Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE


ZOOLOGIE/1255: Entdeckung einer neuen Familie der Großschmetterlinge (idw)


Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart - 16.07.2015

Entdeckung einer neuen Familie der Großschmetterlinge

Ein Schmetterling sucht seine Verwandten: Nach langem Rätseln um einen Nachtfalter haben Wissenschaftler mithilfe der Methoden der integrativen Taxonomie nun die neue Schmetterlingsfamilie Pseudobistonidae beschrieben.


Stuttgart/Bonn, 16. Juli 2015. Eine neue Familie der Großschmetterlinge "Pseudobistonidae" wurde von einem internationalen Forscherteam, unter ihnen Biologen aus den Naturkundemuseen in Stuttgart und Bonn, beschrieben und jetzt in der Fachzeitschrift Zoologica Scripta veröffentlicht.


Foto: © SMNS

Eines der raren Museumsexemplare von Pseudobiston pinratanai befindet sich in der Schmetterlingssammlung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart.
Foto: © SMNS


Von der Entdeckung einer Art über ihre wissenschaftliche Beschreibung bis hin zu ihrer verwandtschaftlichen Einordnung können viele Jahre vergehen. Bei der neuen Großschmetterlingsfamilie Pseudobistonidae dauerte die Erforschung 26 Jahre. Die Ausdauer der Wissenschaftler wurde belohnt. Die letzte Beschreibung einer neuen Familie der Großschmetterlinge liegt über 20 Jahre zurück. Daher ist es für die Biologen eine Sensation, dass nun wieder eine neue Familie entdeckt wurde. Erst neue wissenschaftliche Untersuchungsmethoden konnten das Rätsel um die Schmetterlinge lüften.

Das erste Exemplar des Schmetterlings Pseudobiston pinratanai wurde bereits 1989 in Nordthailand gefangen und 1994 von einem japanischen Schmetterlingsexperten beschrieben. Es handelte sich bei dem Tier um eine bisher unbekannte Art und Gattung. Unklar war aber, zu welcher Familie die neue Gattung gehörte. Die Merkmalskombination von Pseudobiston pinratanai ließ keine widerspruchsfreie Einordnung in das System der Großschmetterlinge zu. Da zunächst kein genetisches Material für Analysen zur Verfügung stand, kamen die Wissenschaftler lange Zeit einer Lösung des Rätsels um den Schmetterling nicht näher. Dies änderte sich in den letzten Jahren. Für eine umfassende Studie konnten die Biologen sowohl morphologische Analysen (aus dem Vergleich von Merkmalen) als auch genetische Daten verwenden.

"Die Untersuchungen zeigen, wie wichtig die Synthese vergleichender und molekulargenetischer Verfahren bei der Bestimmung von Arten ist. Das Zusammenspiel von verschiedenen Methoden, die integrative Taxonomie, ist eine Kernkompetenz der naturkundlichen Forschungsmuseen. Die Entdeckung von Pseudobistonidae macht außerdem deutlich, wie gewinnbringend Kooperationen der Naturkundemuseen untereinander sind. Ich gratuliere den Kollegen zu diesem großartigen Erfolg", so Johanna Eder, die Direktorin des Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart. "Integrative Taxonomie ist muss gleichzeitig als wichtiges und innovatives Instrumentarium gesehen werden, das geeignet ist, neue ökologische Fragestellungen zu erkennen", ergänzt Prof. Dr. Bernhard Misof, stellvertretender Direktor am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig - Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere in Bonn.

Wie gingen die Wissenschaftler genau vor? Zunächst integrierten sie die aus den Genen der Schmetterlingsart gewonnen Daten in die bisherigen genetischen Vergleichsstudien der Großschmetterlinge und berechneten deren Verwandtschaftsverhältnisse neu. Das Ergebnis bestätigte, was die Experten bereits vermutet hatten: Pseudobiston pinratanai gehörte nicht in die Schmetterlingsfamilie der sogenannten Spanner (Geometridae). Stattdessen - und dies war eine große Überraschung - legten die Ergebnisse eine enge Verwandtschaft mit einer artenarmen asiatischen Familie, den Epicopeiidae, nahe. In einem zweiten Teil der Studie versuchte das Team, gemeinsame morphologische Merkmale zu finden, um die Ergebnisse aus der genetischen Untersuchung zu bestätigen. So verglichen sie den kompletten Körperbau, besonders Merkmale auf Kopf, Brust und Flügeln fast aller Familien der Großschmetterlinge miteinander. Die Forscher fanden bei dieser Untersuchung zum einen Merkmale, welche die enge Verwandtschaft zu den Epicopeiidae tatsächlich bestätigte. Zum anderen konnten sie für Pseudobiston pinratanai einzigartige Merkmale nachweisen, die zu dessen Klassifizierung in eine ganz neue Familie der Schmetterlinge, den Pseudobistonidae, führte.


Foto: © Thomas Ihle (Chiang Mai, Thailand)

Das Männchen von Pseudobiston pinratanai in Ruhestellung.
Foto: © Thomas Ihle (Chiang Mai, Thailand)

Zusammen mit Kollegen aus den Naturkundemuseen in Bonn und Paris sowie den Universitäten in Wien und Turku arbeitete auch der Schmetterlingsexperte am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart, Dr. Hossein Rajaei, ab 2012 an der Erforschung der rätselhaften Art mit. "Durch die umfangreichen Untersuchungen konnten wir verwandtschaftliche Beziehungen und weitere Merkmale erforschen, was uns in der Evolution und Stammesgeschichte der Schmetterlinge neue Hinweise geliefert hat. Die Entdeckung der neuen Großschmetterlingsfamilie ist für mich natürlich spektakulär", freut sich der Entomologe. Zwei Exemplare der neuen Familie befinden sich in den Sammlungen des Stuttgarter Naturkundemuseums.


Quelle:
Hossein Rajaei, Carola Greve, Harald Letsch, Dieter Stüning, Niklas Wahlberg, Joël Minet und Bernhard Misof:
Advances in Geometroidea phylogeny, with characterization of a new family based on Pseudobiston pinratanai (Lepidoptera, Glossata).
Zoologica Scripta. Volume 44, Issue 4, pages 418-436, July 2015.
doi:10.1111/zsc.12108


Weitere Informationen unter:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/zsc.12108/abstract
http://www.naturkundemuseum-bw.de
http://www.zfmk.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1652

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, Meike Rech, 16.07.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang