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SCHMERZ/736: Die Schmerzversorgung sollte verbessert werden (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2015

Schmerzversorgung
"Fußfessel im Hamsterrad"

Von Dirk Schnack


Konsens unter Patienten, Ärzten und Politikern: Die Schmerz-Versorgung in Schleswig-Holstein sollte verbessert werden.


Patentlösungen konnten die Teilnehmer der Veranstaltung "Jenseits der Schmerzgrenze" vergangenen Monat im Kieler Landeshaus nicht liefern. Die Piratenfraktion als Veranstalter, aber auch Gesundheitspolitiker von CDU, Grünen und FDP ermunterten die Schmerzpatienten, sich mit ihren Problemen künftig offensiver an die Öffentlichkeit, aber auch an die Selbstverwaltung und die Politik zu wenden.

Wie ernst die Versorgungsprobleme von Schmerzpatienten unter Ärzten genommen werden, zeigt deren starke Beteiligung. Ärztekammer-Präsident Dr. Franz Bartmann begleitete die komplette Tagesveranstaltung, und die Schmerzspezialisten Dr. Harald Lucius (Schleswig), Dr. Jochen Leifeld (Rendsburg) und Dr. Wolfgang Wabbel (Kiel) berichteten aus ihrem Arbeitsalltag und den beschränkenden Rahmenbedingungen. Neurochirurg Leifeld verweist seit Jahren auf die schwierigen Bedingungen der Schmerztherapeuten. Die von ihm im Landeshaus präsentierten Daten unterstrichen, dass sich an den Bedingungen wenig verbessert hat. Betroffen sind in Schleswig-Holstein nach seinen Angaben rund 79.000 Menschen, für die es schlicht zu wenig Schmerzspezialisten gibt (siehe Spalte). Zum Mengen- kommt ein Verteilungsproblem: Das Versorgungsangebot westlich der A7 ist deutlich besser als östlich. Ein weiteres Problem, auf das Bianca Hartz, Leiterin des Teams Zulassung bei der KVSH, hinwies: Mit dem Querschnittsfach Schmerzmedizin beschäftigen sich Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen. Ein Anästhesist, der in der Schmerzversorgung engagiert ist und seinen Kassenarztsitz weitergibt, wird zwar durch einen Anästhesisten ersetzt - dieser muss aber nicht zwangsläufig in der Schmerzversorgung tätig sein. Genauso verhält es sich bei den übrigen Fachgruppen. Betroffen sind davon alle Gebiete, für die keine Facharztbezeichnung erforderlich ist.

Die KVSH hat ein Konzept erstellt, mit dem die Schmerztherapie im Bedarfsplan berücksichtigt werden soll. Dazu soll zunächst festgestellt werden, wie viele Versorgungsaufträge erfüllt werden müssen. Einmal im Jahr soll dann ermittelt werden, wie viele Versorgungsaufträge ausgefüllt sind, und die fehlenden Versorgungsaufträge sollen zur Besetzung ausgeschrieben werden. Ein auch von der Körperschaft schwer zu lösendes Problem: Es gibt wahrscheinlich nicht genügend Ärzte, die sich darauf bewerben. Unsicher ist auch, 0b sich dies in den kommenden Jahren verbessert oder ob überhaupt der Standard gehalten werden kann. Leifeld präsentierte die Altersstruktur und stellte fest: "Die Zahl der Schmerzspezialisten nimmt dramatisch ab."

Das könnte auch daran liegen, dass sich seine Kollegen "mit der Fußfessel im Hamsterrad" bewegen. Mit diesem Vergleich spielte Leifeld auf Beschränkungen in der Vergütung an, die für die Schmerztherapeuten gravierende finanzielle Nachteile gegenüber Kollegen bedeuten. Leifeld präsentierte Zahlen von 2013, wonach der Jahresumsatz niedergelassener Schmerzmediziner 2013 in Deutschland rund 203.000 Euro betrug. Er lag damit über 100.000 unter dem Durchschnitt aller Fachgruppen. Sein Urteil über die Vergütung für ambulante Schmerztherapeuten: "Irrational und uneinheitlich bis widersinnig." Nur eine Ausbudgetierung könnte nach seiner Ansicht den Leistungen gerecht werden und zugleich die Nachwuchsfrage lösen.

