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PARKINSON/105: Gefährliche Komplikationen beim Parkinsonsyndrom früh und einfach erkennen (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2013
Ruhr-Universität Bochum

Monotone Märchen verraten Schluckstörungen
Gefährliche Komplikationen beim Parkinsonsyndrom früh und einfach erkennen

von Meike Drießen



Drei von vier Parkinsonpatienten leiden irgendwann an Schluckstörungen, die zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen können. Zur Früherkennung sind die vorhandenen Untersuchungsmethoden zu aufwändig. Dr. Wenke Grönheit, Neurologin im RUB-Klinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer, erprobt eine einfachere Methode. Ein akustischer Sprechtest könnte sich als Screening-Methode eignen. Für ihre Arbeit erhielt sie den Förderpreis der Sophia & Fritz Heinemann-Stiftung.


Beim Stichwort Parkinsonerkrankung fallen einem sofort die typischen Symptome ein: vor allem ein Zittern der Hände, aber auch Steifigkeit und Bewegungsverarmung. Dank moderner Medikamente sind sie heute oftmals gut zu lindern. Weniger bekannt ist, dass drei Viertel aller Parkinsonpatienten im Laufe der Erkrankung an Sprech- und Schluckstörungen leiden. Ihre Stimme wird leise und monoton, sie sind schlechter zu verstehen. Die Schluckstörungen sind gefährlich: Die Betroffenen sind nicht nur durch Mangelernährung bedroht. Durch Verschlucken von Mundinhalt mitsamt den darin enthaltenen Bakterien droht eine Lungenentzündung - die häufigste Todesursache bei Parkinsonpatienten.

Probleme mit dem Sprechen und Schlucken, für das dieselben Muskelgruppen in Mund, Zunge und Schlund zuständig sind und die daher eng zusammenhängen, können erst im Verlauf einer Parkinsonerkrankung auftreten, aber auch schon eines der ersten Symptome sein. Spezielle Übungen, eine Art "Krafttraining" für die entsprechenden Muskeln, können das Fortschreiten der Sprechschwierigkeiten nachweislich aufhalten, teils sogar rückgängig machen. Ob das auch aufs Schlucken zutrifft, ist noch nicht untersucht. Medikamente können aber hilfreich sein, oder auch einfache Tricks. "Manchen Patienten hilft es zum Beispiel, den Kopf beim Schlucken zu einer Seite zu drehen", erklärt Wenke Grönheit. "Wenn nur Flüssigkeiten oder nur feste Nahrung Probleme bereiten, kann man Getränke andicken oder Mahlzeiten pürieren." Voraussetzung für solche Maßnahmen ist aber, dass man die Störungen rechtzeitig erkennt.

Eine bewährte Untersuchungsmethode dazu ist die Fiber Endoscopic Evaluation of Swallowing-Methode (FEES, Abb. 1). Dabei wird dem Patienten ein dünner Schlauch mit einer winzigen Kamera durch ein Nasenloch bis in den Rachen geschoben. "Die Nase wird dafür mit einem Gel kurz betäubt, so dass das nicht schmerzhaft ist", versichert Dr. Grönheit. Über die Kamera können die Ärzte dann den Ort des Geschehens genau beobachten. Sie suchen nach Anzeichen dafür, ob beim Schlucken etwas schiefgeht: Befindet sich zum Beispiel vermehrt Schleim im Rachen (Abb. 2)? Verschwindet er beim Räuspern oder Husten? Wie sieht es nach einem Schluck gefärbten Wassers aus - bleiben Reste übrig? Verschwinden breiige Speisen vollständig? Wie gut wird Wackelpudding geschluckt? "Den Schluckakt als solchen können wir mit der Kamera zwar nicht sehen, weil dabei die Schleimhaut vor die Linse gedrückt wird", erklärt Dr. Grönheit, "aber wir können indirekt Informationen über die Intaktheit des Schluckaktes gewinnen."

Die Methode ist zuverlässig, allerdings auch invasiv, und nicht jeder Neurologe verfügt über die entsprechende Ausrüstung. Wenke Grönheit sucht daher einen alternativen, einfacheren Weg, um Schluckstörungen zu untersuchen. Ihr Ansatz geht vom engen Zusammenhang zwischen Schlucken und Sprechen aus: Wenn dieselben Muskelgruppen daran beteiligt sind, müsste man doch Rückschlüsse vom Sprechen auf das Schlucken ziehen können, so die Vermutung.

Den ersten Schritt in diese Richtung machte sie in ihrer Dissertation. Sie untersuchte das Sprechen von 300 Parkinsonpatienten im Vergleich zu gesunden Personen (Abb. 3). "Das Ganze ist sehr einfach und geht schnell", erklärt sie. "Die Patienten bekommen ein Headset, so dass der Abstand zwischen Mund und Mikrofon immer gleich ist. Dann fordern wir sie auf, ein wenig frei zu erzählen, Fragen zu beantworten und einen kurzen Text vorzulesen, ein Stück aus einem Märchen, bei dem man stark betont, zum Beispiel 'Großmutter, warum hast Du denn so große Ohren?' aus 'Rotkäppchen'. Im Vergleich zu gesunden Sprechern haben sich deutliche Unterschiede herausgestellt." Parkinsonpatienten sprechen nicht nur leiser als Gesunde. Wenke Grönheit wertete die Tonhöhe einzelner Silben in Halbtonschritten aus (Abb. 4). Dabei zeigte sich, dass Patienten auch monotoner sprechen. Der Abstand zwischen der höchsten und der tiefsten Silbe war durchschnittlich kleiner als bei gesunden Sprechern (Abb. 5). Außerdem analysierte sie die Sprechpausen, die bei Parkinsonpatienten länger dauern.

"Jetzt geht es uns darum, herauszufinden, ob und wie die Ergebnisse des Sprechtests mit denen der Schluckuntersuchung übereinstimmen", erklärt sie den nächsten Schritt. Unterstützt durch das Preisgeld des Heinemann-Preises wird sie in den kommenden Monaten 30 Parkinsonpatienten mit beiden Methoden untersuchen und die Ergebnisse gegenüberstellen. In ihrer Studie wird sie zusätzlich verschiedene, zum Beispiel neuropsychologische, Tests durchführen, um Faktoren zu berücksichtigen, die das Sprechen beeinflussen, ohne mit Parkinson zu tun zu haben. Dazu gehören etwa Müdigkeit oder Aufmerksamkeit des Sprechers. Sollte sich herausstellen, dass die Sprechuntersuchung Rückschlüsse auf Beeinträchtigungen beim Schlucken zulässt, wäre sie eine gute Möglichkeit für das Screening von Parkinsonpatienten, auch wenn sie selbst und ihre Familien noch keine Symptome einer Sprech- oder Schluckstörung bemerken.

"Auf die FEES-Methode können wir natürlich trotzdem nicht verzichten, um Schluckstörungen genauer zu untersuchen", sagt Wenke Grönheit. "Aber ein Sprechtest könnte schnell und einfach bei vielen Patienten regelmäßig durchgeführt werden, um erste Schwierigkeiten beim Schlucken frühzeitig zu bemerken und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen." Die Methode könnte sich auch dazu eignen, schnell festzustellen, ob Medikamente sich günstig auf Sprechen und Schlucken auswirken. "Man kann die Untersuchung nach der Gabe eines schnell wirksamen Parkinsonmedikaments einfach wiederholen und schon nach einer halben Stunde feststellen, ob das Medikament hilft oder nicht", so Dr. Grönheit.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Untersuchung mit der FEES-Methode. Dr. Wenke Grönheit führt einen dünnen Schlauch mit einer winzigen Kamera durch die Nase des Patienten bis in den Rachen, so dass sie indirekt das Schlucken begutachten kann. Ein Logopäde gibt dem Patienten derweil Anweisungen zum Schlucken verschiedener Speisen und Getränke. Es entsteht ein Video des Rachenraums.

Abb. 2: Wenn das Schlucken normal funktioniert, bleiben im Rachen weder Schleim noch Nahrungs- oder Flüssigkeitsreste zurück (links). Ist das Schlucken beeinträchtigt, finden die Ärzte bei der FEES-Untersuchung Rückstände im Rachen, die auch beim Räuspern oder Husten nicht verschwinden (rechts).

Abb. 3: Sprechuntersuchung im Knappschaftskrankenhaus: Oberärztin PD Dr. Sabine Skodda wertet die Lautstärke, Sprechpausen und die Sprechmelodie der Patienten aus.

Abb. 4: Beim Vorlesen von Passagen aus Märchen betont man üblicherweise sehr stark. Daher zogen die Mediziner solche Texte für die Vorleseaufgabe heran.

Abb. 5: Zwischen gesunden Sprechern (oben) und Parkinsonerkrankten (unten) zeigen sich deutliche Unterschiede zum Beispiel in der Sprechmelodie (links). Der Abstand zwischen der am höchsten und der am niedrigsten betonten Silbe ist bei Patienten verringert, das heißt ihre Sprache monotoner. Pausen zwischen einzelnen Wörtern sind länger als bei Gesunden. Patienten haben auch Schwierigkeiten, einen Ton lange zu halten (rechts). Während der Ton bei Kontrollpersonen lange gleich blieb, wurden Patienten leiser.


Den Artikel mit Bildern finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/rubin-fruehjahr-13/beitraege/beitrag6.pdf

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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2013, S. 38-41
Herausgeber: Rektorat der Ruhr-Universität Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2013