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ARTIKEL/431: Instrumentalisierung von Ärzten als Abschiebegehilfen (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 46 - Winter 2008/2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Instrumentalisierung von Ärzten als Abschiebegehilfen

Von Gisela Penteker


Die Deklaration von Genf - aktualisierte Form des Hippokratischen Eides - in der Fassung vom September 1994 - Generalversammlung des Weltärztebundes:

Gelöbnis

Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Ich werde meinen Lehrern die schuldige Achtung und Dankbarkeit erweisen. Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten. Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein. Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung. Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. Dies alles verspreche ich feierlich, frei und auf meine Ehre.

Die Deklaration von Genf ist zwar für alle Ärzte eine Grundlage für die Ausübung ihres Berufes, die wenigsten haben sich aber während ihres Studiums damit auseinander gesetzt oder sind gar explizit darauf verpflichtet worden, als sie ihre Approbation erhalten haben, (die Urkunde, die sie zur Ausübung des Berufes ermächtigt). Medizinethik kam zumindest in meiner Ausbildung als Unterrichtsfach nicht vor, die Beschäftigung damit war freiwillig oder auch für selbstverständlich gehaltener Bestandteil der Lehre.

Die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen ist dabei gerade für Ärztinnen und Ärzte immer wichtiger geworden. Es gibt viele Konfliktfelder im Rahmen des wissenschaftlichen Fortschritts und der zunehmenden Kommerzialisierung.

Zu allen Zeiten haben sich Ärzte in den Dienst des Staates gestellt und dabei das Wohl des einzelnen Patienten dem vorgeblichen Gemeinwohl untergeordnet. Die aktive Beteiligung von Ärzten an den Gräueltaten des Dritten Reiches ist uns vor Augen.

Auch an den Folterungen von Abu Graib und Guantanamo waren Ärzte beteiligt.

In diesem Artikel geht es um die Beteiligung von Ärzten an Abschiebungen von Flüchtlingen. Ausreisepflichtige Ausländer, die vor der Abschiebung gesundheitliche Probleme angeben, müssen darauf untersucht werden, ob die Abschiebung ihr Leben gefährdet oder ihren Gesundheitszustand nachhaltig verschlechtert.

Von den Behörden, besonders der Bund-Länder Arbeitsgruppe Rückführung, der "AG RÜCK", wird diese Fragestellung reduziert auf die Frage der Flugreisetauglichkeit, das heißt, auf die Frage, ob der Abzuschiebende den Flug lebend übersteht. Ob ihm in seinem Herkunftsland keine Gefahr für Leib und Leben droht, ist nach amtlicher Meinung vorher im Asylverfahren bei der Prüfung der zielstaatsbezogenen Abschiebehindernisse verlässlich abgeklärt worden.

Mit der Untersuchung auf Flugreisetauglichkeit beauftragen die Ausländerbehörden in der Regel Ärzte des Gesundheitsamts, in manchen Bundesländern auch Polizeiärzte. Da viele dieser Ärzte aber darauf bestehen, sich selbst ein Bild vom Zustand und auch der Vorgeschichte der ausreisepflichtigen Ausländer zu machen, kommen sie - für die Behörden zu häufig - zu dem Ergebnis, dass eine Abschiebung nicht zu verantworten sei.

Deshalb hat es immer wieder Versuche gegeben, einzelne Ärzte als Gutachter anzuwerben, die keine Skrupel haben, im Sinne der Behörden zu entscheiden. Oft waren dies Ärzte aus dem Bereich der Gerichtsmedizin oder Ärzte im Ruhestand, die von den ärztlichen Standesorganisationen nicht mehr belangt werden können. Trotzdem gelang es Anwälten und Unterstützern der Flüchtlinge häufig, diese Ärzte zu identifizieren und ihre Arbeit zu torpedieren durch entsprechend qualifizierte Gegengutachten, die die Richter überzeugten. Die Behörde in Gestalt der AG RÜCK sieht sich in dem Dilemma, ihre ordnungspolitische Verpflichtung zur Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer erfüllen zu müssen, das aber unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit nicht im erwünschten Maße zu können. Das führt zu immer neuen Überlegungen, wie man einen Pool von Ärzten schaffen kann, mit deren Hilfe die anstehenden Abschiebungen zügig und komplikationsfrei durchgeführt werden können. Das reicht von der Überlegung, Ärzte aus den Herkunftsländern für die medizinische Flugbegleitung anzuwerben bis dahin, Ärzte als "Flugärzte" zu schulen, die dann die erforderliche Bescheinigung der Flugreisetauglichkeit ausstellen könnten.

