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FORSCHUNG/557: Quantenschalter im Nanogefängnis (mundo - Universität Dortmund)


mundo - Das Magazin der Universität Dortmund Nr. 9/06

Quantenschalter im Nanogefängnis

Doktor Alex Greilich, Dr. Dmitri Yakowlev und Prof. Manfred Bayer am Lehrstuhl für Experimentelle Physik IIa arbeiten an den Grundbausteinen eines neuen Supercomputers.

Von Karsten Mark


Jedes Kind hat es irgendwann einmal versucht: die größte und perfekteste aller Seifenblasen aufzupusten. Ist das Ergebnis nach vielen Versuchen dann endlich wie gewünscht, ist im selben Moment der Frust schon nicht mehr fern. Eine klitzekleine Berührung, ein etwas zu starker Luftzug reichen aus, das Werk in einem kurzen Augenblick wieder zerplatzen zu lassen. Seifenblasen sind ein flüchtiger Spaß. Gemessen an den ultrakleinen Schaltern, mit denen sich der Festkörperphysiker Prof. Manfred Bayer und sein Team beschäftigen, überdauern sie allerdings eine kleine Ewigkeit. Die Forschungsobjekte am Lehrstuhl für Experimentelle Physik IIa vertragen es nicht einmal, wenn man sie zu eingehend betrachtet.

Prof. Bayer hat ein ehrgeiziges Fern-Ziel: die Mitentwicklung eines völlig neuen Computertyps, gegen den sämtliche Supercomputer der heutigen Bauart alt aussehen würden - den Quantencomputer. Als ultimative Prüfung für die Leistungsfähigkeit eines Rechners gilt die Primfaktorzerlegung. Jede natürliche Zahl lässt sich als Produkt von Primzahlen darstellen, also Zahlen, die nur noch durch eins oder sich selber teilbar sind. Die Zahl 21 etwa lässt sich auch als Produkt aus den Primzahlen drei und sieben darstellen: 3*7=21. Was bei so kleinen Zahlen einfach aussieht, wird zur unlösbaren Aufgabe, sobald die Zahlen richtig groß sind. "Nimmt man Zahlen mit ein paar Hundert Ziffern, dann brauchen heutige Computer so lang, wie das Weltall existiert", erklärt Prof. Bayer, "ein Quantencomputer würde es vielleicht in ein paar Tagen schaffen. Wie schnell genau kann auch Bayer noch nicht sagen, denn "der Quantencomputer ist noch eine Vision", so Bayer, "wir werden ihn wohl auch nicht mehr erleben." Immerhin eines scheint sicher: "Der Quantencomputer wird mit Sicherheit kein Heimcomputer", so Bayer. Denn der technische Aufwand für seinen Betrieb dürfte in jedem Fall beträchtlich sein. "Aber einer in jedem Land würde ja schon reichen", meint Bayer.

Der grundlegende und entscheidende Unterschied zum heutigen Elektronenrechner läge im Prinzip der Datenverarbeitung. Während unsere Computer ihre Bits sequenziell, also alle der Reihe nach, abarbeiten müssen, wäre der Quantenrechner ein perfekter Parallelcomputer, der mit denselben Quanten-Bits mehrere Rechenoperationen zur selben Zeit in einem einzigen Schritt ausführen könnte. Während die Bits in einem Elektronenrechner nur die Zustände «null» und «eins» kennen, müssten diese Quantenbits, auch Qubits genannt, mehr als zwei Zustände annehmen können. In der wundersamen Welt der kleinsten Teilchen ist dies durchaus möglich. Dort regiert die Quantenmechanik, die der Physik unserer makroskopischen Erfahrungswelt mitunter völlig zu widersprechen scheint.

