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KREBS/897: Lungenkrebs - Immer häufiger Therapie nach Maß (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Mittwoch, 20. April 2011

Lungenkrebs - Immer häufiger Therapie nach Maß


fzm - Die Behandlung von Lungenkrebs verändert sich. Während früher alle Patienten die gleiche Chemotherapie erhielten, führen Ärzte heute häufig vor Beginn der Therapie Tests am Tumor durch. Sie zeigen, welches Medikament am besten wirkt. Jedem zehnten Patienten könne mittlerweile eine "individualisierte" Therapie angeboten werden, berichtet ein Experte in der Fachzeitschrift 'DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift' (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2011).

Vor zwei Jahren wurde erstmals ein Medikament zur Behandlung von Lungenkrebs eingeführt, dessen Anwendung einen Gentest im Tumor voraussetzt. Studien hatten gezeigt, dass Gefitinib nur wirkt, wenn in den Krebszellen eine Mutation im Gen für den Wachstumsfaktor EGFR-TK (Epidermaler Wachstumsfaktor Rezeptor Tyrosin Kinase) vorliegt. Diese Mutation beschleunigt das Krebswachstum. Gefitinib verhindert dies. Aktuelle Studien zeigen einen deutlichen Vorteil gegenüber der Chemotherapie und eine mittlere Überlebenszeit von 27 Monaten, berichtet Professor Jürgen Wolf von der Universität Köln. Unter der bisherigen Therapie überlebten die Patienten oft nur wenige Monate, da der Lungenkrebs bei der Diagnose meist weit fortgeschritten ist. Der Experte für Krebserkrankungen schätzt, dass die neue Therapie für etwa acht Prozent aller Patienten mit einem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom, der mit Abstand häufigsten Lungenkrebsform, infrage kommt.

Professor Wolf geht davon aus, dass Gefitinib nicht das einzige Medikament für eine individualisierte Behandlung bleiben wird. Seine Arbeitsgruppe am Centrum für integrierte Onkologie in Köln fand kürzlich heraus, dass auch Erlotinib, ein Wirkstoff aus der gleichen Gruppe wie Gefitinib, nicht bei allen Patienten gleich gut wirkt. Dies werde bereits eine Woche nach Therapiebeginn in der Positronen-Emissions-Tomografie sichtbar. Dieses bildgebende Verfahren erkennt Veränderungen im Energieverbrauch des Tumors. Die Forscher hoffen, irgendwann auch einen Gentest für den Tumor entwickeln zu können. Ihr Ziel ist es, wie bei Gefitinib vor der Therapie bestimmen zu können, bei welchen Patienten die Therapie wirkt und bei welchen nach anderen Möglichkeiten gesucht werden muss.

Diese Hoffnungen richten sich auch auf ein ungelöstes Problem der Krebsbehandlung: Die Therapieresistenz. Früher oder später verlieren Krebsmedikamente ihre Wirkung. Das ist auch bei Gefitinib und Erlotinib nicht anders. Verantwortlich für die Therapieresistenz sind ebenfalls Mutationen im Tumor. Derzeit arbeiten Forscher an Weiterentwicklungen der beiden Wirkstoffe, die die Resistenz durchbrechen sollen. Für den noch nicht zugelassenen Wirkstoff Afatinib konnte laut Professor Wolf bereits gezeigt werden, dass er das Krebswachstum bei Resistenz kontrolliert. Ob sich damit die Überlebenszeit verlängert, sei noch offen.

Wie Erlotinib und Gefitinib gehört Afatinib zu den Tyrosinkinasehemmern. Diese Medikamente greifen punktuell in die Steuerung des Krebswachstums ein. Die Experten sprechen auch von einer zielgerichteten "targeted" Therapie. Tyrosinkinasehemmer können für die unterschiedlichsten Gendefekte entwickelt werden. Diese entdecken Forscher seit der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts immer häufiger. Der Lungenkrebs ist eine Krankheit des menschlichen Genoms, schreibt der Onkologe.

Ein von Köln aus koordiniertes internationales Verbundprojekt, das Clinical Lung Cancer Genome Project, sucht derzeit intensiv nach weiteren Therapieansätzen. Die jüngste Entdeckung sind Veränderungen in einem Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptors Typ 1 (FGFR1). Sie kommen beim Plattenepithelkarzinom vor, der häufigsten Unterform des nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms. Auch für diese Mutation gibt es bereits einen Tyrosinkinasehemmer, der derzeit in ersten klinischen Studien untersucht wird. Wenn die Entwicklung anhält, wird in Zukunft nicht mehr von einem einzigen Lungenkrebs die Rede sein, glaubt Professor Wolf, sondern von einer Vielzahl unterschiedlicher Tumoren, die durch Genveränderungen gekennzeichnet sind. Am Anfang stehe dann die genetische Untersuchung des Tumors. Ihr Ergebnis bestimme, mit welchem Tyrosinkinasehemmer die Patienten behandelt werden.


J. Wolf:
Prinzipien der individualisierten, zielgerichteten Therapie am Beispiel des nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2011; 136 (10): S. 480-485


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Quelle:
FZMedNews - Mittwoch, 20. April 2011
Georg Thieme Verlag KG
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2011