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ORNITHOLOGIE/231: Zwischenstopp Kanaren - Vogelzug auf Lanzarote (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2011

Zwischenstopp Kanaren: Vogelzug auf Lanzarote

Von Horst Wilkens


Die Kanarischen Inseln sind vulkanischen Ursprungs und damit unabhängig vom europäischen und afrikanischen Kontinent entstanden. Durch diese isolierte Lage konnten sich hier zahlreiche endemische Arten und Unterarten von Tieren und Pflanzen entwickeln. Dieses "Galapagos" im Atlantik vor den Türen Europas liegt zudem am äußersten Rand der westeuropäischen Zugroute für die nordischen und mitteleuropäischen Vögel in ihre afrikanischen Winterquartiere. Regelmäßig werden die Kanarischen Inseln daher vom Vogelzug auf dem Hin- wie auch auf dem Rückweg berührt. Auf im Meer isolierten Inseln wird das Faszinosum des Vogelzuges besonders erlebbar, weil er sich hier wie in einem Nadelöhr verdichtet. Innerhalb der Kanaren gilt dies vor allem für die beiden östlichen und näher zur westafrikanischen Küste gelegenen Inseln Lanzarote und Fuerteventura. In den letzten Jahren haben vor allem ortsansässige Vogelkundler zur Mehrung unseres Wissens um den Vogelzug auf Lanzarote beigetragen.


Lanzarote ist die am weitesten nordöstlich gelegene Insel des Kanarischen Archipels und hat eine Entfernung von ca. 100 Kilometern zum afrikanischen Kontinent. Wie auch die anderen Kanarischen Inseln, auf denen es nicht nur zur Ausbildung endemischer Unterarten, sondern auch zur Entwicklung gänzlich neuer, nur hier vorkommender Tier- und Pflanzenarten gekommen ist, bietet das vom Vulkanismus geprägte Lanzarote im Hinblick auf seine Brutvogelwelt für Wissenschaftler und Vogelliebhaber viele Besonderheiten. Dies ist jedoch nicht das einzige ornithologische Phänomen, das von Interesse ist: Obwohl die Insel weit draußen im Atlantik liegt, wird sie sowohl vom Frühjahrs- wie auch vom herbstlichen Vogelzug zwischen Europa und Afrika berührt. Verschiedene Watvögel wie Regenpfeifer, Schnepfenvögel und diverse Reiherarten rasten dann in den Uferbereichen, um dort nach Nahrung zu suchen. Eine Fülle von Kleinvögeln sowie unterschiedliche Greifvogelarten kann man zu dieser Zeit überall auf der Insel antreffen.



Watt statt Steilküste

Die Mehrzahl der Küsten Lanzarotes steigt aufgrund des vulkanischen Ursprungs der Insel steil und felsig aus dem Ozean auf. Flachwasserbereiche sind nur an wenigen Orten entwickelt. Sie weisen allerdings teilweise leicht unterschiedliche abiotische Bedingungen auf, was sich auch im Artenspektrum der rastenden Vögel widerspiegelt. Der im stürmischen Nordwesten gelegene Rastbiotop La Santa ist dem Gezeitengang ohne Einschränkung ausgesetzt und besteht aus einer Bucht mit einer Reihe unterschiedlicher Watttypen, die mit einer sandigen Uferzone landseitig abschließen. Hier finden sich Fels-, Sand-, Lehm- und aus Beständen der Gliedermelde gebildete "Queller"watten, die miteinander abwechseln und mit kleinen Wasserflächen durchsetzt sind. Während der Zugzeiten kann man hier regelmäßig den Regenbrachvogel beobachten, dessen melodischer Ruf trotz Wind und Brandung zu hören ist. Weitere Watvögel wie Flussuferläufer, Steinwälzer, Pfuhlschnepfe, Gold-, Kiebitz-, Sand- und Seeregenpfeifer suchen hier ebenfalls Nahrung. Neben den häufigeren Seidenreihern sind vereinzelt Grau- und auch Purpurreiher zu sehen. Gelegentlich schreiten Löffler durch das Flachwasser, um durch Hin- und Herbewegen ihres gewaltigen Schnabels das Wasser nach Fischen und Kleingetier durchzuseihen.