In Wahrheit gehorcht auch die Welt der großen Dinge der Quantenmechanik, dafür spricht zumindest alles, was die Physiker bislang wissen. Bloß machen sich die absonderlichsten quantenmechanischen Phänomene darin normalerweise nicht bemerkbar. Das Superpositionsprinzip ist eine dieser Absonderlichkeiten. Demnach kann ein System, das sich - wenn man es betrachtet - nur in zwei unterschiedlichen Zuständen befinden kann, auch sämtliche Zwischenzustände einnehmen, solange niemand hinsieht. Um zu verdeutlichen, wie absonderlich diese Möglichkeit in der makroskopischen Erfahrungswelt des Menschen wäre, hat der österreichische Physiker Erwin Schrödinger in den 1930er Jahren ein anschauliches, allerdings auch denkbar geschmackloses Gedankenexperiment formuliert, das als «Schrödingers Katze» berühmt wurde.

Die Katze als Versuchstier stellt darin das makroskopische Pendant eines Zweizustands-Quantensystems dar. Sie kann entweder lebendig oder tot sein. Ihr Schicksal hängt von einer perfiden Tötungsmaschine ab, mit der sie in eine nach außen hin völlig isolierte Kiste gesperrt wird. Die Apparatur setzt ein tödliches Giftgas frei, sobald ein Geigerzähler einen radioaktiven Zerfall registriert. In der Kiste befindet sich nur ein einziger instabiler Atomkern, der mit einer gewissen Halbwertszeit radioaktiv zu zerfallen droht. Physikalisch entscheidend ist, dass die Halbwertszeit eines radioaktiven Elements als statistische Größe nur für eine Menge von vielen Atomkernen aussagekräftig ist. Bei einer großen Menge lässt sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit voraussagen, dass nach Ablauf der Halbwertszeit tatsächlich die Hälfte der Kerne zerfallen ist. Die große Anzahl der Kerne sorgt dafür, dass sich die Abweichler unter den Kernen, also jene, die schneller zerfallen als der Durchschnitt, und jene, die länger existieren, gegenseitig ausgleichen. Einem einzelnen Kern lässt sich nicht ansehen, wann er zerfallen wird. Es gibt lediglich eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass er nach Ablauf der Halbwertszeit zerfallen ist.

Mit der Zeit sinken also die Überlebenschancen für «Schrödingers Katze» im gleichen Maße wie die Wahrscheinlichkeit für den instabilen Atomkern steigt zu zerfallen. Nach Ablauf der Halbwertszeit stehen die Überlebenschancen für die Katze 50 zu 50, und so lange niemand ihre Kiste öffnet, argumentierte Schrödinger, befinde sich der Atomkern in einem Überlagerungszustand von Existenz und Zerfallen-Sein, die Katze somit in einem sowohl toten als auch lebendigen Zustand.

Die Väter der Quantenphysik glaubten, dass allein das Nachschauen, die bewusste Messung, den Überlagerungszustand "kollabieren" lasse und damit über das Schicksal der Katze entscheide. Mittlerweile ist die mythisch anmutende Rolle des menschlichen Bewusstseins aus der physikalischen Deutung verschwunden. Ausschlaggebend, so meinen die Physiker heute, sei allein, dass Teilchen in einem Überlagerungszustand in keinerlei Wechselwirkung mit ihrer Umgebung stehen dürfen, um ihren Zustand nicht zu verlieren - für eine Katze eine unmögliche Voraussetzung. Doch selbst einzelne Teilchen sind kaum davon abzuhalten, mit ihrer Umgebung in Wechselwirkung zu treten. Prof. Bayer und sein Team sperren sie deshalb in wenige Milliardstel Meter kleine Gebilde ein, die Quantenpunkte genannt werden. Diese bestehen aus einem einzigen Siliziumatom, das von etwa 100.000 Gallium-, Indium- und Arsenatomen umgeben ist. Während die Halbleiterverbindung Gallium-Indium-Arsenid ein im Ganzen elektrisch neutrales Kristallgitter bildet, hat das eingeschlossene Siliziumatom ein Elektron zu viel für das Gitter. Diesem einsamen Elektron gilt die geballte Aufmerksamkeit der Physiker. "Es ist quasi eine experimentelle Zielfahndung", sagt Bayer.

