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DIABETES/1375: Neue Therapien bei Diabetes (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 1/2010

Neue Therapien bei Diabetes

Medikamente gegen die Zerstörung Insulin-produzierender Zellen

Von Kathrin Maedler


Diabetes mellitus, die sogenannte Zuckerkrankheit, nimmt weltweit so stark zu, dass inzwischen von einer Diabetes-Epidemie gesprochen wird. Um wirksame Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können, untersuchte das Islet Biology Laboratory am Zentrum für Biomolekulare Interaktionen der Universität Bremen die Wechselwirkung von Umweltfaktoren und Genetik und die komplexe Pathogenese des Diabetes mellitus. Neue Medikamente, die direkt gegen Entzündungsmediatoren gerichtet sind, können Diabetes in Schach halten.


Mehr als 150 Millionen Menschen sind weltweit an Diabetes erkrankt, in Deutschland sind es etwa fünf bis sechs Millionen Menschen. Nach Schätzungen der WHO wird sich diese Zahl binnen einer Generation, bis etwa 2025, verdoppeln. Diabetes mellitus als Folgeerkrankung von Übergewicht und Bewegungsmangel entwickelt sich nicht nur bei uns, sondern in vielen Ländern der Welt zu einem gewaltigen Gesundheitsproblem.

Übergewicht und Bewegungsmangel gelten als wichtigste Ursache von Diabetes mellitus, doch auch eine genetische Veranlagung kann die Krankheit begünstigen. Immerhin gilt über die Hälfte der deutschen Bevölkerung als übergewichtig. Bei der Prävention ist daher in erster Linie eine breite Aufklärung über die grundlegende Bedeutung einer gesunden Ernährung und Bewegung extrem wichtig. Doch auch neue Medikamente können gegen Diabetes zum Einsatz kommen.


β-Zellen regulieren den Blutzucker

Bereits im Altertum war die Zuckerkrankheit bekannt. Früher diagnostizierten Mediziner Diabetes mellitus am Geschmack des Urins, denn der "honigsüße Durchfluss", so die Übersetzung, verrät eine erhöhte Zuckerausscheidung durch pathologischen Anstieg des Blutzuckers. Durch neue Messungen weiß man heute, dass die zentrale Ursache für den Ausbruch von Diabetes die Zerstörung der Insulin-produzierenden β-Zellen ist. So zeigen Messungen an Autopsiematerial eine Volumenabnahme der β-Zellen von etwa einem Drittel beim Typ-2-Diabetes. Beim Typ-1-Diabetes schrumpfen die Zellen gar um mehr als 90 Prozent, so dass sie kaum noch nachweisbar sind.

Die Ursache des Zellverlustes ist bisher nicht eindeutig identifiziert. Unter physiologischen Bedingungen besitzt die β-Zelle ein ausgeklügeltes System, den Zuckerspiegel im Blut zu regulieren. Sie registriert nach der Mahlzeit den Anstieg des Glukosewertes im Blut und passt diesem Wert die Sekretion von Insulin an. Dadurch ermöglicht sie die Aufnahme der Glucose ins Gehirn, in die Muskeln zur Energiebereitstellung und in Leber und Fett zur Speicherung. Auch bei Gewichtszunahme bleibt diese Funktion zunächst erhalten.

Bei übergewichtigen Patienten und im fortgeschrittenen Alter lässt die Sensitivität für Insulin nach. Es entsteht eine Insulinresistenz. Die Signalwege des Hormons, die zur Aufnahme von Glukose führen sollen, arbeiten weniger effizient, und nur eine vermehrte Insulinproduktion kann diesen Defekt ausgleichen. Dem kommt die außergewöhnliche Fähigkeit der β-Zellen zugute, ihre Zellmasse zu erhöhen. So passen sie sich einem gesteigerten Insulinbedarf bei peripherer Insulinresistenz an, und der Blutzucker ist weiterhin reguliert.


