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EPIDEMIE/201: COVID-19 - Welche Medikamente können helfen? Ernüchterndes Fazit nach Auswertung von Studien (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2021

Covid-19: Welche Medikamente können helfen?

von Klaus-Dieter Kolenda


COVID-19. Nach Auswertung der vorliegenden Studien zu diesem Thema zieht Prof. Klaus-Dieter Kolenda ein ernüchterndes Fazit - deutlich mehr Hoffnungen setzt er zu diesem Zeitpunkt auf die Impfungen.


Um eine virusbedingte Infektionskrankheit wie Covid-19 unter Kontrolle zu bringen, gibt es drei Möglichkeiten: den Einsatz von nichtpharmazeutischen Interventionen wie Kontaktbeschränkungen, Quarantäne und Tracing, das Impfen zur Prävention der Erkrankung und die medikamentöse Therapie.

Mit letzterer werde ich mich im Folgenden beschäftigen und darlegen, welche Erfahrungen damit gemacht worden sind und was heute darüber an gesichertem Wissen vorliegt. Vorab sei angemerkt, dass die Bilanz dieser kritischen Übersicht ernüchternd ist.

Bei der nachfolgenden Darstellung der Wirksamkeit und Sicherheit von einzelnen Arzneistoffen bei der Behandlung von Covid-19 stütze ich mich vor allem auf Artikel, die zu diesem Thema im Arzneimittelbrief seit Beginn der Sars-CoV-2-Pandemie bis 2/2021 zu finden sind, aber auch auf eine aktuelle Veröffentlichung der Fachgruppe COVRIIN am Robert-Koch-Institut, die in einer ersten Fassung im November 2020 im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist.

Der Einsatz von Arzneimitteln zur ärztlichen Behandlung einer Krankheit, und das gilt auch für Covid-19, ist abhängig von deren Schweregrad, wobei der Grundsatz "nihil nocere" (*) immer beachtet werden muss.

(*) [Anm. der SB-Redaktion: "nihil nocere" bedeutet "nicht zu schaden"]

Der Einsatz von spezifisch wirkenden Arzneistoffen kommt nur bei Patienten mit einem mittelschweren oder schweren Krankheitsverlauf infrage. Dabei handelt es sich um etwa 20 Prozent der durch den PCR-Test bestätigten Infektionen. Für entlassene Covid-19-Patienten (ohne stattgehabte thromboembolische Komplikationen) mit einer Long-Covid-Erkrankung liegen noch keine Empfehlungen vor.

Nutzen bei Covid-19 Remdesivir

Remdesivir hat im Juni 2020 von der Europäischen Arzneimittelagentur als erstes Medikament eine bedingte Zulassung erhalten. Es handelt es sich um einen antiviralen Arzneistoff, der ursprünglich zur Behandlung von Ebola entwickelt worden ist. Laut Einschätzung der Fachgruppe COVRIIN wurde als Indikation für Remdesivir der Einsatz in der Frühphase der Erkrankung bei hoher Virusreplikation gesehen. In Europa wurde er zugelassen für die Behandlung von Patienten mit einer Covid-19-Pneumonie mit Sauerstoff-Substitution (Low-Flow, High-Flow oder nicht-invasive Beatmung). Aufgrund der Datenlage in den Studien wurde eine Verkürzung der Krankheitsdauer um 33 Prozent, jedoch ohne Einfluss auf die Hospitalisierungsdauer oder die Mortalität nach 28 Tagen festgestellt. Eine möglichst frühzeitige Indikationsstellung bei Pneumonie mit Sauerstoff-Pflichtigkeit, optimal fünf bis sieben Tage nach Symptombeginn, wurde empfohlen, danach nur bei ausgewählten Fällen. Keine Empfehlung erfolgte für den Einsatz bei Patienten ohne Sauerstoffbedarf, in der späteren Erkrankungsphase sowie bei Patienten mit mechanischer Beatmung.

Inzwischen ist das Ergebnis der SOLIDARITY-Studie der WHO vorgelegt worden. Diese zeigte jedoch keinen überzeugenden Nutzen von Remdesivir bei Covid-19. Bei den untersuchten und klinisch relevanten primären beziehungsweise sekundären Endpunkten (Mortalität, Beginn der mechanischen Beatmung, Dauer der Hospitalisierung) zeigte sich in dieser Studie kein Vorteil einer antiviralen Behandlung mit diesem Medikament.

