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FORSCHUNG/135: Schizophrenie - Was Andere fühlen und denken (RUBENS)


RUBENS - Nr. 144 vom 1. Juli 2010
Beilage RUBMED

Was Andere fühlen und denken

Schizophrenien früh erkennen und therapieren

Von Meike Drießen


An einer Schizophrenie zu erkranken, bedeutet für viele Betroffene erhebliche Probleme, ihren Alltag zu bewältigen. So erklärt Prof. Dr. Martin Brüne die Folgen der Erkrankung, die zu den häufigsten im Alltag psychiatrischer Kliniken gehört. Brüne forscht in der RUB-Klinik für Psychiatrie gemeinsam mit deren Direktor Prof. Dr. Georg Juckel am Thema. Sie haben eine ambulante Sprechstunde zur Früherkennung und frühen Therapie (BoFit) aufgebaut, die helfen soll, den Betroffenen ihre Alltagskompetenz zu erhalten.


Sozialer Rückzug, die Unfähigkeit, Beziehungen aufrecht zu erhalten, für sich selbst zu sorgen, zu arbeiten, überhaupt Gespräche zu führen sind häufige Folgen von Schizophrenien (s. Info). Die Patienten gleiten oft ab in eine abgeschottete Eigenwelt, immer wieder geplagt von akuten psychotischen Schüben mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen. "Was viele nicht wissen: Jeder Schub hinterlässt im Gehirn vermutlich Spuren", sagt Prof. Brüne, "etwa als Folge von Entzündungsprozessen. Je länger die Krankheit schon dauert, umso schwieriger ist es, therapeutisch dagegen anzugehen."

Deswegen konzentrieren die Forscher am RUB-Klinikum sich vor allem auf die frühe Phase der Erkrankung, genaugenommen auf die Zeit, bevor sie eigentlich ausbricht. Denn Studien haben gezeigt, dass der erste Schub nicht aus heiterem Himmel kommt. Viele Patienten stellen schon lange vor dem Ausbruch der Krankheit Veränderungen an sich fest, oder ihnen nahestehende Personen bemerken, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmt. "Die Betroffenen haben das Gefühl, irgendwie sei ihr Denken und Fühlen gestört. Diese Beobachtungen sind aber so subtil, dass die meisten zunächst keinen Anlass sehen, zum Arzt zu gehen", erklärt Prof. Juckel. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass sich die Betroffenen nur schwer in die Lage anderer Personen hineinversetzen können, was zu Problemen im zwischenmenschlichen Umgang führen kann. Die Spezialisten sprechen von Störungen der sozialen Kognition, die auch bei schizophrenen Patienten festzustellen sind und sich im Verlauf der Krankheit verschlimmern. Die allerersten Vorzeichen sind aber oft schon mehrere Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit da. Schon zu diesem Zeitpunkt lassen sich auch in bildgebenden Untersuchungen verglichen mit Gesunden Veränderungen in der Aktivierung bestimmter Hirnbereiche feststellen.


Zeitfenster nutzen

"Dieses 'therapeutische Fenster' vor dem Krankheitsbeginn ist sehr wertvoll", unterstreicht Prof. Brüne, "und das wollen wir nutzen." Während Patienten nach dem Ausbruch der Krankheit therapeutisch schwieriger zu erreichen sind, sind sie sich zu diesem frühen Zeitpunkt, im sog. Prodromalstadium der Krankheit, der Veränderungen bewusst und zeigen Einsicht in die Probleme. Das erlaubt es, therapeutisch einzugreifen, in vielen Fällen ohne Medikamente. Ein Trainingsprogramm soll den Betroffenen helfen, vor allem ihre sozialkognitiven Fähigkeiten wieder zu stärken. Über 20 Wochen erstreckt sich das Training, das wöchentlich in Gruppen stattfindet. Den Teilnehmern zeigen die Therapeuten z.B. Cartoons mit kleinen Geschichten oder Fotos von Menschen, deren Gesichter verschiedene Emotionen ausdrücken. Die Teilnehmer sollen sich in die Figuren hineinversetzen, ihre "Gedanken lesen" und die Emotionen der abgebildeten Personen erkennen. "Diese elementaren Fähigkeiten gehen den Betroffenen immer mehr verloren - man kann sich das etwa so vorstellen wie bei einem Alzheimerpatienten, der nicht mehr weiß, wo immer der Schlüssel hängt, obwohl er das früher ganz genau wusste", erklärt Prof. Brüne. In einer anderen Übung werden Videosequenzen menschlicher Interaktionen gezeigt, wobei es darum geht, die Gefühle und Absichten der gezeigten Personen zu erkennen. Auf die Urteilsfähigkeit zielt eine Übung, in der es darum geht, bestimmte Gesten zu deuten. Ein Foto zeigt beispielsweise, wie sich eine junge Frau die Hand an die Schläfe drückt. "Ein schizophrener Patient oder jemand im Vorstadium der Erkrankung fällt blitzschnell ein Urteil und lässt keine andere Möglichkeit mehr gelten", erklärt Prof. Brüne. "Es geht darum, wieder zu lernen, dass es verschiedene Gründe für die Geste geben könnte. Die Frau könnte sich langweilen, gerade scharf nachdenken, sie könnte aber auch Kopfschmerzen haben oder müde sein." Sich die eigenen Denkmechanismen bewusst zu machen und normales Verhalten wieder zu erlangen ist Ziel des Programms.