Genau genommen steht sogar nur eine bestimmte Eigenschaft des Elektrons im Blickpunkt: der Elektronspin. In etwa lässt sich der Spin als Drehung des Teilchens um seine eigene Achse verstehen. Ganz stimmig ist diese Analogie nicht, schon deshalb, weil ein Elektron kein ausgedehntes Kügelchen, sondern nach momentanem Kenntnisstand ein punktförmiges Objekt ist. In seiner messbaren Auswirkung aber ist der Spin einem Drall durchaus ähnlich: Wie ein makroskopischer elektrisch geladener Körper, der sich auf einer Kreisbahn bewegt, hat auch das Elektron durch seinen Spin ein magnetisches Moment. Dieses lässt sich an einem äußeren Magnetfeld ausrichten und auch in seiner Richtung ändern.

Die Struktur des Quantenpunkts macht das Elektron dabei in gewisser Weise gefügig. Es ist dort so stark eingezwängt, dass es nur noch bestimmte, genau definierte Energiezustände einnehmen kann. Quantenpunkte wirken also wie künstliche Atome mit diskreten, genau feststehenden Energieniveaus für Elektronen. In ihnen lässt sich die Richtung des Spins prinzipiell umdrehen wie ein Kippschalter. Als Schalter, der den Gesetzen der Quantenmechanik unterliegt, aber kann er auch noch Überlagerungszustände zwischen diesen eindeutigen Stellungen einnehmen, solange seine Stellung nicht gemessen wird - ein solches Elektron könnte ein Qubit realisieren, den Grundbaustein eines Quantencomputers.

Einen Schaltvorgang, sprich eine sprunghafte Spindrehung, haben Prof. Bayer und sein Team schon realisieren können, und zwar in der beachtlichen Geschwindigkeit von etwa einer Billionstel-Sekunde. Möglich ist dies mittels ultrakurzer aber hoch energiereicher Laserpulse. Gleich mehrere Laserstrahlen zur Ausrichtung, Kontrolle und Drehung des Spins, ein sehr starkes Magnetfeld und extrem tiefe Temperaturen von etwa -270°C sind nötig, um das Elektron in seinem Quantenpunkt-Gefängnis unter Kontrolle zu halten. Und selbst unter fein abgestimmten Laborbedingungen ist die Angelegenheit noch äußerst fragil. Nur rund eine Millionstel-Sekunde lang lässt sich der Spin ausrichten, bevor er wieder aus dem Ruder läuft. "Das ist immer noch relativ kurz", muss auch Prof. Bayer einräumen, "aber immerhin schon sechs Größenordnungen besser als die Zeit zum Schalten des Qubits. Ein einzelnes Elektron ist furchtbar zerbrechlich." Verglichen mit den anderen zahlreichen Experimentalgruppen, die weltweit an der prestigeträchtigen Entwicklung eines Qubits arbeiten, hält sich der technische Aufwand bei den Dortmunder Experimenten noch relativ in Grenzen. Denn während die meisten Teams nur einen einzigen Quantenpunkt mittels teurer Nanotechnologie im Visier ihrer Versuchsaufbauten haben, arbeiten die Dortmunder Physiker mit «Ensemblen » von rund einer Million Quantenpunkten. Ursprünglich war es ein kühner Ansatz, da andere Proben einfach nicht zur Verfügung standen. "Wir hatten nicht viel Hoffnung, dass es was bringt", sagt Bayer, "aber wir haben es dennoch versucht." Mittlerweile könnte der vermeintlich aussichtslose Ansatz sogar ein Vorteil für die Dortmunder sein. Denn gegenüber jenen Gruppen, die nur ein einziges Elektron unter die Lupe nehmen, können die Dortmunder Physiker wesentlich stärkere Signale messen, was sich positiv auf die Geschwindigkeit der Messungen auswirkt. Und die ist bei so extrem flüchtigen Zuständen wie einem ausgerichteten Spin ein entscheidender Faktor.

Nichtsdestoweniger bringt es auch Probleme mit sich, eine so große Zahl von Elektronspins in Einklang bringen zu müssen. Und nur in Einklang können sie gemeinsam als Qubit funktionieren. "Wir richten die Spins mit hochintensiven Laserpulsen aus", erklärt Prof. Bayer, "der Laser ist gewissermaßen der Dirigent, der mit jedem Taktschlag das Orchester der vielen Spins wieder zusammen bringt." In den kurzen Zeitspannen zwischen den Taktschlägen aber haben die Elektronen alle ihr eigenes Tempo, mit dem sie wie seitlich angestoßene Kreisel um die Feldlinien eines äußeren starken Magnetfelds taumeln. Präzession nennen die Physiker diese Bewegung. Wie ein guter Dirigent muss deshalb der geeignete Laser für das Orchester gefundenwerden, der die Taktrate so variiert, dass sein Ensemble rhythmisch möglichst nah beieinander bleibt.

Die Störfaktoren, die selbst im so perfekt scheinenden Gefängnis der Quantenpunkte auf die Elektronspins wirken, sind die Spins der Atomkerne, die ebenfalls magnetische Momente verursachen. So penibel man bei der Herstellung von Quantenpunkten auch vorgeht, werden dabei niemals alle exakt gleich groß geraten. Die einzelnen Elektronspins werden also alle unterschiedlich von den Spins der sie umgebenden Kerne beeinflusst. "Sogar im Quantenpunkt sind immer noch Feinde da", scherzt Prof. Bayer, "aber immerhin kann man sich den Feind Kernspin zumindest teilweise zum Freund machen." Indem die Experimentatoren ihren Taktgeber-Laser und das Magnetfeld geschickt anpassten, erreichten sie einen Selbstfokussierungseffekt, der ihnen Mut macht, mit ihren Quantenpunkt-Ensembles auf einem Erfolg versprechenden Weg zu sein. Selbst die Realisierung mehrerer Spin-Dreh-Schaltvorgänge hintereinander scheint schon ein greifbares Ziel zu sein.

Die Entwicklung eines funktionierenden Qubits wäre ein Riesenerfolg - allerdings immer noch nur der erste von vielen extrem schwierigen Schritten auf dem Weg zum fertigen Quantencomputer. So müssten mehrere Qubits nicht nur jedes für sich nebeneinander funktionieren, wie es die Bits heutiger Computer tun, sondern als Einheiten, die gemeinsame quantenmechanische Überlagerungszustände eingehen können. "Verschränkte Zustände" nenne dies die Physiker. "Prinzipiell ein alter Hut", sagt Prof. Bayer, die praktische Nutzung, die eine präzise Noch liegen viele Experimente und Messungen vor den Physikern auf dem Weg zum fertigen Quantencomputer. externe Kontrolle erfordert, aber werde "unglaublich schwer" sein. Während die Naturwissenschaften mit den ersten funktionierenden Quantencomputern einen Riesenschritt nach vorn machen dürften, würden sie all jene, die sich mit der Verschlüsselung von Daten befassen, vor eine immens schwierige neue Aufgabe stellen. Denn die heutigen Verschlüsslungssysteme sind nur deshalb verlässlich, weil die Primfaktorzerlegung großer Zahlen von keinem Computer zu bewältigen ist. Ein Quantenrechner aber könnte solche Codes mit einem Mal knacken.


Zur Person

Prof. Dr. Manfred Bayer, Jahrgang 1965, entwickelte in seinem Studium zunächst eine starke Neigung zur Theoretischen Physik der Elementarteilchen. Zur Promotion wechselte er in die Experimentalphysik. Für seine Dissertation über Halbleiterquantenstrukturen wurde Bayer 1997 von der Universität Würzburg ausgezeichnet. 2000 habilitierte er über die optische Spektroskopie an Halbleitern. 2001 verlieh die Deutsche Physikalische Gesellschaft Bayer den Walter-Schottky-Preis für seine grundlegende Arbeit über photonische Kristalle. 2002 wurde er von der Universität Dortmund auf den Lehrstuhl für Experimentelle Physik II berufen. Außerhalb des Labors beschäftigt sich der Vater zweier Söhne mit Musik und Sport.


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Quelle:
mundo - das Magazin der Universität Dortmund, Nr. 9/06, Seite 31-35
Herausgeber: Referat für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Dortmund, 44221 Dortmund
Redaktion: Angelika Willers (Chefredakteurin)
E-Mail: redaktion.mundo@tu-dortmund.de

mundo erscheint zwei Mal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2008