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PFLEGE/501: Zusätzliche Betreuungsleistungen werden in gewissem Umfang angenommen (GAZESse)


GAZESse 2011/01 - Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
Abteilung "Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung"

Zusätzliche Betreuungsleistungen werden in gewissem Umfang angenommen

Von Rolf Müller


Zusätzliche Betreuungsleistungen der Pflegeversicherung sind für Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz gedacht. Unabhängig von anderen Pflegeleistungen sollen darüber Betreuungsleistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger geschaffen werden. Diese Leistungen werden aber nur in einem gewissen Umfang in Anspruch genommen.

Ursächlich für die Einführung der zusätzlichen Betreuungsleistungen war die Kritik, dass der etablierte sozialrechtliche Pflegebedürftigkeitsbegriff Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz ansonsten nur unzureichend erfasse. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff nach § 14 SGB XI schließt nur die verrichtungsbezogene Beaufsichtigung ein, während psychosozialer Hilfebedarf und somit die nicht verrichtungsbezogene Betreuung nicht berücksichtig wird. Dies könnte zu einer unzureichenden Versorgung Demenzkranker führen.

Mit dem Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz (PflEG), inkraft ab 2002, wurde das Ziel verfolgt, Angehörige von Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz zu entlasten, den betroffenen Personen eine aktivierende und qualitätsgesicherte Betreuung anzubieten und somit auch einen längeren Verbleib im häuslichen Umfeld zu gewährleisten. Die eingeführten zusätzlichen Betreuungsleistungen sind zweckgebundene Geldleistungen zur Inanspruchnahme von Tages- bzw. Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Angeboten zugelassener Pflegedienste zur allgemeinen Anleitung und Betreuung oder niedrigschwelliger Betreuungsangebote (§ 45b SGB XI). Sie richten sich an Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz (PEA), hierzu zählen laut § 45a SGB XI Pflegebedürftige im Sinne des SGB XI mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung, die einen erheblich allgemeinen Betreuungs- und Beobachtungsbedarf haben. Mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PfWG) 2008 ist eine Ausweitung des Personenkreises erfolgt. Nun können auch Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, deren Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung für eine Pflegebedürftigkeitseinstufung nicht ausreichend ist - "Pflegestufe 0" - diese Leistungen in Anspruch nehmen. Neben der Erweiterung des Personenkreises sind im PfWG die jährlichen Geldleistungen erhöht worden - von 460 Euro auf 1.200 Euro (Grundbetrag) bzw. 2.400 Euro (erhöhter Betrag). Diese Maßnahmen führen zu einer größeren Akzeptanz und einer vermehrten Inanspruchnahme.

Erhöhte Zahl an Begutachtungen seit 2008

Die Zahl aller Begutachtungen durch den MDK lag vor Inkrafttreten des PfWG im Jahr 2007 bei 1,33 Millionen und ist dann im Jahr 2008 sprunghaft auf 1,53 Millionen angestiegen und liegt auch im Jahr 2009 bei 1,52 Millionen. Die Zahl der Erstbegutachtungen stieg dabei in den Jahren 2007 bis 2009 von 697 Tausend auf 830 Tausend. Die resultierenden Zuweisungen einer Pflegestufe finden sich in erhöhtem Maße insbesondere in der Pflegestufe I. Hier sind im Jahr 2009 65 Tausend Zuweisungen mehr erfolgt als 2007. Die Steigerungen in Pflegestufe II und III nehmen sich mit 7 Tausend und Eintausend sehr bescheiden aus. Dass die Ausweitungen der Rechte auf zusätzliche Betreuungsleistungen auch für Personen ohne Pflegestufe hier einen Effekt auf die Zahl der Begutachtungen und die Zahl der Pflegebedürftigen haben, liegt nahe.

Deutliche Steigerung der Inanspruchnahme infolge des PfWG

In den ersten Jahren nach der Einführung von zusätzlichen Betreuungsleistungen durch das PflEG 2002 zeigt sich nur eine geringe Steigerung der Inanspruchnahme der Leistung. Im 4. Quartal 2002 haben 0,06 % der weiblichen und 0,04 % der männlichen Bevölkerung im Alter von mindestens 60 Jahren zusätzliche Betreuungsleistungen in Anspruch genommen. Ausgehend von dem niedrigen Niveau haben sich die Anteile im Laufe der nächsten fünf Jahre bis Ende 2007 auf 0,12 % (Frauen) und auf 0,09 % (Männer) verdoppelt. Erst die gesetzlichen Änderungen durch das PfWG (Juli 2008) führen zu einer deutlicheren Mehrinanspruchnahme der Leistungen. Bei den Männern im Alter von mindestens 60 Jahren findet innerhalb eines Jahres nach Einführung des PfWG (3. Quartal 2009) eine Steigerung der Inanspruchnahme von zusätzlichen Betreuungsleistungen um gut 0,2 Prozentpunkte auf 0,35 % und bei den Frauen um gut 0,4 Prozentpunkte auf 0,55 % statt. Entsprechend haben sich die Ausgaben von 2007 (0,03 Mrd. Euro) nach 2008 (0,06 Mrd. Euro) erhöht. Von 2008 zum Jahr 2009 (0,19 Mrd. Euro) ist sogar eine Steigerungsrate von über 200 % zu verzeichnen.

Ausweitung auf den Personenkreis ohne Pflegestufe

Das PfWG sollte aber nicht nur eine allgemeine Mehrinanspruchnahme von zusätzlichen Betreuungsleistungen bewirken, sondern auch für Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz (PEA) ohne Pflegestufe die Möglichkeiten schaffen, diese Leistungen zu beziehen. Im 3. und 4. Quartal 2008 wird bei ca. 140.000 Antragstellern auf ambulante Leistungen keine Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI festgestellt. 13 % (rund 18 Tsd.) von ihnen wurden aber den PEA zugerechnet, die folglich einen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen haben. Im Jahr 2009 ergibt sich der gleiche Anteil. Demnach besitzen 30 Tsd. Menschen, die zu Hause gepflegt werden und nicht pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind, einen entsprechenden Betreuungsbedarf.

Zusätzliche Inanspruchnahme durch Personen mit Pflegestufe

Anteilig weitaus mehr haben von denjenigen, die mit einer Pflegestufe begutachtet wurden, auch noch eine Empfehlung für zusätzliche Betreuungsleistungen bekommen. Diese erhielten in den Quartalen 3 und 4 des Jahres 2008 25 % derjenigen mit Stufe I, 39 % derjenigen mit Stufe II und 56 % derjenigen mit Stufe III. Die Ausweitung der Leistung geschieht also vornehmlich in Kombination mit der Feststellung einer Pflegestufe. Insgesamt wurden in 2009 73 Tausend mehr Erstbegutachtungen als 2007 mit der Zuweisung einer Pflegestufe abgeschlossen. Dem stehen 30 Tausend zusätzliche Betreuungsleistungen ohne Pflegestufe gegenüber. Die Ausweitung der zusätzlichen Betreuungsleistungen hat somit eine Auswirkung auf die Zahl der angesprochenen Klienten, aber noch deutlich mehr auf das Leistungsvolumen der Klienten, die eine Pflegestufe bekommen oder schon haben. Ähnliches ist dann sicherlich auch nach einer Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu erwarten.

Inanspruchnahme durch demenziell Erkrankte gestiegen

Bezogen auf die Demenzkranken in der Population der GEK-Versicherten ist die Entwicklung der Inanspruchnahme ebenfalls steigend. Vor Inkrafttreten des PfWG lag der Anteil der demenziell Erkrankten, die zusätzlicher Betreuungsleistungen bekommen haben bei 2 %. Bis Ende 2009 steigt der Anteil der Dementen mit zusätzlichen Betreuungsleistungen auf etwas über 6 % an. Eine Inanspruchnahme durch 6 % aller Demenzerkrankter, ist trotz der Steigerung in den letzten 15 Monaten, nicht sehr hoch. Insbesondere für diese Gruppe von Erkrankten sind zusätzliche Betreuungsleistungen geschaffen worden. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich die Inanspruchnahme in den kommenden Jahren entwickelt und welche Effekte sie auf die weitere Möglichkeit zur häuslichen Pflege hat.

Ausblick

Insgesamt zeigt das PfWG also eine gewisse Wirkung hinsichtlich der Inanspruchnahme der zusätzlichen Betreuungsleistungen. Dennoch ist in den bisherigen Auswertungen auch deutlich geworden, dass ein Großteil der Anspruchsberechtigten die angebotenen Leistungen nicht in Anspruch nimmt. Dies widerspricht zunächst den Aussagen, die bisherigen Pflegeleistungen seien vom Konzept her nicht ausreichend, wenn demenziell erkrankte Personen zu versorgen sind. Um diesen Widerspruch aufzulösen und die Mechanismen zu erkennen, die sich hinter der Nicht-Inanspruchnahme von zusätzlichen Betreuungsleistungen verbergen, wird für den Pflegereport 2011 eine Befragung von Angehörigen durchgeführt.

Literatur

Rothgang, Heinz; Iwansky, Stephanie; Müller, Rolf; Sauer, Sebastian; Unger, Rainer (2010):
BARMER GEK Pflegereport 2010. BARMER GEK Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse Band 5.
St.Augustin:Asgard, download als pdf-File unter:
http://www.zes.uni-bremen.de/GAZESse/201002/2010-BARMER_GEK_Pflegereport.pdf


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Quelle:
GAZESse 2011/01
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2011