Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → SOZIALES


STUDIE/535: Die erste Liebe ist häufig von negativen Erfahrungen geprägt (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - 15.12.2015

Zwang statt Überschwang: Erste Liebe ist häufig von negativen Erfahrungen geprägt


fzm, Stuttgart, Dezember 2015 - Die erste Liebe vergisst man nicht. Sie sollte etwas Schönes, Zärtliches und Romantisches sein. Internationalen Studien zufolge machen Jugendliche jedoch oft andere Erfahrungen in ihren ersten Partnerschaften. Viele sehen sich mit grenzüberschreitendem Verhalten oder gar Gewalt konfrontiert. Forscher der Hochschule Fulda und des Social Science and Public Health Institute in Berlin haben nun untersucht, wie häufig solche negativen Erlebnisse in Jugendbeziehungen in Deutschland sind. Wie sie in der Fachzeitschrift "Das Gesundheitswesen" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2015) berichten, ist Zwang unter jugendlichen Partnern auch hierzulande kein seltenes Phänomen.

Für ihre Studie befragten Studienleiterin Professor Beate Blättner vom Public Health Institute Fulda und ihre Kollegen insgesamt 509 hessische Schüler im Alter von 14 bis 18 Jahren. Rund drei Viertel der Befragten gaben an, bereits Dating- oder Beziehungserfahrungen gemacht zu haben; nur diese wurden in die weitere Auswertung einbezogen. Nach eigenen Angaben hatten immerhin rund 66 Prozent der Mädchen und 60 Prozent der Jungen bereits mindestens eine emotionale, körperliche oder sexualisierte Grenzüberschreitung erlebt.

"Am häufigsten waren die emotional belastenden Situationen", differenziert Beate Blättner die Ergebnisse. Gefragt wurde etwa danach, ob die Jugendlichen jemals von einem Beziehungspartner beschimpft, beleidigt oder angeschrien worden seien, ob sie bedroht oder zu etwas gezwungen wurden, was sie nicht tun wollten. Auch wenn der Partner Kontrolle darüber ausübte, wen der Befragte besuchte oder mit wem er telefonierte, fiel das in die Kategorie des emotionalen Zwangs. 61 Prozent der Mädchen und 57 Prozent der Jungen gaben an, bereits solche Erfahrungen gemacht zu haben.

Körperliche Gewalt war dagegen deutlich seltener: Etwas mehr als zehn Prozent der Jugendlichen beider Geschlechter waren von ihren Partnern bereits körperlich angegangen worden, meist durch Schubsen, Schlagen oder Festhalten. Von heftigeren Attacken, etwa mit Gegenständen oder durch Würgen, Boxen oder Stechen, berichteten knapp zwei Prozent der Mädchen und rund drei Prozent der Jungen.

Grenzüberschreitungen mit sexueller Konnotation hatten 26 Prozent der Mädchen bereits erlebt, aber nur 13 Prozent der Jungen. Dazu zählte das Ausüben von Druck, um den anderen zu sexuellen Handlungen oder Geschlechtsverkehr zu bewegen, aber auch die Anwendung von Gewalt, um diese Ziele zu erreichen. Mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein, gaben fast vier Prozent der Mädchen und dreiundhalb Prozent der Jungen an.

"Bei Jugendlichen hat Partnergewalt ähnliche gesundheitliche Folgen wie bei Erwachsenen", erklärt Blättner die Bedeutung solcher Erfahrungen. Neben körperlichen Verletzungen zählten hierzu auch psychische Störungen wie Depressionen oder Angststörungen. Außerdem neigten betroffene Jugendliche vermehrt zu Leistungsstörungen, sowie zu gesundheitsgefährdenden Bewältigungsstrategien wie etwa verstärktem Alkohol-, Nikotin- oder Drogenkonsum. Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend gelten zudem als wesentlicher Risikofaktor für Partnergewalt im Erwachsenenalter.

Die Wissenschaftler selbst sehen ihre Studie vor allem als Quelle erster Erkenntnisse, die in weiteren Studien vertieft werden müssten. "Wir können aber bereits festhalten, dass Zwang oder Gewalt bei ersten Dates auch in Deutschland keine Seltenheit sind", sagt Blättner. Präventive Maßnahmen, wie etwa themenbezogene Aufklärungsarbeit, seien daher dringend geboten.


B. Blättner et al.:
Grenzüberschreitendes Verhalten und Gewalt in Liebesbeziehungen unter Jugendlichen: Prävalenz und Lebensqualität unter Hessischen Schülerinnen und Schülern
Das Gesundheitswesen 2015; 77 (11); S. 895-900

*

Quelle:
FZMedNews - Dienstag, 15. Dezember 2015
Thieme Verlagsgruppe
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart
Telefon: 0711-8931-319, Fax: 0711-8931-167
Internet: www.thieme.de/presseservice/fzmednews/


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang