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FORSCHUNG/159: Rückblende - Mit der Tonne in die Atmosphäre (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 4/2006

Rückblende

Mit der Tonne in die Atmosphäre


Allgegenwärtig, aber unsichtbar: Kosmische Höhenstrahlung durchdringt selbst tausend Meter dicke Gesteinsschichten. Zur Zeit ihrer Entdeckung war es schwierig, sie überhaupt zu messen, geschweige denn sie in den äußeren Schichten der Erdatmosphäre eingehend zu untersuchen. Doch der Tüftler und Visionär Erich Regener kam den kaum zu fassenden Strahlen tief in Seen und an den Grenzen der Atmosphäre auf die Spur. Mit seinen Ballons und Messinstrumenten ebnete er auch den Weg für die Erforschung des Weltraums - obwohl die Nationalsozialisten ihm seine Arbeit beinahe unmöglich gemacht hätten.


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Auf dem Gebiet der Atmosphärenforschung herrschte Goldgräberstimmung, als Erich Regener 1914 in Berlin eine Professur für Experimentalphysik annahm. Die erst zwei Jahre zuvor von Victor F. Hess entdeckte kosmische Strahlung warf mit jeder geklärten Frage zehn neue auf. Dieser geheimnisvollen Energie widmete sich nun auch Erich Regener mit Eifer, nachdem er sich schon in Doktor- und Habilitationsarbeit mit der Absorption von Strahlung und den Schichten der Erdatmosphäre beschäftigt hatte. Doch der Pionier der Atmosphärenforschung musste dabei große technische Hürden überwinden: Eigentlich konnte man die Hintergrundstrahlen nur tief unter Wasser messen, nicht zuletzt weil die Hintergrundstrahlen der Umgebung Messungen auf der Erdoberfläche behinderten. Also erfand Regener eine Ionisationskammer, die die Strahlung automatisch detektiert, besorgte sich ein U-Boot und schickte die Messgeräte 250 Meter tief in den Bodensee. Doch um das Wesen der Höhenstrahlung wirklich zu ergründen, gab es nur eins: Messgeräte hoch in die Atmosphäre befördern.

Erich Regener plante deshalb unbemannte Ballonflüge in die Atmosphäre. Für sein Projekt baute Regener, der nicht nur passionierter Wissenschaftler, sondern auch versierter Bastler war, spezielle Messgeräte. Werner Braunbek, ein langjähriger Mitarbeiter Regeners, beschrieb sie so: "Regeners Registrierapparate verbinden geringstes Gewicht mit größter Exaktheit." Doch der Wissenschaftler musste noch mit einigen Widrigkeiten der äußeren Atmosphäre fertig werden: Da es dort bis zu minus 50 Grad kalt ist, funktionieren Batterien nicht. Auf die waren die automatischen Messgeräte aber angewiesen. Außerdem platzen Ballons ab einer bestimmten Höhe, sodass die empfindlichen Messgeräte abgestürzt und am Boden zerschellt wären.

Erst 1932 hatte Regener alle Probleme gelöst: Um die Geräte auf 10 bis 30 Grad Celsius zu halten, konstruierte er um sie herum eine Art Treibhaus. Und damit die Instrumente wohlbehalten wieder landeten, koppelte er mehrere Ballons zusammen. Platzte einer von ihnen, so ließen die anderen die Geräte sanft zu Boden sinken. Eine Technik, die als Regener'sches Tandem bekannt wurde. So konnten die Forscher die Ballons endlich vom Garten des Physikalischen Instituts der Technischen Hochschule Stuttgart aus steigen lassen, wo Regener seit 1930 arbeitete.

Schon bald entdeckten die Forscher überraschende Phänomene: Anders als erwartet wurde die Höhenstrahlung - damals noch Ultrastrahlung genannt - in mehr als 20 Kilometer Höhe nicht stärker, sondern plötzlich wieder schwächer. Regeners Mitarbeiter Georg Pfotzner erklärte den Befund so: Wenn die energiereichen Teilchen aus dem Kosmos in die Atmosphäre eindringen, lösen sie Sekundärprozesse aus. Dabei vervielfacht sich die Zahl der Partikel, die zur Erde sausen. In den unteren Schichten der Atmosphäre kommt deshalb kaum noch primäre Strahlung an, die direkt aus dem Weltraum einfällt, sondern vor allem die wesentlich intensivere Sekundärstrahlung.

