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INFEKTION/1452: Ursachen und Folgen von Antibiotikaresistenz weitgehend unbekannt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. November 2015

Gesundheit: Ursachen und Folgen von Antibiotikaresistenz weitgehend unbekannt

von Julia Krämer


NEW YORK/BERLIN (IPS) - Können Erkältungen mit Antibiotika bekämpft werden? Und wenn diese Medikamente eine Krankheit besiegen - wer ist dann eigentlich resistent: Der Mensch oder die Bakterien? Kann ich Antibiotika absetzen, sobald es mir besser geht? Fragen wie diese können nicht alle Menschen beantworten - und ebnen damit den Weg für eine schnellere Verbreitung von Antibiotikaresistenz. Das wiederum ist bereits jetzt eine große Gefahr für die weltweite Gesundheit, heißt es in einer Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sie im Rahmen der ersten Welt-Antibiotika-Bewusstseins-Woche vorgestellt hat. Gleichzeitig stellte sie die Kampagne 'Handle with care' (auf Deutsch: 'Mit Vorsicht behandeln') vor.

Antibiotikaresistenz ist laut WHO eine der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. "Sie kann jeden treffen, egal welchen Alters und in welchem Land", heißt es in einem Factsheet der Organisation, das sie zum Start der Kampagne auf ihrer Internetseite veröffentlicht hat. Wenn sich immer mehr Bakterien resistent gegenüber den gegen sie eingesetzten Antibiotika zeigen, wird die Behandlung von Krankheiten wie Tuberkulose und Tripper, aber auch die in europäischen Ländern immer häufiger anzutreffende Lungenentzündung schwieriger werden. In der Folge müssen Menschen länger im Krankenhaus bleiben, die Ausgaben für Medikamente steigen, und weil die Behandlung mit den richtigen Antibiotika manchmal eine Frage von Stunden oder gar Minuten ist, führt die Resistenz von Keimen zu mehr Todesfällen.

Einer im Oktober 2015 veröffentlichte Studie der OECD zufolge könnten jährlich weltweit 50.000 Todesfälle durch Infektionen mit resistenten Erregern verursacht worden sein. Darüber hinaus könnten inzwischen 50 Prozent aller Infektionen weltweit durch Erreger verursacht sein, die resistent gegen Antibiotika sind. Genauere Zahlen gibt es nicht.

"Antibiotikaresistenz hat in allen Teilen der Welt ein gefährliches Ausmaß angenommen", sagte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan bei der Eröffnung der Bewusstseins-Woche am 16. November, die noch bis zum 22. November läuft. Mit der gerade gestarteten Kampagne will die Weltgesundheitsorganisation das Wissen um die Antibiotikaresistenz verbessern. Ziel soll auch sein, dass die Medikamente korrekt und damit seltener verschrieben werden und dass sie richtig eingenommen werden.


Falsch verschrieben und falsch eingenommen

Denn häufig stellen Ärzte Rezepte für Antibiotika aus, auch wenn die Patienten Viruserkrankungen haben, gegen die Antibiotika nichts nutzen. Außerdem setzen viele Menschen die Medikamente ab, sobald sie sich besser fühlen. Stattdessen sollten sie die vorgeschriebene Anzahl von Pillen im angegebenen Zeitraum korrekt einnehmen.

Problematisch ist den Ergebnissen der Studie zufolge auch, dass einige Teilnehmer angaben, Antibiotika rezeptfrei erhalten zu haben. Fünf Prozent der Befragten aus Nigeria gaben beispielsweise an, die Medikamente von Straßenhändlern gekauft zu haben. Fünf Prozent der Teilnehmenden aus China erklärten, die Medikamente rezeptfrei über das Internet bestellt zu haben.

Sowohl online als auch in persönlichen Gesprächen wurden 10.000 Menschen in zwölf Ländern zu ihrem Wissen über und ihrer Anwendung von Antibiotika befragt. Daten wurden so in Barbados, China, Ägypten, Indien, Indonesien, Mexiko, Nigeria, Russland, Serbien, Südafrika, im Sudan und in Vietnam erhoben. Das Problem (multi-)resistenter Keime besteht ebenso in Europa und in anderen Teilen der Welt.

