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FORSCHUNG/602: Die zweite Nase - trigeminale Duftaktivität (RUBENS)



RUBENS - Nr. 132 vom 1. April 2009


Die zweite Nase

Markus Rothermel entwickelt eine Methode zur Untersuchung der trigeminalen Duftaktivität

Von Julia Brosig

Menschen, die beispielsweise bei einem Unfall ihren Geruchssinn verloren haben, können in gewissem Maße noch immer Duftstoffe wahrnehmen: mit Hilfe des Trigeminusnervs, dem zentralen Gesichtsnerv. Wie genau dabei olfaktorische Reize aufgenommen und chemosensorisch kodiert werden, untersucht Markus Rothermel in seiner Promotion mit einer selbst entwickelten Methode. Dafür erhielt er im Oktober 2008 einen der Esser-Preise.


Der Trigeminusnerv ist der wichtigste Gesichtsnerv. Durch ihn können wir sowohl Berührungen, Schmerzen (z.B. Zahnschmerz) und Temperatur empfinden als auch schmecken (vor allem Schärfe) und riechen. Bis heute ist seine Funktionsweise, im Unterschied zum klassischen olfaktorischen System der Nase, allerdings weitgehend unerforscht. Der Trigeminusnerv setzt sich aus mehr als 10.000 einzelnen Nervenzellen zusammen, die, wie alle Neuronen, aus einem Zellkörper und einem langen Nervenfortsatz bestehen. Die Zellkörper findet man in einem walnussgroßen Gebilde, dem sog. trigeminalen Ganglion, das tief in der Schädelbasis sitzt. Die daraus entspringenden Nervenfortsätze spalten sich in drei Hauptäste auf (trigeminus = der Dreifache; siehe Abb. 1). Am Ende jeder Nervenfaser befinden sich spezielle Sensoren für chemische, mechanische und thermische Reize der Gesichtshaut sowie der Schleimhäute von Nase, Mund und Augen.


Schwer zugänglich

Aufgrund seiner Lage ist das trigeminale Ganglion für Untersuchungen schwer zugänglich. Daher hat der Diplombiologe Markus Rothermel im Rahmen seiner Promotion am Lehrstuhl für Zellphysiologie (Prof. Hanns Hatt) eine neue Methode entwickelt, dort Aktivitätsmuster in Echtzeit zu beobachten. So will er herausfinden, was den Nerv befähigt, Duftstoffe wahrzunehmen. Die Kernfrage lautet: Gibt es eine Kodierung chemosensorischer (Geruchs-)Informationen auf der Ebene des trigeminalen Ganglions?

Dass der Gesichtsnerv auf Duftstoffe reagiert, haben Tests mit Anosmikern gezeigt: "Das sind Menschen, die durch eine Störung im olfaktorischen System ihren Geruchssinn verloren haben. Sie können zwar keine spezifischen Duftstoffe identifizieren, also nicht mehr zwischen Rose und Lilie unterscheiden. Aber sie können sehr wohl zwischen Duftstoffklassen unterscheiden - eine Fähigkeit, die ihnen das trigeminale System ermöglicht", erklärt Rothermel.

Um den Nerv während seiner "Arbeit" live beobachten zu können, muss dieser freigelegt werden. Der Biologe entwickelte dazu eine neuartige "in vivo Präparation" des trigeminalen Ganglions der Ratte: Das freigelegte Ganglion wird für etwa zwei Stunden mit einem spannungsabhängigen Farbstoff beladen. Mit Hilfe eines von Rothermel modifizierten Duftapplikationssystems, dem Olfaktometer, kann er nun verschiedene Duftstoffe direkt in die Nase des Tieres applizieren. Reagiert der Nerv auf einen Stoff, führt die neuronale Aktivität zu einer Spannungsänderung. Eine Kamera registriert die Änderung und bildet diese als Farbveränderung auf dem PC ab.


Es beginnt im Ganglion

Seine Versuche, die im Labor von Dr. Dirk Jancke durchgeführt werden, zeigen, dass die trigeminale Geruchswahrnehmung und -verarbeitung komplexer ist als erwartet: "Der Trigeminusnerv ist nicht nur ein Kabel, das Informationen ans Gehirn weiterleitet. Ich konnte zeigen, dass die Verarbeitung von Duftstoffen bereits auf der Ebene des Ganglions beginnt." Die hoch auflösenden Bilder der Nervenzellaktivität des Ganglions belegen auch, dass unterschiedliche chemische Stoffe grundverschiedene Aktivierungsmuster auslösen und nicht - wie angenommen - lediglich graduelle Erregungen. Dies könnte als Erklärung dienen, warum anosmische Patienten ein relativ gutes Duftunterscheidungsvermögen haben. Die Forscher waren davon ausgegangen, dass man zwei Duftstoffe mit Hilfe des trigeminalen Systems nur dann unterscheiden kann, wenn sie zu einer starken, unterschiedlichen Schmerzempfindung führen.

Neben der "in vivo Methode" arbeitet Rothermel auch mit menschlichen Zellkulturen, die er von der Uniklinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte am Bergmannsheil bekommt. Das Zellkultur-Projekt gab Hinweise darauf, dass viele Duftstoffe nicht den Nerv selbst aktivieren. Vielmehr scheint er auf eine komplexe Interaktion mit den Zellen seiner Umgebung (also z.B. Hautzellen) angewiesen zu sein.

Langfristig sollen alle Erkenntnisse dem Fortschritt der Medizin dienen, vor allem Anosmikern und Menschen mit Trigeminusneuralgie. Sie empfinden jede Berührung und Bewegung des Gesichts als Schmerz. Ist die Funktionsweise des Nervs erst einmal hinreichend bekannt, können Schmerz verursachende Impulse vielleicht unterbunden und den Patienten ein angenehmeres Leben ermöglicht werden.

Stipendium

Länger als geplant arbeitete Markus Rothermel an der Entwicklung der "in vivo Präparation", bevor die eigentlichen Untersuchungen beginnen konnten. Ein Stipendium des Graduiertenkollegs "Entwicklung und Plastizität des Nervensystems", das ihn ab 2005 unterstützte, lief 2008 aus. Er bewarb sich erfolgreich um ein fünfmonatiges Stipendium der Günther-und-Wilhelm-Esser-Stiftung, um die Promotion abschließen zu können, was mittlerweile geschehen ist. In Kürze wird Rothermel eine Stelle an der Uni Boston antreten und im Department of Biomedical Engineering bei Prof. Matt Wachowiak an der Signalverarbeitung olfaktorischer Systeme forschen (http://www.bu.edu).

Infos:
http://www.rub.de/neuro-gk/rothermel.htm
http://www.cphys.rub.de/


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Quelle:
RUBENS - 15. Jahrgang, Nr. 132 vom 1. April 2009, S. 3
Herausgeber: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2009