Der Arzneimittelbrief schließt sich deshalb der WHO-Empfehlung an und sieht derzeit keine Indikation für Remdesivir bei der Behandlung von Patienten mit Covid-19. Remdesivir sollte, wenn überhaupt, nur noch im Rahmen klinischer Studien untersucht werden.

Die kurze Empfehlung einiger deutscher medizinischer Fachgesellschaften zum "sachgerechten Einsatz von Remdesivir bei Covid-19" müsse angesichts der Ergebnisse der WHO-Studie überdacht und geändert werden, meint der Autor des Arzneimittelbriefs.

Dexamethason

Dexamethason ist ein lange bekanntes antientzündlich wirkendes Glukokortikosteroid. Die Indikation für den Einsatz dieses Arzneimittels besteht im Krankheitsverlauf ab Sauerstoff-Pflichtigkeit und einer Krankheitsdauer von mehr als sieben Tagen.

Die Datenlage besagt, dass eine Reduktion der 28-Tage-Mortalität festzustellen ist. Der stärkste Benefit ergab sich bei Patienten mit invasiver Beatmung und bei Therapiebeginn mehr als siebe Tage nach Symptombeginn. Weniger ausgeprägt war die Senkung der Mortalität bei nicht-invasiver Beatmungstherapie oder Sauerstoffbehandlung und ein eventuell negativer Effekt wurde bei Patienten ohne Sauerstoffgabe festgestellt.

Zur Bewertung wird gesagt, dass Dexamethason indiziert ist bei jeder Form der Sauerstoffgabe (auch High-flow-Therapie, nicht-invasive und invasive Beatmung) und einer Krankheitsdauer von mehr als 7 Tagen. Ein früherer Einsatz bringt wahrscheinlich keinen Vorteil und könnte sogar nachteilig sein. Seit erkannt wurde, dass die schweren Verläufe von Covid-19 mehr durch Immunreaktionen als durch das Virus direkt bestimmt werden, sind mehrere Studien zur Wirksamkeit von Glukokortikosteroiden bei schwerem Verlauf dieser Infektion initiiert worden. Im Oktoberheft des Arzneimittelbriefs wird eine prospektive Metaanalyse der WHO über diese Studien vorgestellt. Sie ergibt zum ersten Mal eine klare Indikation für diese Wirkstoffgruppe bei schwerkranken Patienten mit Covid-19. Glukokortikosteroide, systemisch gegeben, senken die Mortalität bei beatmeten Patienten deutlich gegenüber der Standardtherapie und vermindern die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung.

Antikoagulantien (Heparin u. a.)

Schon früh in der SARS-CoV-2-Pandemie wurde beobachtet, dass es bei schweren Verläufen von Covid-19 häufiger als bei Infektionen durch andere virale oder bakterielle Erreger zu arteriellen und venösen Mikro- und Makrothrombosen kommt. Diese können schwerwiegende und potenziell fatale Komplikationen nach sich ziehen, wie zum Beispiel Lungenembolien, koronare und zerebrovaskuläre Ischämien, das heißt Herzinfarkt oder Schlaganfall sowie andere Organschäden.

Ursächlich für diese "Covid-19-assoziierte Koagulopathie" dürften entzündlich bedingte Gefäßschäden sein durch eine direkte, ACE-2-Rezeptor-vermittelte Endothelinfektion im Rahmen einer SARS-CoV-2-Virämie sowie durch proinflammatorische Zytokine ("Zytokinsturm"). Dazu kommen, wie bei anderen schweren Infektionen, die Aktivierung der plasmatischen Gerinnung und Thrombozytenaggregation im Rahmen der systemischen Entzündungsreaktionen sowie prothrombotische Effekte von Immobilisierung, mechanischer Beatmung und zentralvenösen Kathetern.

Laut Arzneimittelbrief ist die Evidenz für die Häufigkeit von Thrombosen begrenzt, denn es mangelt an exakten und vergleichbaren Daten aus großen Studien. Deshalb bleibt die genaue Einschätzung des Stellenwerts von Antikoagulation in der Covid-19-Therapie vorerst unsicher.

