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MEDIEN/1030: Tweets, Blogs und Videos im Dienst der Gesundheit (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2019

Soziale Medien

Tweets, Blogs und Videos im Dienst der Gesundheit

von Stephan Göhrmann, Mitarbeit: Pia Hofer


Ärzte sind in sozialen Medien aktiv, achten aber auf die Trennung beruflicher und privater Aktivitäten im Netz. Permanentes Engagement erfordert personelle Ressourcen.


Die sozialen Medien haben längst das Gesundheitswesen erreicht. Immer mehr Einzelpersonen und Einrichtungen sind auf Twitter, YouTube oder Instagram aktiv. Auch Körperschaften wie die Ärztekammer Schleswig-Holstein folgen dem Trend und informieren Mitglieder und die Öffentlichkeit über diese Kanäle als Ergänzung neben den klassischen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit.

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INFO

Twitter
Twitter begrenzt die mögliche Länge der Nachrichten auf 280 Zeichen - Nutzer müssen ihre Statements auf den Punkt bringen.

Insta
Am 16. Juli 2010 wurde das erste Foto auf Instagram gepostet. Im Juni 2018 verzeichnete Instagram erstmals eine Milliarde Nutzer.

YouTube
Jede Minute werden 400 Stunden Videomaterial auf die Server von YouTube hochgeladen.

Facebook
Ein Ranking der Facebookseiten von Kliniken listet insgesamt 481 Einrichtungen. Der Altersdurchschnitt der Facebook-Nutzer steigt.
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Wie rasant die Entwicklung auf diesem Sektor ist, zeigen zwei aktuelle Trends aus dem Medizinsektor. Auf Twitter sind Nutzer seit einigen Monaten unter dem Hashtag Twankenhaus vernetzt und berichten über die Situation in den Kliniken. Auch schleswig-holsteinische Ärzte beteiligen sich und informieren Kollegen, andere Berufe im Gesundheitswesen und die breite Öffentlichkeit über ihre Wahrnehmungen im beruflichen Umfeld.

Der PJ'ler Jonathan Musmann hat in diesem Jahr die App Doctorsgate auf den Markt gebracht, die bislang rund 1000 Nutzer verzeichnet. Über die App können Ärzte kommunizieren, Daten austauschen und besondere Fälle besprechen. Musmann hat für die Entwicklung des Produktes sein Medizinstudium unterbrochen, inzwischen hat er sogar Anfragen aus Asien zu seiner App.

Euphorisch sind die meisten Ärzte dennoch nicht, wenn es um neue Medien geht - aus guten Gründen. Der Einsatz in Klinik und Praxis erfordert personelle Ressourcen, über die die meisten nicht verfügen. Für die Vermittlung komplexer Sachverhalte sind viele neue Medien nicht geeignet.

Hinzu kommt, dass Grundsätze wie die ärztliche Schweigepflicht, die Grenzen des Arzt-Patienten-Verhältnisses und Datenschutzbestimmungen auch im Netz beachtet werden müssen. Und: Die Dynamik auf diesem Sektor lässt Prognosen, welcher Trend sich mittelfristig etabliert, kaum zu.


Raute mit Risiken und Nebenwirkungen

Soziale Medien bieten Milliarden von Nutzern weltweit neue Formen der Informationsbeschaffung. Steigender Einfluss auf die Politik. Zunehmende Verbreitung auch im Gesundheitswesen.

Die Bilder des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, der sich aus Protest gegen Polizeiwillkür selbst anzündete, verbreiteten sich rasant und global. Der Protest für Freiheit und Bürgerrechte fand auf den Straßen statt. Die Idee und die Motivation dafür wurden jedoch über die sozialen Medien transportiert - und rund um den Erdball in Echtzeit für alle Menschen direkt erfahrbar. Spätestens mit dem Arabischen Frühling im Jahr 2011, der mit den Bildern von Bouazizi seinen Anfang nahm, wurde die Bedeutung der sozialen Medien den meisten Menschen klar.

Auch die CDU-Kritik von Rezo per YouTube-Video zeigte kürzlich, wie schnell sich Ideen online inzwischen verbreiten können und wie sich die Medienlandschaft entwickelt hat. Sein millionenfach geklicktes Video trug dazu bei, dass sich die zweitgrößte deutsche Volkspartei massiver Kritik stellen musste und anschließend ihre Einstellung zu Themen, die jungen Wählern wichtig sind, zumindest in Teilen hinterfragte.

Zwei Beispiele für die Rolle, die soziale Medien heute für unsere Gesellschaft spielen. Die bei ihnen mögliche Interaktion zeigt unmittelbar, wenn Menschen unzufrieden sind und etwas verändern möchten, und sie ermöglichen zugleich, dass sich gleichgesinnte Menschen finden und zusammenschließen.