60 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, dass sie Antibiotikaresistenz für eine Gefahr für sich und ihre Familien halten, aber nicht wissen, wobei sie sich dieser Gefahr aussetzen oder wie sie sich schützen könnten. 64 Prozent glaubten, dass sich mit Antibiotika Erkältungen und grippale Infekte bekämpfen lassen, obwohl diese in der Regel durch Viren verursacht werden, gegen die Antibiotika nichts ausrichten können. 32 Prozent der Befragten glaubten, sie könnten die Medikamente absetzen, sobald sie sich besser fühlen, was jedoch kontraproduktiv für die Gesundheit ist.

Auch der Begriff selbst ist uneindeutig. 76 Prozent der Untersuchungsteilnehmer nahmen an, dass Antibiotikaresistenz bedeute, dass der Körper resistent gegenüber Antibiotika würde. Stattdessen werden Bakterien resistent. Wenn sich diese weiter verbreiten, wird die Behandlung von Krankheiten und Infektionen schwieriger.


Verbreitung über Krankenhäuser und Tierhaltung

66 Prozent der Befragten glaubten, dass sie von Antibiotikaresistenz nicht betroffen werden könnten, wenn sie selbst die Medikamente streng nach Vorschrift einnehmen. Und die Hälfte der Teilnehmer glaubte, dass nur wer regelmäßig Antibiotika konsumiere, ein Problem mit der Resistenz bekommen könnte. Doch beides ist falsch: Resistente Keime verbreiten sich beispielsweise im Krankenhaus, wenn die Hygiene nicht richtig eingehalten wird, oder bei der Zubereitung und dem Konsum von Fleisch und landwirtschaftlichen Produkten.

Im November 2014 veröffentlichten investigative Reporter um das Recherchebüro Correctiv und DIE ZEIT die Ergebnisse einer aufwändigen Recherche über "Tödliche Keime". Darin erinnern sie unter anderem an den Fußballprofi Matthias Sammer, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere im Jahr 1997 wegen Knieproblemen mehrfach operiert wurde. Nachdem das nicht half, entdeckten die Ärzte schließlich multiresistente Keime in seinem Bein, doch kein Antibiotikum schlug an. Erst das allerletzte wirkte und rettete ihm das Leben. Den Recherchen zufolge entdecken Ärzte bei gestorbenen Patienten jedes Jahr häufiger als 30.000 Mal einen der drei meistverbreiteten multiresistenten Keime MRSA, ESBL oder VRE. Das muss nicht bedeuten, dass all diese Menschen auch an den Keimen gestorben sind. Doch die Vermutung liegt nahe, dass die Zahl der Infektionen deutlich höher liegt, als das Gesundheitsministerium mit 7.500 bis 15.000 angibt.

Zwei Drittel der Patienten sollen sich ihre Infektion erst im Krankenhaus geholt haben. Grund ist unter anderem mangelnde Hygiene. Zu selten halten sich Ärzte, Schwestern, Pfleger, aber auch Patienten und deren Besucher an Hygieneregeln und desinfizieren beispielsweise ihre Hände nicht wie vorgeschrieben.

Neben Krankenhäusern ist auch die Massentierhaltung eine Brutstätte für multiresistente Keime. In Deutschland sind den Investigativreportern zufolge europaweit die meisten Schweineställe mit den resistenten Keimen befallen. In manchen Regionen sind bereits rund 70 Prozent der Ställe verseucht. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nutzt Deutschland die fünftgrößte Menge an Antibiotika in der Fleischproduktion.

Dadurch entwickeln sich immer mehr resistente Tierkeime, die auf verschiedenen Wegen auf den Menschen überspringen. Untersuchungen zufolge sind selbst auf Fleisch aus der Kühltruhe im Supermarkt immer häufiger Erreger zu finden. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt daher, für die Zubereitung von Fleisch Einweghandschuhe zu benutzen. Durch kleine Hautöffnungen könnten sonst Keime, die durch den Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung resistent geworden seien, in den Körper gelangen. (Ende/IPS/jk/19.11.2015)


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http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=52564#.VksNVnqLe1E
https://mrsa.correctiv.org/

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IPS-Tagesdienst vom 19. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2015

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