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FORSCHUNG/187: Stürmische Zeiten für Norddeutschland? (GKSS)


GKSS-Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Jahresbericht 2006/2007

Stürmische Zeiten für Norddeutschland?

Von Dr. Ralf Weiße


Die Winterstürme der letzten Monate wie Kyrill, Franz oder Britta haben erneut die Frage aufgeworfen, ob und wie solche Stürme in Zukunft zunehmen werden. Sind diese Stürme bereits Vorboten des bevorstehenden Klimawandels? Wissenschaftler am Institut für Küstenforschung nehmen sich seit Jahren dieser Fragen an. Dabei erforschen sie nicht nur die Veränderlichkeit der Stürme, sondern auch ihre Auswirkungen auf die Küstenregion. Untersucht wird vor allem der Einfluss auf Sturmfluten und extremen Seegang.


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Stürme sind ein natürliches Phänomen. In unseren Breiten beziehen sie ihre Energie aus dem mittleren Temperaturunterschied zwischen polaren und tropischen Breiten. Ihre Häufigkeit und Stärke sind dabei natürlichen Schwankungen unterworfen. Es gibt Jahre und Jahrzehnte mit eher hoher und solche mit eher geringer Sturmaktivität. Derartige Schwankungen sind zunächst einmal normal und vom Einfluss des Menschen unabhängig.

Die Frage, ob und inwieweit die Entwicklung des Sturmklimas in den vergangenen Jahren außergewöhnlich war, erscheint einfach; ebenso die Frage, welche Trends für die Zukunft erwartet werden können. Im Detail erweisen sich diese Fragen allerdings als äußerst vielschichtig. Um sie zu beantworten, müssen eine ganze Reihe von Problemen gelöst und verschiedene Aspekte betrachtet werden.


Ist das gegenwärtige Maß der Sturmtätigkeit im Vergleich zu früheren Zeiten ungewöhnlich?

Um diese scheinbar recht simple Frage zu beantworten, benötigt man Messdaten, die möglichst weit in die Vergangenheit zurückreichen. Besonders wichtig ist, dass sich die Messmethodik über möglichst lange Zeiten kaum geändert hat, denn so bleiben Messwerte vergleichbar. Man spricht hier von homogenen Daten. Gerade bei der Auszählung von Stürmen aus Wetterkarten oder bei der Bestimmung ihrer Intensität aus Windgeschwindigkeiten stellt die Homogenität ein wesentliches Problem dar. Dem wird oftmals allerdings wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Bekannt ist dieses Problem beispielsweise bei der Erfassung von Stürmen über dem Meer. So bewirkte die Einführung von Wettersatelliten, dass insbesondere über den vormals nur durch wenige Messdaten untersuchten Ozeanen mehr und stärkere Stürme diagnostiziert wurden. Analysiert man solche inhomogenen Daten über längere Zeit, können Veränderungen vorgetäuscht werden, obwohl sich die tatsächliche Sturmaktivität im Grunde nicht verändert hat.

Unter Beteiligung von GKSS wurde diesem Problem in dem von der Europäischen Union geförderten Projekt WASA (Waves and storms in the North Atlantic) von 1995 bis 1997 erstmals größere Aufmerksamkeit geschenkt. Die in WASA gewonnenen Erkenntnisse und Methoden liefern noch heute eine wesentliche Grundlage für die bei GKSS durchgeführten Arbeiten zur Veränderlichkeit des Sturmklimas. Danach ergeben sich im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Zum einen kann man nach so genannten Proxy- oder Stellvertretervariablen suchen, mit deren Hilfe man Rückschlüsse auf die Veränderlichkeit des Sturmklimas ziehen kann. Im Vergleich mit direkten Windmessungen weisen diese eine deutlich bessere Homogenität auf. Solche "Proxies" basieren beispielsweise auf Luftdruckmessungen an Beobachtungsstationen, die seit Jahrhunderten mit dem im Prinzip unveränderten Quecksilberbarometer durchgeführt werden. Der Vorteil solcher Proxies besteht darin, dass mit ihrer Hilfe Sturmindices über Zeiträume von mehr als 200 Jahren erstellt werden können. So sind auch die relativ starken Schwankungen in der Sturmaktivität im Bereich von Jahrzehnten zu erkennen. Die relativ ausgeprägte Phase hoher Aktivitäten Mitte der 1980er Jahre erweist sich hingegen in der Rückschau als nicht besonders auffällig. Ein weiteres Problem stellen die zu kurzen Beobachtungszeiträume dar. Viele umfangreiche Messprogramme beginnen typischerweise um 1960-1970. Betrachtet man nur den sehr kurzen Zeitraum danach, so scheint die Sturmaktivität tatsächlich zuzunehmen. Erst die Betrachtung längerer Zeiträume relativiert diese Schlussfolgerung deutlich.

