Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → TECHNIK


ARTIKEL/030: "Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist Grundlage des MedTech-Fortschritts" (BVMed)


BVMed - Bundesverband Medizintechnologie e.V. - 14. September 2012

BVMed-Innovationkonferenz:

"Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist Grundlage des MedTech-Fortschritts"


Berlin. Eine interdisziplinäre und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Forschern, Ärzten und Industrie ist die Grundvoraussetzung für den medizintechnischen Fortschritt. Das war das Fazit der BVMed-Konferenz "Fortschritt erLeben mit innovativen Medizintechnologien - Erfolgsparameter für die nachhaltige Vernetzung von Innovatoren und Anwendern " am 13. September 2012 in Berlin mit rund 100 Teilnehmern. Bei der erfolgreichen Entwicklung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der Medizintechnologie kann ein professionelles Netzwerk von "Lotsen und Geburtshelfern" die jeweiligen Hersteller und Anwender erfolgreich vernetzen. Unterschiedliche Expertenansichten gab es zu der Frage, wie frühzeitig Krankenkassen in die Innovationsentwicklung einbezogen werden sollten. Während BDC-Präsident Prof. Dr. Hans-Peter Bruch und Barmer-Vertretern Dr. Ursula Marschall für eine frühzeitige Einbindung plädierte, sprach sich Thom Rasche von Earlybird klar dagegen aus: "Das führt nur zu Frustrationen." Wichtiger sei es, die Patienten von dem Nutzen der Innovation zu überzeugen.

"Die medizintechnologische Innovationsentwicklung bedingt die Kooperation zwischen Industrie, Anwender und Forschung", so Dr. Manfred Elff, Mitglied der Geschäftsführung von Biotronik und BVMed-Vorstandsmitglied, in seinem Einführungsvortrag. Als Beleg für die Innovationskraft der MedTech-Branche führte er die Anzahl der Patente an. Nach Angaben des Europäischen Patentamtes in München führt die Medizintechnik die Liste der angemeldeten Erfindungen mit 16.400 Patenten an. MedTech-Innovationen brauchen dabei die "transdisziplinäre Zusammenarbeit", so Elff. Forschungskooperationen können helfen, neue Lösungen zu entwickeln. Als Beispiel stellte Elff das Translationsprojekt in Hannover vor, das Ende 2008 als gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung des Landes Niedersachsen gegründet wurde. An dem niedersächsischen Zentrum für Biomedizintechnik/Implantatforschung werden die Kompetenzen in der Implantatforschung an einem Standort gebündelt und die Umsetzung in die wirtschaftliche Verwertung gefördert. Zu dem Kooperationsnetzwerk gehören alle wissenschaftlichen Disziplinen und die Industrie. Zu den Schwerpunkten gehören präklininische Studien, klinische Forschung und Bewertung, gesundheitsökonomische Studien, Produktschulungen sowie die Grundlagenforschung.

Prof. Dr. med. Hans-Peter Bruch, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) und Direktor der Klinik für Chirurgie am Universitätsklinikum Lübeck, schilderte am Beispiel eines Weichgewebs-Navigationsgerätes die Innovationsentwicklung durch Anwender im medizinischen Bereich. Als gemeinsames Ziel von Anwendern und Industrie definierte er: "Wir wollen einen Gewinn an Lebensdauer und Lebensqualität mit Produkten, die dem Patienten ein Höchstmaß an Qualität und Sicherheit bieten." Die Entwicklung eines Weichgewebs-Navigationsgerätes soll durch die Visualisierung des Operationsfortschritts helfen, beispielweise Tumore an der Leber optimaler zu entfernen. Dazu gehört die Abbildung der inneren Organstrukturen, die Verfolgung der Organdeformation während der Operation, das Tracking der Instrumente und die Minimierung der algorithmusbedingten Missweisung. Die Assistenzsysteme für die individualisierte Chirurgie werden durch das Partnerprojekt "FUSION" entwickelt. Bruch: "So eine komplexe Entwicklung geht nur über Exzellenzzentren oder Kooperationen mit geeigneten Partnern. Partnernetzwerke sind heute die beste Möglichkeit der Innovationsentwicklung." Die Finanzierung erfolge über öffentliche Mittel und die Industrie. "Darauf sind wir angewiesen, denn eine solche Entwicklung kostet zwischen 10 und 25 Millionen Euro", so der BDC-Präsident. Der nächste Schritt des Projekts sei eine prospektive multizentrische Pilotstudie zur perioperativen Evaluierung von chirurgischen Navigationsassistenzsystemen bei Lebertumoren, die derzeit laufe.

