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ARTIKEL/415: Peer-Beratung ermöglicht Hilfe auf Augenhöhe für Betroffene (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2012

Psychische Erkrankungen
Peer-Beratung ermöglicht Hilfe auf Augenhöhe für Betroffene

Von Dirk Schnack


Frühere Patienten wissen genau, was Menschen mit psychischen Erkrankungen durchmachen. Ihre Erfahrung wird in einer Peer-Beratung in Hamburg genutzt.

Neben Ärzten und Angehörigen können Menschen mit gleichen Krankheitserfahrungen für Patienten von großer Wichtigkeit sein. Studien aus den USA und Großbritannien haben gezeigt, dass eine Beratung auf Augenhöhe Patienten früher erreichen kann und dass Peer-Berater einen Zugang zu Patienten finden, der Ärzten nicht immer gelingt. Wer Hilfe von Menschen mit gleichen Erfahrungen bekommt, bricht die Behandlung seltener ab, was eine Chronifizierung verhindern kann.

Diese Erfahrungen macht sich Psychenet, das Hamburger Netz psychische Gesundheit, mit dem Projekt Peer-Beratung zunutze. Es stellt erfahrene Betroffene und Angehörige als Genesungsbegleiter oder Gesundheitslotsen für Patienten mit psychischen Erkrankungen und für deren Angehörige bereit.

"Ich kann das Gefühl der Scham und Wertlosigkeit verstehen, wenn jemand mehrere Jahre in der Psychiatrie verbracht hat", sagt etwa Genesungsbegleiterin Gwen Schulz. Sie hat Ähnliches erlebt - und den Weg aus der Erkrankung geschafft. Sie weiß mit den Stimmungen, denen psychisch Erkrankte unterliegen, umzugehen und kennt das Gefühl, dass bloßes Zuhören schon eine große Unterstützung sein kann.

"Manische Erlebnisse kann man anderen schwer verständlich machen", sagt Amelie Löffler. Bei Margrit Grotelüschen aber stößt sie mit ihren Erlebnissen auf Verständnis. Grotelüschen hat vor einigen Jahren Vergleichbares durchgemacht und steht Amelie Löffler als Ratgeberin und Gesprächspartnerin zur Seite. Für die Patientin am UKE ist sie eine große Unterstützung, weil es kein Beziehungsgefälle gibt, das das Vertrauen beeinträchtigen könnte. "Ich kann mein Anderssein mit jemand teilen", sagte die Patientin bei der Vorstellung des bundesweit einmaligen Peer-Projektes in der Hansestadt. An insgesamt acht Krankenhäusern in Hamburg stehen Patienten mit psychischen Erkrankungen 25 Berater zur Seite, hinzu kommen 15 Berater für Angehörige.

Sie alle haben zuvor selbst Erfahrungen als Patienten oder Angehörige gesammelt und sind für die Beratung gezielt geschult worden. Jetzt arbeiten sie auf 400-Euro-Basis beim Verbund Psychenet, das neben den Peers weitere Projekte rund um die psychische Gesundheit betreibt. Jeder Berater betreut in rund zehn Wochenstunden je nach individuellen Anforderungen bis zu sieben Patienten oder Angehörige. Bis zu einem halben Jahr können die Betreuungen dauern. Wie wichtig diese Begleitung ist, machte zum offiziellen Start des Projektes Patientin Amelie Löffler deutlich: "Manie ist eine sehr einsame Krankheit. Kommunikation ist in dieser Erkrankung das Wichtigste."

Kommunikation und Rat brauchen neben den Patienten auch viele Angehörige, wie Bärbel Olbrich selbst erfahren hat. "Ich hatte mich fast selbst vergessen", schildert sie ihre Erlebnisse als Angehörige eines psychisch Kranken. Heute gibt sie ihre Erfahrungen als Begleiterin weiter.

Prof. Thomas Bock vom UKE hält diese Beratung auf Augenhöhe für wichtig, weil die Begleiter es den Betroffenen ermöglichen, frei von Scham und Peinlichkeit zu erzählen. Und sie stellen unter Beweis, dass man mit der Erkrankung leben kann. "Die Peer-Berater zeigen, dass psychisch krank und Glück kein Gegensatz ist", sagte Bock. Er betonte, dass das Angebot nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zum therapeutischen Angebot verstanden wird. Dass sich ausgerechnet Hamburg, das jüngst im sogenannten "Glücksatlas" noch eine Spitzenstellung einnahm, eine solche Unterstützung einfallen lässt, ist kein Zufall: In keinem anderen Bundesland sind die Verantwortlichen mit dem Zugang zur Betreuung so unzufrieden. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks verwies bei der Vorstellung des Projektes auf lange Wartezeiten und unabgestimmte Versorgung: "Das ist gerade für psychisch Kranke fatal."

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201204/h12044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2012
65. Jahrgang, Seite 57
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2012

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