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HINTERGRUND/153: Interview mit der Musikerin Chiwoniso (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 110, 4/09

Rebellische Frau an der Bühnenfront
Interview mit der Musikerin Chiwoniso


Chiwoniso Maraire, Musikerin mit künstlerischem Hintergrund in Simbabwe und den Vereinigten Staaten, erzählte im Interview(1), das Kathrin Pelzer von der Frauensolidarität mit ihr führte, von ihren Erfahrungen und Erlebnissen als Musikerin in Simbabwe und den Herausforderungen unter der momentanen politischen Verhältnissen.


FRAUENSOLIDARITÄT: Warum heißt dein letztes Album "Rebel Woman"?

CHIWONISO: "Rebel Woman" ist das letzte Lied auf der CD, und die Idee, es zu schreiben, kam mir durch ein Gedicht. Es handelt von einer Soldatin, die an der Grenze zu Äthiopien und Eritrea lebte. Ich fand es schön, ein Gedicht über eine Soldatin zu lesen, weil es viele Frauen gab, die gekämpft haben. Diese Geschichten hört man selten. Auch in Simbabwe haben Frauen während der Unabhängigkeitsbestrebungen in den 1970er Jahren um Freiheit gekämpft. Unabhängig davon wurde mir schon oft gesagt, dass ich einen rebellischen Charakter habe. Ich arbeite viel zu sozialen Belangen, wenn ich nicht auf der Bühne bin, aber auch meine Musik dreht sich um gesellschaftliche Probleme. Mir fällt es leicht über Dinge zu sprechen, die man von einer Frau nicht erwarten würde. Ich wurde so erzogen. Vor allem mein Vater meinte immer, dass wir das Recht haben, unsere Meinung zu sagen und über uns selbst zu bestimmen. Respektiere die Meinung von anderen, auch wenn du nicht damit übereinstimmst, aber fürchte dich nicht davor, deine Meinung zu sagen, auch wenn sie anders ist!


FRAUENSOLIDARITÄT: Bist du nicht eigentlich schon eine Rebellin, weil du Mbira(2) spielst, ein Instrument, das eigentlich den Männern vorbehalten ist?

CHIWONISO: Mir wurde diese Frage schon oft gestellt, und es ist immer wieder schwer, sie zu beantworten. In meiner Familie wurde immer Musik gespielt und ich bin mit vielen verschiedenen Instrumenten aufgewachsen. Meine Eltern haben mich nie gehindert, u.a. die Mbira zu spielen. Sie sagten auch nie, dass ich das nicht darf, weil ich ein Mädchen bin. Als wir nach Simbabwe zogen, war ich überrascht zu sehen, dass nur wenige Leute Mbira spielten. Das kommt daher, dass es während der Kolonialzeit tabuisiert wurde, weil die Missionare dieses Instrument als Gefährdung für die Christianisierung gesehen haben, da die Mbira auch ein spirituelles Instrument ist. Aber jetzt ist eine Veränderung zu spüren. Immer mehr Leute spielen dieses Instrument, auch Frauen. Ich glaube nicht, dass es ein Gesetz unter den Shona(3) gab, das Frauen das Mbira-Spielen verboten hat.


FRAUENSOLIDARITÄT: Wie ist die Situation für Musikerinnen in Simbabwe?

CHIWONISO: Ich glaube, dass es ein weit verbreitetes Vorurteil gibt: Afrikanerinnen werden immer als Opfer gesehen. Für mich als afrikanische Frau ist es wichtig, dieses Klischee zu ändern. In Simbabwe sieht man viele Mädchen und Frauen, die schon lange Zeit als Hintergrundsängerinnen auf der Bühne stehen. Dass es nur so wenige Frauen wie Stella Chiweshe und Irene Chigamba an die Bühnenfront schaffen, hat einen kulturellen Hintergrund. Denn in Simbabwe herrscht die Meinung, dass du Sitte und Moral verlierst, wenn du als Frau auf der Bühne stehst. Ich glaube, dass viele Mädchen Angst davor haben, aus kulturellen Erwartungen auszubrechen. Simbabwe ist ein Land, in dem es eine strikte Moralvorstellung gibt. Aber trotzdem haben es Frauen auf die Bühne geschafft und es kommen immer mehr nach, und das macht es einfacher für alle Folgenden.

Wenn ich draußen auf der Bühne bin, als junge Frau, die mit anderen jungen Frauen arbeitet und zeigt, dass das cool ist, ändern sich die Vorstellungen. Ich möchte auf die Bühne gehen und bestimmte Botschaften singen. Wenn ich auf der Bühne bin, dann bin ich zuerst eine Künstlerin und erst dann eine Frau.


FRAUENSOLIDARITÄT: Wie ist es für Künstlerinnen in Simbabwe, ein Album aufzunehmen? Ist das möglich?