Bei intensivpflichtigen Covid-19-Patienten ist eine höher dosierte Antikoagulantien-Therapie, wie sie seit Mitte 2020 in vielen Zentren routinemäßig praktiziert wird, aktuellen vorläufigen Studiendaten zufolge möglicherweise mit einem ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis verbunden, während mäßig schwer erkrankte (nicht intensivpflichtige) hospitalisierte Covid-19-Patienten profitieren dürften.

Viele Fragen sind jedoch noch offen, und die Ergebnisse mehrerer laufender RCTs bleiben abzuwarten. Deshalb können derzeit keine generellen Empfehlungen für eine Behandlung mit Antikoagulantien bei leicht erkrankten (ambulanten) Covid-19-Patienten und bei entlassenen Patienten nach einer Covid-19-Erkrankung gegeben werden. Definitiv keine Indikation für eine Antikoagulation haben asymptomatische SARS-CoV-2-positiv getestete Personen. Im Unterschied zum Arzneimittelbrief sprechen sich die Autoren von COVRIIN für eine großzügige Indikationsstellung bei einer prophylaktischen Antikoagulation bei allen Patienten mit gesicherter Covid-19-Infektion aus, insbesondere bei ambulanten/stationären Patienten mit erhöhtem Thromboembolie-Risiko.

Ein erhöhtes Thromboembolie-Risiko wird angenommen, wenn klassische Risikofaktoren wie eine längere Immobilisierung, eine aktive Krebserkrankung, eine stattgehabte Thrombose oder Embolie, die Gefahr einer Dehydratation, eine Adipositas oder eine hohe entzündliche Aktivität vorliegen. Eine therapeutische Antikoagulation wird zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung bei Nachweis einer Lungenembolie oder einer tiefen Thrombose empfohlen, aber auch bei beatmeten Intensiv-Patienten könne diese laut COVRIIN zur Verhinderung der Ausbildung von Mikrothromben erwogen werden.

Antikörpertherapie

Für eine Antikörpertherapie mit monoklonalen Antikörpern, bei der es sich um eine vielversprechende Therapieoption in der frühen (viralen) Phase von Covid-19 handelt, gibt es bisher keine Zulassung zur Behandlung in der EU. Der Einsatz ist insbesondere bei Patienten mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf als individueller Heilversuch denkbar, auch bei prolongierter Virusausscheidung und bei Patienten mit komplexen Immundefekten.

Aus einem Studienbericht in der Januar-Ausgabe 2021 des Arzneimittelbriefs ergibt sich jedoch, dass die bisherigen Daten sehr widersprüchlich sind.

Zur Behandlung von mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten wurden gezielt Antikörper gegen das Virus entwickelt. Einer von ihnen, LY-CoV555, entspricht dem Muster von Antikörpern eines Patienten, der Covid-19 überlebte. Er bindet mit hoher Affinität an ein Epitop des Rezeptorbereichs und blockiert die Bindung des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 an den ACE-2-Rezeptor der Zellen.

In einer Phase-II-Studie war der Einsatz dieses Antikörpers im Vergleich zu Placebo mit einer schnelleren Abnahme der Viruslast und einer klinischen Besserung (zum Beispiel weniger Aufnahmen ins Krankenhaus erforderlich) bei ambulant behandelten Patienten assoziiert. Deshalb wurde nun untersucht, ob er auch von klinischem Nutzen bei Patienten sein könnte, die bereits stationär therapiert werden.

Die im Januar vorgestellte große internationale RCT ergab nun, dass dieser neutralisierende monoklonale Antikörper klinisch keinen positiven Effekt bei moderat an Covid-19 erkrankten Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, zeigte.

Rekonvaleszentenplasma

Auch für Rekonvaleszentenplasma (RKP) gibt es zwar Hinweise auf eine mögliche schnellere klinische Verbesserung und geringere Progression von Covid-19 bei Behandlung von Patienten in der Frühphase der Erkrankung mit einem relevanten Risiko für einen schweren Verlauf, aber auch bisher, wie bei den monoklonalen Antikörpern, keine Zulassung.

In einer großen offenen, multizentrischen und randomisierten Studie zeigte sich bei Patienten mit schwerem oder lebensbedrohlichem Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion keine klinische Besserung durch die Gabe von Rekonvaleszentenplasma. Jedoch wurde die Virus-PCR schneller negativ.