Längere Zeiträume lassen sich darüber hinaus auch mit Computermodellen und so genannten Reanalysen betrachten. Dabei werden die Wetteranalysen der Vergangenheit mit dem heutigen Stand der Technik wiederholt und die Daten reprozessiert. Auf diese Weise kann man einen Großteil der vorhandenen Inhomogenitäten beseitigen. Die Qualität der Daten zum Zweck einer Interpretation langfristiger Veränderungen verbessert sich. Im Vergleich zu Proxydaten kann man so zwar nur vergleichsweise kurze Zeiträume darstellen (seit etwa 1958), erhält jedoch eine Rekonstruktion des Wettergeschehens mit hohem räumlichen und zeitlichen Detaillierungsgrad. So lassen sich, anders als bei der Analyse von Proxydaten, auch Aussagen für Regionen treffen, aus denen nur wenige Beobachtungsdaten vorliegen.

An der Küste werden Stürme in der Regel von hohen Wasserständen (Sturmfluten) und schwerem Seegang begleitet. Über die Veränderlichkeit dieser Größen geben die oben beschriebenen Methoden zunächst keine Auskunft, da diese von Wetter- und Klimamodellen nicht berücksichtigt werden. Bei der GKSS wurden deshalb mit Hilfe reprozessierter Wetterdaten und weiterer Computermodelle (zum Beispiel in den Projekten HIPOCAS und coastDat) Rekonstruktionen des Seegangs und des Sturmflutgeschehens in der Nord- und Ostsee erzeugt. Diese ermöglichten erstmals eine räumlich und zeitlich detaillierte Beschreibung der Veränderlichkeit des Sturmflut- und Seegangsklimas der letzten zirka 50 Jahre. Danach haben beispielsweise die Höhen der größten Wellen in der Deutschen Bucht von 1958 bis etwa 1995 um etwa 10 Prozent zugenommen, während für die Zeit nach 1995 ein deutlicher Rückgang zu beobachten ist. Solche Kenntnisse sind eine entscheidende Voraussetzung, um mögliche zukünftige Änderungen einschätzen und bewerten zu können.


Welche durch den Menschen beeinflussten Änderungen erwarten wir für die Zukunft? Lassen sich diese Änderungen bereits heute aus den Beobachtungen ablesen?

Heutige Klimamodelle können das gegenwärtige Klima und die historischen Klimaschwankungen einigermaßen gut darstellen. Voraussetzung dafür ist, dass man die "externen" Randbedingungen, also die Sonnenleistung, die atmosphärische Konzentration von Treibhausgasen und dergleichen mehr vorgibt. Diese Modelle beschreiben das Klima mit zumeist befriedigender Zuverlässigkeit. Je kleiner aber die räumlichen Abmessungen sind, desto weniger zuverlässig sind die Modelle. Es ist zum Beispiel deutlich einfacher, eine Aussage über die global gemittelte Temperatur zu machen als über den Niederschlag in Hessen. Noch schwieriger wird es, wenn man nicht Mittelwerte, sondern die Variabilität von Naturphänomenen oder gar seltene Ereignisse wie etwa Winterstürme in unseren Breiten berechnen will. Glücklicherweise gibt es seit einigen Jahren so genannte Regionalmodelle, die besser mit räumlichen Details umgehen können. So gehen Klimawissenschaftler davon aus, dass solche Modelle auch qualifizierte Aussagen über mögliche Zukunftsszenarien machen können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Gegenwart und Vergangenheit realistisch beschrieben werden. Zudem muss es gelingen, robuste Abschätzungen über die antreibenden Faktoren zu konstruieren. Dabei geht es vor allem um die richtige Einschätzung der künftigen atmosphärischen Konzentrationen von Treibhausgasen.