Dass Krankenhäuser stärker als bislang in der ambulanten Versorgung in die Bresche springen könnten, ist unrealistisch. Nach Einschätzung von Patrick Reimund von der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein (KGSH) lässt sich dieses Angebot in naher Zukunft nur schwer ausdehnen. Das stationäre Angebot besteht für Schmerzpatienten vor allem in den Schwerpunktkrankenhäusern.

Die Rolle der Krankenkassen ist vor allem geprägt von der Erwartung, dass ärztliche Körperschaften, aber auch Netze und Berufsverbände mit Vorschlägen zur Verbesserung der Versorgung auf sie zukommen dürfen. Zumindest zeigte sich Sebastian Ziemann, Referatsleiter ambulante Versorgung beim Ersatzkassenverband Schleswig-Holstein offen für entsprechende Konzepte. Er stellte aber auch klar, dass die Kassen nicht einfach zusätzliche Beitragsgelder erheben können und dass das Sozialgesetzbuch den Krankenkassen erhebliche Beschränkungen auferlegt. Zum Konzept der KVSH äußerte sich Ziemann nicht konkreter, dies werde "geprüft".

Die in Ärztekreisen schon seit Jahren geführte Diskussion über die Einführung eines Facharztes für Schmerzmedizin wurde in Kiel nicht entfacht. Bartmann stellte klar, dass es diesen Facharzt nach seiner Einschätzung nicht geben wird. Er sprach sich für eine berufsbegleitend zu erwerbende Zusatzqualifikation aus. "Das muss sich aber auch finanziell lohnen", verwies der Kammerpräsident auf eine weitere zu erfüllende Anforderung, damit sich mehr Ärzte der Schmerzmedizin widmen.

Bartmann war an diesem Tag in Doppelfunktion vor Ort: Neben der Ärztekammer vertrat er auch den Patientenombudsverein Schleswig-Holstein, den er den Schmerzpatienten als Ansprechpartner bei Problemen empfahl. Dies ist aus seiner Sicht erfolgsversprechender als auf eine legitimierte Patientenvertretung im institutionalisierten Gesundheitswesen zu hoffen. Diese von den Patienten gewünschte und von den anwesenden Politikern Wolfgang Dudda (Piraten), Karsten Jasper (CDU), Dr. Marret Bohn (Grüne) und Anita Klahn (FDP) unterstützte Forderung ist nach den Erfahrungen Bartmanns kaum umsetzbar. Unter den Politikern bestand Konsens, dass mehr für die Schmerzpatienten getan werden muss und dass die Veranstaltung ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung - eine im Kieler Landeshaus nicht selbstverständliche Einmütigkeit.

Neben den vielen Hinweisen auf Versorgungsdefizite in der Schmerztherapie wurde in der Veranstaltung auch deutlich, dass die Patienten nicht mit jeder Frage auf sich allein gestellt sind und dass sich einige von ihnen aktiv gegen die Probleme wehren. Die eingetragenen Vereine Deutsche Schmerzliga und SchmerzLos stellten sich im Rahmen der Veranstaltung vor und berichteten über ihre Aktivitäten und ihre Angebote, mit denen sie Patienten unterstützen können.


Randspalte

37 - Ärzte nehmen an der Schmerztherapie-Vereinbarung in Schleswig-Holstein teil, darunter sind 15 ermächtigte Klinikärzte. Die 37 Ärzte erfüllen 30 Versorgungsaufträge.

159 - Ärzte in Schleswig-Holstein dürfen die Zusatzbezeichnung spezielle Schmerztherapie führen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201512/h15124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Dezember 2015, Seite 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2016

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