Dieses Ergebnis lässt in der Zusammenschau mit Obduktionsbefunden vermuten, dass die schweren Verlaufsformen von Covid-19 nicht mehr durch das Virus selbst, sondern durch immunologische Reaktionen auf die Infektion ("Zytokinsturm") oder Thrombosen beziehungsweise Lungenembolien bestimmt werden. Möglicherweise sind in dieser Situation immunmodulatorische Ansätze therapeutisch wirksamer als antivirale, meint der Autor des Arzneimittelbriefs.

Tocilizumab

Da einige Patienten infolge ihrer schweren Erkrankung mit einer überschießenden Immunantwort ("Zytokinsturm") reagieren, ist auch der Einsatz des gegen den Interleukin-6-Rezeptor gerichteten Antikörpers Tocilizumab erwogen worden. Bisher ist aber keine Zulassung für Covid-19 erfolgt.

Dieser Antikörper ist bisher nur zugelassen für die Behandlung der aktiven und progressiven rheumatoiden Arthritis. Für die Wirksamkeit der Blockade des IL-6-Rezeptors sprachen erste Fallberichte aus China, die nach Gabe von Tocilizumab bei schwerem Verlauf von Covid-19 über einen Rückgang des Fiebers sowie rasche Besserung der weiteren klinischen Symptome berichteten.

Die Firma Roche als Inhaber der Zulassung dieses Medikaments hat damit bereits eine Phase-III-Studie bei Patienten mit Covid-19 und ARDS (Akutes Respiratory-Distress-Syndrom) begonnen. Dieser Ansatz wird auch von den amerikanischen und europäischen Zulassungsbehörden unterstütztMöglicherweise wäre aber ein Beginn

bei einem früheren Krankheitsstadium mit Tocilizumab sinnvoll, um bereits bei einem Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut unter 94 Prozent das Auftreten eines lebensbedrohlichen Zytokinsturms zu verhindern, noch bevor sich ein ARDS entwickelt hat, meint der Autor des oben genannten Artikels im Arzneimittelbrief.

In ihrer jüngsten Stellungnahme hat die Fachgruppe COVRIIN die Hoffnungen auf Tocilizumab und einen zweiten Interleukin-6-Antagonisten (Sarilumab) jedoch gedämpft und auf divergente Studienergebnisse hingewiesen.

Substanzen ohne nachgewiesenen Nutzen bei Covid-19 Chloroquin/Hydroxychloroquin

Diese beiden Wirkstoffe sind in Deutschland zugelassen unter anderem zur Prophylaxe und Therapie der Malaria sowie zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen.

Die antivirale Aktivität und eine Hemmung des Wachstums unterschiedlicher Viren konnte sowohl für Chloroquin als auch für Hydroxychloroquin nachgewiesen werden. Demgegenüber waren aber die Ergebnisse klinischer Studien bei viralen Infektionen (zum Beispiel Influenza, HIV und Hepatitis) enttäuschend.

Nachdem jedoch erste klinische Daten aus einem chinesischen Register, in dem Therapieergebnisse von etwa 100 Patienten dokumentiert wurden, die in mehr als zehn chinesischen Krankenhäusern wegen einer Pneumonie bei SARS-CoV-2-Infektion mit Chloroquin oder Hydroxychloroquin behandelt wurden, für eine Wirksamkeit dieser Arzneimittel sprachen, berichtete auch eine offene, nicht randomisierte Studie aus Marseille über positive Ergebnisse zur Wirksamkeit von Hydroxychloroquin in Kombination mit dem Antibiotikum Azithromycin.

Die nachfolgenden Studien konnten aber diesen ersten Eindruck nicht bestätigen. Eine Studie löste im Lancet wegen gefälschter Daten einen Skandal aus und wurde von den Autoren zurückgezogen.

Die Fachgruppe COVRIIN schätzt mittlerweile den Nutzen von Chloroquin und Hydroxychloroquin so ein: Aufgrund der vorliegenden Daten besteht kein klinischer Benefit im Vergleich zur Standardbehandlung, das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen (vor allem Herzrhythmusstörungen mit QT-Zeit-Verlängerung) bei bisher nicht bewiesenem klinischem Nutzen in Therapie oder Prophylaxe ist gegeben und es besteht ein Trend zur erhöhten Sterblichkeit.