Um die primäre Höhenstrahlung messen zu können, hängten die Forscher nach einer Idee von Regeners Assistent Erwin Schopper Fotoplatten unter ihre Ballons. Schopper entdeckte 1937 auf diese Weise Neutronen als Bestandteile der kosmischen Strahlung. Sowohl mit den Tandem-Ballons als auch mit den Fotoplatten arbeiteten Physiker später weltweit.

Regener und seine Mitarbeiter nutzten die Ballonflüge auch, um Druck, Temperatur und chemische Zusammensetzung der Atmosphäre zu messen. 1934 gelang es den Forschern dann zum ersten Mal, den Ozongehalt mithilfe eines speziellen Spektrografen direkt zu bestimmen. Das Ergebnis überraschte: Der Ozongehalt schwankte mit der Jahreszeit und mit der geografischen Breite. Die Messmethode, mit der die Wissenschaftler das nachwiesen, verwenden Atmosphärenforscher im Prinzip auch heute noch. Die Forscher kannten damals sogar schon die lebenswichtige Rolle des Ozons: "Die Ozonschicht wirkt als Schutzschicht für alles Lebendige und sorgt sozusagen für ein mildes photochemisches Klima auf dem Grund der Erde", sagte Regener.

Im Dritten Reich wurde seine Arbeit dann jäh unterbrochen: 1937 versetzten ihn die Nationalsozialisten als Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart in den Wartestand - ein Begriff, mit dem sie den faktischen Rausschmiss verbrämten. Als Grundlage dafür diente das im April 1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Dieses Gesetz sollte zunächst Menschen, die die Nationalsozialisten als Fremdrassige bezeichneten - gemeint waren vor allem Juden -, von öffentlichen Ämtern fernhalten. Später wurde dieses Gesetz auf Beamte ausgedehnt, die dem Regime als politisch unzuverlässig galten.

Vielleicht wurde Regener zum Verhängnis, dass er Ende 1936 zusammen mit 75 anderen Physikern einen Brief an Reichserziehungsminister Bernhard Rust unterzeichnet hatte. Das Schreiben verteidigte die Relativitäts- und Quantentheorie gegen Angriffe einer Physik, die sich arisch nannte und diese Theorien als dem Charakter nach jüdische Hypothesen ablehnte. Möglicherweise lasteten die Nationalsozialisten ihm aber auch an, dass er mit einer jüdischen Frau verheiratet war. Erst nach Kriegsende erhielt er seinen Lehrstuhl in Stuttgart zurück.

Doch Erich Regener ließ sich auch durch die Entlassung nicht entmutigen: Zusammen mit zwei jüngeren Mitarbeitern gründete er Ende 1937 am Bodensee in einem Einfamilienhaus eine private Forschungsstelle für Physik der Stratosphäre. Doch schon bald geriet er in finanzielle Bedrängnis. Aus dieser Not rettete ihn die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Sie machte aus seinem kleinen Institut eine ihrer Forschungsstellen. "Unsere Gesellschaft", erklärte später Otto Hahn, Präsident der Max- Planck-Gesellschaft, "war damals in der Lage, die staatlich gegebenen Vorschriften des Dritten Reichs etwas großzügiger zu handhaben oder zu umgehen, als es bei dem Kultusministerium und den ihm nachgeordneten Hochschulen möglich war."

1939 bekam Regener dann sogar eine unerwartete Gelegenheit, bislang unerreichte Höhen zu erforschen: Wernher von Braun lud ihn und andere Naturwissenschaftler zu einer Konferenz in die Heeresversuchsanstalt nach Peenemünde ein. Was er als Weisheitstag deklarierte, diente dazu, Mitarbeiter für sein Raketenprojekt zu gewinnen. Und die Raketenbauer konnten ihre Flugbahnen nur mit den Daten der Atmosphärenforscher berechnen.

