie nach derzeitigem Ermessen die Lithium-Ionen-Batterie nicht einfach ersetzen, da Leistung und Dynamik nicht automobilgerecht sein werden. Die hochdynamische Lithium-Ionen-Technologie hat also auch neben solchen Hochenergiebatterien eine Bedeutung. Auch die Superbatterie ist letztlich auf Kompromisse angewiesen.


Die Elektromobilität wird gerade in den Anfangsjahren auf einen Kompromiss zulaufen. Es wird von verschiedenen Randbedingungen abhängen, wie dieser Kompromiss akzeptiert wird, beispielsweise von den Energiepreisen, den gesetzlichen Rahmenbedingungen bei der CO2-Reduktion, aber auch von der Akzeptanz dieser neuen Technologie in der Bevölkerung. Wird sie die Vorteile der Elektromobilität sehen und nicht nur die Nachteile? Wird es gelingen darzustellen, dass erneuerbare Energieerzeugung aus Solarstrom und Windkraft erst dann wirtschaftlich sinnvoll nutzbar ist, wenn sich einmal erzeugter Strom auch (hochdynamisch) zwischenspeichern lässt?

Batterien haben eine große Zukunft mit der Elektromobilität, aber auch darüber hinaus. Die Weichen dazu werden jetzt gestellt beziehungsweise müssen jetzt gestellt werden - durch die Politik, die Industrie und natürlich auch die Forschung.


Prof. Dr. Martin Winter ist Stiftungsprofessor für "Angewandte Materialwissenschaften zur elektrochemischen Energiespeicherung und Energiewandlung" am Institut für Physikalische Chemie der WWU Münster und Koordinator der von der DFG geförderten Projektinitiative.

Dr. Miriam Kunze arbeitet an der Erforschung innovativer Elektrolytsysteme für Lithium-Ionen-Batterien.

Dr. Alexandra Lex-Balducci ist Leiterin der Nachwuchsgruppe "Neue Lithium-Gelpolymerelektrolyte"; beide sind am Institut für Physikalische Chemie der WWU Münster tätig.

Adresse: Institut für Physikalische Chemie
Corrensstraße 28/30, 48149 Münster

DFG-Förderung im Rahmen der Projektinitiative:
"Funktionsmaterialien und Materialanalytik zu Lithium-Hochleistungsbatterien"


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

In der Erprobung: Die Leistungsfähigkeit und Lebensdauer von neu entwickelten Lithium-Ionen-Zellen werden durch simulierte Lade- und Entladevorgänge immer wieder getestet.
Am Anfang steht die Herstellung der Einzelkomponenten. Hier wird die zähflüssige Elektrodenpaste auf Metallfolie aufgebracht.
Nach dem Trocknen werden die feuchtigkeitsempfindlichen Teile in Spezialräumen mit relativer Luftfeuchtigkeit von unter 0,1 Prozent zu Modellzellen verbaut.
Erfolgreicher Prototyp: Der Tesla Roadster ist das erste Lithium-Ionen-getriebene Serienfahrzeug - mit mehr als 6000 Akkumulatoren.

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Quelle:
forschung 2/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 14-18
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 59,00 Euro (print),
59,00 Euro (online), 65,00 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2010