Untersuchungen zeigen, dass bei Erkrankten das Training tatsächlich wirkt, also die soziale Kognition und Funktion verbessert. "Wir nehmen an, dass die Therapie für die Bildung neuer synaptischer Verbindungen im Gehirn sorgt", so Prof. Brüne. Langzeitstudien stehen aber noch aus, und es ist noch offen, ob diese Therapieform auch schon im Prodromalstadium wirkt.


Risikopersonen erkennen

Bleibt das Problem, an die Risikopersonen überhaupt heranzukommen. Normalerweise ist es dann, wenn Betroffene sich das erste Mal in Behandlung begeben, längst zu spät, die Krankheit ausgebrochen. "Deswegen arbeiten wir in Bochum mit Sportvereinen, dem Arbeitsamt, Schulen, Drogenberatungsstellen und vielen anderen Institutionen zusammen, die viel mit jungen Menschen zu tun haben", so Prof. Juckel. "Wir sind mit unserem Programm BOFIT - Bochumer Früherkennungsinitiative und Therapie - hier inzwischen recht bekannt." Wer bei Freunden, Kindern oder sich selbst sozialen Rückzug oder andere psychische Auffälligkeiten bemerkt, ist eingeladen sich hier zu informieren und einen Beratungstermin zu vereinbaren (s. Info). Eine Reihe von Tests bringt Klarheit, ob derjenige sich im Prodromalstadium einer Schizophrenie befindet. Wenn ja, steht das "therapeutische Fenster" zu einer frühen Behandlung offen.


Schizophrenie

Die Diagnose Schizophrenie umfasst verschiedene Untergruppen mit unterschiedlichen Symptomen. Charakteristisch sind Übersteigerungen und Einschränkungen des normalen Erlebens (Positiv- und Negativsymptome).

Zu den Positivsymptomen gehören z.B. Denkstörungen wie ungeordnete Gedanken und Wahnvorstellungen, Sinnestäuschungen wie akustische Halluzinationen, und Ich-Störungen wie die Überzeugung, eigene Gedanken würden fremdgemacht oder von anderen abgehört. Negativsymptome des Erlebens sind kognitive und motorische Defizite, z.B. Motivationsmangel, die Abflachung von Gefühlen, die Einschränkung von Mimik und Gestik sowie sozialer Rückzug.

Schizophrenien verlaufen meistens schubweise, wobei ein Schub Wochen bis Monate dauern kann. Auch zwischen Schüben bleiben oft Negativsymptome bestehen. Schizophrene Patienten haben ein erhöhtes Suizidrisiko.

Die Krankheit bricht häufig im jungen Erwachsenenalter aus. Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist im Laufe seines Lebens davon betroffen.


BOFIT

Personen mit hohem Risiko, eine psychotische Störung zu entwickeln, früh zu erkennen und zu behandeln ist Ziel der Bochumer Früherkennungsinitiative und Therapie BOFIT. Wer den Verdacht hat, er könne betroffen sein oder bei Freunden oder Angehörigen psychische Auffälligkeiten feststellt, kann sich auf den Webseiten informieren oder unverbindlich mit BOFIT Kontakt aufnehmen.

http://www.psychiatrie-bochum.de/upload/Bofit/index.html


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Quelle:
RUBENS - 17. Jahrgang, Nr. 144 vom 1. Juli 2010
Beilage RUBMED S. 3
Herausgeber: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
Tel: 0234/32-23 999, -22 830, Fax: 0234/32-14 136
E-Mail: rubens@presse.rub.de
Internet: www.rub.de/rubens

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2010