Diese Konzentrationen hängen wesentlich von der künftigen Freisetzung in die Atmosphäre und damit von gesellschaftlichen Faktoren ab. Letztere sind nicht wirklich vorhersagbar. Daher werden gesellschaftliche Entwicklungen (beispielsweise Bevölkerungsentwicklung, Globalisierung und Innovationsgrad) in Form von Szenarien antizipiert. Dabei handelt es sich um mögliche, plausible, in sich konsistente aber nicht immer sehr wahrscheinliche Entwicklungen. So erhält man eine Reihe alternativen Entwicklungen. Globale Klimamodelle rechnen auf dieser Basis oftmals hundertjährige Folgen von beispielsweise stündlichem Wetter mit einer großen Anzahl von relevanten Variablen aus. Dadurch lässt sich abschätzen, welche Folgen möglich und plausibel erscheinen.

Die Rechnungen der globalen Klimamodelle werden anschließend mit verschiedenen regionalen Klimamodellen verfeinert, so auch bei GKSS und Kooperations-Partnern. Dabei stellte sich heraus, dass bei gleichem globalen Antriebsmodell die verschiedenen Regionalmodelle viele Aspekte einer zukünftigen Entwicklung für Europa ähnlich beschreiben. Allen Simulationen ist gemein, dass es deutlich wärmer wird. Die GKSS-Analysen zeigen unter anderem, dass es Veränderungen in den statistischen Verteilungen von winterlichen Starkwindgeschwindigkeiten über der Nordsee oder sommerlichen Niederschlägen in Norddeutschland geben wird. Abbildung 2 zeigt beispielhaft erwartete Veränderungen im Szenario A2 ("business as usual") für den Zeitraum 2070-2100 im Vergleich zu 1960-1990 für Niederschlagereignisse, Temperatur und Starkwind in Norddeutschland.

Demnach kann man für Starkwindereignisse in Norddeutschland gegen Ende des Jahrhunderts mit einer Zunahme der Windgeschwindigkeiten von bis zu 10 Prozent rechnen. Nimmt man einen linearen Anstieg dieser Größe über die Zeit an, ergibt sich eine anfängliche Überschätzung des Effekts. In diesem Falle läge der Anstieg bei knapp 1 Prozent pro Jahrzehnt. Das ist ein sehr schwaches Signal, das jenseits der Nachweisgrenze liegt. Es ist folglich stimmig, dass wir in den Winddaten derzeit kein Klimaänderungssignal finden können.

Das Institut für Küstenforschung hat die Windfelder aus solchen Klimaänderungsszenarien weiter verwendet, um Sturmfluten und Seegang zu simulieren - beispielsweise längs der deutschen Nordseeküste. Demnach ist ein Anstieg von bis zu 10 bis 20 cm für Cuxhaven und St. Pauli für 2030 im Rahmen des A2-Szenarios plausibel.

Für 2085 ergeben sich wesentlich höhere Zahlen, nämlich 50 bis 60 cm für Cuxhaven und 50 bis 80 cm für St. Pauli. Diese Zahlen beinhalten sowohl den Anteil aufgrund veränderter Sturmtätigkeit als auch den Anstieg des mittleren Wasserstandes aufgrund der thermischen Ausdehnung des Wassers. Die Zahlen sind mit einer merklichen Unsicherheit behaftet, die für die Werte des Jahres 2030 eine Differenz von bis zu ±20 cm und für jene des Jahres 2085 bis zu ±50 cm ausmachen kann. Diese grundsätzliche Unsicherheit wird letztlich durch die Verwendung verschiedener gesellschaftlicher Szenarien (Freisetzung von Treibhausgasen) bewirkt. Diese Tatsache bleibt bei der öffentlichen Kommunikation von Resultaten der Klimaforschung aber leider oft unberücksichtigt.


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Quelle:
Jahresbericht 2006/2007, S. 37-40
Herausgeber: GKSS-Forschungszentrum Geesthacht GmbH
Max-Planck-Straße 1, 21502 Geesthacht
Tel. 04152/87-0, Fax. 04152/87-1403
Internet: www.gkss.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2007