Auch im Gesundheitswesen haben soziale Medien längst Einzug gehalten, wie die folgenden Beispiele zeigen:

- Twankenhaus:
Was als Austausch zum Thema Krankenhaus über Twitter begann, entwickelte sich zu einer größtenteils von Medizinern geführten virtuellen Diskussion über Klinikthemen. Daraus entstand eine interdisziplinär angelegte Bewegung, die seitdem steigende Aufmerksamkeit erfährt. Das Twitterkrankenhaus steht für eine Utopie, wie der perfekte Arbeitsplatz in einem Krankenhaus aussehen sollte. Auch Patienten sind involviert. Ihr Ziel ist, über die tatsächliche Situation in Krankenhäusern aufzuklären. Die Ideenschmiede möchte neue Wege in der Kommunikation gehen und an konkreten Lösungen für die Mitarbeiter mitwirken.

- Doctorsgate:
Der 26-jährige PJ'ler Jonathan Musmann aus Hannover hat eine Smartphone-App unter diesem Namen entwickelt. Sie soll eine schnellere Kommunikation und einen sicheren Datenaustausch zwischen Ärzten ermöglichen. Die seit Februar 2019 zugängliche App hat 1000 Nutzer aus dem Gesundheitswesen, größtenteils Ärzte. Sie können Daten zu schwierigen oder seltenen Fällen veröffentlichen und per Chatfunktion über mögliche Therapien diskutieren.

- Xing, LinkedIn, Twitter, Facebook und Instagram - die neuen Medien wirken sich auf die Arbeit in den schleswig-holsteinischen Krankenhäusern aus. Der Wettbewerb unter den Kliniken führt dazu, dass diese sich im Netz präsentieren; auch Fachkräfte wollen umworben werden. Die Krankenhäuser wollen sichtbar sein, für die Bevölkerung und für potenzielle Bewerber.

Jede Plattform hat ihre eigenen medialen Schwerpunkte und Zielgruppen, aber auch Risiken.

YouTube ermöglicht das Hochladen von Videoclips, eignet sich also für eine Vielzahl von Inhalten. Auf einem professionellen Level ist das jedoch mit hohen Kosten verbunden. Nicht jedes Krankenhaus kann kontinuierliche Videoproduktionen stemmen.

Twitter setzt auf kurze Statements. Deshalb nutzen vor allem Politiker und politische Bewegungen diese Plattform. Die einst als Limit gesetzten 140 Zeichen wurden inzwischen verdoppelt, tiefgehende Informationen sind damit aber nicht vermittelbar. Wenn Einrichtungen im Gesundheitswesen Informationen über diesen Kanal transportieren wollen, müssen sie sich auf Schlagworte konzentrieren. Verknüpfung von Knowhow oder die Vermittlung erklärungsbedürftiger Informationen braucht andere Medien.

Facebook verbindet die vorangestellten Möglichkeiten der anderen Plattformen und ist einer breiten Masse ein Begriff. Für Krankenhäuser und Praxen ist Facebook oft die Plattform der Wahl. Auf Facebook ist mittlerweile vor allem die Gruppe der über 30-Jährigen vertreten. Jüngere Menschen bewegen sich heute mehr und mehr auf Instagram, einem Netzwerk, das sich für das Teilen von Bildern eignet.

Die Beispiele zeigen, dass man trotz der oft hohen Nutzerzahlen auch über soziale Medien nur einen Ausschnitt der gewünschten Zielgruppe erreicht. Hinzu kommt, dass nicht die Nutzer allein Informationen filtern. Im Hintergrund laufende Algorithmen sorgen für eine Auswahl, die sich an unserem Nutzungsverhalten orientiert. Andere Themen, andere Meinungen, oft schon die reine, sachliche Nachricht tritt in den Hintergrund - wir bewegen uns in einer "Blase". Die kritische Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und eine Meinungsbildung aufgrund vielschichtiger Informationen werden erschwert.

Fest steht auch: Die unterschiedlichen Kanäle müssen mit Inhalten gefüllt werden, die Follower verlangen Content. Das stellt viele Akteure und Einrichtungen im Gesundheitswesen vor ein Problem, weil ihre personellen Ressourcen begrenzt sind.

Das Westküstenklinikum in Heide und Brunsbüttel ist dennoch auf Facebook, Instagram und YouTube vertreten. Für den Leiter der Pressestelle, den gelernten Tageszeitungsjournalisten Sebastian Kimstädt, sind die sozialen Medien eine Weiterentwicklung der klassischen Medienarbeit. Seit Jahresbeginn veröffentlicht das WKK Videos auf YouTube.