Salzige Lagune und Salinen

Eine große Besonderheit unter den marin geprägten Lebensräumen Lanzarotes und wohl auch der Kanarischen Inseln überhaupt stellt die Laguna de Janubio dar. Sie liegt im Südwesten der Insel und ist wegen eines hohen, küstennahen Gesteinswalls nicht unmittelbar dem Gezeitengang ausgesetzt. Dieses Stillgewässer hat durch die extreme Verdunstung des Wassers einen im Vergleich zum Ozean erhöhten Salzgehalt. Dadurch können sich in dieser Lagune besondere Arten salztoleranter Tiere in großer Zahl entwickeln. Dies sind insbesondere die Larven und Imagines von Salzfliegen sowie Salinenkrebschen. Sie bilden die Nahrungsbasis für rastende Rot- und Grünschenkel, Kampfläufer, See-, Sand-, Fluss- und Kiebitzregenpfeifer, Flussuferläufer und Steinwälzer. Die Zahl der hier brütenden Stelzenläufer erhöht sich zeitweise durch rastende Individuen. Vereinzelt können Sanderlinge die Ufer nach Nahrung absuchen und Austernfischer, Säbelschnäbler sowie Ufer- und Pfuhlschnepfen im flachen Ufersaum einer kleinen Bucht beobachtet werden. Neben dem teilweise ganzjährig anwesenden Seidenreiher tritt hier im Frühjahr auch der Rallenreiher auf. Auf der freien Wasserfläche der Lagune können sich Schwarzhalstaucher, Lachmöwen, Löffel- und Krickenten aufhalten.

Ein weiterer wichtiger Rastplatz für Watvögel sind die Salinen bei Los Cocoteros an der Ostküste Lanzarotes nahe der kleinen Ortschaft Guatiza. Wie es in den an die Laguna de Janubio angrenzenden Flächen der Fall ist, werden auch hier noch einige Becken zur Gewinnung von Meersalz genutzt. Die Becken, in denen die Salzkonzentration noch nicht zu hoch ist, werden gerne von verschiedenen Vögeln zur Nahrungssuche durchwatet. Vielfach ruhen die Tiere auch auf den Mauern oder dem felsigen Uferrand der Lagune. Häufig sind vor allem Rot-, aber auch Grünschenkel. Gut zu beobachten sind Steinwälzer, wie sie mit ihrem Schnabel oberflächlich angetrocknete Schlammplättchen wenden, um die darunterliegende Beute aufzupicken. Weiterhin können hier Flussuferläufer, Sand- und Seeregenpfeifer sowie Alpenstrandläufer, Sichelstrandläufer, Knutt, Waldwasserläufer, Kampfläufer, Ufer- und Pfuhlschnepfe angetroffen werden. In Einzahl tritt das Thorshühnchen als Besonderheit mehr oder weniger unregelmäßig auf.

Ein leicht erreichbares und von der Uferpromenade gut einsehbares Felswatt erstreckt sich vor der Hauptstadt Arrecife. Besonders der zwischen Isleta Francés und dem Castillo San Gabriel gegenüber dem Charco de San Ginés gelegene Bereich ist von Interesse. Neben Sand-, See- und Kiebitzregenpfeifer sowie Regenbrachvögeln können hier von Oktober bis Mai in großen Mengen Brandseeschwalben auftreten, die die bei Ebbe frei liegenden vorgelagerten Felsinseln zum Ruhen nutzen. Hier ist außerdem von März bis Mai ein sehr guter Platz zur Beobachtung des Nachtreihers. Weiterhin treten verschiedene Möwenarten auf. Ein ausgedehntes Felswatt findet sich außerdem südlich von Órzola im Norden der Insel. Es wird von Löfflern, Seidenreihern und Watvögeln aufgesucht. An den Sandstränden der Bucht von Famara sind regelmäßig größere Trupps von Sanderlingen zu beobachten, wie sie ihre Nahrung der zurücklaufenden Welle folgend im Boden erstochern.