Prof. Dr. Dr. Enno Schmidt von der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der Universitätsklinik Lübeck schilderte die Produktentwicklung mit Anwendern am Beispiel der Immunadsorption beim Pemphigus. Diese Autoimmunerkrankung äußert sich in großflächigen Blasen auf der Haut. Es handelt sich um eine seltene und schwere Erkrankung, die bislang noch nicht gut therapiert werden kann. Standardbehandlung ist eine hochdosierte und lange Kortisonbehandlung. Bei der Immunadsorption handelt es sich um ein neues Verfahren der extrakorporalen Blutplasmareinigung bzw. Blutwäsche. Zu Beginn der Entwicklung in Kooperation mit Fresenius stand eine erste prospektive Studie mit 23 schwer erkrankten Patienten. 2007 wurde zu einer Expertenrunde eingeladen, die Indikationen festlegte und Expertenempfehlungen aussprach. Die Vergütung erfolgt über ein Zusatzentgelt. In einem nächsten Schritt wird eine kontrollierte prospektive multizentrische Studie zur Effektivität und Verträglichkeit der Immunadsorption beim Pemphigus durchgeführt, die derzeit noch läuft.

Erfolgreiche Netzwerke in der MedTech als "Geburtshelfer für Innovationen" stellte Dr. Thomas Feigl, Geschäftsführer des Forums MedTech Pharma von Bayern Innovativ in Nürnberg, in den Mittelpunkt seines Vortrags. Er zitierte zu Beginn John Naisbitt aus dem Jahre 1982: "Netzwerke und Kooperationen sind die Unternehmensform des 21. Jahrhunderts." In der Medizintechnik sei man hier auf einem guten Weg. Wie kaum ein anderes Technologiefeld sei die Medizintechnik dadurch gekennzeichnet, dass Innovationen das interdisziplinär erarbeitete Ergebnis mehrerer Technologien und Wissenschaften sind. Als Beispiel aus der Praxis stellte Feigl das gemeinnützige und interdisziplinäre Forum-MedTech-Pharma vor, das bereits 1998 gegründet wurde. Ziel ist es, durch Innovation zu Effizienzsteigerung, Qualitätssicherung und kontinuierlicher Verbesserung der Versorgung beizutragen und durch zukunftsweisende Technologien Wachstumspotenziale weiter zu entwickeln und High-Tech-Arbeitsplätze zu sichern. Zu den Leistungen gehören Fachtagungen, Workshops und Symposien, die Entwicklung von Marktstrategien und Internationalisierung durch Messe-Gemeinschaftsstände, Branchen-Treffs und Kooperationsprojekte sowie die Förderung von Weiterbildung und Studiengängen.

"Erfolgreiche Kommerzialisierung technologischer Innovation erfordert unternehmerisches Talent und hinreichend Kapital", so Thom Rasche, Partner bei Earlybird Venture Capital in Hamburg. Es mangele in Deutschland nicht an guten Ideen zu Produkt- und Prozessinnovationen. Defizite gebe es eher beim Geschäftsplan zur Umsetzung der Idee sowie an der Finanzierung bis hin zur Marktreife. "In Deutschland gibt es beispielsweise in der medizinischen Forschung keine unternehmerische Kultur und damit einhergehend Unternehmensgründungen wie in den USA", so Rasche. Lösungsansätze zur Förderung des Unternehmertums sieht er in der Förderung der Kooperation zwischen den technischen- und den betriebswirtschaftlichen Universitäten, der Bereitstellung der Infrastruktur für die ersten zwei Jahre im universitären Umfeld sowie der Finanzierung des Lebensunterhaltes der Gründer für zwei Jahre. Wagniskapital könne gerade in der Frühphasenfinanzierung helfen, die exzellenten medizinischen Forschungsergebnisse in Deutschland zu einem marktreifen Produkt zu entwickeln. Wichtig sei aber ein vollständiges Gründer-Team mit Management-Expertise und einer guten Vermarktungsstrategie.

