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PLANET/467: Venusrotation wird ausgebremst (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 7/12 - Juli 2012
Zeitschrift für Astronomie

Venusrotation wird gebremst
Der Venustag ist heute sechseinhalb Minuten länger als vor 20 Jahren

Von Nils Müller



Die dichte Atmosphäre des Venus enthält zehn Prozent des Drehimpulses des Planeten. Langfristige Zyklen starker Winde von zehnjähriger Dauer beeinflussen dabei offenbar die Rotation des Planeten.


Navigation nach Sternen funktioniert auf der Venus aus zweierlei Gründen nicht: Zum einen macht die dichte Atmosphäre deren Beobachtung unmöglich, zum anderen beeinflussen die starken Winde möglicherweise die Rotation des Planeten und verändern dadurch den scheinbaren Lauf der Gestirne.

Der Drehimpuls ist eine Erhaltungsgröße. Daher ist die Rotationsgeschwindigkeit eines Planeten konstant, solange seine Masse und Massenverteilung gleich bleiben und solange kein Drehimpuls dem System entnommen und an andere Massen übertragen wird. So können Verschiebungen von Krustenplatten bei Erdbeben die Dauer des Tages im Bereich von Millisekunden ändern. Gleichzeitig nimmt die Dauer des Tages sehr langsam zu, da durch die Wirkung der Gezeiten Rotationsdrehimpuls der Erde auf den Bahndrehimpuls des Mondes übertragen wird.

Die Erde zeigt nur geringe Variationen der Tagesdauer. Mit einer genauen Uhr lässt sich daher mit Hilfe der Sterne exakt navigieren. Und umgekehrt: Vom Weltraum aus gesehen heißt das, dass sich die Orientierung der Planetenoberfläche anhand der Zeit präzise vorhersagen lässt.

Im Fall der Venus ist es nun so, dass die europäische Raumsonde Venus Express die Oberflächenmarken nicht dort vorgefunden hat, wo sie nach den inzwischen fast 20 Jahre alten Radardaten der amerikanischen Raumsonde Magellan zu erwarten waren. Die Venus hat sich in der Zeit zwischen den beiden Missionen anscheinend um 0,15 Grad weniger als erwartet um ihre Rotationsachse gedreht. Das entspricht einer Distanz von 16 Kilometern am Venusäquator. Das mag zunächst nicht weltbewegend klingen, doch wenn die Berechnungen stimmen, dann muss eine Kraft gewirkt haben, welche die Rotationsdauer des Planeten merklich verändert hat.


Wo steckt der Fehler?

Bei solchen unerwarteten Beobachtungen stellt man sich als Wissenschaftler üblicherweise zuerst die Frage: Wo hat sich hier wer vermessen oder wo eine Fehlerquelle unberücksichtigt gelassen? Auch hier liegt diese Frage nahe, denn Venus Express hat zur Erforschung der Oberfläche kein der Magellan-Sonde vergleichbares Radargerät an Bord, sondern nur optische Instrumente im infraroten Wellenlängenbereich. Tatsächlich kann Venus Express die Oberfläche nicht direkt beobachten, sondern nur indirekt durch die Helligkeit der Wolken auf der Nachtseite der Venus.

Die heiße Oberfläche der Venus sendet Infrarotstrahlung aus, welche die Wolkenschicht von unten beleuchtet und diffus durchdringt. Die Temperatur und damit die Intensität dieser thermischen Emission hängt dabei von der Höhe der Oberfläche ab und lässt sich daher mit den Radarhöhenmessungen von Magellan vergleichen.

Wie auf der Erde steigt die Temperatur in der unteren Atmosphäre der Venus mit der Tiefe, genauer gesagt mit dem Luftdruck an. Andersherum gilt: Je höher man etwa auf einen Berg steigt, desto kälter wird es, und zwar um etwa 0,8 Kelvin pro 100 Meter Höhendifferenz auf der Venus. Nur befindet sich die Schicht mit Zimmertemperatur auf der Venus etwa 55 Kilometer über der Oberfläche, die durchschnittlich 735 Kelvin (462 Grad Celsius) heiß ist.

