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DIABETES/1459: Fragen und Antworten - "Warum unser Kopf Diäten sabotiert" (diabetesDE)


diabetesDE - 19. April 2011

Chat-Protokoll zum Thema
"Das egoistische Gehirn - Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft"

Auszüge aus dem diabetesDE-Experten-Chat vom 12. April 2011
mit dem Experten: Professor Dr. med. Achim Peters



Protokoll der Sprechstunde

Robert W. fragt:

Welche Däten kann man einem Körper ohne gesundheitliche Schäden zumuten?

Robert W.


Professor Peters:

Lieber Herr W.,

eine Diät sollte auf keinen Fall die Kalorienmenge beschränken, denn das bedroht die Hirnversorgung! Denn wie soll das Gehirn versorgt werden, wenn man nur die halbe Kalorienmenge isst?

Eine ideale Diät (beschränkt nicht die Kalorien und) besteht aus gesunden Nahrungsmitteln, die keine Störfaktoren enthält, die das Stresssystem schwächen. Zu solchen Störfaktoren gehören nichtkalorische Süßstoffe, die das Stresssystem auf Dauer umprogrammieren und schwächen können. Auf der sicheren Seite ist man, wenn man auf künstliche Geschmackszusätze verzichtet, die auch das Stresssystem irritieren können. Alles in allem enthält die ideale Diät gesunde Nahrungsmittel, mit denen man sich satt essen kann. Kalorienreduktion in einer Diät ist aus Sicht der Hirnforschung ein Kunstfehler!

MfG
Achim Peters


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Sabine S. fragt:

Betreff: Therapie

Hallo Herr Professor Peters,

gibt es schon Therapie-Entwicklungen oder -möglichkeiten in Deutschland oder sind Sie noch im Forschungsstadium?

Herzliche Grüße aus Hamburg
Sabine S.


Professor Peters:

Hallo Frau S.,

es gibt Therapieerfahrungen aus den USA von Kindern und Erwachsenen. Langzeitergebnisse dazu hat Laurel Mellin vorgestellt. Das Programm wird in den USA z.B. in Form eines Telefoncoaching angeboten. In Deutschland gibt es noch kein strukturiertes Programm dazu. Den Forschungsstand könnte man aus den USA übernehmen und direkt in Deutschland umsetzen. Ich würde mich freuen, wenn Ökotrophologen, Diabetesberater, Psychologen ein interdisziplinäres Programm nach dem Vorbild des von Laural Mellin vorgestellten Programms in Deutschland zusammenstellen und als strukturierte Schulungsmöglichkeit anbieten.

Aus der Selfish Brain Theorie ergeben sich jedoch noch andere therapeutische Ansätze (siehe "Das Egoistische Gehirn"), die bisher von Laurel Mellin noch nicht berücksichtigt sind; dazu gehört, dass man alle Faktoren, die das Stresssystem schwächen, weglässt. Dazu gehören Anteile der Nahrung, z.B. nichtkalorische Süßstoffe, Medikamente, Alkohol, Drogen. Und was besonders bei Kindern wichtig ist, psychologische Stimuli wie Nahrungsmittelwerbung.

Herzliche Grüße aus Lübeck
Achim Peters


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Jens H. fragt:

Hallo Herr Prof. Peters,

wenn ich Sie richtig verstanden habe ist ein ineffektiver Brain-Pull Mechanismus hauptverantortlich für Übergewicht. Desweiteren werden dafür jedoch keine genetischen, sondern vielmehr Gründe wie 00Depressionen oder Konditionierung verantwortlich gemacht. In einer großangelegten Studie (Nature Genetics 41, 2008, 25) konnte gezeigt werden, das bestimmte Genvarianten von 6 Genen mit Übergewicht in Verbindung gebracht werden können.

Jetzt zu meiner Frage: Wie können solche Ergebnisse mit Ihren Erkenntnissen in Einklang gebracht werden. Oder muss man argumentieren, dass es sich bei Übergewicht um eine Art multifaktorielle (genetische als auch äüßerliche Faktoren) Krankheit handelt.

Gruß
J.H.


Professor Peters:

Hallo Herr H.,

Sie sprechen die wichtige Frage an, was alles zu einem ineffektiven, fehlprogrammierten Brain-Pull führen kann. Wenn ein Computer nicht funktioniert, liegt das entweder an der Hardware, der Software oder an Falschsignalen (Viren). Beim Brain-Pull ist dies genauso, denn das Stresssystem ist ein komplexes sich selbst organisierendes System. Softwarefehler des Brain-Pull, d.h. Fehlprogrammierungen, sind sicher die häufigsten Ursachen. Allerdings kommen auch Hardware-Defekte vor. Dazu gehören eine Vielzahl von genetischen Varianten, Tumore, Traumata, etc. Falschsignale können sein: nichtkalorische Süßstoffe, Sulfonylharnstoffe, andere Medikamente. Auf diese ganzen Faktoren, die den Brain-Pull schwächen, gehe ich in meinem Buch ,Das egoistische Gehirn' ausführlich ein. Ein ganzes Kapitel ist dem Thema ,Genetische Störungen' gewidmet. Vielleicht finden Sie hier noch andere, interessante Punkte für ein tieferes Verständnis des menschlichen Energiestoffwechsels.

Ganz herzliche Grüße aus Lübeck
Professor Dr. med. Achim Peters


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Konrad D. fragt:

Sehr geehrter Herr Professor Peters,

Sie argumentieren, dass man permanent Hunger verspürt, ausgelöst durch einen fehlerhaften Brain-Pull Mechanismus. Durch die Nahrungsaufnahme entsteht ein ständig erhöhter Insulinspiegel, der zu weiteren Fetteinlagerungen führt. Was passiert wenn ich den Hunger mit reichlich Eiweiß und Gemüse (wenig Vollkornprodukte) stille, im Gegensatz zu Zucker und Schokolade. Letztendlich wird dadurch doch ein Anstieg des Blutzuckerspiegels verhindert. Weniger Insulin bedeutet aber auch weniger Speicherung von Körperfett.

Kann somit nicht der defekte Brain Pull Mechanismus letztendlich nicht umgangen werden?


Professor Peters:

Sehr geehrter Herr D.,

um Ihre wichtige Fragen zu beantworten, möchte ich ein einfaches Beispiel heranziehen: Nehmen wir an, bei einem gesunden Menschen geht 1 Brötchen ins Gehirn und 1 Brötchen in den Körper (das ist stark vereinfacht!). Wenn jemand nun eine Brain-Pull Schwäche hat, kann sein Gehirn die Insulinsekretion nicht mehr ausreichend unterdrücken und er hat hohes Blutinsulin. Wenn dieser Mensch dann die beiden Brötchen isst, geht 1/2 Brötchen ins Gehirn und 1 ½ Brötchen in die Körperspeicher (wegen des hohen Insulins). Jetzt ist das Gehirn nicht ausreichend versorgt, deshalb gibt es den Befehl, noch 2 Brötchen zu essen: dann hat insgesamt das Gehirn 1 Brötchen bekommen und ist damit versorgt, 3 Brötchen sind allerdings in den Körper gelangt. So nimmt der Mensch mit Brain-Pull Störung zu.

Was passiert, wenn dieser Mensch nur 1 statt 2 Brötchen isst, wie Sie es vorschlagen (und stattdessen mehr Eiweiß)? Dann muss das Gehirn, um an sein ganzes Brötchen zu kommen, das Stresssystem stark aktivieren und unterdrückt damit die Insulinsekretion, so dass praktisch nichts mehr in den Körper gelangt. Dann hat es selbst das eine Brötchen bekommen, und der Körper nimmt an Gewicht ab. Das findet genauso so statt bei kalorienreduzierten Diäten oder kohlenhydratarmen Diäten. Das Problem bei diesem Vorgehen (nur 1 Brötchen zu essen, also an KH zu sparen) ist, dass das Stresssystem stark aktiviert werden muss. Wenn das über längere Zeit geschieht, werden wir krank. In der Stressforschung bezeichnet man diese Dauerzustände mit aktiviertem Stresssystem als "allostatische Last".

Aus diesem Grunde sind kalorienreduzierte Diäten oder kohlenhydratreduzierte Diäten aus Sicht der Hirnforschung falsch.

Ich hoffe, Ihre Fragen beantwortet zu haben.

Herzliche Grüße aus Lübeck
Professor Dr. med. Achim Peters




zum kompletten Chat-Protokoll:
http://ow.ly/4z5xJ

Der Diabetes-Chat steht allen Internet-Nutzern kostenfrei auf www.diabetesde.org zur Verfügung.
Protokolle der letzten Sprechstunden können Sie abrufen unter:
www.diabetesde.org/experten_chat

Eine weitere wichtige Anlaufstelle ist das Diabetes Gesundheitstelefon.
Unter der Nummer 0180 250 5205 (6 Cent/Anruf aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 42 Cent/Minute) stehen täglich 24 Stunden Experten bereit.


diabetesDE ist eine gemeinnützige Organisation, die alle Menschen mit Diabetes und alle Berufsgruppen wie Ärzte, Diabetesberater und Forscher vereint, um sich für eine bessere Prävention, Versorgung und Forschung im Kampf gegen Diabetes einzusetzen. An oberster Stelle steht die Interessenvertretung für die Menschen, die von dieser Volkskrankheit betroffen sind, die sich in großem Tempo in vielen Ländern der Erde, so auch in Deutschland ausbreitet. Gegründet wurde diabetesDE von der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und dem Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD).


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Quelle:
diabetesDE, Pressestelle
diabetesDE-Experten-Chat vom 12. April 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2011