Auch ein Besuch der nördlich vorgelagerten Insel La Graciosa lohnt sich. Wandert man von Caleta del Sebo, dem An- und Abfahrtsplatz der Fähre von Lanzarote, der Küste folgend nach Westen, so stößt man auf ein ausgedehntes Felswatt und ein in seinem Umfang vom Gezeitengang beeinflusstes flaches Strandgewässer. Auch dieses Gebiet ist ein beliebter Rastplatz für Regenpfeifer und Schnepfenvögel aller Art. Wer an den Küstenbiotopen Lanzarotes beobachtet, sollte auch immer ein Auge für nordamerikanische Irrgäste wie Sandstrandläufer, Graubruststrandläufer, Weißbürzelstrandläufer, Drosseluferläufer, Kleiner Gelbschenkel, Wilsonwassertreter sowie Veilchen- und Blauflügelente haben.



Schwalben in der Wüste

Das Auftreten der auf Lanzarote nicht brütenden Schwalben überall im Landesinneren in der Zeit von März bis Mai ist ein auffälliges Signal für das Einsetzen des Heimzugs der nordischen Vögel. In dem für sie typischen reißenden Flug fangen dann Rauchschwalben über den Feuerbergen genauso wie über der Wüste El Jable ihre Nahrung. Zur Übernachtung suchen sie Bäume oder höhere Gewächse auf, in die sie bei beginnender Dunkelheit zielstrebig hineinschießen. In den Wedeln einer Palme oder dem Geäst eines Gummibaumes bleiben sie dann regungslos bis zur Morgendämmerung sitzen. Zusätzlich zu den Rauchschwalben überfliegen auch Mehl-, Ufer- und Rötelschwalben während des Zuges Lanzarote. Gleichfalls von März bis April ist der Fahlsegler zu beobachten. Er übernachtet in Felshöhlen, wie sie beispielsweise durch den sieben Kilometer langen Lavatunnel am Vulkan Corona geboten werden, der über Deckeneinstürze, die sogenannten Jameos, nach außen geöffnet ist. Besonders gut lässt sich dies in den Jameos del Agua verfolgen, wo man gleichzeitig den geheimnisvollen bleichen und blinden Tiefseekrebs Munidopsis polymorpha beobachten kann. Die Fahlsegler fallen hier bei Dämmerung in raschem Flug mit ihrem ohrenbetäubend lauten Gekreisch ein, um nach Einnahme eines sicheren Platzes an der Tunneldecke sofort zu verstummen.



Barrancos und Golfplätze

Auf dem vegetationsarmen Lanzarote kam den Kerbtälern, den sogenannten Barrancos, im Norden der Insel immer schon eine große Bedeutung als Rastbiotope zu. Hier finden die Vögel neben Nahrung und Wasser auch Unterschlupf in der Vegetation. Seitdem die Wasserversorgung der Insel durch Entsalzungsanlagen erheblich verbessert wurde, spielen nunmehr zunehmend auch anthropogene Anpflanzungen, Privatgärten und Golfplätze hierfür eine wichtige Rolle. So werden die Golfplätze bei Tias und Costa Teguise mit ihren ausgedehnten Rasenflächen von heimischen Ornithologen regelmäßig in ihr Beobachtungsprogramm einbezogen. Allerdings sind Beobachtungen nur von außen und im Umfeld möglich, da die Betreiber Nichtmitgliedern den Zutritt nicht erlauben. Interessant ist auch eine kleinere, frei zugängliche Gartenanlage im Städtchen Uga südlich des Weingebietes La Geria. Hier sind regelmäßig wiederkehrende Arten genauso wie Seltenheiten zu erwarten.