Lopinavir/Ritanavir

Diese Kombination von antiviralen Wirkstoffen wird bereits seit vielen Jahren erfolgreich zur Behandlung von HIV-Infektionen eingesetzt. Mehrere Studien bei Covid-19 haben jedoch keinen klinischen Benefit im Vergleich zur Standardbehandlung ergeben.

Ivermectin

Ivermectin ist eine Weiterentwicklung von Avermectin, ein von Erdbakterien der Gattung Streptomyces produziertes Antibiotikum, welches pharmakologisch zu den Makrolidantibiotika gezählt wird und große Bedeutung bei der Behandlung tropischer Infektionen hat.

Für die Entdeckung dieser Wirkstoffe haben William Campbell und Satoshi Omura 2015 den Nobelpreis für Medizin erhalten. Ivermectin ist nicht teuer und steht auf der "Essential Drug List" der WHO. Es ist in oraler Form für die Indikationen gastrointestinale Infektionen zugelassen sowie in topischer Form zur Behandlung entzündlicher Läsionen bei (papulopustulöser) Rosazea, einer speziellen Hauterkrankung. Von der FDA ist es darüber hinaus zur Therapie der Onchozerkose (Flussblindheit) zugelassen.

Auf der Suche nach zugelassenen Arzneimitteln, die auch bei Covid-19 wirksam sind ("drug repurposing"), haben Forscher aus Australien im Juni 2020 In-vitro-Daten veröffentlicht, wonach eine einmalige Zugabe von Ivermectin innerhalb von 48 Stunden die Zahl der Viren in einer Zellkultur 5.000-fach reduziert. In der Folge wurde eine Vielzahl klinischer Studien mit diesem Wirkstoff bei Covid-19 begonnen, vor allem in warmen Ländern wie Ägypten, Argentinien, Bangladesch, Indien, Iran, Irak und Brasilien.

Nach dem oben genannten Artikel im Arzneimittelbrief sind auf clinicaltrials.gov derzeit 57 Studien angemeldet, 18 davon haben den Status "completed". Keines dieser Studienergebnisse ist aber bislang in Pubmed® publiziert, die meisten liegen auf Preprint-Servern ohne ein "Peer review". Und die Studien sind sehr heterogen.

Die Indikationen für Ivermectin in diesen Studien umfassen die Prophylaxe von Covid-19, die ambulante Behandlung in frühen Krankheitsphasen, die Therapie stationärer Patienten und die Behandlung des Post-Covid-Syndroms. Oft werden Therapiecocktails mit gleich mehreren Wirkstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln verabreicht, und die Vergleichstherapien reichen von einer Standardbehandlung über Placebo bis zu diversen Therapien.

Es herrscht derzeit somit ein großes Durcheinander mit erheblichen Unsicherheiten, die eine valide und systematische Bewertung nicht ermöglichen, schreibt der Autor des Artikels im Arzneimittelbrief.

Supportive Therapie von Covid-19 Vitamin C

Studien mit der Gabe von Vitamin C bei Patienten mit Covid-19 haben widersprüchliche Daten ergeben, bezogen auf Entzündungsmarker und Organfunktionen bei ARDS im Vergleich zu Placebo. Es gab Hinweise auf Verkürzung der Intensivpflichtigkeit bei ARDS, aber bisher keine Evidenz für Wirksamkeit und Sicherheit für den Einsatz von Vitamin C bei Covid-19.

In der Bewertung vonseiten der Fachgruppe COVRIIN wird keine Empfehlung zur Verwendung von Vitamin C zur Therapie oder Prophylaxe von SARS-CoV-2-Infektionen außerhalb von kontrollierten Studien gegeben.

Vitamin D

Dieser Wirkstoff wird je nach Dosierung und Formulierung entweder als Nahrungsergänzungsmittel oder Medikament für Behandlung oder Prophylaxe von Covid-19 eingesetzt, ohne dass er dafür zugelassen ist. Die postulierte Rationale für die Anwendung beruht auf bekannten antiinflammatorischen und immunmodulatorischen Eigenschaften von Vitamin D und Hinweisen für ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf bei Vitamin-D-Mangel. Die ursächliche Bedeutung des Vitamin-D-Mangels ist dabei allerdings nicht bewiesen. Niedrige Vitamin-D-Spiegel könnten auch eine Konsequenz der schweren Erkrankung oder der systemischen Entzündung sein.