"Innovationen sichern die Zukunft des Krankenhauses", so die These des Gesundheitswissenschaftlers und Kinderarztes Dr. Markus Müschenich, Gründer von ConceptHealth. Sein Appell: "Innovationsmanagement muss Teil der Unternehmensstrategie sein und darf nicht dem Einzelnen überlassen werden. Innovationsmanagement verlangt einen klar geregelten Prozess." Müschenich gab zahlreiche Einblicke in den medizintechnischen Fortschritt, der sich weiter beschleunige. Dazu gehören Clinical Genomics, moderne Bildgebungsverfahren und 3D-Organdrucker, drahtlose Sensoren zur "Selbstvermessung" durch den Patienten oder Gesundheitsinformations-Technologien. Aber: Innovationen haben einen Preis. Krankenhäuser haben aufgrund der Fallpauschalen mit einer zunehmenden Schere zwischen Kostensteigerungen und DRG-Erlösen zu kämpfen. "Das Lehrbuch der Ökonomie ist ausgehandelt, trotzdem haben die Krankenhäuser immer größere finanzielle Probleme", so Müschenich. Die entscheidende Zukunftsfrage sei, wie Krankenhäuser mit Innovationen umgehen. Dies sei eine Entscheidung zwischen Aldi oder Apple zwischen Discount und austauschbaren Leistungen oder einer hohen Innovationskultur.

Die Innovationseinführung von Medizintechnologien aus Sicht einer Krankenkasse beleuchtete Dr. Ursula Marschall, Leiterin des Kompetenzzentrums Medizin/Versorgungsforschung der Barmer GEK. Die gesetzlichen Krankenkassen würden im Jahr rund 14 bis 15 Milliarden Euro für Medizinprodukte ausgeben. Bei den Kostensteigerungen sei der medizintechnologische Fortschritt und die Anreize über Vergütungsstrukturen bedeutsamer als der demografische Wandel. Marschall warf die Frage auf, ob die gesetzlichen Bestimmungen, die die Marktfähigkeit der neuen komplexen Technologien regeln sollen, noch zeitgemäß seien. Sie plädierte für einen Paradigmenwechsel: "Patientensicherheit ist wichtiger als Ökonomie", so Marschall. Die Patientensicherheit müsse oberste Priorität haben. Dazu gehöre ein unabhängiges zentrales Zulassungsverfahren für Medizinprodukte und patientenzentrierte klinische Studien mit Meldepflicht. Für Hochrisikoprodukte sollte es eine systematische frühe Nutzenbewertung vor flächendeckender Anwendung geben.

BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt betonte, dass sich die gesetzlichen Marktzugangsregelungen für Medizinprodukte nach Meinung aller Experten insgesamt bewährt habe. Bei Produkten der höchsten Risikoklasse III - hierzu gehören die meisten Implantate - sind die gesetzlichen Anforderungen an die CE-Zulassung vergleichbar hoch wie beim Arzneimittelrecht. Zwingend vorgeschrieben seien eine Risikoanalyse und Risikobewertung zum Nachweis der Sicherheit, die Durchführung einer klinischen Prüfung zum Nachweis der Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit des Medizinprodukts sowie ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem. Eine Zulassung von Medizinprodukten durch staatliche Zulassungsbehörden würde keine höhere Sicherheit bringen.


BVMed - Gesundheit gestalten.

Der BVMed vertritt als Wirtschaftsverband über 230 Industrie- und Handelsunternehmen der Medizintechnologiebranche. Im BVMed sind u. a. die 20 weltweit größten Medizinproduktehersteller im Verbrauchsgüterbereich organisiert. Die Medizinprodukteindustrie beschäftigt in Deutschland über 170.000 Menschen und investiert rund 9 Prozent ihres Umsatzes in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Verfahren.

BVMed Services
Filmservice: www.filmservice.bvmed.de
Informationskampagne: www.massstab-mensch.de
Patienteninformationen: www.aktion-meditech.de

BVMed Interaktiv
@twitter: www.twitter.com/bvmed
@facebook: www.facebook.com/bvmed
@youtube: www.youtube.com/medizintechnologien

*

Quelle:
BVMed-Pressemeldung Nr. 72/12 vom 14. September 2012
V.i.S.d.P.: Manfred Beeres M.A.
Leiter Kommunikation/Presse
BVMed - Bundesverband Medizintechnologie e.V.
Reinhardtstr. 29 b, 10117 Berlin
Telefon: (030) 246 255-0, Fax: (030) 246 255-99
E-Mail: info@bvmed.de
Internet: www.bvmed.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2012

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang