Deutsches Zentrum für Infektionsforschung - 21.03.2019
Tuberkulose: Die Suche nach neuen Medikamenten geht weiter
Alljährlich am 24. März gedenken wir der Entdeckung des Tuberkulosebazillus durch Robert Koch. Fast 140 Jahre später ist die Tuberkulose noch immer die Infektionskrankheit mit den meisten Todesfällen weltweit, die Behandlung wird durch Resistenzen zunehmend erschwert und ein wirksamer Impfstoff ist noch nicht in der Anwendung. Doch es gibt hoffnungsvolle Ansätze: Genomanalysen, neue Wirkstoffe und Behandlungsschemata sorgen für Fortschritte. Wir sprachen mit dem Experten Professor Stefan Niemann vom Forschungszentrum Borstel über die aktuelle Tuberkulose-Forschung.
Tuberkulose ist wieder häufiger Thema in den deutschen Medien.
Kehrt die Krankheit mit zunehmender Globalisierung nach Deutschland zurück?
Stefan Niemann:
In den letzten Jahren ist in der Tat der Trend der rückläufigen
Tuberkulose-Inzidenz in Deutschland umgekehrt worden. Das liegt
hauptsächlich daran, dass durch Flüchtlinge mehr Tuberkulosefälle
auftreten. Man muss dabei aber auch sagen, dass das Vorkommen der
Tuberkulose in Deutschland mit ungefähr 5.400 Neuerkrankungen und einer
Inzidenz von nur 6,7 Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2018 auf
niedrigem Niveau liegt. Dennoch sollte man die Krankheit definitiv mehr
beachten. Mit einem durchschnittlichen Behandlungserfolg von ca. 80
Prozent liegen wir in Deutschland noch nicht auf dem Niveau, das die WHO
mit 90 Prozent als Ziel vorgibt. Ein Problem besteht nach wie vor in der
zu späten Diagnose, weil zum Beispiel die Krankheit nicht schnell genug
erkannt wird.
Eine besondere Gefahr ist bei der Tuberkulose, ähnlich wie
bei anderen Infektionen, die zunehmende Antibiotika-Resistenz.
Wie aussichtsreich ist die Behandlung in solchen Fällen?
Stefan Niemann:
Bereits bei sensiblen, also nicht-resistenten Tuberkulosebakterien, müssen
wir eine Kombinationsbehandlung über sechs Monate verabreichen. Bei
resistenten Erregern steigt die Behandlungsdauer auf neun Monate bis hin
zu zwei Jahren an, bei gleichzeitig deutlich schlechterem Therapieerfolg.
Ein großes Problem ist es sicherzustellen, dass die Patienten die
Medikamente über einen so langen Zeitraum auch tatsächlich einnehmen. Die
Zahl der multiresistenten Tuberkulosefälle, die Resistenzen gegen die zwei
wichtigsten Tuberkulosemedikamente haben, ist in den letzten Jahren auf
etwa 550.000 weltweit angestiegen. Ein Hauptproblem besteht darin, dass
nur ein geringer Anteil der Patienten mit multiresistenter Tuberkulose
tatsächlich diagnostiziert und therapiert wird. Der Behandlungserfolg der
Therapie liegt dann weltweit nur bei ca. 50 Prozent. Insgesamt wird somit
nur ein geringer Anteil der Patienten mit multiresistenter Tuberkulose
erfolgreich behandelt.
Wie reagieren die Forscher auf diese Probleme?
Stefan Niemann:
Das DZIF hat als erstes die Fallfindung und die akkurate Diagnostik der
Resistenz im Auge. Basierend darauf erfolgt dann eine personalisierte
Therapie, um mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten ähnliche
Therapieerfolge wie bei der der sensiblen Tuberkulose zu erreichen.
Akkurate Diagnostik heißt, dass wir das komplette Erbgut der Erreger mit
den modernen Verfahren der Genomsequenzierung aufschlüsseln und daraus
eine umfassende Resistenzvorhersage machen. Auf dieser Grundlage können
wir die Medikamente maßgeschneidert für einen Patienten auswählen. Das
sollte so früh wie möglich erfolgen. So kann man vermeiden, dass neue
Resistenzen entstehen und resistente Bakterienstämme weiter übertragen
werden. Im Moment sind diese Techniken in vielen Ländern mit höheren
Tuberkulose-Inzidenzen noch nicht vorhanden, aber im DZIF haben wir mit
unseren afrikanischen Partnerlaboratorien und in Osteuropa Pilotprojekte
gestartet. So konnten wir beispielsweise bereits ein Sequenzierlabor in
Kirgistan aufbauen.
Werden neue Behandlungsansätze erforscht, wird es vielleicht
bald eine Tablette gegen Tuberkulose geben?
