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FORSCHUNG/587: Freund oder Feind? Wie Darmbakterien unsere Gesundheit beeinflussen (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - 15.10.2015

Freund oder Feind? Wie Darmbakterien unsere Gesundheit beeinflussen


fzm, Stuttgart, Oktober 2015 - Darmbakterien sind ein wichtiger Teil des menschlichen Immunsystems und für die Aufnahme bestimmter Nährstoffe unverzichtbar. Gleichzeitig können sie unsere Gesundheit aber auch negativ beeinflussen. Wenn der Darm kneift, die Haut juckt oder die Gelenke schmerzen, könnten Darmbakterien beteiligt sein. Ein Experte vermutet in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2015) sogar einen Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.

Neun von zehn Zellen im menschlichen Körper sind Bakterien. Ihr Anteil am gesamten Genpool beträgt sogar 99 Prozent. Die meisten Bakterien gibt es im Darm. Einige dringen bereits vor der Geburt über die Plazenta oder das Fruchtwasser ein. Während der Geburt kommen Bakterien aus der Scheide hinzu. Später saugt das Baby sie mit der Muttermilch ein. Die initiale Darmflora erben wir von unserer Mutter, später überwiegen andere Einflüsse wie Ernährung, Medikamente und Lebensstil, schreibt Professor Daniel Baumgart, der an der Berliner Charité ein Forschungs- und Behandlungszentrum für entzündliche Darmerkrankungen leitet.

Der Einfluss der Darmbakterien wird dort kontrovers diskutiert. Fest steht, dass einige Bakterien schwere Erkrankungen auslösen. Dazu zählt Professor Baumgart Helicobacter pylori, der Krebserkrankungen im Magen verursachen kann. Für den Darmkrebs werde derzeit ebenfalls ein Zusammenhang mit Darmbakterien diskutiert. Auffällig sei eine Dominanz von bestimmten Bakterien, so Baumgart. Experimente zeigen, dass von den Bakterien freigesetzte Toxine oder Enzyme die Weichen in Richtung Krebsentstehung stellen könnten. Ernährung und Medikamente hätten ebenfalls einen Einfluss.

Als gesichert gilt, dass das Bakterium Clostridium difficile für eine steigende Zahl von schweren Darminfektionen verantwortlich ist, zu denen es nach Antibiotika-Behandlungen kommen kann. Die letzte Rettung ist manchmal die Korrektur der Darmflora, die fäkale Mikrobiota-Transplantation.

Diskutiert wird auch ein Einfluss auf entzündliche Darmerkrankungen wie den Morbus Crohn. Die Erkrankung geht laut Professor Baumgart mit einem Biodiversitätsverlust einher, gewissermaßen einem Artensterben im Darm. Dies allein könne aber die schweren Krankheitsverläufe nicht erklären, schreibt der Experte. Behandlungsversuche mit der fäkalen Mikrobiota-Transplantation seien gescheitert. Bei einigen Patienten kam es sogar zu Fieber und einer Verschlechterung ihrer chronisch entzündlichen Darmerkrankung.

Dies schließt aber nicht aus, dass die Darmbakterien einen Einfluss haben. Er reicht laut Professor Baumgart sogar über den Darm hinaus. Störungen der Darmbakterien wurden auch bei Schuppenflechte oder der rheumatoiden Arthritis gefunden. Rheuma-Patienten haben immer auch eine Zahnfleischentzündung. Der Mediziner hält es für möglich, dass eine veränderte Besiedlung mit Bakterien die Ursache dafür ist.

Auch in den Stoffwechsel greifen die Darmbakterien ein. Es beginnt beim Körpergewicht. Fettleibigkeit konnte in Experimenten durch Darmbakterien von Menschen auf Mäuse übertragen werden, berichtet Professor Baumgart. Und Trimethylamin-N-Oxid, ein Stoffwechselprodukt von Darmbakterien, ist regelmäßig im menschlichen Blut nachweisbar. Ein Anstieg der Serumkonzentration war in mehreren Studien mit einer erhöhten Rate von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden.

Die Erforschung der bakteriellen Begleiter des Menschen steht erst am Anfang. Neue Methoden zum Gennachweis liefern fast täglich neue Erkenntnisse. Sie werden in den nächsten Jahren unser Verständnis von entzündlichen, metabolischen und onkologischen Erkrankungen bedeutend erweitern, ist sich Baumgart sicher.


D.C. Baumgart:
Das humane Mikrobiom
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2015; 140 (19); S.1451-1456

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Quelle:
FZMedNews - Donnerstag, 15. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2015

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