Entzündliche Faktoren zerstören die β-Zellen

Bei 10 bis 20 Prozent der insulinresistenten Patienten entwickelt sich jedoch daraus ein Diabetes mellitus vom Typ 2, der oft auch noch als Altersdiabetes bezeichnet wird, weil er oft im fortgeschrittenen Alter auftritt. Die β-Zellen können dem dauerhaften Mehrbedarf an Insulin nicht mehr standhalten. Durch entzündliche Faktoren und begünstigt durch eine genetische Prädisposition der Patienten kommt es zum Verlust der β-Zellen, der Blutzucker steigt an, und der Diabetes manifestiert sich.

Typ-1-Diabetes hingegen entsteht durch eine Überschussreaktion des Immunsystems. Entzündliche Signale aus den Zellen des Immunsystems zerstören die körpereigenen Insulin-produzierenden β-Zellen. Auch hier kann der Körper den Defekt zunächst kompensieren. Wahrscheinlich haben geringe Konzentrationen der entzündlichen Stoffe eine eher zellvermehrende Wirkung, wie die Forscher am Islet Biology Laboratory in Bremen an kultivierten humanen Inselzellen beobachten konnten. Der schnelle Anstieg an inflammatorischen, also entzündlichen, Faktoren führt jedoch bald zu einer Zerstörung der β-Zellen, zum Verlust der Glukoseregulation und damit zum Diabetes.

Es ist also deutlich erkennbar, dass der Verlust der β-Zelle von zentraler Bedeutung bei der Entstehung von Diabetes ist. So kann mit der genauen Kenntnis der Mechanismen, die zur Zerstörung der β-Zellen führt, Diabetes mellitus effektiver behandelt werden. Mittels isolierter Inselzellen aus der humanen Bauchspeicheldrüse konnte das Islet Biology Laboratory solche Wege der Zerstörung finden. Zellen, die in Kultur mit freien Fettsäuren oder mit erhöhten Glukosekonzentrationen in Kontakt gebracht werden, sondern entzündliche Faktoren ab.


Ursache: Übergewicht

Bisher konnten zwei solcher Faktoren identifiziert werden: Interleukin-β (L-1 β) Interferon-β inducible factor (IP-10). Das Interleukin ist ein klassisches Zytokin, also ein Entzündungsmediator, und zentraler Botenstoff des Immunsystems. Er wird hauptsächlich von großen weißen Blutkörperchen, sogenannten Monozyten, produziert. Die Blutkörperchen reagieren damit auf fremde Einflüsse wie Fieber-auslösende Stoffe. Das Interferon spielt vor allem in der Abwehr von Mikroorganismen eine Rolle. Beide Faktoren konnten in Autopsie-Gewebsschnitten von diabetischen Patienten nachgewiesen werden.

Es stellt sich die Frage, woher diese entzündlichen Faktoren kommen. Zwar konnte in Kultur das Interleukin in Inselzellen nachgewiesen werden, da diese aber nur ein relativ kleines Gewebe im Körper darstellen, kann dies kaum den Anstieg des Interleukins im Blut erklären. Bei übergewichtigen Patienten nimmt vor allem die Fettgewebsmasse zu, womit sich auch der Stoffwechsel im Körper ändert. So werden vermehrt Cholesterin, Triglyceride, freie Fettsäuren, und die fettspezifischen Entzündungsauslöser Leptin und Resistin produziert. Die Produktion des entzündungshemmenden Adiponectins geht zurück.

Als Folge wird weniger Glukose aufgenommen. Makrophagen erkennen darin ein Signal, in das Fettgewebe einzuwandern, wo sie die Produktion des entzündlichen Interleukin-β-1 anwerfen. Dies wird dann ins Blut abgegeben und löst wiederum seine eigene Produktion im Gehirn, in der Leber sowie in den Inselzellen aus. Weitere Faktoren werden aktiviert und verschlechtern die Insulinsensitivität und -sekretion. Und sie fördern entzündungsauslösende Faktoren. Ein Teufelskreis entsteht.


