Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → KRANKHEIT

EPIDEMIE/105: Unsichtbare Angreifer (6) - Viren. Ein Familienbild (research*eu)


research*eu - Nr. 59, März 2009
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Viren. Ein Familienbild

Von Axel Meunier


Die Familie der Viren ist ein wahres Bestiarium: RNA oder DNA, einzelsträngig oder doppelsträngig, mit oder ohne Proteinhülle. Oft werden sie nach ihrem Aussehen unter dem Elektronenmikroskop eingeordnet, so wie die sternförmigen Astroviren. Informationen zu drei Virenarten, die es zu einem traurigen Bekanntheitsgrad gebracht haben.


H5N1: der Aufstieg zur Macht

Seitdem es 1959 aus schottischen Hühnern isoliert wurde, hat das Vogelgrippevirus H5N1 die Welt umrundet und zahlreiche Fragen aufgeworfen. Der Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Juni 2007 sprach von 310 Infizierten und 189 Toten. Angesichts der jährlich 55.000 Tollwutopfer ist diese Bilanz sicherlich nicht besonders groß, aber sie lässt auch nicht die Absichten vergessen, derer man dieses Virus verdächtigt: Es schärft vermutlich im Verborgenen seine Waffen, um sich an die menschliche Spezies anzupassen. Und je höher die Anzahl der menschlichen Opfer ist, umso größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Variante des Virus unter den Menschen verbreiten wird.

Auf der sechsstufigen Risikoskala der WHO steht das H5N1-Virus auf Stufe 3. Während es den Menschen sozusagen nebenbei angreift, befällt es vor allem Wildvögel und Hausgeflügel, für die es hoch virulent ist. Wildvögel, die als natürliche Sammelbecken verschiedener Grippeviren gelten, waren bislang nur symptomfreie Wirte. Die Tierseuche, die 1996 ihren Anfang nahm, änderte alles: Seit dem ersten Fall, den man bei einer Gans in der chinesischen Provinz Guangdong festgestellt hatte, wurde eine Folge erster Fälle ausgelöst, die das Virus stärkten. 1997 wurden die ersten 18 Fälle bei Menschen in Hongkong entdeckt, von denen sechs tödlich verliefen. Durch die Keulung von 1,5 Millionen Hühnern auf Farmen und Märkten der Stadt konnte der Herd eingedämmt werden. Die ersten Fälle erkrankter Wildvögel traten 2002 ebenfalls in Hongkong auf. Erste tödlich verlaufende Fälle bei zwei Tigern und zwei Leoparden wurden im Dezember 2003 aus einem Zoo in Thailand berichtet. Der erste Fall einer möglichen Übertragung von Mensch zu Mensch, von einem thailändischen Kind auf seine Mutter, ereignete sich im September 2004. Der erste in Westeuropa berichtete Fall fällt in den Oktober 2005 und betrifft einen importierten Wellensittich.

Das H5N1-Virus diversifiziert seine Opfer und durchläuft genetische Mutationen, die seine Aggressivität erhöhen. Es wurde von der WHO zum Volksfeind Nummer eins erklärt, woraufhin ein strategischer Aktionsplan entwickelt wurde, um einer Pandemie (= Stufe 6 auf der Risikoskala) vorzugreifen. Nicht alle Spezialisten sehen die Bedrohung durch ein solches Ereignis mit derselben Schärfe, und die Wahrscheinlichkeit einer weltweiten H5N1-Pandemie ist nur sehr schwer einzuschätzen. Sollte das Virus humanisiert werden, sei es mit oder ohne genetische Rekombination, wäre es dann genauso gefährlich wie das Vogelvirus? Die WHO stützt sich in jedem Fall auf die ungünstigsten Prognosen, um die internationale Koordinierung für die Überwachung der Epidemie zu organisieren.

