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PSYCHOLOGIE/041: Humorvolle Provokation in Paar-, Sexual- und Lebensberatung (pro familia)


pro familia magazin 4/2009
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik + Sexualberatung e.V.

"Endlich mal kein weichgespültes Psycho-Gequatsche"
Humorvolle Provokation in der Provokativen Beratung

Von David Riha


In der durch pro familia angebotenen Paar-, Sexual- und Lebensberatung stellt sich häufiger die beraterische Aufgabe, mit so genannten Multi-Problem-KlientInnen in vergleichsweise kurzer Zeit akzeptable und stabile Lösungen für eine von vielfältigen Belastungsfaktoren gekennzeichnete Lebenssituation zu entwickeln. Es geht um Themen wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Verschuldung, Probleme mit Suchtmitteln, ein defizitäres soziales Netz und oft auch um eine gewalttätige Sozialisation in der Herkunftsfamilie. Im folgenden Beitrag wird dargestellt, dass - richtig eingesetzt - aus der Provokativen Therapie nach Frank Farelly entlehnte Interventionen zu einer raschen Motivierung der KlientInnen und zum Aufbau von Selbstverantwortlichkeit beitragen können.


Ein nicht unerheblicher Teil der beratungssuchenden KlientInnen in der Paar-, Sexual- und Lebensberatung wird in als krisenhaft zu definierenden Lebens- und Beziehungssituationen vorstellig - insbesondere in ländlichen Regionen, wo eine psychotherapeutische Versorgung nicht annähernd in zufriedenstellendem Ausmaß vorhanden ist. Man kann aus dem verbandsinternen Austausch und eigenen Eindrücken schließen, dass die Zahl von KlientInnen in multiplen Problemlagen vor dem Hintergrund der globalen ökonomischen Krisensituation anwächst. Vorrangige Beratungsziele sind neben der Vernetzung mir anderen Hilfsangeboten im Sinne des Case-Managements vor allem die Übernahme von Selbstverantwortung, die rasche Aktivierung eigener und sozialer Ressourcen sowie die Erhöhung der Belastbarkeit im Angesicht einer prekären Lebenssituation. Hierzu erscheint die Aktivierung von Humor als wesentliche Wirkvariable der Beratung in besonderer Weise geeignet.

Bereits in den 1940er Jahren wurde ein auf humorvolle Provokation setzender Ansatz in der Psychotherapie vor allem durch den Hypnotherapeuten Milton H. Erickson entwickelt, dessen innovatives, ressourcenorientiertes Vorgehen in der Nachfolge unter anderem von der Systemischen Kurz-Therapie Steve de Shazers aufgegriffen und weiterentwickelt wurde.

Bis heute gehören das Erzählen von humorvollen Geschichten mit Bezug zum Beratungsanliegen zum etablierten Handwerkszeug von HypnotherapeutInnen und Systemischen BeraterInnen.

Wegweisend für humororientierte Ansätze in Psychotherapie und Beratung war daneben vor allem die von Frank Farrelly in den 60er Jahren entwickelte Provokative Therapie. Aufbauend auf der Beobachtung, dass auch als chronisch beeinträchtigt geltende PsychiatriepatientInnen überraschend gut auf eine provokative Widerspiegelung ihres Verhaltens ansprachen, entwickelte Farelly eine Theorie des provokativen Vorgehens, deren Grundprinzipien das Vermeiden von professioneller Würde, Direktheit, Konfrontation, systematisches Widersprechen oder Bestätigen sowie ein freier Gebrauch von Humor und Spaßmacherei sind. Unterstützt wird diese Methode durch inzwischen zahlreiche Forschungsbefunde zum förderlichen Effekt von Lachen und Humor auf den Gesundheitszustand, die Stressbewältigungskompetenz sowie auf die Fähigkeit, befriedigende Beziehungen einzugehen.

Humor in der Beratung mit Multi-Problem-KlientInnen ermöglicht es unter anderem, eine scheinbar unerträgliche Situation mit Abstand zu betrachten, rasch Distanz zum Problemverhalten zu gewinnen, spielerisch Lösungsmöglichkeiten zu durchdenken sowie vor allem eine positive und optimistische Beratungsatmosphäre herzustellen, die an sich bereits eine Ressource ist.


Wie funktioniert Provokative Beratung konkret?

Grundlegend lässt sich das Konzept von Frank Farelly zunächst auf seine wichtigste Voraussetzung reduzieren: die empathische, wertschätzende Beziehung zu KlientInnen. Wo dieses prinzipielle Wohlwollen der BeraterIn fehlt, verfehlen konfrontative und humorvolle Beratungstechniken zwangsläufig ihren eigentlichen Zweck: das unangemessene Verhalten der KlientInnen humoristisch aufs Korn zu nehmen und dabei gleichzeitig diese als Person stets wertschätzend zu würdigen. Entsprechend weist auch Farelly daraufhin, dass eine Sitzung, in der die KlientIn nicht mindestens einmal lacht, keine Provokative Sitzung sein kann. Hierzu ist eine positive Körpersprache wesentlich oder um es mit Farrelly zu sagen: die BeraterIn muss "mit den Augen lachen" können.

