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MELDUNG/079: Seelische Erkrankungen werden unterschätzt und sind gut behandelbar (DGPM)


Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) - 29.11.2013

Seelische Erkrankungen werden unterschätzt und sind gut behandelbar

DGPM fordert Stärkung der psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlung



Berlin - Jeder dritte Erwachsene in Deutschland ist im Verlauf der letzten zwölf Monate an mindestens einer psychischen Störung erkrankt. Die meisten der 15 Millionen Betroffenen leiden an Angstzuständen, Depressionen oder somatoformen Störungen. Maximal zehn Prozent von ihnen erhielten jedoch eine wissenschaftlich anerkannte Therapie. Das beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen dramatisch und belastet durch Fehlbehandlungen Gesundheits- und Sozialsysteme, da Krankheitstage zunehmen und Patienten gegebenenfalls vorzeitig berentet werden müssen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit schätzt den durch psychische Erkrankungen resultierenden Verlust an Arbeitsproduktivität auf acht Milliarden Euro jährlich.

Psychische und psychosomatische Krankheiten sind keine bloßen Befindlichkeitsstörungen. Sie müssen frühzeitig professionell behandelt werden, da sie sonst chronisch werden können und oft zu biologischen Veränderungen im Gehirn und im übrigen Körper führen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) betont, dass 40 bis 60 Prozent der durch ambulante Psychotherapie behandelten Patienten nachweislich profitieren. Ambulante Psychotherapien umfassen im Mittel 46 Sitzungen und kosten im Durchschnitt circa 3700 Euro pro Patient. Hilfesuchende Menschen brauchen jedoch zunächst niedrigschwellige und qualifizierte Anlauf- und Vermittlungsstellen.

Gerade die akut erkrankten, psychosozial oft ohnehin belasteten Patienten finden jedoch häufig keinen Behandlungsplatz und entwickeln gravierende Belastungen. Professorin Cornelia Albani, Leiterin der Sinova-Klinik für Psychosomatische Medizin in Aulendorf, hat zu diesem Thema geforscht: "In einer repräsentativen Befragung konnten wir nachweisen, dass jene Menschen, die sich für eine ambulante psychotherapeutische Behandlung entscheiden, deutlich durch die Erkrankungen belastet sind und einen sehr hohen Leidensdruck verspüren", so die DGPM-Vertreterin. In der Regel seien es schon länger und psychisch schwer erkrankte Patienten mit hoher Krankheitslast. 84 Prozent dieser Menschen schätzten beispielsweise ihre eigene psychische Verfassung vor der Therapie als schlecht oder sogar sehr schlecht ein. Das gilt umso mehr, wenn Patienten darüber hinaus an körperlichen Erkrankungen wie Diabetes oder Krebs leiden. Erschreckend ist die niedrige Zahl derer, die professionelle Hilfe erhalten - obwohl die Wirksamkeit der Psychotherapie bereits hinlänglich bewiesen ist. Rund 50 Prozent der von Albani et al. Befragten gaben an, dass sich durch die Psychotherapie ihre Arbeitsfähigkeit und -produktivität gesteigert habe. Ähnlich hoch wurde die Besserung der sozialen Fähigkeiten und Beziehungen bewertet. Bei bis zu 60 Prozent der behandelten Patienten zeigen sich deutliche Verbesserungen des seelischen Gesundheitszustands - und zwar anhaltend und über das Ende der Behandlung hinaus. "Studien haben die besondere Nachhaltigkeit psychotherapeutischer Behandlungen erwiesen. Hier setzten wir uns von rein medikamentösen Behandlungsstrategien ab", so Albani.

Psychische und psychosomatische Störungen entwickeln gerade im Zusammenspiel mit körperlichen Grunderkrankungen eine besondere Problematik und können sich wechselseitig verstärken. Die dann notwendige Entscheidung darüber, welche Behandlung in diesen Fällen die richtige ist, kann der Facharzt für Psychosomatische Medizin treffen. "Hier können unsere Fachärzte in Klinik und Praxis die Aufgabe einer ersten leicht erreichbaren Anlaufstelle wahrnehmen. Körperliche, seelische und auch soziale Aspekte werden dabei berücksichtigt. Danach erfolgt die möglichst passgenaue Therapievermittlung", so Professor Harald Gündel, Mediensprecher der DGPM und Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Ulm. Eine angemessene Wahrnehmung dieser Aufgaben setze voraus, dass Regionen gleichmäßig mit den entsprechenden Behandlungsangeboten versorgt sind und - wie bereits gesetzlich vorgesehen - vermehrt psychosomatische Institutsambulanzen aufgebaut werden. Hier fordert die DGPM Nachbesserungen seitens der Politik. "Effiziente Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten sowie eine flächendeckende Versorgungslandschaft sind unverzichtbar. Sowohl im Hinblick auf die Prävention als auch auf die Behandlung psychosomatischer und psychischer Erkrankungen", betont auch DGPM-Präsident Professor Dr. med. Johannes Kruse, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Gießen. "Angesichts der vielen Betroffenen besteht die dringende Notwendigkeit zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen für diese Patientengruppe."


Literaturangaben:

Albani, C., Blaser, G., Geyer, M., Schmutzer, G., Goldschmidt, S. & Brähler, E.: (2009): Wer nimmt in Deutschland ambulante Psychotherapie in Anspruch? Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 59, 281 - 283.

Albani, C., Blaser, G., Schmutzer, G., Geyer, M. & Brähler, E. (2010): Ambulante Psychotherapie in Deutschland aus Sicht der PatientInnen - Teil I Versorgungssituation. 55, 503 - 514.

Albani, C., Blaser, G., Schmutzer, G., Geyer, M. & Brähler, E. (2011): Ambulante Psychotherapie in Deutschland aus Sicht der PatientInnen. Teil II: Wirksamkeit. 56, 51 - 60.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.). (2009): Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2007. Unfallverhütungsbericht Arbeit. Berlin, Dortmund, Dresden: BMAS.

Margraf, J. (2009): Kosten und Nutzen der Psychotherapie. Heidelberg: Springer Medizin Verlag.

Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de

Wittchen, H. U. & Jacobi, F. (2005): Size and burden of mental disorders in Europe - a critical review and appraisal of 27 studies. European Neuropsychopharmacology, 15, 357 - 376.

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Quelle:
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische
Pressemitteilung vom 29. November 2013
Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM)
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Internet: www.dgpm.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2013