Stefan Niemann
Die Tuberkulose muss mit mehreren Medikamenten behandelt werden, um
Resistenzen vorzubeugen. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch so
bleiben. Hier ist die Evolution der Tuberkulosebakterien der Feind der
Therapie. In dem Moment, wo wir nur mit ein oder zwei effektiven
Medikamenten behandeln, ist die Wahrscheinlichkeit für eine
Resistenzbildung sehr hoch. Aber wir erleben momentan in der Behandlung in
der Tat kleine Revolutionen: Statt 18 Monaten kommt beispielsweise zum
ersten Mal eine Kurzzeitbehandlung gegen multiresistente Stämme mit nur
neun Monaten aus. Dieses Behandlungsregime wird von der WHO empfohlen und
funktioniert in bestimmten Regionen der Welt sehr gut. Auch bei längeren
Behandlungsschemata gibt es Umstellungen in der Kombination der
Antibiotika und es wird mit Bedaquilin das einzige in den letzten Jahren
neu zugelassene TB-Medikament eingesetzt. Allerdings sind auch gegen
dieses neue Mittel bereits Resistenzen aufgetaucht.
Das heißt: Weitersuchen nach neuen Medikamenten?
Stefan Niemann
Ja, das heißt es. Um dem Problem der immer wieder auftauchenden
Resistenzen zu begegnen, haben wir im DZIF eine "Drug Discovery Pipeline"
aufgebaut, die die verschiedenen Schritte von der Entdeckung einer gegen
Tuberkulosebakterien aktiven neuen Substanz über die Entwicklung und
Testung in klinischen Studien abdecken kann. Hier können wir
beispielsweise die im DZIF vorhandenen Naturstoffbanken durchsuchen, um
ganz neue Substanzen zu finden. Wir haben bereits eine ganze Reihe von
Treffern, die weiter getestet werden. An der LMU in München untersuchen
die DZIF-Wissenschaftler außerdem eine vielversprechende Substanz, die
schon vor Jahren entdeckt wurde und wirksam gegen multiresistente Stämme
ist. Das BTZ-043 wurde bereits in gesunden Freiwilligen auf Sicherheit und
Verträglichkeit geprüft und wird demnächst in einer klinischen Studie an
Patienten erprobt. Bislang ist alles auf grün. Aber man wird auch dieses
Medikament im Zusammenspiel mit anderen Medikamenten einsetzen müssen.
Hier entwickelt das DZIF gemeinsam mit dem europäisch-afrikanischen
Netzwerk "PANACEA" Strategien, um die wirksamsten Kombinationstherapien zu
ermitteln.
Die WHO hat das Ziel gesetzt, die Tuberkulose bis 2030 vollkommen
besiegt zu haben. Halten Sie das für ein realistisches Ziel?
Stefan Niemann
Bis 2030 ist eine sehr große Herausforderung. Selbst in Deutschland würde
das heißen, dass wir unsere Tuberkulose-Inzidenz deutlich stärker
reduzieren müssten, was aufgrund der Entwicklung in den letzten Jahren
sehr schwierig ist. Ein großes Problem besteht aber natürlich darin, dass
wir weltweit starke Defizite in vielen Bereichen haben, vor allem in den
Ländern, in denen die Tuberkulose gehäuft auftritt. Mängel in Bezug auf
Fallfindung, Diagnostik, Behandlung und Transmissionskontrolle. Da haben
wir natürlich als reiches Land mit Ressourcen eine große Verantwortung,
international aktiv zu werden. Es hat im letzten Jahr ein UN
High-Level-Meeting zur Bekämpfung der Tuberkulose stattgefunden, in dem die
teilnehmenden Länder sich das Ziel gesetzt haben, einen Plan zur Förderung
der Elimination der Tuberkulose zu entwickeln. Das ist ein klares
Bekenntnis der Regierungen, dass hier etwas getan werden muss. Und auch
die Bundesregierung hat mit der Etablierung des Global Health Hub ein
Bekenntnis zur internationalen Gesundheitsförderung gegeben. Im Bereich
Tuberkulose wird im Rahmen des "Global Health Protection" Programms ein
Netzwerkprojekt gefördert, in dem Deutschland die Anwendung von moderner
Sequenziertechnologie in Ländern mit hohem Tuberkulose-Vorkommen
unterstützt. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist, dass in der
WHO-Europa-Region viele Länder mit hohen Raten an multiresistenter Tuberkulose
vorkommen, wie zum Beispiel Rumänien, und ein Großteil der Patienten mit
multiresistenter Tuberkulose in Deutschland kommen aus diesen Regionen.
Aber unabhängig von dieser Gefahr haben wir eine gesellschaftliche
Verantwortung, auch in anderen, stärker betroffenen Ländern zu helfen.
*
Tuberkulose:
Tuberkulose, auch TB genannt, ist die tödlichste Infektionskrankheit
weltweit. Laut WHO sterben pro Minute drei Menschen an der tückischen
Krankheit. 2017 gab es 10 Millionen Neuansteckungen. TB ist eine
Tröpfcheninfektion: Meist erfolgt eine Ansteckung über die Atemluft. In
Mikrotröpfchen werden die Bakterien von einer erkrankten Person aus- und
anschließend von einem bis dato Gesunden eingeatmet. Charakteristische
Symptome sind Husten, niedriges Fieber und Gewichtsverlust. Tuberkulose
ist medikamentös gut behandelbar, allerdings erschweren multiresistente
Erreger zunehmend die Therapie.
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1833
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung - 21.03.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2019
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