Nachdem Regener erst kurz vorher von der Regierung entlassen worden war, empfand er die Einladung als Genugtuung und beteiligte sich an dem Projekt. Er entwickelte einen neuen Spektrografen und neue Messgeräte für Druck und Temperatur. In einer Rakete mussten die Instrumente im Gegensatz zu den gemächlichen Ballonaufstiegen nämlich die enorme Beschleunigung auf mehr als 5000 Stundenkilometer aushalten. Die stählerne Schutzhülle um die Geräte brachte dem Messkopf den Namen Regener-Tonne ein.

Die Tonne sollte sich in etwa 50 Kilometer Höhe von der Rakete lösen und mit einem Fallschirm auf die Erde zurückschweben - doch Fallschirme öffnen sich wegen der dünnen Luft in dieser Höhe nicht von allein. "Da war es wieder Regener, der eine einfache wie witzige Lösung fand", berichtete Hans-Karl Paetzold, einer seiner Mitarbeiter. Regener schlug vor, in den Schirm Schläuche einzunähen und den Schirm mit Pressluft zu öffnen. Bei einem Probeflug der Tonnen öffnete sich der Fallschirm tadellos; ohne zu pendeln sank die Tonne zur Erde. Damit war die Karriere der Regener-Tonne aber auch schon beendet. Der eigentliche, militärische Zweck der A4-Rakete wurde brutale Wirklichkeit. Seit September 1944 diente die Rakete, inzwischen Vergeltungswaffe 2 oder V2 genannt, als Ferngeschoss gegen England. An Forschung bestand kein Interesse mehr. Seither verliert sich die Spur der Regener- Tonne. Später sollen Teile der Ausrüstung in den USA aufgetaucht sein.

Da Bomben das Institutsgebäude gegen Kriegsende zerstört hatten, suchten die Forscher in Weissenau bei Ravensburg in besseren Baracken Unterschlupf. Nach Kriegsende wurde Regeners Institut nach Katlenburg-Lindau nahe Göttingen verlegt und mit dem Institut für Ionosphärenphysik zum Max-Planck-Institut für Aeronomie - seit 2004 Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung - vereinigt.

Hans-Karl Paetzold sagte über Regener, der 1948 zum ersten Vizepräsidenten der Max-Planck-Gesellschaft gewählt wurde, einmal: "Erich Regener war uns jüngeren Wissenschaftlern immer ein Vorbild, was Begeisterung und neue anregende Ideen betrifft." Vielleicht kam er bei Nachwuchswissenschaftlern aber auch so gut an, weil er sie hoch schätzte: "Er war immer bereit, Ideen Jüngerer aufzugreifen und sie neidlos anzuerkennen. Es war für ihn natürlich, dass die Assistenten ihre Ergebnisse allein veröffentlichten, entgegen einem oft geübten Brauch anderer Institutsdirektoren, zumal in der damaligen Zeit", so Paetzold. Erich Regener starb 1955 im Alter von 73 Jahren in Stuttgart.

Michael Globig


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Bildunterschriften:

((BU S. 56))
Erich Regener (unten) war Namenspatron dieser
Stahltonne, die Messgeräte für die
Atmosphärenforschung schützte.

Fotos: Deutsches Museum / Paetzold / Reisig

((BU S. 57))
Regeners Traum hebt ab: In der
Heeresversuchsanstalt Peenemünde startet eine A4-
Rakete; seine Messgeräte transportierte sie nie.

((Kasten S. 57 oben))
Generalanzeiger Wuppertal vom 16.5.1989
Regener-Tonne bei Kriegsende verschollen

Regener und seine Männer entwickelten neue Meßgeräte sowie einen Ultraviolett-Spektrographen, der über der 50 Kilometer hohen Ozonschicht das bis dahin noch unbekannte Sonnenspektrum geringerer Wellenlänge aufnehmen konnte. Die Instrumente sollten, in einem Meßkopf - "Regener-Tonne" genannt - untergebracht, der Rakete als Nutzlast beigegeben werden. Dann aber kam alles anders. Ab September 1944 wurde die A4-Rakete als Ferngeschoß gegen London eingesetzt. Die Regener-Tonne ging in den Wirren des Zusammenbruchs verloren.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-
Gesellschaft
Ausgabe 4/2006, S. 56-57
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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Der Bezug des Wissenschaftsmagazins ist kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2007