In derartigen Biotopen sind neben Rot- und Singdrossel während des Herbstzuges das Schwarzkehlchen und von April bis Mai das Braunkehlchen sowie Garten- und Hausrotschwanz zu entdecken. Häufig ist das "Ticksen" des europäischen Rotkehlchens aus Gebüschen in den Barrancos zu hören. Zusätzlich zu den auf Lanzarote heimischen drei Grasmückenarten, Samtkopf-, Brillen- und Mönchsgrasmücke, finden sich Dorn-, Garten-, und Weißbartgrasmücke ein. Mit Geduld wird man Fitis, Zilpzalp, Iberenzilpzalp und Berglaubsänger entdecken und unterscheiden. Im März und Mai wurden Wiesen- und Baumpieper, sehr häufig die Bachstelze, verschiedenste Unterarten der Schafstelze und selten die Gebirgsstelze beobachtet. Regelmäßig im Herbst und Winter sind Grau- und Trauerschnäpper, selten aber der Zeisig entdeckt worden.

Auch die offenen Flächen der Steinwüsten sowie der Sandwüste von El Jable bieten immer wieder Überraschungen. Auf Dornlattichsträuchern oder Steinmauern sitzen nicht allzu selten einzelne Individuen des Steinschmätzers. Sogar der Wendehals kann auf einem Lavastein in El Jable ruhen. Rotkopfwürger sind regelmäßig in geringer Zahl auf Lanzarote zu beobachten. Vor allem durch ihre Rufe wird man im März oder April auf die bunten Bienenfresser aufmerksam, die allerorten auf der Insel vorkommen können.

Durchwandert man die verschiedenen Landschaften Lanzarotes, lohnt auch der Blick zum Himmel. In El Jable kann man Rohr- und Wiesenweihe bei der Jagd entdecken. Hoch am Himmel mag ein Schwarzmilan ziehen, und in den Barrancos kann in nächster Nähe ein Sperber ins Gebüsch stoßen, um einen Kanarengirlitz, eine Blaumeise oder eine vom Zug erschöpfte Drossel zu erbeuten. Auch einzelne Individuen des Mäusebussards und selten sogar der Steppenweihe wurden beobachtet.



Nutznießer des Vogelzuges

Was die Zahlen der durchziehenden Vögel angeht, so liegen zwar einzelne Beobachtungen über "wolkenartige Scharen nordwärts ziehender Schwalben" vor und auch vom Frühjahrsdurchzug des Regenbrachvogels "in flach über dem Meer fliegenden Ketten mit bis zu 80 Vögeln" wird berichtet. Meist aber treten die verschiedenen Arten nur in wenigen Exemplaren auf. Dieser Eindruck steht jedoch im Gegensatz zur Existenz einer Kolonie von mehr als 200 Brutpaaren des Eleonorenfalken. Diese brüten hauptsächlich auf kleinen Inselchen (Roque del Este, Alegranza und Montaña Clara) des nördlich von Lanzarote vorgelagerten Archipiélago Chinijo. Dies ist ein besonders geschütztes Naturschutzgebiet, das vom Menschen nur mit besonderer Genehmigung betreten werden darf. Zusätzlich gibt es einige Brutpaare in der steilen Felswand des Risco de Famara im Norden Lanzarotes. Es handelt sich hierbei um die westlichste und zugleich südlichste Brutansammlung des Eleonorenfalken.