CHIWONISO: Die Wirtschaft spielt zurzeit überall verrückt. In Simbabwe haben wir das schon vor ein paar Jahren bemerkt, denn wenn es der Wirtschaft schlecht zu gehen beginnt, ist die Kunst davon zuerst betroffen. Überall in der Musikindustrie sind einerseits dein Talent und andererseits deine Beziehungen wichtig. Es geht darum, wie viel Geld du hast, das bestimmt auch die Qualität deiner CD. Es gibt in Simbabwe ein paar Studios, die sehr gut sind, und dann gibt es auch die Hinterhof-Studios. Die Regierung hat vor ein paar Jahren ein Gesetz geändert, das vor allem KünstlerInnen betraf. Wenn du die Audio-Ausrüstung außerhalb von Simbabwe kaufst, musst du keinen Zoll bezahlen. Das hat die Türen für Künstlerinnen geöffnet, denn der Zugang zur Technik ist eines der größten Probleme. Genau das hat vor allem KünstlerInnen aus den so genannten Entwicklungsländern das Aufnehmen von Musik erschwert. Es ist aber auch wichtig, Leute zu vernetzen, damit MusikerInnen Präsenz nach außen haben. Das ist nicht immer leicht, vor allem jetzt, wo sich die Musikindustrie ändert. Viele Musikgeschäfte werden zugesperrt und die Verkäufe von CDs sinken. Das Internet hat immer mehr Bedeutung. Auch die Regeln ändern sich. Aber das Hauptproblem ist trotzdem noch immer das Geld und die Wirtschaft.


FRAUENSOLIDARITÄT: Wann und warum hast du Simbabwe verlassen?

CHIWONISO: Ich habe Simbabwe letztes Jahr im August verlassen. Ein Grund war die wirtschaftliche Situation. Die politische Situation ist auch immer unangenehmer geworden. Ich brauchte einfach eine Auszeit. Mein Umzug aus Simbabwe ist kein permanenter. Aber es gibt viele Regeln für simbabwische KünstlerInnen, die sie daran hindern zu sagen, was sie denken. Ich hatte damit ein großes Problem. Ich wurde ungefähr ein halbes Jahr, bevor ich gegangen bin, verhaftet. Ich wurde für Stunden festgehalten. Zuerst flippst du etwas aus, weil du nicht weißt, was passiert, und dann, nach einiger Zeit, dachte ich mir, warte einmal, ich möchte, dass mir diese Typen ein Lied von mir nennen, in dem ich die Regierung, den Präsidenten oder MinisterInnen beschimpft oder beleidigt habe. Wir versuchen über soziale und gesellschaftliche Probleme zu singen. Wir singen das, worüber Leute jeden Tag reden. Ich erfinde nicht irgendwelche Dinge. Mit dieser Einschränkung hatte ich ein großes Problem. Ich bin nicht die einzige Künstlerin, die das durchstehen musste. So sehr ich auch dort bleiben wollte, weil es meine kreative Energie nährt, so sehr erdrückte es mich auch. Also musste ich da einmal heraus, damit ich weiß, dass es nicht falsch ist, was ich singe.


FRAUENSOLIDARITÄT: Wer sind die aktivsten MusikerInnen in Simbabwe, die die Gesellschaft ändern?

CHIWONISO: Ich würde sagen, dass 85% der KünstlerInnen, die in Simbabwe auftreten, bewusst die Gesellschaft verändern wollen. Wenn du in der Situation lebst, in der die Regierung - sagen wir - 90% von dem, was in dem Land passiert, kontrolliert, dann wird Angst erzeugt. Ich erinnere mich an eine Vorstellung, bei der drei Bereitschaftspolizisten in voller Montur in eine kleine Bar gekommen sind. Ich habe gerade gesungen und habe sofort die Veränderung im Raum gespürt. Ich habe das Lied beendet und gesagt: "Meine Damen und Herren, wir werden eine kurze Pause machen!" Das passierte zu der Zeit, in der viele Leute eingesperrt und verprügelt wurden. Ich ging also zu diesen Männern und fragte sie, warum sie hier sind. Sie meinten, dass sie nach Staatsfeinden suchen. Ich habe ihnen gesagt, dass es vielleicht besser ist, nach Hause zu gehen und die Kleidung zu wechseln, denn wenn sie so angezogen sind, werden sie niemanden finden. Ich habe ihnen dann gesagt, dass ich die Vorstellung nicht fortsetzen werde, solange sie hier in ihrer Uniform sind. Sie haben mir befohlen weiter zu spielen, aber ich habe ihnen gesagt, dass ich das nicht kann. Dann haben sie gemerkt, dass ich es ernst meinte. Sie sind dann nach kurzer Zeit gegangen.

Es gibt KünstlerInnen, die daran beteiligt sind, diese ganze Situation zu ändern, aber es bleibt immer dieses Risiko. Jede von uns ist involviert und hat ihre Geschichten zu erzählen. Ein paar haben Glück, ein paar nicht. Ich wurde inhaftiert und ich habe FreundInnen, die verprügelt wurden oder für mehrere Tage im Gefängnis festgehalten wurden. Das, was wir dagegen machen, ist, dass wir einander Schutz bieten. Wir vernetzen uns. Das ist etwas, das ich erkannt habe: Wenn du das Gefühl hast, allein zu sein, schwächt es dich, aber wenn du weißt, dass du in dieser Situation nicht alleine bist, macht es dich stärker.


Anmerkungen:

(1) Das Interview fand beim 9. Kasumama Afrika Festival im niederösterreichischen Moorbad Harbach Anfang Juli 2009 statt.

(2) Mbira wird auch "Daumenklavier" genannt und vor allem von Angehörigen des Volkes der Shona gespielt. Es gilt als Nationalinstrument von Simbabwe.

(3) Die Shona sind ein Volk mit der gleichnamigen Sprache im südlichen Afrika.


Übersetzung aus dem Englischen: Claudia Dal-Bianco


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 110, 4/2009, Seite 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
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Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2010