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PLANET/464: Tausend neue Welten? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 5/12 - Mai 2012
Zeitschrift für Astronomie

Tausend neue Welten?

Von Benjamin Knispel



Das Weltraumteleskop Kepler entdeckte weitere 1091 neue Exoplaneten-Kandidaten. Damit hat die Mission bislang insgesamt 2321 mögliche Planeten um 1790 fremde Sterne identifiziert, darunter mehr und mehr erdgroße Himmelskörper.


Sind wir allein in unserer Milchstraße, oder gibt es andere Planeten mit intelligentem Leben? Ist unser Sonnensystem der Regelfall oder eine exotische Ausnahme? Wie viele andere Sterne werden von Planeten umkreist? Seit dem Frührjahr 2009 folgt das NASA-Weltraumteleskop Kepler der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne, um diese Fragen zu klären. Dabei beobachtet es alles in allem 190.000 Sterne in einem Himmelsareal in der Milchstraße im Sternbild Schwan. Durch kontinuierliche Messungen wird die Helligkeit jedes einzelnen Sterns überwacht und auf winzige Einbrüche untersucht. So verraten sich Planeten, die diese fernen Sonnen umkreisen: Immer wenn sich aus Sicht von Kepler ein Planet auf seiner Bahn vor das Muttergestirn schiebt, sinkt die Helligkeit des Sterns durch die Sonnenfinsternis im Miniformat ganz leicht ab. Je größer der Planet im Vergleich zum Stern ist, desto markanter fällt die Verfinsterung aus. Die Instrumente des Satelliten können Helligkeitseinbrüche von nur 0,01 Prozent der Sternhelligkeit registrieren und damit auch Exoplaneten aufspüren, die kleiner als die Erde sind.

In den vergangenen drei Jahren machte die Kepler-Mission wiederholt Schlagzeilen, zuletzt mit der Entdeckung des annähernd erdgroßen Planeten Kepler 22b, der seine Sonne am Rand der habitablen Zone umkreist (siehe SuW 2/2012, S. 16). Dies ist der Bereich um einen Stern, in dem auf seinen Planeten Wasser in flüssiger Form vorliegen kann und damit erdähnliches Leben möglich ist. Welten wie Kepler 22b wurden bei einer Vielzahl von Transiten vor ihrem Stern gesehen und durch unabhängige Beobachtungen mit Teleskopen auf der Erde nachgewiesen. Neben diesen offiziell bestätigten Planeten gibt es eine stetig wachsende Liste von Planetenkandidaten, bei denen diese strenge Existenzprüfung noch aussteht. Sie wurden einer Vielzahl komplexer Tests unterworfen, um auszuschließen, dass die beobachteten Helligkeitseinbrüche andere Ursachen haben; daher sind sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit real. Das Wissenschaftlerteam der Mission brachte nun die Liste der vom Kepler-Satelliten identifizierten Planetenkandidaten auf den neuesten Stand.

Grundlage der Veröffentlichung im Astrophysical Journal sind die Kepler-Messdaten der 16 Monate zwischen Mai 2009 und September 2010. Die Autoren berichten die Entdeckung von 1091 neuen Planetenkandidaten und verdoppeln damit die Gesamtzahl der durch Kepler identifizierten Welten auf 2321. Da einige Sterne ein Mehrfachplanetensystem aufweisen, sind es insgesamt 1790 Sonnen, um welche diese Exoplaneten kreisen.

Unter den neuen Kandidaten befinden sich insgesamt 361 dieser Mehrfachsysteme mit bis zu fünf Planeten. Das bisher einzige bekannte Sechsfachsystem Kepler 11 wurde im Jahr 2011 entdeckt. Auffällig ist, dass es in diesen Vielplanetensystemen keine großen Gasplaneten mit Umlaufzeiten von weinger als zehn Tagen gibt, während diese bei Einzelplaneten häufig vorkommen. Hier zeichnet sich möglicherweise ein generelles Prinzip bei der Entstehung von Sonnensystemen ab.

Mehr kleine Planeten
Im Vergleich zum vorherigen Kandidaten-Katalog, der auf Daten der ersten vier Missionsmonate basiert, fällt ganz klar ein Trend auf: Es wurden vermehrt kleine Planeten in weiten Umlaufbahnen um ihren Heimatstern entdeckt. Die Anzahl der Planeten, die kleiner als zwei Erddurchmesser sind, beträgt nun 922 und hat sich damit nahezu verdoppelt. Ebenso ist der Anteil von Exoplaneten mit einer Umlaufzeit von mehr als 50 Tagen deutlich stärker angewachsen als derjenige mit kürzeren Bahnperioden. Dieser Trend sei nicht allein auf die Zunahme der verwendeten Datenmenge zurückzuführen, so die Autoren. Die wesentliche Rolle spielten stetige Verbesserungen der Datenanalysemethoden, die sich dann rückwirkend auf alle bisher aufgenommenen Messdaten anwenden lassen.

Wie bei den vorherigen Aktualisierungen des Kepler-Katalogs nimmt auch diesmal die Anzahl der erdgroßen Planeten in der habitablen Zone ihrer Sterne zu. Insgesamt 46 Planetenkandidaten befinden sich in dem lebensfreundlichen Gürtel um ihre Heimatsonne, zehn von ihnen sind ungefähr so groß wie die Erde. Die wachsende Anzahl erdähnlicher Planeten in den habitablen Zonen bedeutet, dass bald genauere statistische Aussagen über die Häufigkeit einer zweiten Erde in unserer Milchstraße möglich sind. Die Wissenschaftler können dann besser als bisher abschätzen, ob es einen, zehn oder vielleicht hunderte Planeten wie den unseren gibt. Noch sei es für konkrete Aussagen allerdings zu früh, warnen die Astronomen. Vieles deute darauf hin, dass die verwendeten, komplexen Datenanalysemethoden noch nicht ausgereift genug seien, um wirklich alle erdähnlichen Exoplaneten aufzuspüren: Viele weitere Geschwister der Erde verstecken sich vermutlich in den Messdaten.

Keplers Exoplaneten
246
676
1118
210
71
Erdgroße Planeten (<1,25 Erdradien)
Super-Erden (1,25-2 Erdradien)
Neptungroße Planeten (2-6 Erdradien)
Jupitergroße Planeten (6-15 Erdradien)
SuperJupiter (>-15 Erdradien)

Unter den insgesamt 2321 von Kepler aufgespürten Exoplaneten befinden sich 246 Himmelskörper von der Größe der Erde. Weitere 676 sind so genannte Supererden, 1118 sind neptungroß und 210 so groß wie der Planet Jupiter. Die Radien von 71 Objekten übertreffen sogar den Jupiterradius.


Bei einigen der neu identifizierten Kandidaten haben nicht Computer den Großteil der Arbeit erbracht, sondern Freizeitwissenschaftler. Beim Projekt namens PlanetHunters.org können Freiwillige über eine Internetseite aufbereitete Kepler-Messdaten visuell inspizieren und nach Transitereignissen suchen. Das Potenzial dieses Ansatzes zur Datenanalyse ist enorm: Seit dem Start des Projekts im Dezember 2010 haben 100.000 Freiwillige zehn Millionen mögliche Transite identifiziert, außerdem sechs Planetenkandidaten, die in der automatisierten Suche der Kepler-Forscher nicht aufgefallen waren. Neun weitere Welten wurden sowohl von PlanetHunters.org als auch von den Profi-Astronomen entdeckt.

Die neue Veröffentlichung zeigt, dass verbesserte automatische Analysemethoden und die Einbindung von Freizeitwissenschaftlern die Chancen steigern, die Suche nach einer zweiten Erde zu einem Erfolg zu führen. Die Zukunft für die Kepler-Mission, die noch bis Ende 2012 Messdaten aufnehmen wird, sieht rosig aus.


Benjamin Knispel promovierte an der Leibniz Universität Hannover und am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Er widmet sich unter anderem der Suche nach Radiopulsaren mit Einstein@Home und der Simulation der galaktischen Neutronensternpopulation als Quelle von Gravitationswellen.


Literaturhinweis

Batalha, N. M. et al.: Planetary Candidates Observed by Kepler, III: Analysis of the First 16 Months of Data. Eingereicht bei: The Astrophysical Journal Supplement Series, 2012

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w i s - wissenschaft in die schulen

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Das Projekt Wissenschaft in die Schulen! wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die ihren naturwissenschaftlichen Unterricht mit aktuellen und praktischen Bezügen anschaulich und abwechslungsreich gestalten wollen - und an Schülerinnen und Schüler, die sich für Vorgänge in der Natur begeistern und ein tieferes Verständnis des Universums gewinnen möchten.
Um diese Brücke von der Wissenschaft in die Schulen zu schlagen, stellt WIS didaktische Materialien als PDF-Dokumente zur Verfügung (kostenloser Download von der Internetseite www.wissenschaft-schulen.de).

WiS in Sterne und Weltraum
Das WiS-Material »Mit »Corot« und »Kepler« auf der Suche nach einer zweiten Erde« betrifft den Beitrag »Tausend neue Welten?«. Es betrachtet die Planeten um andere Sterne und beschäftigt sich mit den beiden Satellitenmissionen zur Suche nach Exoplaneten, Corot und Kepler. (ID-Nummer: 1051348)

Und »Einblicke in das Familienleben der Exoplaneten« nimmt Bezug auf Messdaten über diese fernen Welten. Das Material zeigt, wie sich aus den wenigen Parametern, die über Exoplaneten bekannt sind, physikalische Betrachtungen ableiten lassen. Mit Hilfe der ID-Nummer 1051518 ist das Material auf der Seite www.wissenschaft-schulen.de/artikel/ID-Nummer als Download unter dem Link »Zentrales WiS!-Dokument« zugänglich.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Das Diagramm zeigt alle 2321 durch das Weltraumteleskop Kepler identifizierten Planetenkandidaten. Jeder Punkt markiert die Größe eines Exoplaneten und seine Umlaufperiode um den Zentralstern. In violett sind die Kandidaten nach einem Monat und in blau nach vier Monaten Beobachtungszeit dargestellt. Die gelben Punkte sind die nun zusätzlich bekanntgegebenen Planeten nach 16 Monaten Messdauer.

© 2012 Benjamin Knispel, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 5/12 - Mai 2012, Seite 24 - 25
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528 150, Fax: 06221/528 377
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2012