Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI) - 24.02.2016
Prophetische Genaktivität: JenAge-Forscher entdecken im N. furzeri Genschalter für Langlebigkeit
Das Jenaer Forschungskonsortium JenAge erntet die Früchte seiner langjährigen Arbeit: Forscher entdeckten im Türkisen Prachtgrundkärpfling mithilfe systembiologischer Analysen "prophetische Genaktivitäten", die im jungen Alter die Lebensspanne des Fisches beeinflussen. Die Ergebnisse sind im Journal Cell Systems erschienen und markieren einen weiteren Höhepunkt der institutsübergreifenden Alternsforschung in Jena.
Genetische Variationen führen dazu, dass jedes Individuum anders altert. Forscher des Jenaer Forschungskonsortiums JenAge konnten nun beim Türkisen Prachtgrundkärpfling (Nothobranchius furzeri) zeigen, dass eine unterschiedliche Genaktivität im jungen Alter die Lebenserwartung beeinflusst. Konkret geht es um diejenigen Gene, die für die Energieproduktion in den Mitochondrien der Zellen zuständig sind. Sind sie im jungen Prachtgrundkärpfling weniger aktiv, verlängert sich die Lebensspanne der Tiere.
Für ihre Forschungen verglichen die Forscher um Alessandro Cellerino von der Scuola Normale Superiore in Pisa, Italien - Leiter einer Kooperationsgruppe am Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena - die Genaktivitäten in jungen, mittelalten und alten N. furzeri und gruppierten die Tiere dann anhand ihres natürlich erreichten Lebensalters. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass die Gene, die für die Zellatmung zuständig sind - die Umwandlung von Zucker in Energie in den Mitochondrien - in den Tieren mit der längsten Lebenserwartung die geringste Aktivität aufwiesen. Auch als die Forscher den Fischen eine geringe Dosis von Rotenon gaben, das den ersten Schritt (Komplex I) der Zellatmung unterdrückt, lebten die Tiere länger. Interessanterweise bewirkte die Gabe von Rotenon auch bei dem viel langlebigeren Zebrafisch (Danio rerio) eine "Verjüngung" der Genaktivitäten.
"Diese Forschungsergebnisse sind überaus überraschend", erklärt Alessandro Cellerino. Bisher ging man davon aus, dass die Stimulierung der Mitochondrien-Funktion das Altern positiv beeinflusst. "Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass eigentlich eine teilweise Hemmung der mitochondrialen Funktion die Lebens- und Gesundheitsspanne verlängert." Ein Grund könnte sein, dass mit der Hemmung ein moderater Anstieg freier Radikale innerhalb der Zelle einhergeht, die der Zelle nicht schaden, sondern eine Anpassungsreaktion veranlassen. "Die Anpassung an milden Stress, wie sie bspw. auch bei sportlicher Aktivität passiert, wird Hormesis genannt. Sie scheint einen lebensverlängerten Effekt zu haben, weil der Körper für folgende Stresssituationen besser gewappnet ist", erklärt Cellerino weiter.
Es gibt mit Metformin (häufig verschriebenes Antidiabetikum) bereits ein Medikament, das als Nebeneffekt auch den Komplex I der Zellatmung in den Mitochondrien hemmt und eine lebensverlängernde Wirkung im Mausmodell aufweist (Nature Communications 2013, 4, Seite 2192). "Unsere Ergebnisse sind nun ein erster direkter Nachweis, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen gehemmter Zellatmung und verlängerter Lebenserwartung im Wirbeltier gibt", fasst Cellerino zusammen.
Die komplexe Studie war nur durch die systembiologische Expertise innerhalb des Forschungskonsortiums JenAge in Jena möglich. Experten aus der Biologie, Medizin, Mathematik und Informatik untersuchen hier seit 2009 in mehreren Modellorganismen externe und interne Einflussfaktoren auf den Alternsprozess - beim Menschen, beim Fadenwurm (C. elegans), beim Türkisen Prachtgrundkärpfling (N. furzeri), beim Zebrafisch (D. rerio) und bei der Maus (M. musculus). Die gewonnenen komplexen experimentellen Daten werden mathematisch analysiert und modelliert, um herauszufinden, ob den Prozessen in den verschiedenen Lebewesen ähnliche Mechanismen zugrunde liegen, die dann durch genetische oder andere Manipulationen in den Modellorganismen wieder validiert werden. Durch diesen systemischen Ansatz können biologische Systeme möglichst ganzheitlich analysiert werden, um der extremen Komplexität des Phänomens "Altern" gerecht zu werden.
Die Publikation in Cell Systems ist ein weiteres herausragendes Forschungsergebnis, das sich nahtlos an jüngste JenAge-Publikationen in hochrangigen Journalen wie Cell oder Nature Communications anschließt. Zuletzt sorgte die Meldung für Aufsehen, dass das Konsortium 30 speziesübergreifende Alternsgene identifizieren konnte (veröffentlicht Ende 2015 in Nature Communications). "Die neuesten Erkenntnisse der Forscher um Alessandro Cellerino sind ein sehr schönes Beispiel dafür, wie umfangreiche biologische Daten mit systembiologischen Methoden analysiert werden können und zu Erklärungsansätzen führen, die dann experimentell validiert werden", schwärmt auch Jürgen Sühnel, Koordinator von JenAge, über die institutsübergreifende Zusammenarbeit zwischen FLI, Friedrich-Schiller-Universität (FSU), dem Universitätsklinikum Jena (UKJ) und dem Hans-Knöll-Institut (HKI) in Jena.