Die Höhe eines Ortes der Oberfläche ist bei Weitem der bedeutendste Parameter zur Ermittlung der Oberflächentemperatur (siehe Bild oben links in der Druckausgabe). Die jeweilige Höhe lässt sich dabei aus den Radarhöhenmessungen mit der Magellan-Sonde berechnen. Die Tiefebenen der Venus emittieren also mehr Strahlung als die kühleren Hochländer. Ein variabler Anteil dieser Strahlung geht zwar in der Atmosphäre verloren, statistisch lässt sich aber jeder Oberflächenhöhe ein durchschnittlicher Helligkeitswert eindeutig zuordnen.

Lokale Abweichungen von dieser Zuordnung sollte es nur dort geben, wo eine Variation von Oberflächenzusammensetzung oder -textur zu einer Abweichung der Emissivität (Abstrahlungsvermögen) der Oberfläche führt. Die Emissivität ist das Verhältnis der tatsächlichen thermischen Emission zu der theoretischen thermischen Emission, die ein perfekt schwarzer, das heißt nicht reflektierender Körper aussendet. Tatsächlich war die Kartierung des Emissionsgrads das ursprüngliche Ziel unserer Untersuchungen, da dies wie ein normales Satellitenfoto Rückschlüsse auf die Geologie erlaubt.

Um die Emissivität zu bestimmen, wird die Infrarothelligkeit mit der durch die Höhenmessungen vorhergesagten Oberflächentemperatur abgeglichen. Mit VIRTIS an Bord von Venus Express, einem abbildenden Spektrometer, das im sichtbaren Licht und im Infraroten arbeitet, ließ sich so eine aus der Wärmeabstrahlung abgeleitete Oberflächenkarte ableiten (siehe Bild der Druckausgabe).

Die auf den Südpol zentrierte Karte erscheint aber gegenüber der entsprechenden, auf den Daten der Magellan-Sonde basierenden Temperaturkarte um 0,15 Grad rotiert. Die planetografischen Koordinaten aus den Daten von Venus-Express wurden dabei unter der Annahme berechnet, dass sich der Planet einmal innerhalb von 243,0185 Tagen dreht - gemäß der mit Hilfe der Magellan-Sonde ermittelten Rotationsdauer (siehe Grafik in der Druckausgabe). Nimmt man allerdings eine um 6,5 Minuten längere Rotationsperiode von 243,023 Tagen an, so verschwindet die Abweichung zwischen Venus Express und Magellan.

Tatsächlich bestimmten Radioastronomen eine mit diesem Wert vergleichbare Rotationsperiode von 243,022 Tagen bereits vor Magellan mit irdischen Radarteleskopen, welche die Oberfläche der Venus über einen Zeitraum von 16 Jahren immer wieder abbildeten. Auch der Vergleich von Radarbildern der sowjetischen Raumsonden Venera 15 und 16 mit den Magellan-Bildern resultierte in einem Wert von 243,023 Tagen. Drei voneinander unabhängige Messungen mit einer längeren Rotationsperiode lassen sich schwer durch Zufall erklären, daher deutet die abweichende, aber deutlich genauere Magellan-Messung von 243,0185 Tagen auf eine tatsächliche Variation der Rotationsperiode hin.


Woher stammt der Drehimpuls?

Aber woher kann der Drehimpuls kommen, der nötig wäre, um die Winkelgeschwindigkeit der Venus zu ändern? Die üblichen Verdächtigen für die Übertragung von Drehimpuls sind die gravitativen Wirkungen der Sonne oder des nächsten Himmelskörpers, der Erde. Bei der Venus gibt es aber noch ein anderes Reservoir an Drehimpuls. Tatsächlich befinden sich etwa immense zehn Prozent des Rotationsdrehimpulses der durch Gravitation an die Venus gebundenen Masse nicht im festen Teil des Planeten. Hoch über der Oberfläche tobt ein ungeheuerlicher Sturm, der unter anderem bewirkt, dass die Wolken der Rotation der Oberfläche vorauseilen, mit einer Periode von nur vier bis sieben Tagen - weit weniger als die Rotationsperiode des Planeten mit rund 243 Tagen.

Hätte die Atmosphäre der Venus eine im Vergleich zur Erdatmosphäre gleiche Veränderlichkeit im Drehimpuls, dann wären sogar Variationen der Rotationsperiode der Oberfläche von bis zu einer Stunde zu erwarten. Helen Parish von der University of California in Los Angeles und ihre Kollegen erstellten kürzlich Computermodelle der Venusatmosphäre, die versuchen, ihre Zirkulation nachzubilden. Sie fanden heraus, dass Winde unterhalb der Wolkendecke in einem etwa zehn Jahre dauernden Zyklus zu- und wieder abnehmen. Diese periodische Schwankung im Drehimpuls der Atmosphäre müsste durch eine Variation der Rotationsperiode des Planeten von sogar etwa 15 Minuten ausgeglichen werden.

