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PLANET/546: Befinden sich im Jupitermond Ganymed mehrere Ozeane? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 9/14 - September 2014
Zeitschrift für Astronomie

KURZBERICHT
Befinden sich im Jupitermond Ganymed mehrere Ozeane?

von Tilmann Althaus



Möglicherweise enthält der Jupitermond Ganymed in seinem Inneren mehrere Schichten aus Eis und flüssigem Wasser, ist also aufgebaut wie ein Sandwich.


Schon seit Längerem vermuten die Planetenforscher, dass der größte Jupitermond Ganymed in seinem Inneren einen Ozean aus flüssigem Wasser enthält, der sich unterhalb seiner festen Eiskruste befindet. Möglicherweise ist aber das Innenleben des Mondes noch komplexer und gliedert sich in bis zu vier Schichten aus flüssigem Wasser, die durch Lagen aus festem Wassereis getrennt sind. Darauf deuten die Untersuchungen eines Forscherteams um Steve Vance am Jet Propulsion Laboratory der NASA im kalifornischen Pasadena hin. Die Forscher simulierten, wie sich salzhaltiges Wasser unter den hohen Drücken und den erwarteten Temperaturen im Inneren von Ganymed verhalten sollte.

Als Salz diente in den Modellrechnungen Magnesiumsulfat. Die Astronomen orientierten sich am komplexen Phasendiagramm des Wassers und stellten fest, dass es im Inneren des Mondes mehrere Schichten aus Hochdruckvarianten von Wassereis (zum Beispiel Eis III, Eis V - siehe Kasten in der Druckausgabe) geben sollte, die jeweils durch Schichten aus salzhaltigem flüssigen Wasser voneinander getrennt sind. Somit erinnert der Aufbau von Ganymed ein wenig an ein mehrlagiges Sandwich.

Das Ganymed-Sandwich

Der 5260 Kilometer große Ganymed (Erdmond: 3476 Kilometer) gliedert sich nach dem bisherigen Wissensstand in drei Hauptkomponenten. Außen ist eine rund 900 Kilometer mächtige Schicht, die aus Wasser in flüssiger und gefrorener Form besteht. Darunter folgt ein silikatischer Gesteinskern von etwa der Größe unseres Mondes. Im Zentrum befindet sich ein Kern aus metallischem Eisen. Die Oberfläche besteht aus Wassereis, das durch Verunreinigungen aus organischen Stoffen und Gesteinstrümmern dunkel gefärbt ist. Das Material ist Eis I, das uns vertraute Wassereis. Diese Kruste ist etwa 130 Kilometer dick.

Unter der Eiskruste sollte sich ein erster Ozean aus flüssigem Wasser befinden, sein Boden wird von einer Schicht aus Eis III gebildet, das deutlich dichter ist als gewöhnliches Wassereis. In dieser ersten Ozeanschicht könnte ein eigenartiges Phänomen auftreten, wenn das Wasser am Boden ausfriert. Dabei werden die Salze von den entstehenden Eiskristallen getrennt, wodurch sie eine geringere Dichte aufweisen, als das sie umgebende salzhaltige Wasser. Dadurch steigen die neugebildeten Kristalle in der Flüssigkeit nach oben auf - es schneit nach oben.

Unter der Schicht aus Eis III beginnt wieder ein Ozean, dessen Wasser noch salzhaltiger ist als das des obersten Ozeans. Es besitzt somit eine noch höhere mittlere Dichte. Diesem Ozean folgt eine Schicht aus Eis V, dieser wiederum ein weiterer, noch salzhaltigerer Ozean. Den Abschluss zum Gesteinskern hin bilden eine Schicht aus Eis VI und darunter der salzigste Ozean, der direkt mit dem silikatischen Kern in Berührung steht. Die mittleren Dichten von Eis V und Eis VI sind beträchtlich höher als diejenige von Eis I, da die Wassermoleküle in den Kristallstrukturen durch den hohen Druck dichter zusammengespresst sind.

Wie realistisch dieser komplexe Aufbau von Ganymed anhand der Modellrechnungen ist, wird sich erst mit detaillierten Messungen von Raumsonden klären lassen. Derzeit plant die Europäische Raumfahrtbehörde ESA den Bau der Jupitersonde JUICE, die im Jahr 2030 in eine Umlaufbahn um Jupiter eintreten soll. In der Endphase der Mission soll JUICE dann in eine enge Umlaufbahn um Ganymed einschwenken und sein Schwerefeld mit hoher Präzision untersuchen. Dann lassen sich detaillierte Informationen über den tatsächlichen Aufbau des Mondes gewinnen.