Entzündungshemmende Faktoren zur Therapie

Nun hat das Interleukin-1 &beta einen natürlichen Gegenspieler, den Antagonisten IL-1Ra, der in β-Zellen natürlich vorkommt. Solange die schützenden entzündungshemmenden Faktoren ausreichend in der Zelle vorhanden sind, kann demnach der Insulinbedarf von der β-Zelle reguliert werden. Im Typ-2-Diabetes geht der Antagonist jedoch verloren. Übergewicht führt zu einem Anstieg der Entzündungsfaktoren, die vom Fett in die Umgebung abgegeben werden. Diese erreichen die β-Zelle. Wenn keine ausreichenden Schutzfaktoren mehr vorhanden sind, wird die Zelle geschädigt oder gar zerstört. Die Insulinsekretion nimmt ab, der Bedarf an Insulin kann nicht mehr ausgeglichen werden und der Typ-2-Diabetes manifestiert sich.

Der therapeutische Einsatz des Antagonisten IL-1Ra ist ein Ansatz, die ausgelöste Kaskade zu unterbrechen. Deswegen hat das Islet Biology Laboratory zunächst an isolierten Inselzellen untersucht, ob der Antagonist der Zerstörung der β-Zelle entgegenwirken kann. Dies konnte sowohl in Kultur als auch an Mäusen bestätigt werden, die mit einer zucker- und fettreichen Diät gefüttert wurden. In Kultur schützte der Antagonist humane β-Zellen vor den schädigenden Einflüssen von Fettsäuren und von erhöhtem Zucker. Bei den Mäusen führte er zu einer Vermehrung der β-Zellen und normalisierte die Blutzuckerwerte.

Aufgrund dieser Ergebnisse wurde eine klinische Studie mit übergewichtigen Diabetikern initiiert, die zeigen konnte, dass eine Gabe des Antagonisten über drei Monate effizient Blutzuckerspiegel und Entzündungsmarker senken und somit den Diabetes verbessern konnte. Ein weiteres hoffnungsvolles Medikament für die Diabetestherapie ist ein Antikörper, der gegen humanes Interleukin-1 β gerichtet ist. Sein Vorteil gegenüber dem Antagonisten ist eine längere Halbwertzeit im Körper. Am Mausmodell konnte gezeigt werden, dass zwei Gaben dieses Antikörpers pro Woche effektiv vor Diabetes schützt. Aktuelle Daten einer klinischen Studie konnten die Beobachtungen bestätigen.

Durch die umfassenden Experimente an β-Zellen und an Mäusen konnten neue Therapien zur Behandlung des Diabetes etabliert werden, die vor allem gegen den Untergang der Insulinproduzierenden β-Zelle gerichtet sind. Derzeit untersucht das Bremer Labor Mittel gegen weitere Entzündungsmediatoren.


Kathrin Maedler studierte Pharmazie an der Universität Wien und absolvierte während der Approbation zum Apotheker eine Zusatzqualifikation zum Klinischen Apotheker. Ihr Interesse gilt im besonderen der Erforschung der Ursachen und der Therapie des Diabetes. Während ihrer Doktorarbeit am UniversitätsSpital Zürich deckte sie grundlegende Mechanismen der Zerstörung der Insulin-produzierenden β-Zelle auf und leitete danach als Professorin an der medizinischen Fakultät der University of California Los Angeles (UCLA) ihre eigene Arbeitsgruppe. Seit 2008 lebt sie mit ihrem Mann und 2 Kindern in Bremen und leitet das Labor für Molekulare Diabetologie an der Universität Bremen am Fachbereich 2.

Weitere Informationen:
www.islets.uni-bremen.de


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 1/2010, Seite 26-29
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2010