Vonseiten der Ärzteschaft, insbesondere der Bundesärztekammer, wurden vielfache Anstrengungen unternommen, den einzelnen Flüchtling und sein Schicksal wieder in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Fachärzte haben Kriterien für die Begutachtung traumatisierter Flüchtlinge entwickelt. Sie haben begonnen, Ärzte für diese Aufgabe fortzubilden. In schwierigen Diskussionen mit den Innenministern hat eine Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer im Jahre 2004 einen Informations- und Kriterienkatalog zu Fragen der ärztlichen Mitwirkung bei Rückführungsfragen erwirkt, der zunächst in Nordrhein Westfalen probeweise angewendet werden sollte. Er führte nicht zu den von der Innenministerkonferenz erwarteten Ergebnissen und wurde nicht umgesetzt oder gar von den anderen Ländern übernommen.

Alle Deutschen Ärztetage der letzten Jahre haben sich mit den Themen Begutachtung und Abschiebung von Flüchtlingen befasst. Besonders auf dem diesjährigen Ärztetag fand das höchste Gremium der Ärzteschaft deutliche Worte. Die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages sind zwar nicht rechtlich verbindlich, sie werden aber in der Ärzteschaft aufmerksam verfolgt und verbreiten so das Bewusstsein für die Problematik.

Der Vorsitzende der Länderarbeitsgruppe Rückführung, Wilfried Burghardt vom niedersächsischen Innenministerium, protestiert in einem Brief heftig gegen den Beschluss des 111. Deutschen Ärztetages zur Frage der Beurteilung der Flugreisetauglichkeit durch Ärzte mit besonderer Qualifikation als Flugmediziner:

"Der 111. Deutsche Ärztetag hat zum Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer u. a. zwei Entschließungen zur Sicherung ethisch-medizinischer Standards und zur Beurteilungen der Flugreisetauglichkeit bei Abschiebungen gefasst. Beiden Entschließungen liegen ganz offenkundig Informationen zugrunde, in denen die geltende Rechtslage ausschließlich aus ärztlicher Sicht betrachtet und das rechtmäßige Handeln der mit der Aufenthaltsbeendigung von ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern befassten Behörden in Frage gestellt wurde.

...Der 111. Deutsche Ärztetag fordert in seiner Entschließung zur Flugreisetauglichkeit die Innenminister der Länder auf, den Informations- und Kriterienkatalog aus dem Jahre 2004 einzuführen. Die Mehrheit der Bundesländer hatte sich seinerzeit gegen eine verbindliche Einführung dieses Kataloges gewandt, weil der grundlegende Dissens, nämlich die gesetzliche Verpflichtung der Behörden auch zur zwangsweisen Beendigung des nicht rechtmäßigen Aufenthalts ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer einerseits und die Weigerung von Teilen der Ärzteschaft, an zwangsweisen Aufenthaltsbeendigungen mitwirken zu wollen, nicht aufgelöst werden konnte. Tatsächlich hat aber der Informations- und Kriterienkatalog durchaus Eingang in die ausländerbehördliche Verfahrenspraxis gefunden.... Abschließend möchte ich betonen, dass sowohl in den Ländern als auch auf Bundesebene immer wieder Gesprächsbereitschaft von den Innenministern signalisiert wurde. Es wäre sicher nicht unangemessen insoweit im Gespräch zu bleiben, wobei nicht zu verhehlen ist, dass die Meinungen doch sehr weit auseinander gehen."


Zum Abschluss ein besonders eindrückliches Beispiel einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung:

Im Dezember 2006 kurz nach der Einigung der Innenminister auf eine Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge wurde die kurdische Familie Seyyar nach fast 10 Jahren in Deutschland aus Bad Pyrmont abgeschoben. Die schwer psychisch kranke Mutter war zu diesem Zeitpunkt in stationärer psychiatrischer Behandlung. Die Polizei erschien in der Klinik und stellte sie vor die Wahl, mit der Familie auszureisen oder allein in Deutschland zu bleiben. Auf dem Weg vom Auto zur Gangway brach Frau Seyyar zusammen. Das wurde ihr von den Polizisten als Widerstand ausgelegt. Sie wurde in Handschellen an Händen und Füßen gefesselt ins Flugzeug gebracht. Im hinteren Teil der Maschine wurde sie während des gesamten Fluges gefesselt von Polizisten bewacht. Ein Arzt war nicht an Bord. Der Ehemann und die Kinder, die weiter vorne im Flugzeug saßen, durften mit der Mutter keinen Kontakt aufnehmen.

(Ausführliche Berichte über diese Abschiebung und das weitere Schicksal der Familie in IPPNW Akzente 2007 und 2008)

Dr. med Gisela Penteker
Penteker@t-online.de

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Quelle:
Der Schlepper Nr. 46 - Winter 2008/2009, Seite 30-31
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25, 24143 Kiel
Tel.: 0431/73 50 00
E-Mail: office@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2009

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