Den Messungen mit längeren Rotationsperioden der Venus ist gemeinsam, dass die Bilder der Oberfläche über einen Zeitraum von mindestens acht Jahren verglichen wurden, während die Magellan-Bilder über einen Zeitraum von nur drei Venustagen, das sind rund zwei Erdjahre, aufgenommen wurden. Wenn die Winkelgeschwindigkeit der Venus in einem Zyklus von acht Jahren periodisch variiert, zeigten Messungen, die den gesamten Zyklus oder mehr umfassen, immer eine Rotationsperiode nahe dem Mittelwert an. Kürzere Messungen hingegen ergäben je nach dem Zeitpunkt im Zyklus andere Werte.

Es lässt sich anhand der publizierten Daten noch nicht belegen, dass die Winkelgeschwindigkeit der Venus tatsächlich periodisch schwankt, da es zu wenige me gibt. Es bleibt also spannend, auf neue Messungen der momentanen Winkelgeschwindigkeit der Venus zu warten, etwa durch Radarbeobachtungen von der Erde aus. Bis dahin helfen Messungen der Rotation der Oberfläche über lange Zeiträume, ein Koordinatensystem zu definieren, das relativ zur Oberfläche möglichst fest ist.


Nils Müller studiert in Münster Geophysik und promoviert derzeit im Fach Planetologie. Am Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin erkundet er dazu mit den Daten des abbildenden Spektrometers VIRTIS der ESA-Raumsonde Venus Express die Oberfläche der Venus.


Literaturhinweis

Mueller, N. T. et al.: Rotation period of Venus estimated from Venus Express VIRTIS images and Magellan altimetry. In: Icarus 217, 474-483, 2012

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WiS in Sterne und Weltraum
»Abplattung - ein Designmerkmal kosmischer Objekte« bezieht sich auf den Beitrag »Venusrotation wird gebremst« auf S. 23. Das Material behandelt die Rotation als Bewegungszustand, dem Teilchen (wie Atome, Moleküle und Staubteilchen) sowie Himmelskörper (wie Monde, Planeten und Sterne) allgemein unterworfen sind. (ID-Nummer: 1051419)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Die dichte Atmosphäre der Venus zeigt sich im sichtbaren Licht völlig undurchdringlich und arm an Strukturen. Dieses vom schwedischen Digitalfotografen und 3-D-Spezialisten Mattias Malmer neuberechnete Mosaik ist aus 78 Aufnahmen der Sonde Mariner 10 zusammengesetzt, die im Jahr 1978 durch einen Rot-, einen Orange- und einen Ultraviolettfilter entstanden.

Abb. S. 24 oben:
Beide Karten zeigen die Südhemisphäre der Venus. Aus der von der Venussonde Magellan per Radar erstellten Topografie lässt sich die Temperatur der Oberfläche ableiten (links). Dies gelingt auch mit Hilfe der Daten des abbildenden Spektrometers VIRTIS auf der Raumsonde Venus Express (rechts). Unterschiede zwischen den beiden Karten ergeben sich aus dem Abstrahlungsvermögen, aber auch aus einer Verschiebung des Koordinatensystems relativ zur Planetenoberfläche um etwa 0,15 Längengrade.

Abb. S. 24 unten:
Die Länge des Venustags schwankt
Die mittlere Rotationsperiode der Venus liegt verschiedenen Messungen zufolge bei 243,022 bis 243,023 Tagen. Der sehr genau bekannte Wert von 243,0185 Tagen stammt von Messungen durch die Magellan-Sonde. Die Abweichung der Rotationsdauer rührt mit hoher Wahrscheinlichkeit her von Schwankungen, die durch die Venusatmosphäre verursacht werden. Immerhin trägt sie rund zehn Prozent des Gesamtdrehimpulses des Planeten in sich. Die vertikalen Balken an den Messwerten für die Tageslänge geben die Messunsicherheit an, während die horizontalen Balken den Zeitraum angeben, über welchen die Rotation der Oberfläche verfolgt wurde.

© 2012 Nils Müller, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 7/12 - Juli 2012, Seite 23 - 25
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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Internet: www.astronomie-heute.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2012