In der Zwischenzeit hat das unberechenbare H5N1-Virus ein regelrechtes Forschungsfieber in allen Fachbereichen ausgelöst: Studium der Wanderrouten der Wildvögel, Alarmsysteme für Epidemien, Verbesserung spezifischer Diagnosemethoden, Genetik des Grippevirus, Einkreisung der Infektionsherde. Die Herstellung eines Impfstoffes stößt auf Schwierigkeiten bei der Auswahl der Stämme, mit denen man arbeiten könnte, da sich das Virus ständig weiterentwickelt. Das Unternehmen Sanofi Pasteur, das den ersten von der amerikanischen Food and Drug Administration im Jahr 2007 zugelassenen Impfstoff gegen H5N1 entwickelt hat, hat am 16. Juni 2008 der WHO 60 Millionen Dosen auf drei Jahre als Spende zugesagt.


Chikungunya und die Mücken

Die Hinweise auf die Chikungunya-Epidemie, die im Februar 2006 auf der französischen Insel La Réunion wütete und fast 40 % der Bevölkerung traf, können bis zum Juni 2004 nach Kenia zurückverfolgt werden. Der Arzt und Biostatistiker Antoine Flahault, der von Frankreich entsandt worden war, um eine Task Force zum Kampf gegen die Epidemie zu koordinieren, erinnert sich: "Zwischen Dezember 2003 und Juni 2004 herrschte in Kenia eine große Trockenheit. Sobald es regnet, wimmelt es normalerweise nur so von Mücken. Aber Aedes aegypti, dem Chikungunya-Überträger, kam gerade die Trockenheit zugute." Aedes aegypti legt wie eine Hausmücke ihre Larven in sauberes Wasser, etwa in Tonkrüge. "Es ist eine Mücke, die man im Garten zieht."(1) Nun war die kenianische Bevölkerung durch die Trockenheit gezwungen, das Trinkwasser mehrere Tage lang zu lagern. Das ist genau die Zeit, die die Larven zum Ausschlüpfen benötigen. "Man muss das Leben der Mücken verstehen: Aedes aegypti sticht am Tag in den frühen Morgenstunden, dringt allerdings nicht in die Häuser ein, wodurch ein Mückennetz unnötig ist."

Das Chikungunya-Virus wurde zum ersten Mal 1952 bei einem Ausbruch dieser Krankheit in Tansania isoliert. Die Bezeichnung Chikungunya leitet sich von einem Verb aus der Sprache der Kimakonda her und bedeutet so viel wie "krumm werden", da sich die Krankheit auch durch Gelenkschmerzen äußert. Von Kenia aus, wo 75 % der Bevölkerung in Lamu und Mombassa mit dem Virus infiziert wurden, hat sich der ostafrikanische Stamm des Virus Ende 2004 auf den Komoren verbreitet, bevor es im Februar 2005 die Küsten von Mayotte und anschließend La Réunion erreichte. Die Anpassung des Virus an einen Vetter von Aedes aegypti, die Tigermücke Aedes albopictus, hat dazu geführt, dass sich die Krankheit stark verbreiten konnte und die Wissenschaftler völlig überraschte. "Die Insektenforscher, die 2005 konsultiert wurden, hielten eine Chikungunya-Epidemie auf La Réunion nicht für möglich, weil dort die Mücke Aedes albopictus vorherrschte und man davon ausging, dass die Krankheit nur von Aedes aegypti übertragen werden könne." Die Artengrenze ist doch recht empfindlich.


SARS, der erste Schrecken des Jahrtausends

SARS - das akute Atemwegssyndrom - kann sich rühmen, die Epidemiologie des beginnenden 21. Jahrhunderts über den Haufen geworfen zu haben. Noch sind die Erinnerungen aus dem Jahr 2003 an die asiatischen Stadtbevölkerungen, die sich mit Schutzmasken gegen eine Ansteckung zu schützen versuchten, wahrscheinlich wach. Das Virus ist sehr ansteckend, weil es das Atemwegssystem befällt. Durch Husten stecken die Kranken die Menschen in ihrer Nähe an. Als völlig neue Krankheit ist SARS Ende 2002 in der chinesischen Provinz Guangdong aufgetreten und hat sich in den folgenden 30 Monaten nach Hongkong, Taiwan, Singapur und Kanada ausgebreitet.

Wie konnte es an so vielen Orten gleichzeitig auftreten? Im Februar 2003 war ein Mann aus Guangdong im Hotel Metropole in Hongkong abgestiegen, wo er 17 Gäste ansteckte, die dann ihre Reise fortsetzten. Auf dem Flug der China Airlines 112 von Hongkong nach Peking im März 2003 steckte ein Passagier mindestens 22 Personen an. In kriminalistisch anmutenden, akribischen Untersuchungen wurde die Spur des Virus zurückverfolgt und es wurde aufgedeckt, dass das enge Zusammenleben in den Städten bei der Verbreitung der Epidemie eine große Rolle spielte. Insgesamt gab es 8422 Opfer in elf Ländern, bei einer Sterblichkeit von 11 %. Dank einer bislang unerreichten internationalen Mobilisierung wurde die Forschungsmaschinerie noch während der Epidemie schnell in Gang gesetzt. Mit Ausnahme weniger isolierter Fälle 2004 in China ist SARS aus der Welt der Menschen verschwunden. Die Überwachung dauert jedoch an und die Krankheit gehört zusammen mit Pocken, Kinderlähmung und der menschlichen Variante von H5N1 zu den vier Krankheiten, die bei der WHO gemeldet werden müssen, sobald ein Fall auftritt.

Der Schuldige wurde im April 2003 ausfindig gemacht: ein unbekannter Serotyp des Coronavirus, einer Virusfamilie, die ihren Namen der Krone verdankt, die unter dem Elektronenmikroskop sichtbar wird. Dieser Neuankömmling mit der Bezeichnung SARS-CoV stammt nicht von einer Mutation anderer bekannter Coronaviren ab, die in der Regel für Schnupfen verantwortlich sind. Parallel zur Erforschung seines natürlichen Wirtsreservoirs wurde sein Genom noch im selben Jahr sequenziert. Das einzige Mittel zur Verhinderung seines Wiederauftretens ist, seinen vermutlich tierischen Ursprung zu finden. Man vermutet, dass Fledermäuse die unfreiwilligen Wirte sind, nachdem im Jahr 2005 Exemplare in China entdeckt wurden, die ein dem SARS-CoV ähnliches Virus in sich trugen.

Trotz der schnellen Eindämmung der Epidemie ist die Bilanz gemischt. Die Krankenhäuser waren eher Orte der Verbreitung, weil nicht bei allen Erkrankten sofort erkannt wurde, dass sie Virenträger waren. Als typische Krankheit der Ballungsräume, die durch die Konzentration und die Mobilität der Bevölkerung verbreitet wird, erscheint SARS wie ein Archetyp der Epidemien des neuen Jahrtausends. Sie hat die Gemüter der Wissenschaftler, die daraus Lehren für die Überwachung einer künftigen Pandemie gezogen haben, genauso erregt wie die Fantasie der Autoren von Katastrophenfilmen.


Anmerkung

(1) Alle Zitate von Antoine Flahault


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Forschung zum Influenzavirus Typ A. Rote Blutkörperchen (Erythrozyten) eines Huhns, die durch das Grippevirus agglutiniert wurden - totale Agglutination.
Grippeviruskultur auf befruchteten Hühnereiern.
Isoliertes Chikungunya-Virus von einem Patienten aus La Réunion.
Ein Larvenversteck, das von Mücken verseucht und kolonisiert wurde.
Coronavirus, das im März 2003 als SARS-Auslöser durch das Team von Sylvie van der Werf am Institut Pasteur Frankreich entdeckt wurde.

*


Quelle:
research*eu - Nr. 59, März 2009, Seite 16-17
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2009
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
Telefon: 0032-2/295 9971, Fax: 0032-2/295 8220
E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2009