Obwohl die Förderung des JenAge-Projektes ausgelaufen ist, wird weiter experimentell und theoretisch an den im JenAge-Projekt erzeugten Daten gearbeitet. Die ca. 2.500 generierten Datensätze sind in einem Datenmanagementsystem gespeichert und können für weiterführende Analysen auch durch nicht zum JenAge-Konsortium gehörende Gruppen genutzt werden.
2013 wurde in Jena außerdem das Zentrum für Alternsforschung Jena (ZAJ) als weiteres interfakultäres Profilzentrum der FSU, des FLI und des UKJ gegründet, um auch nach Ablauf des JenAge-Projektes die Forschungsaktivitäten zur Alternsforschung am Standort Jena zu bündeln. Das gemeinsame Forschungsprojekt "Alternsinduzierte Hemmung der Regeneration und Gewebshomöostase - RegenerAging", eine Kooperation mit Carl Zeiss in Jena und kofinanziert durch die ProExzellenz-Initiative 2 des Landes Thüringen, legt den Schwerpunkt auf die funktionelle Analyse von alternsbedingten Veränderungen in den zellulären Signalwegen. Darüber hinaus fördert die Leibniz-Gemeinschaft die Einrichtung eines Leibniz ScienceCampus am Standort Jena, der die außeruniversitäre und universitäre Forschung weiter verzahnen und international konkurrenzfähig machen soll. Jena wird damit seine Bedeutung als Schwerpunktstandort der Alternsforschung in Deutschland weiter ausbauen.
Publikation
Baumgart M, Priebe S, Groth M, Hartmann N, Menzel U, Pandolfini L, Koch P,
Felder M, Ristow M, Englert C, Guthke R, Platzer M, Cellerino A.
Longitudinal transcriptional analysis of vertebrate aging identifies
mitochondrial complex I as a small molecule-sensitive modifier of
lifespan.
Cell Systems 2016, 2, 1-11.
doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.cels.2016.01.014
Hintergrundinformation
Das Forschungskonsortium Jenaer Zentrum für Systembiologie des Alterns
(JenAge) wurde 2009 mit Drittmitteln des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung (BMBF) gegründet und markiert die erste
Institutionalisierung von instituts- und bereichsübergreifender
Alternsforschung in Jena. Mit dem Institutswechsel der Arbeitsgruppen
Ristow nach Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich) und
Cellerino nach Pisa (Scuola Normale Superiore) erhielt das regionale
Expertennetzwerk zudem eine internationale Perspektive. Auch nach Ablauf
der Förderung im September 2014 arbeiten Wissenschaftler experimentell und
theoretisch an den von JenAge zur Verfügung gestellten Datensätzen und
Proben sowie mit der entwickelten Datenbank AgeFactDB. JenAge wurde am
Leibniz-Institut für Alternsforschung koordiniert.
Näheres unter www.jenage.de.
Das Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Über
330 Mitarbeiter aus 30 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von
Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten.
Näheres unter www.leibniz-fli.de.
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie -
Hans-Knöll-Institut (HKI) - wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur
Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der
Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen
Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem
menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf
ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als
Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Näheres unter www.leibniz-hki.de.
Die Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) ist eine klar konturierte,
in zehn Fakultäten gegliederte, klassische Universität. Im aktuellen
Wintersemester 2015/16 sind über 18.000 Studierende immatrikuliert,
darunter mehr als 2.200 internationale Studierende. Mit über 8.000
Beschäftigten, inkl. Beschäftigten an Thüringens einzigem
Universitätsklinikum, ist die Universität Jena der größte Arbeitgeber in
Thüringen. Gegründet 1558 gehört sie zu den ältesten Universitäten in
Deutschland. Die FSU versteht sich als europäische Forschungsuniversität,
in der Inter- und Transdisziplinarität hohe Priorität genießen. Gelegen in
einer sich dynamisch entwickelnden, innovationsintensiven und
wirtschaftlich erfolgreichen High-Tech-Region, pflegt die Universität
Kooperationen mit einer Vielzahl außeruniversitärer
Forschungseinrichtungen, der regionalen Wirtschaft sowie
Kulturinstitutionen. Ihre Forschungsschwerpunkte hat die FSU unter das
Motto "Light - Life - Liberty" gestellt. Diese drei Profillinien sind
die Kristallisationskerne des interdisziplinären Forschungsprofils der
Universität. Ein Schwerpunkt innerhalb der Profillinie "Life" ist der
integrierte Entwicklungsbereich der Alternsforschung, in dem es um die
Erforschung der biologischen Alterungsprozesse sowie deren gesundheitliche
und gesellschaftliche Folgen geht.
Näheres unter www.uni-jena.de.
Das Universitätsklinikum Jena (UKJ) kann als eine der Gründungsfakultäten
der Jenaer Universität auf die Erfahrungen von über 450 Jahren
zurückblicken. Heute ist das Universitätsklinikum mit über 4.900
Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Region. Jährlich werden an den 26
Kliniken und Polikliniken mehr als 300.000 Patienten stationär und
ambulant versorgt. 2.400 Studenten der Medizin und Zahnmedizin erlernen
hier die Heilkunst, an 25 Instituten forschen Wissenschaftler aus über 25
Nationen an der Weiterentwicklung der Medizin.
Näheres unter www.uniklinikum-jena.de.
Weitere Informationen unter:
www.leibniz-fli.de
- Homepage Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut
(FLI)
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution517
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI),
Dr. Kerstin Wagner, 24.02.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2016
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