Eine ihrer Kampagnen ist "Wir Pflegen". Hierzu wurden 21 Kurzclips gedreht und über das Jahr verteilt hochgeladen. Potenzielle Bewerber können so Informationen über den möglichen Arbeitgeber sammeln.

Auch die Sana-Kliniken greifen auf die Erfahrungen von Journalisten zurück. "All the news that's fit to print", definiert Patrick Engelke, Leiter der Unternehmenskommunikation der Sana-Kliniken in Deutschland, die Voraussetzung für Inhalte, die in den sozialen Medien seines Konzerns veröffentlicht werden.

Den Kliniken ermöglichen diese Kanäle einen direkten Austausch mit ihren Followern. Zugleich können sie über diesen Weg Themen ansprechen, deren Inhalt einer normalen Redaktion zu dünn wäre. Es können Veranstaltungen beworben, Dank für Spenden oder Wochenenddienste ausgedrückt, das Leistungsspektrum dargestellt und das Personal und bestimmte Berufsgruppen gewürdigt werden. Das sind häufig Themen, die für eine Pressemitteilung zu kurz und für klassische Medien nicht interessant genug sind, von den Kliniken jedoch wertgeschätzt werden wollen. Für Informationsveranstaltungen und Patientenseminare, die von Ärzten geleitet werden, werden Mediziner des jeweiligen Krankenhauses in den Vordergrund gerückt. Sie sind das Gesicht zur jeweiligen Veranstaltung, können auf Messen Fragen vor Ort beantworten und sind die fachlichen Ansprechpartner. Auch die Mitarbeiter der Krankenhäuser nehmen die sozialen Medien ihrer Arbeitgeber wahr und informieren sich hier über Aktuelles aus dem Haus.

Auch Arztpraxen kommunizieren über die sozialen Medien. Ein Beispiel ist die Praxis von Dr. Michael Emken aus Bad Segeberg. Viele Kollegen spüren laut Emken jedoch, dass eine professionelle und kontinuierliche Pflege der Kanäle zeitintensiv ist. "Diesen Aufwand können viele Praxen nicht leisten", so der Facharzt für Allgemeinmedizin. Seine Praxis hat eine Facebook-Seite. "Ansprechen möchten wir alle Menschen, die unsere Praxis kennen oder sich für sie interessieren", so Emken. Besondere Öffnungszeiten, geplanter Urlaub oder weitere Neuigkeiten aus der Praxis werden hier veröffentlicht. Manchmal informiert die Praxis auch über aktuelle medizinische oder gesundheitspolitische Themen. Wichtig ist dem niedergelassenen Arzt, dass über die sozialen Medien keine individuelle ärztliche Beratung durchgeführt wird. Damit folgt er den Ratschlägen der Bundesärztekammer, die 2014 eine Handreichung zur Nutzung der neuen sozialen Medien durch Ärzte veröffentlichte.

Die angehende Ärztin Janine Römpke ist im Twankenhaus aktiv, achtet aber strikt auf die Trennung beruflicher und privater Aktivitäten im Netz. Ihr Account lässt keine Rückschlüsse auf ihre Person und ihren Beruf zu. "Ich kenne viele Ärzte, die das machen" erzählt sie. Wofür man heute stehe, müsse in zehn Jahren nicht mehr der eigenen Meinung entsprechen. Dann sind die Informationen jedoch im Internet - und das vergisst bekanntermaßen nie.

In ihrer Freizeit nutzt sie die sozialen Medien, um sich über standespolitische Inhalte zu informieren: "Ich selbst habe so meine ein bis zwei Podcasts, die ich höre, nutze Twitter und andere Foren. Die benutze ich oft zu Fortbildungszwecken." Römpke selbst sah in der Berichterstattung über den Ärztestreik im Frühjahr dieses Jahres Nachholbedarf: "Wenn über einen Streik von über 5000 Ärzten in Frankfurt im Fernsehen nicht berichtet wird, dann müssen wir das eben selbst machen."

Informationsbeschaffung und Mediennutzung haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. In den sozialen Medien konnten sich zwar längst nicht alle Trends und Ideen durchsetzen. Der Wille der Nutzer, sich mitzuteilen, ist aber geblieben. In Zeiten, in denen sich Informationen und Meinungen sekundenschnell verbreiten, ist besondere Sorgfalt bei der Meinungsäußerung und im Umgang mit diesen Medien gefragt. Das gilt für jede Berufsgruppe und jede Einrichtung, auch im Gesundheitswesen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201907/h19074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Juli - August 2019, Seite 1 + 6-7
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2019

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