Weiterhin gibt es Hinweise auf eine Reduktion des Risikos für Intensivpflichtigkeit unter Vitamin-D-Substitution und eine retrospektive Studie mit Hinweisen auf eine reduzierte Mortalität bei Vitamin-D-Substitution, weiterhinHinweise auf schnellere Viruselimination unter Vitamin-D-Substitution bei vorliegendem Vitamin-D-Mangel.

Beachtet werden sollte aber, dass bei ARDS-Patienten mit Vitamin-D-Mangel nach Einschätzung der Fachgruppe COV-RIIN alle großen Substitutionsstudien mit Vitamin D bisher negativ ausgefallen sind, aber die Ergebnisse mehrerer klinischer Studien bei Covid-19 noch ausstehen.

Deshalb kommt COVRIIN zu folgender Bewertung: Es sollte eine Substitution aller Hypovitaminosen bei Patienten mit nachgewiesenem oder vermutetem Vitamin-D-Mangel erfolgen, bei denen ein erhöhtes Risiko für Covid-19 besteht oder bereits eine Covid-19-Erkrankung vorliegt.

Weiterhin sollte bei kritisch kranken Patienten eine Substitution bei nachgewiesenem Vitamin-D-Defizit (gleich/kleiner als 30 nmol/l) entsprechend der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie sowie den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin erfolgen.

Eine routinemäßige Verwendung von Vitamin D zur Prophylaxe oder zusätzlichen Therapie von SARS-CoV-2-Infektionen wird aber nicht empfohlen.

In Großbritannien haben die staatlichen Gesundheitsbehörden jedoch eine generelle Vitamin-D-Supplementierung während dieser Pandemie vorgeschlagen. Besonders für ältere Menschen, die häufig einen Vitamin-D-Mangel aufweisen, könnte eine Vitamin-D-Supplementierung besonders wichtig sein, da sie ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 haben und profitieren könnten.

Fazit

1. Die vorgestellte Bilanz der derzeit wissenschaftlich begründbaren medikamentösen Therapie von Covid-19 ist ernüchternd.

2. Nur der Einsatz von Dexamethason und teilweise von Antikoagulantien kann bisher überzeugen.

3. Der Einsatz von antiviralen Arzneimitteln wie Remdesivir und Lopinavir/Ritanavir, der wahrscheinlich auch nur in der Frühphase der Erkrankung infrage kommt, hat bisher enttäuscht. In der späteren Phase der Erkrankung spielt bei vielen Patienten wahrscheinlich das Immunsystem die Hauptrolle.

4. Der bisher enttäuschende Einsatz von antiviralen Arzneimitteln ist allerdings auch deshalb nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass es bei der HIV-Infektion 13 Jahre nach der Erstdiagnose dieser Erkrankung gedauert hat, bis endlich eine effektive antiretrovirale medikamentöse Therapie zur Verfügung stand.

5. Auch wegen der bisher beschränkten therapeutischen Möglichkeiten der Arzneimitteltherapie bei Covid-19 sollte Vitamin D zur Unterstützung der Behandlung in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn ein nachgewiesener erniedrigter Vitamin-D-Spiegel vorliegt.

6. Im Gegensatz zu den zurzeit eingeschränkten medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten von Covid-19 ist die Situation bei der Impfung aus wissenschaftlicher Sicht sehr hoffnungsvoll, da eine Reihe von wirksamen Vakzinen mit vertretbarem Sicherheitsrisiko, soweit das heute aufgrund der vorliegenden Daten eingeschätzt werden kann, zur Verfügung steht.

7. Deshalb sollten diese Vakzine auf freiwilliger Basis schnell und massenhaft zur Anwendung kommen, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Dabei müsste zunächst so schnell wie möglich allen Angehörigen der Hochrisikogruppe und auch allen mit einem deutlich erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 eine Impfung angeboten werden.


Literatur beim Verfasser Prof. Klaus-Dieter Kolenda
klaus-dieter.kolenda@gmx.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2021, 74. Jahrgang, Seite 36-39
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2021

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