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ZOOLOGIE/766: Sinneswandel bei den Fliegen (VolkswagenStiftung)


Presseinformation der VolkswagenStiftung - 11.03.2009

Sinneswandel bei den Fliegen

Deutsch-japanisches Forscherteam zeigt, wie Fruchtfliegen auf Schall und Schwerkraft reagieren. Ergebnisse jetzt veröffentlicht in Nature


So unbeliebt die Fruchtfliege Drosophila melanogaster bei Obstliebhabern ist, so willkommen ist sie bei Forschern. Insbesondere wenn es um die Sinne geht, lassen sich die kleinen Tierchen hervorragend untersuchen. Einige ihrer Sinne sind ausgesprochen empfindlich: Beschallt man die Fliegen mit Fliegengesängen, so reihen sich die Männchen schnurstracks in Ketten auf und beginnen selbst zu singen. Klopft man die Tiere in Glasröhrchen nach unten, trotzen sie der Schwerkraft und krabbeln nach oben. Für beide zugrundeliegenden Sinnesleistungen - Schwerkraft und Hörsinn - konnten Professor Martin Göpfert von der Universität Göttingen und sein Team gemeinsam mit japanischen Wissenschaftlern die neuronalen Grundlagen aufklären. Während der Mensch getrennte Sinnesorgane zur Messung von Gravitation und Schall nutzt, werden bei der Fliege beide Sinne von einem einzigen Organ in der Antenne vermittelt, dann aber über spezialisierte Sinneszellen in die jeweiligen Nervenbahnen gelenkt. Die aktuellen Ergebnisse sind veröffentlicht in der Zeitschrift Nature, online zu finden unter www.nature.com.

Das Fliegenohr steht schon seit 2003 im Mittelpunkt der Forschungen von Martin Göpfert, der an der Universität Köln eine Nachwuchsgruppe der VolkswagenStiftung zum Thema "Hörvorgänge bei Insekten" aufbaute. Er erkannte früh die Ähnlichkeit der Hörmechanismen von Mensch und Fliege und nutzte sie, um den genauen Abläufen der Reizverstärkung im Ohr auf die Spur zu kommen. Inzwischen ist Göpfert Professor für Zelluläre Neurobiologie an der Universität Göttingen und setzt dort seine Forschungen zu den Sinnen der Fliege fort. Mit seinem Team konnte er bereits in Köln eine nicht-invasive Messmethode entwickeln, die sichtbar macht, wie der Schall im Innern des Fliegenohrs über Ionenkanäle in elektrische Kanäle verwandelt wird. Damit konnten die Wissenschaftler zeigen, wie ähnlich die Prozesse im Fliegenohr - am sogenannten Johnston-Organ - denen unserer Haarzellen im Innenohr tatsächlich sind.

In ihrer neuesten Veröffentlichung gehen die Wissenschaftler einen Schritt weiter, indem sie nicht nur den Weg des Schalls, sondern auch die Umsetzung der Schwerkraft verfolgen. Auch hier nutzen sie ihr Messsystem: Je nachdem, ob die Antennen, sprich Ohren der Fruchtfliege, durch Schall oder Schwerkraft in Bewegung gesetzt werden, werden spezialisierte Sinneszellen in der Antennenbasis aktiviert. Dass Schall andere Sinneszellen anspricht als die Schwerkraft, zeigte die Messung der intrazellulären Kalziumsignale. Werden die Schwerkraft-empfindlichen Sinneszellen mit Hilfe eines genetischen Tricks ausgeschaltet, reagieren die Fliegen nicht mehr auf Schwerkraft, aber noch auf Schall. Umgekehrt verhält es sich, wenn die Schall-empfindlichen Sinneszellen deaktiviert werden. Dann krabbeln die Fliegen noch dem Schwerefeld der Erde entgegen, sind aber taub und reagieren nicht mehr auf Schall.

Genetische Analysen deuten darauf hin, dass die Ionenkanäle, die in den Sinneszellen mechanische Reize in elektrische Antworten wandeln, entscheiden, ob eine Sinneszelle auf Schwerkraft oder Schall reagiert. So tritt ein Ionenkanal in den Schall-empfindlichen, nicht aber in den Schwerkraft-empfindlichen Sinneszellen auf. Er ist vermutlich für den Sinneswandel verantwortlich. Ist der Schall oder die Schwerkraft dann in elektrische Signale umgewandelt, werden diese in die entsprechenden Gehirnregionen und neuronalen Bahnen gelenkt. Die Verschaltungsmuster dieser Bahnen gleichen denen unseres Gleichgewichts- und Hörsystems.

Übrigens: Neben der Wahrnehmung von Schwerkraft und Schall dient die Fliegenantenne auch noch der Messung von Wind: Eine zweite in der aktuellen Ausgabe von Nature erschiene Studie zeigt, dass Sinneszellen in der Fliegenantenne auch durch Wind ausgelöste Antennenbewegungen messen, wobei diese Sinneszellen eventuell mit den Schwerkraft-empfindlichen Sinneszellen identisch sind.

Originalveröffentlichung:
A. Kamikouchi, H.K. Inagaki, T. Effertz, O. Hendrich, A. Fiala, M.C. Göpfert, K. Ito:
The neural basis of Drosophila gravity-sensing and hearing.
Nature 12.03.09

Lesen Sie mehr über die Fliegen von Martin Göpfert in unserem Magazin:
www.volkswagenstiftung.de/fileadmin/downloads/publikationen/impulse_2008_s-04-95_gesamt.pdf


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Quelle:
Pressemitteilung vom 11.03.2009
VolkswagenStiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Christian Jung
Telefon: 0511 8381 - 380
E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de
Internet: www.volkswagenstiftung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2009