Im Verlauf des Beratungsprozesses werden darauf aufbauend spezielle Methoden eingesetzt, wie etwa das Ergreifen der Rolle des Advocatus Diaboli, um Lösungsansätze widersprechend zu prüfen oder die ausdrückliche Ermunterung zur Beibehaltung von Symptomen, bei der hemmende Verhaltens- und Sichtweisen der KlientIn humorvoll als besonders wichtig und wertvoll dargestellt und zahlreiche, absurde Gründe für ihre Beibehaltung aufgelistet werden. Werden die dysfunktionalen Sichtweisen der KlientInnen auf diese Weise spiegelnd dramatisiert, kann ihre Unangemessenheit rasch sichtbar werden.

Neben solchen Auflistungen ist auch die direkte Konfrontation ein zentrales Element des Provokativen Ansatzes. Wie auch in der Gestalttherapie wird der KlientIn das Recht zugestanden, eine klare und authentische Rückmeldung zu bekommen - eine Methodik, die sich insbesondere in der Arbeit mit Multi-Problem-KlientInnen immer wieder als seht erfolgreich bewährt. Über eine klare ("Straßen"-) Sprache kann eine Ebenbürtigkeit signalisiert werden, die speziell diese Klientel im Kontakt mit Hilfsinstitutionen und ihrer professionellen Helfersprache oft vermisst. Weitere Methoden sind die Negativbild-Konfrontation (humorvolles Nachahmen vermutlich hinderlichen KlientInnenverhaltens) oder die Überzeichnung ins Extreme, bei der absolute Aussagen der KlientInnen über sich selbst in extremen Szenarien ad absurdum geführt werden (Farrelly & Brandsma, 2008).


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Dialogbeispiel: Das "Nichts-auf-die-Reihe-krieg-Syndrom"

Ein Klient, Mitte 30, kommt zum dritten Termin in die Lebensberatung. Als Ziel gab er an, nach einer Trennung wieder mehr Struktur in seine Lebensführung bringen zu wollen.

Klient: "Ich hab es immer noch nicht geschafft bei der Schuldnerberatung anzurufen. Und das Amt (die Agentur für Arbeit) hat mir Geld gestrichen, weil ich zu dem Termin nicht hin bin. War mir irgendwie mal wieder alles zu viel".

Berater: (übertrieben warmherzig) "Versteh ich gut. Da hatten Sie sich ja auch wirklich ganz schön viel vorgenommen für die zwei Wochen seit unserem letzten Gespräch." (Negativbild-Konfrontation)

Klient: (lacht): "Ich hab mir noch den Wecker gestellt! Aber dann war ich wieder so lange im Internet ..."

Berater: (entschieden, in gespieltem Zorn) "Nein, daran sind Sie doch nicht schuld! Wenn die in diesem Mist-Amt nicht so verdammt kleinlich wären! Kaum geht man mal nicht hin zu so einem kurzfristig angesetzten Termin, weil man die ganze Nacht nach Stellenangeboten im Internet sucht, schon wird einem das Geld gekürzt! (Advocatus diaboli) (Liebevoll) Sie haben doch nach Stellen gesucht?!"

Klient: (unruhig) "Nee ... ich hab Filme runtergeladen".

Berater: (im übertrieben professionellen Ton): "Richtig, sehr richtig! In Ihrer Situation! Sie haben ja auch kein Geld fürs Kino und bei all den Schulden ist es wichtig, dass Sie sich mal nicht ständig um Lösungen für Ihre Probleme kümmern und sich auch mal mit was anderem befassen! Um für Ihr Wohlbefinden zu sorgen! Das nennt man Selbstregulation, das ist laut Studien (Ermunterung zur Beibehaltung von Symptomen, Vermeidung professioneller Würde).

Klient: (unterbricht lachend): "Schon gut, schon gut! Ich krieg einfach nichts auf die Reihe..."

Berater: (übertrieben ernsthaft, mit dramatischen Pausen): "Weil Sie schwer krank sind! (erschrickt theatralisch) Ich muss Ihnen eine furchtbare Mitteilung machen. Sie haben das Nichts-auf-die-Reihe-krieg-Syndrom. Das ist eine schwere psychische Krankheit und die gilt eigentlich als unheilbar" (Vermeiden professioneller Würde, Negativbild-Konfrontation).

Klient: (lacht) "Echt, Sie sind so ein Quatschkopf!"

Berater: (gespielt ernsthaft): "Doch, doch. Ich schreibe Ihnen natürlich auch ein Gutachten, wenn Sie wollen. Ich faxe es für Sie an das Amt und eine Kopie an die Schuldnerberatung! 'Herr X. leidet am Nichts-auf-die-Reihe-krieg-Syndrom und kann Sie deshalb leider nicht anrufen. Aber er würde wirklich gerne." (lacht)

Klient: (säuerlich) "Ich ruf ja morgen an. Morgen früh."