Tilmann Althaus

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Eis unter Druck
Eis ist nicht gleich Eis, auch wenn es sich dabei stets um die chemische Substanz Wasser, also Dihydrogenoxid H2O handelt. Das gewöhnliche und uns wohlvertraute Eis, auch als »Eis I« bezeichnet, bildet sich bei Atmosphärendruck und einer Temperatur von null Grad Celsius. Es hat die ungewöhnliche Eigenschaft, wegen seiner recht sperrigen Kristallstruktur eine etwas geringere mittlere Dichte aufzuweisen als flüssiges Wasser, so dass es auf ihm schwimmt.
Das Phasendiagramm des Wassers (siehe unten), in dem Feststoffe und Flüssigkeit - Dampf liegt außerhalb der dargestellten Parameter - mit den zugehörigen Druck- und Temperaturbedingungen dargestellt sind, ist sehr komplex aufgebaut, wobei die Zugabe von Salzen wie Magnesiumsulfat die Komplexität weiter erhöht.
Im Diagramm ist der Druck gegen die Temperatur aufgetragen. Es finden sich im oberen Bereich wohlbekannte Aggregatzustände des Wassers, Eis I und flüssiges Wasser. Aber bei zunehmenden Drücken und Temperaturen erscheinen immer mehr feste Modifikationen von Wasser. Derzeit diskutieren die Forscher über bis zu 15 verschiedene Varianten von Wassereis, die sich in ihrem inneren Aufbau voneinander unterscheiden. Allerdings sind viele Übergänge zwischen den einzelnen Modifikationen noch nicht exakt bestimmt und die Erkundung des Phasendiagramms des Wassers ist auch heute noch im Gange.
Für das Innere von Ganymed und anderer großer Eismonde im Sonnensystem sind vor allem die Varianten Eis III bis Eis XI interessant, die sich erst bei extrem hohen Drücken bilden, wie sie im Inneren von planetengroßen Himmelskörpern aus Eis vorherrschen. Zum Vergleich: Ein Gigapascal entspricht rund dem 10.000-fachen des Atmosphärendrucks am Erdboden.
Bei Eis X vermutet man zum Beispiel, dass es erst bei 1000 bis 2400 Kelvin schmilzt. Hier hätten wir also »glühendes Eis«, das selbst bei hohen Temperaturen noch fest ist. Eis X besitzt eine wesentlich dichtere Kristallstruktur als Eis I, seine mittlere Dichte kann je nach Temperatur bis zu zwei Gramm pro Kubikzentimeter betragen. Es würde also in flüssigem Wasser versinken, dessen Dichte bei Normalbedingungen nur ein Gramm pro Kubikzentimeter beträgt. Außerdem bildet Eis X kubische Kristalle statt der wohlvertrauten hexagonalen (sechszähligen) Schneekristalle von Eis I.

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Literaturhinweis

Vance, S. et al.: Ganymede's Internal Structure Including Thermodynamics of Magnesium Sulfate Oceans in Contact with Ice. In: Planetary and Space Science 96, S. 62-70, 2014


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 20:
Nach den Untersuchungen eines Forscherteams um Steve Vance am Jet Propulsion Laboratory der NASA könnte sich das Innere des Jupitermonds Ganymed in mehrere Schichten aus Eis und flüssigem Wasser gliedern. Bis zu vier Schichten bestehen demnach aus flüssigen Wasser, sie werden durch Schichten aus festem Eis getrennt. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Hochdruckmodifikationen von Wassereis, welche die Bezeichnungen Eis I, Eis III, Eis V und Eis VI tragen.

Abb. S. 21:
In diesem Phasendiagramm sind die unterschiedlichen Phasen von Wasser mit vier verschiedenen Beimengungen von Magnesiumsulfat dargestellt. Zu sehen sind die Eismodifikationen Eis I, Eis III, Eis V und Eis VI sowie flüssiges Wasser. Das uns vertraute gewöhnliche Wassereis ist Eis I. Durch die Beimengung von Magnesiumsulfat sinken die Schmelzpunkte der Eisvarianten, und zwar umso stärker, je höher die Konzentrationen des Salzes sind.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-09-s020-pdf/1303513


© 2014 Tilmann Althaus, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 9/14 - September 2014, Seite 20 - 21
URL: http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-09-s020-pdf/1303513
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2014