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DIABETES/1291: Adipositaschirurgie für Normalgewichtige (DGCH)


Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)

Adipositaschirurgie für Normalgewichtige

Magenoperation ersetzt lebenslanges Spritzen bei Diabetes Typ 2


Berlin, 9. Dezember 2009 - Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 können neuerdings mit einer Operation am Magen behandelt werden: Ein Magenbypass erweist sich bei fettleibigen Diabetikern zu 90 Prozent als wirksam. Ähnliche Erfolge erzielen Chirurgen mit einer Verkleinerung des Magens.

Etwa acht Millionen Menschen in Deutschland sind an Diabetes mellitus erkrankt. Davon spritzen etwa zwei Millionen täglich Insulin. Die meisten nehmen zudem Blutzucker senkende Medikamente und müssen ihre Ernährung umstellen. "Ein chirurgischer Eingriff am Magen könnte diese lebenslangen Therapien ersetzen und langfristig Behandlungs- und Folgekosten senken", sagt Professor Dr. med. Markus Büchler, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg. Entweder verkleinern Chirurgen den Magen zu einem "Schlauchmagen". Bei der sogenannten antidiabetischen Magenbypass-Operation dagegen umgehen sie Teile des Verdauungstrakts: Die Ärzte schließen dabei den Magen, den Zwölffingerdarm und einen Teil des Dünndarms aus der Magen-Darm-Passage aus. Ihre Aufgabe ist es, Kohlenhydrate und Fette aufzuspalten, damit die Darmwand sie aufnehmen und weiterverarbeiten kann. "Ist dies nicht möglich, laufen bestimmte hormonelle Vorgänge ab, die eine antidiabetische Wirkung zu haben scheinen", so Professor Büchler. Die infolge des kurzgeschlossenen Darms auftretenden hormonellen Veränderungen trügen auch dazu bei, dass Patienten schneller satt sind und weniger Hunger haben.

Zwar gehören Übergewicht und Fettleibigkeit zu den wichtigsten Begleiterkrankungen von Diabetes mellitus Typ 2. "Der Erfolg der Therapie lässt sich jedoch nicht zwingend auf den Gewichtsverlust zurückführen", sagt Büchler. Denn oft verschwindet der Diabetes bereits unmittelbar nach der Operation. In ersten Studien haben Chirurgen jetzt normalgewichtige Diabetiker operiert. Zwei Jahre nach dem Eingriff erreichten mehr als 90 Prozent der Operierten eine gute Kontrolle des Diabetes: Ohne Medikamente konnten sie starke Schwankungen des Blutzuckerspiegels vermeiden. Aber auch Begleiterkrankungen wie etwa Bluthochdruck verbessern sich in ähnlichem Ausmaß.

"Die Adipositaschirurgie ist keine Lifestyle-Medizin um abzunehmen", betont Büchler. Um sie jedoch als Standard neben Insulintherapie und Blutzucker senkenden Medikamenten einsetzten zu können, müssten weitere Studien folgen. In Heidelberg gründeten Ärzte deshalb ein Diabetes- und Adipositas-Zentrum. Wie Experten der DGCH die antidiabetische Wirkung der Adipositaschirurgie einschätzen und welche Mechanismen sie dahinter vermuten, war Thema der Pressekonferenz am 9. Dezember 2009 in Berlin.


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Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
Mittwoch, 9. Dezember 2009, 11.00 bis 12.00 Uhr, Langenbeck-Virchow-Haus, Bibliothek

Diabetes mellitus zukünftig chirurgisch behandeln?
Die anti-diabetische intestinale Bypass-Operation

Von Professor Dr. med. Markus W. Büchler, Europäisches Pankreaszentrum, Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine, Viszerale und Transplantationschirurgie, Universität Heidelberg