Berater: (warmherzig) "Nein, da müssen Sie ausschlafen und sich von unserem Gespräch erholen. Übermorgen reicht doch auch noch. Oder nächste Woche? Ja, ich glaub, nächste Woche wäre noch besser, damit Sie sich nicht immer so überfordern." (Advocatus diaboli, Negativbild-Konfrontation)

Klient: (ernsthaft) "Morgen. Um zehn. Echt jetzt."

Berater: (laut) "Um zehn?! Shit, das ist ja noch mitten in der Nacht!" (beide lachen)


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Der Klient konnte durch diese Art des Vorgehens im Verlauf von acht Sitzungen erfolgreich mit seinen problematischen Verhaltensweisen konfrontiert werden und übernahm wieder die Verantwortung für seine Lebenssituation. Unter anderem bemühte er sich um eine Schuldnerberatung und begann wieder, intensiv Bewerbungen zu schreiben.


Feedback zur Absicherung der Methodik

Insbesondere die ersten Sitzungen sollten aufgrund der "Verletzungspotenz" dieser Art von Methodik durch eine formalisierte Rückmeldung abgeschlossen werden, in welcher die KlientIn Gelegenheit erhält, ihre Wahrnehmung des BeraterInnen-Verhakens widerzuspiegeln. Dieses Vorgehen sichert, dass der Einsatz von Provokation, Ironie und Humor "nicht in den falschen Hals geraten ist" und unterstreicht auch für die KlientIn wahrnehmbar die prinzipielle Wertschätzung durch die BeraterIn. Zudem ist es oft sehr beruhigend und bestätigend zu bemerken, dass ein provokatives Vorgehen vor allem solche KlientInnen erreicht, die aufgrund ihres eigenen sozialen Hintergrundes mit einer direkten und konfrontierenden Methodik mehr anfangen können, als mit einem zurückhaltenden, erkundenden Beratungsansatz.

Ein aussagekräftiges Beispiel für eine solche Rückmeldung aus meiner eigenen Praxis ist etwa der lachende Kommentar eines Mannes, der mit seiner Partnerin wegen wiederkehrend eskalierender Streitigkeiten in die Paarberatung kam: "Das ist endlich mal nicht so ein weichgespültes Psychogequatsche!". Nicht zuletzt dient das direkte Feedback der Unterstützung des eigenen Lernprozesses.


Kontraindikationen und Beachtenswertes

Entsprechend den oben gemachten Anmerkungen zum Vorgehen sind provokative Methoden überall dort unangebracht, wo die BeraterIn keine prinzipiell wertschätzende Haltung einnehmen kann und Konfrontation und Humor somit in Gefahr geraten, Mittel zum Ausdruck eigener Aggressivität zu werden. Entsprechende Themenfelder sind beispielsweise die Arbeit mit Tätern häuslicher oder sexueller Gewalt, stagnierende Beratungsprozesse oder KlientInnen, die sich in der Beratung als aggressiv und feindselig präsentieren.

Ein hohes psychisches Verletzungsrisiko verlangt daneben besondere Vorsicht in der Arbeit mir KlientInnen, die aufgrund besonderer Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, Humor und Provokation nicht als prinzipielle Abwertung zu deuten - wie etwa bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen - oder diese aufgrund kognitiver Beeinträchtigungen nicht richtig übersetzen können - etwa in der Arbeit mit geistig Behinderten. Aufgrund des sorgsam zu leistenden Beziehungsaufbaus vor dem Einsatz von Konfrontation und Humor sind diese Methoden bei Erst- oder einmaligen Beratungen wie etwa in der Schwangerschaftskonfliktberatung eher nicht empfehlenswert. Nicht zuletzt sollten BeraterInnen, die mit diesen Methoden arbeiten wollen, mit ihren theoretischen Grundsätzen gut vertraut sein und praktische Erfahrung in speziellen Weiterbildungen gesammelt haben.

Diplom-Psychologe David Riha, Hypnotherapeut nach Milton Erickson und Gestalttherapeut in Ausbildung, arbeitet für die pro familia-Beratungsstelle Fürstenwalde/Brandenburg in der Lebens-, Paar- und Sexualberatung sowie in der Sexualpädagogik. Daneben ist er freiberuflicher pädagogisch-psychologischer Weiterbildner und Teamentwickler für Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder.


Farrelly, Frank & Brandsma, Jeffrey M. (2008): Provokative Therapie. Berlin: Springer Verlag.

Frittum, Markus (2008): Die Soziale Arbeit und ihr Verhältnis zum Humor. Möglichkeiten humorvoller Intervention im Berartungsgespräch. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Höfner, Eleonore & Schachtner, Hans-Ulrich (1997): Das wäre doch gelacht. Humor und Provokation in der Therapie. Berlin: Rowohlt


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Quelle:
pro familia magazin Nr. 04/2009, S. 29-31
Herausgeber und Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2010