Biologen der Universität La Laguna auf Teneriffa haben in den Jahren 2000 und 2001 an 95 Brutpaaren dieser Population das Beutespektrum und die Anzahl der gefangenen Vögel untersucht. Dies erfolgte zur Brutzeit, die bekanntermaßen von August bis Oktober mit dem Herbstzug der europäischen Brutvögel korreliert. Die Wissenschaftler stellten fest, dass von den Eleonorenfalken insgesamt 2371 Einzelvögel erbeutet wurden, die zu 51 verschiedenen Arten gehörten. Den größten Anteil bildeten Orpheusspötter mit 582 (24,5 %), Dorngrasmücken mit 487 (20,5 %) und Trauerschnäpper mit 607 (25,6 %) Individuen. Die Gruppe zweithöchster Häufigkeit bestand aus Wachtel (3,1 %), Flussuferläufer (2,7 %), Kuckuck (2,8 %), Nachtigall (3,2 %), Rotkopfwürger (2,1 %) und Fitis (1,3 %). Den Hauptteil der Biomasse lieferten Wachtel (12,4 %), Kuckuck (12,4 %), Orpheusspötter (13,1 %), Dorngrasmücke (14,9 %) und Trauerschnäpper (14,9 %). Wenn man berücksichtigt, dass jedes Brutpaar eines Eleonorenfalken etwa sechs Kleinvögel pro Tag fängt, so wären dies bei einem Bestand von 200 Brutpaaren etwa 100000 Individuen pro Brutsaison. Die Eleonorenfalken fangen ihre Beute nicht über Land, sondern attackieren, wenn sich die Vögel der Insel nähern. Gelingt es den Zugvögeln zu landen, geben die Falken ihre Jagd auf. Aurelio Martín, Professor an der Universität La Laguna in Teneriffa, hat jedoch festgestellt, dass die Falken normalerweise frühmorgens wegfliegen und offenbar einige Kilometer entfernt von ihrer Kolonie jagen. Die Jagdgebiete liegen nach Martín mutmaßlich im Meer zwischen Lanzarote und Afrika.

Die Zugroute über Lanzarote und das südlich angrenzende Fuerteventura verkürzt den Flug in die Überwinterungsgebiete im mittleren und südlichen Afrika, indem viele Arten nicht den Umweg über Gibraltar machen, sondern direkt vom Südwesten der Iberischen Halbinsel aufs Meer fliegen. Nachteilig ist jedoch, dass es in den Weiten über dem offenen Meer vor allem zwischen der Iberischen Halbinsel und Lanzarote sowie auch zwischen Fuerteventura und Afrika keinerlei Landemöglichkeit zur Rast gibt. Sieht man von der Kolonie des Eleonorenfalken bei Lanzarote ab, besteht möglicherweise zudem ein Vorteil für diese Zugroute im Fehlen von Räubern über dem Meer.



Verdriftung

Die Kanarischen Inseln liegen im Einflussbereich des ganzjährig nahezu kontinuierlich wehenden Nordostpassats. Die Zugvögel erreichen Lanzarote daher auf dem Flug in die Überwinterungsgebiete mit Rückenwind, während sie beim Rückflug im Frühjahr gegen die Passatwinde kämpfen müssen. Diese sehr stabile Wetterlage kann jedoch zum Erliegen kommen. Dies geschieht, wenn der Nordostpassat durchbrochen wird und es zum Einstrom von heißen und staubigen Luftmassen aus der Sahara in Verbindung mit unterschiedlich, zum Teil extrem starken Ost- bis Südostwinden kommt. Diese Wetterlage, Calima oder Harmattan genannt, ist an einer weit über die Kanaren hinaus in den Atlantik reichenden braunen Staubfahne sogar von Satelliten aus zu erkennen. Ich selbst wurde Anfang April 2008 Zeuge der Auswirkungen dieses Phänomens auf den Vogelzug. Nach einer Phase extrem starker Ostwinde konnte man in kürzester Zeit Zugvögel in hoher Arten- und Individuenzahl überall auf der Insel beobachten. Am auffälligsten war das Vorkommen von Bienenfressern in Trupps von zum Teil bis zu 60 Individuen. Bis zu 25 Wiesen- und Rohrweihen wurden gezählt. Auch normalerweise äußerst selten auftretende Arten wie Pirol, Heckensänger, Blauracke, Alpensegler und Rotflügelbrachschwalbe hatten sich eingefunden.

Im Zusammenhang mit derartigen Wetterlagen mag auch das unregelmäßige Auftreten von Weißstörchen auf Lanzarote zu sehen sein, über das schon aus dem 19. Jahrhundert berichtet wird. So konnte ich in den 1970ern einen Weißstorch im Barranco de Chafaris im Norden der Insel beobachten. Dieser schaffte den Abflug offenbar nicht mehr, da ich seine Überreste schließlich am Rand einer Zisterne fand - damals eine der wenigen Stellen mit frei zugänglichem Süßwasser. Die nicht mehr feststellbare Todesursache mag Entkräftung genauso wie die gern betriebene Jagd gewesen sein. Für großes Aufsehen sorgte im Jahr 1977 die Gegenwart von 35 Weißstörchen, die nach starken Ostwinden im Zuge einer Calima auf Lanzarote beobachtet wurden. Fünf Monate später waren nur noch sechs verblieben und kurz darauf wurde keiner mehr gesichtet. Es konnte leider nicht festgestellt werden, ob die Vögel umgekommen oder doch weitergezogen waren. Inzwischen haben sich das Nahrungs- und Wasserangebot durch anthropogene Einflüsse - wenn zum Teil auch in fragwürdiger Art und Weise - verbessert. So hielt sich eine Gruppe von 13 Weißstörchen 2006/2007 acht Monate lang auf der Insel auf, eine weitere von neun Tieren wurde im Jahr 2008 beobachtet. Beide Gruppen wechselten regelmäßig zwischen der Nahrung bietenden, stetig wachsenden Abfalldeponie Zonzamas bei Arrecife und einem Wasserspeicher. Es ist eine spannende Frage, ob Weißstörche als über Land ziehende Thermiksegler auf Lanzarote sozusagen "gefangen" oder ob sie doch in der Lage sind, zum afrikanischen Kontinent wieder zurückfliegen zu können. Dieses Beispiel macht unter anderem deutlich, dass zum Vogelzug über Lanzarote noch Forschungsbedarf besteht.


Dr. Horst Wilkens ist Professor an der Universität Hamburg und beschäftigt sich in seiner Forschung mit der Evolution von Höhlentieren und den Grundlagen der Artbildung. Weiterer Schwerpunkt ist der Naturschutz, besonders im Elbtal und auf Lanzarote.


Literatur:

Strecker U, Wilkens H 2009: Lanzarote: Leben auf Lava,
Verlag Naturalanza Ulrike Strecker, Hamburg, ISBN: 978-3-942999-03-8.

Wilkens H 2009: Lanzarote: Blinde Krebse, Wiedehopfe und Vulkane.
Verlag Naturalanza Ulrike Strecker, Hamburg, (2. redigierte Auflage). ISBN: 978-3-942999-00-7.

Wilkens H 2010: Vielfalt auf der Kanareninsel Lanzarote: Vögel auf Lava, Falke 57: 16-22.

Martin A, Antonio LJ 2001: Aves del Archipielago Canario, Francisco Lemus, La Laguna.

Plinz W 1978: Vogelbeobachtungen auf Lanzarote (Kanaren). Orn. Mitt, 7: 159-167.

De León L, Beneharo R, Martin A 2007: Status, distribution, and diet of Eleonora's falcon (Falco eleonorae)
in the Canary Islands. J. Raptor Research 41: 331-336.

Juan S, Garcia Vargas FJ, Unquiles A: Aves en Lanzarote
www.lanzarotebirdlist.blogspot.com/
http://avesencanaris.blogspot.com/
www.naturalanza.com


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2011
58. Jahrgang, April 2011, S. 132-137
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2011