Gemäß dem Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2010 erkrankt etwa jeder dritte Deutsche während seines Lebens an Diabetes mellitus und etwa jeder zehnte Deutsche leidet zum jetzigen Zeitpunkt an der Erkrankung. Das entspricht etwa acht Millionen diagnostizierten Deutschen, etwa zwei Millionen müssen sich täglich Insulin spritzen. Deutschland gehört damit zu den Ländern mit den meisten Diabetikern europaweit. Die durchschnittlichen jährlichen Kosten pro behandeltem Diabetiker liegen laut KoDiM-Studie bei über 5000 Euro. Kommt es zu diabetesbedingten Komplikationen wie Schlaganfällen, Nierenversagen oder schwerer Arterienverkalkung, was bei gut fünf Prozent der Diabetikern der Fall ist, können diese Kosten schnell über 20 000 Euro liegen. Damit erzeugt Diabetes mellitus enorme Gesundheitskosten. Während bisher die Therapie des Diabetes mellitus in der Umstellung der Ernährung, der Einnahme von Blutzucker senkenden Medikamenten und dem Spritzen von Insulin bestand, scheint nun die Operation eine zusätzliche therapeutische Option zu sein. Dies ist besonders unter dem Kostengesichtspunkt interessant, da eine einmalige Operation wahrscheinlich günstiger als eine lebenslange Insulintherapie ist. Die Operationsverfahren gegen Diabetes mellitus stammen aus der Adipositaschirurgie (Chirurgie des krankhaften Übergewichts). Kohorten-Studien wie die SOS-Studie aus Schweden mit mehr als 4000 Patienten haben gezeigt, dass knapp drei Viertel der betroffenen Patienten zwei Jahre nach Adipositaschirurgie keinen Diabetes mellitus mehr haben.

Zum gleichen Ergebnis kamen Buchwald und Mitarbeiter in einer großen Metaanalyse von mehr als 22.000 Patienten. Die Autoren haben außerdem gezeigt, dass ein Magenbypass mit einer Wirksamkeit von 90 Prozent das effizienteste Verfahren für eine Diabetesheilung ist. Jüngere adipositaschirurgische Verfahren wie der Schlauchmagen (Magenverkleinerung) gingen nicht in die Untersuchung ein. Vidal und Mitarbeiter zeigten dann in einer randomisiert kontrollierten Studie an 80 Patienten, dass zumindest kurzfristig mit einem Schlauchmagen die gleiche antidiabetische Wirkung erreicht werden kann wie mit dem Magenbypass. Aus der Perspektive einer potenziellen Diabeteschirurgie ist grundsätzlich die Beobachtung interessant, dass die antidiabetische Wirkung nach Adipositaschirurgie nicht zwingend an einen Gewichtsverlust gekoppelt ist. Der Diabetes ist oft unmittelbar nach der Operation verschwunden oder gebessert, obwohl die Patienten noch gar nicht wesentlich Gewicht verloren haben. Diese Beobachtung wurde von Rubino und Mitarbeitern in einer tierexperimentellen Studie an normalgewichtigen Ratten mit Diabetes nachvollzogen. Bei den Tieren wurde nach Magenbypass der Diabetes mellitus gebessert, obwohl sie nach der Operation Gewicht zunahmen.

Inzwischen wurden an vereinzelten Zentren schon Diabetiker ohne Adipositas operiert und das Ergebnis ist eindrücklich. De Paula und Mitarbeiter beispielsweise erreichten knapp zwei Jahre nach der Operation bei 96 Prozent der Patienten eine gute Kontrolle des Diabetes mellitus. Diese Daten zeigen das Potenzial der Diabeteschirurgie. Allerdings ist diese bisher noch nicht ausreichend erforscht und weit davon entfernt, ein etablierter Standard in der Therapie des Diabetes mellitus zu sein. Insbesondere fehlen Daten zur Wirkungsweise und Dauerhaftigkeit der Wirkung. Eine sorgfältige wissenschaftliche Bearbeitung des Themas ist unabdingbar. Aus diesem Grunde wurde beispielsweise in Heidelberg jetzt ein Diabetes- und Adipositas-Zentrum eingerichtet, in welchem die Diabeteschirurgie in interdisziplinärer Zusammenarbeit durch weitere experimentelle Laboruntersuchungen und solide klinische Studien erforscht und klinisch etabliert werden soll.

(Es gilt das gesprochene Wort!)
Berlin, Dezember 2009


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Quelle:
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)
Pressestelle DGCH
Postfach 30 11 20, 70451 Stuttgart
Telefon: 0711 8931-295, Fax: 0711 8931-984
Internet: www.chirurgie2009.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2009